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42.

»Eine Braut bring' ich getragen,
Aller Welt ein Zagen!«
Und sie ließ die Schleier fallen
Von den grimmen Zügen!
Farb' und Lust entwich da Allen,
Wie ein feiges Lügen.
»Keiner mehr, der sing' und lache:
Meine Braut heißt Rache.«

L. M. Fouqué.

Es bedurfte bei Meister Auffenthaler von Seiten seines lieben Töchterleins keiner großen Redekünste, um ihn ihrem Wunsche geneigt zu machen. Dem Italiener war es sehr angenehm, mit seinem alten Freunde Friedmann zusammengetroffen zu sein, und er gab daher auch gern seine Einwilligung zu einer Anordnung, von der er sich auf einige Stunden hin die Gesellschaft des Ritters und manchen Augenblick traulicher Unterredung mit diesem versprechen durfte. Erst in einer bedeutenden Entfernung von den niedergeworfenen Söldnern, die man auf der ziemlich gangbaren Straße gebunden und geknebelt dem Zufalle überließ, der sie bald oder spät aus ihrer unangenehmen Lage befreien mußte, wurde wiederum Halt gemacht. Man nahm einige Erfrischungen ein, die dem jungen Ritter und seinen Begleitern sehr willkommen waren. Amalgundis zeigte sich sehr heiter und vergnügt. Sie scherzte mit Beaten, sie flüsterte ihr traulich in's Ohr und war so liebevoll zu ihr, daß man hätte glauben sollen, schon seit Jahren vereinige beide ein inniges Freundschaftsband. Nur, wenn ihr Auge zufällig auf den jungen Ritter fiel, dessen Schwermuth nicht vermindert schien, wurde es trübe und ein leiser, mühesam gedämpfter Seufzer hob ihre Brust. Ihre neue Freundin war aufmerksam genug, dieses zu bemerken, und besaß hinlängliche Erfahrung, eine solche unwillkührliche Regung zu deuten. Sie hatte ihre besonderen Gedanken dabei, aber ihre ganze Theilnahme wandte sie dem Ritter und dem Fräulein zu, die sie unbedenklich für ein entzweites Liebespaar bei sich selbst erklärte, indem sie zugleich es als eine heilige Frauenpflicht erkannte, die beiden Leute, die, wie sie meinte, ganz wohl für einander paßten, wiederum zu versöhnen.

Das Pfeffer-Rösel verzehrte indessen mit gutem Appetit, aber ohne im Trotze die Augen aufzuschlagen, eine Schnitte geräucherten Specks nach der andern. Stephan war ganz untröstlich über das seltsame Betragen des Mädchens. Er mochte die freundlichsten Worte zu ihr sprechen, er mochte sie mit den zärtlichsten Namen belegen, er mochte das Glück ihrer beiderseitigen Zukunft im lustigen Ehestande mit noch so reizenden Farben malen: nichts konnte das unwirrsche Kind bewegen, ihm eine Antwort zu geben oder auch nur eine Geberde des Wohlgefallens zu zeigen. Sie speiste immerfort trotzig in sich hinein, schien für den Liebsten weder Auge noch Ohr zu haben, und sah nur manchmal verstohlen unter den buschigen Augenwimpern nach Beaten hin. Wenn sie diese aber dann immer im eifrigen Gespräche mit Amalgundis bemerkte, so aß sie nur noch heftiger und ihre volle Wangen tauchten sich in eine dunklere Gluth. Zuletzt wußte Stephan nichts besseres zu thun, als dem Beispiele seines Schätzels zu folgen. Er ließ seine Verzweiflung am Geräucherten und Gesalzenen aus und gab nun auch keinen Laut mehr von sich, als den, welcher durch das Arbeiten seiner Kinnladen verursacht wurde. Meister Auffenthaler, Bandini und Friedmann hielten Berathung über den Weg, den man einzuschlagen habe, um an das Aarflüßchen im Gebirge zu gelangen. Der lange Gabriel hatte keinen Augenblick Ruhe beim Frühstück; er mußte immer geschäftig sein, verschlang in Hast nur wenige Bissen und lief dann zwischen den Maulthieren mit den Waarenladungen hin und her, um sich zu überzeugen, daß Alles gut und sicher gepackt sei.

Der Italiener übernahm es, auf einem sichern und wenig bekannten Pfade die Wandernden in die Gegend zu führen, in welcher nach Amalgundis Aeußerung, ihr Reiseziel lag. Er führte an Friedmanns Seite den Zug an, in einiger Entfernung folgten die neuen Freundinnen, beide auf ihren zartgebaueten Frauenpferden, dann kamen die Russigen mit den Lastthieren und hinter ihnen Herr Auffenthaler und sein Eidam Gabriel, welche immer ein aufmerksames Auge auf das Ganze hatten. Stephan und seine kriegerischen Gefährten ritten zur Seite. Vergebens hatte der gutmüthige Bursch das Pfeffer-Rösel eingeladen, den Platz vor ihm auf dem Sattel einzunehmen, vergebens sich erboten, ihr den ganzen Sitz einzuräumen: sie hatte ihm ein kurzes Nein entgegengesetzt und trollte mit ihrem Kasten auf dem Rücken, ohne den Blick vom Boden aufzuschlagen, immer vorwärts.

Der Weg, welchen sie nahmen, war ebenso bequem als reizend. Er führte hinter den Ortschaften am Rheine weg, zwischen Rebenhügeln hin und gewährte oft die schönsten Aussichten auf den Fluß und das jenseitige Ufer. Hoch oben an den, zu Bergen angeschwollenen Hügeln, zeigte sich der jung ergrünende Waldsaum und noch näher den Wolken sahen majestätisch die dunkeln Berggipfel herab. In diesen Umgebungen und in der Nähe eines lieben freundlichen Wesens besänftigten sich nach und nach die stürmischen Empfindungen, die Amalgundis Inneres bewegt hatten. Die Heiterkeit, die, wie sie glaubte, früher nur ein Erzeugniß des Augenblicks gewesen war, schien sich eine feste Heimath in ihrer Seele bereiten zu wollen. Während sie mit Beaten bekannter und vertrauter wurde, erkannte sie immer mehr, daß diese eine ungemeine Herzensgüte, ein richtiges Gefühl und selbst einen so gebildeten Geist besitze, wie er bei Frauen ihres Standes zu jener Zeit selten zu finden war. Dabei gefiel es dem Edelfräulein insbesondere, daß die junge Kaufmannsfrau nur nach ihrer eigenen Erkenntniß die Gegenstände, die zur Sprache kamen, beurtheilte und mit großem Unwillen jede Ansicht, die von Hörensagen komme und aus einem Gerüchte geschöpft sei, als eitel und unglaubwürdig verwarf. Amalgundis hatte durch übele Nachrede schon zu viel gelitten, um nicht eine solche Charactereigenthümlichkeit hoch zu schätzen. Oft sprengte, wie es Ritterpflicht und Courtoisie geboten, der Ritter von Sonnenberg zu seiner Schutzbefohlenen zurück, um sie ehrerbietig zu fragen: ob sie seiner zu irgend einer Dienstleistung bedürfe? Dann nahm aber Amalgundis sogleich jene stolze und kalte Haltung wieder an, die sie sich seit jener Unterredung gegen ihn zur Pflicht gemacht hatte. Sie antwortete so ernst und streng, daß Frau Beata, voll Erstaunen über diese plötzliche Veränderung des eben noch so milden Wesens ihrer Freundin, diese kaum wieder erkannte und in ihr eine Andere, Fremde zu sehen glaubte.

Der Italiener Bandini hatte in der kurzen Zeit, die er auf Reisen zugebracht, sehr gealtert. Er war hager geworden, tiefe Furchen hatten sich in sein Angesicht gegraben, das dem jungen Ritter wie ein Schauplatz erschien, auf dem die Leidenschaften wild mit einander kämpften und große Verwüstungen anrichteten. Sonst hatte sich in seinem ganzen Betragen die ruhige Besonnenheit eines Mannes gezeigt, der in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens Herr seiner Empfindungen bleibt. Nur wenn das in Mainz erlittene Unrecht zur Sprache gekommen, war alle Leidenschaftlichkeit des Südländers erwacht und die schlummernde Nachgierde zur hellen Flamme emporgeschlagen. Jetzt schien er fortwährend in seinem Innern zerrissen. Seine Sprache war hastig, sein Blick unstät, jede seiner Bewegungen krampfhaft. Nachdem er eine Zeitlang schweigend neben Friedmann hergeritten war, sah er diesen plötzlich starr an, ergriff heftig seinen Arm und sagte:

»Mit Euch ist's auch nicht mehr, wie es war. Der Junker von Sonnenberg kannte das Glück; dem Ritter ist es fremd geworden. Aber das Glück ist nur ein Wahn und das Unglück ebenso. Wir träumen von frohen Augenblicken und von jammervollen Tagen. Warum reißen wir uns nicht empor aus dem dumpfen Traume? Dann schwämme Alles flott weg auf dem todten Meere der Gleichgültigkeit, dann hätten wir ruhige Tage, und ach! auch ruhige Nächte und wüßten nichts von Liebe und – Rache.«

Bei dem letzten Worte verzerrten sich seine Züge auf eine furchtbare Weise. Er drückte grimmig seinem Pferde den Stachel in die Seite, daß dieses hochaufbäumte und ihn herabgeworfen haben würde, wenn er nicht ein fester Reiter gewesen wäre.

»Bandini,« versetzte in dem schwermüthigen Tone, der ihm jetzt eigen war, der junge Ritter, »ich mag mich verändert haben und vor Allem mag der kecke Frohsinn verschwunden sein, der mich sonst belebte und leicht über alle kleinen Besorgnisse meiner Jünglingsjahre hinwegtrug. Aber mit Euch ist eine weit größere, eine entsetzlichere Veränderung vorgegangen. Ihr seid in wenigen Monaten um viele Jahre gealtert und ich sehe greise Haare, die sich unter Euerm Barett hervordrängen. Ihr müßt etwas Furchtbares erlebt haben. Es müssen schreckliche Dinge sein, die den Menschen den Gang der Natur zu übereilen nöthigen. Was ist Euch begegnet, welches Urtheil hat diese entsetzliche Wirkung auf Euch hervorgebracht?«

»Merkt Ihr was?« entgegnete der Lombarde und ein Blitz seines dunkelglühenden Auges flog zu Friedmann auf. Er lachte heiser und höhnisch in sich hinein. Dann fuhr er fort: »Alles hängt an einer alten Geschichte. Ihr kennt sie wohl. Wir beide waren ja die Hunde und hetzten das Wild. Ihr kennt die Sache, aber Ihr wißt nichts weiter. Ihr wißt nicht wie sie zum Ungeheuer geworden ist, das mich mit seinen riesigen Krallen gefaßt hat, das mir keine Ruhe läßt Tag und Nacht, mich furchtbar schüttelt und mir ewig in die Ohren raunt: es giebt nur eine Seligkeit und das ist die Rache.«

Der junge Ritter schauderte zurück. Er war gottesfürchtig erzogen worden und eine solche Aeußerung schien ihm das Heiligste zu lästern.

»Versündigt Euch nicht, Bandini!« sagte er streng und ernst. »Ich habe diese Rachgierde, die ein böser Fleck in Eurer Seele ist, nie gebilligt. Ihr seid sonst ein biedrer und verständiger Mann. Warum wollt Ihr Euern Verstand nicht anwenden, die tolle Leidenschaft zu bekämpfen? Hütet Euch vor ihr! Sie ist Euer schlimmster Feind, sie will Euch verwirren, um Euch in eine unglückselige Nacht des Wahns zu stürzen.«

»Was Ihr da sagt, habe ich mir tausendmal selbst gesagt!« erwiederte finster der Italiener. »Ich weiß, daß ich ein arger Sünder bin, weiß daß ich täglich mehr in Sünde verfalle. Ich kämpfe dagegen. Vergebens! Eine ungeheure Angst ergreift mich oft in diesem Kampfe, wenn ich ihn als eitel erkennen muß. Dann treibt sie mich fort in Wälder, in Wüsten. Aber ich werde nicht ruhiger. Immer sitzt hinter mir einer auf dem Pferde. Es gibt nur eine Seligkeit und das ist – die Rache! flüstert er mir zu. Nein, nein! rufe ich verzweiflungsvoll. Ja, ja! schmettert er mit einer Stimme, vor der ich zusammenbebe und das Weltall erzittert. Dann muß ich mich fürchten, dann muß ich glauben, dann dürste ich nach dieser einzigen Seligkeit.«

»Ihr seid krank, Antonio.« unterbrach ihn der Ritter von Sonnenberg, indem seine Blicke mit dem Ausdrucke des Mitleids auf ihm weilten. »Ihr solltet eine Zeitlang dem Herumziehen und dem geschäftigen Treiben entsagen. Pflegt der Ruhe in häuslicher Stille, dann wird auch Eure Heiterkeit wiederkehren, und die tollen Bilder werden Euch nicht mehr verwirren.«

»Ruhe?« fuhr Bandini auf. »Glaubt Ihr nicht, ich könne ruhig sein, wenn es darauf ankommt? Ihr solltet mich nur sehen im Handel. Wie ich da mäkle um ein Paar Heller, wie ich um die Neigung der Kunden zu gewinnen, jede List anwende, die unserm Geschäft Nutzen bringen kann. O, da bin ich ein ganz andrer! Aber wenn gewisse Dinge zur Sprache kommen, dann stürmt's auf. Dann ergreift's mich erst tief in der Seele, dann dringt's weiter, bis es sich meines ganzen Wesens bemächtigt hat. Ihr seid der Erste, dem ichs gestehe. Das Alles aber,« fuhr er halblaut und in einer geheimnißvollen Weise fort, »ist erst geschehen von einer verhängnißvollen Stunde an, die wohl der Wendepunkt meines Lebens war. Erinnert Ihr Euch, wie der Günther von Nollingen den luftigen Sprung aus dem Fenster machen mußte? Ich ließ ihn springen, ich stand unten, ich erwartete ihn, ich umklammerte ihn. Er starrte mich wild an, er glaubte ein Gespenst zu sehen. Da lagen unsere Herzen einige Augenblicke hart an einander, da schlug eins gegen das andere, und es kam mir vor, als flamme eine furchtbare Gluth aus dem seinigen in das meinige herüber. Der gewaltige Schlag, mit dem er mich zu Boden streckte, raubte mir alle Besinnung. Ihr wißt ja, daß ich krank lag. Der Körper genas, aber die Seele nicht. Die Flamme, die in mein Herz geschlagen war, brannte lichterloh. Da wurde auch jene furchtbare Stimme laut, da ergriff mich eine quälende Mordlust gegen den Günther, von nun an peinigte mich Tag und Nacht der Gedanke, ich könne dann erst ruhig werden, wann ich das tückische Herz meines Feindes blutend in meiner Hand hielte. Und der Kampf hiergegen ist meine Krankheit. Er frißt das Mark aus meinen Knochen, er gräbt Runzeln in meine Wangen, er macht mich zum Greise vor der Zeit. Ja, Herr Ritter,« fügte er mit einem wild aufflammenden, irren Blicke hinzu, »es müßte doch eine rechte Lust sein, den Nollingen röchelnd, zuckend und sterbend zu seinen Füssen zu sehen!«

»Bandini,« sprach Friedmann mit vieler Sanftmuth. »Ihr seid sehr unglücklich geworden. Ich möchte Euch gern helfen; aber ich weiß nicht wie. Was ich Euch schon gerathen habe, scheint mir noch immer das Beste: Ruhe in ungestörter Einsamkeit.«

»Haha!« lachte der Italiener höhnisch auf. »Was habt denn Ihr voraus vor mir, daß Ihr mich unglücklich scheltet? Mich quält die Rache, Euch die Liebe. Jene hat mich zum Greise, diese Euch zum Siechling an Leib und Seele gemacht. O, ich bin nicht so blind, daß ich nur meine eigenen Angelegenheiten und nicht auch die derjenigen, die mir einmal lieb sind, wahrnähme! In meinem Laden sahet ihr zum erstenmale die schöne Amalgundis. Sehen und Lieben war Eins. Das sprach Euch aus den Augen, aus jeder Geberde und deshalb schlugt Ihr auch den Ralph Strichauer. Und weiter! Wurdet Ihr nicht festgenommen beim vertraulichen Stelldichein mit ihr in des Schultheißen Garten? Fiel sie damals nicht in Ohnmacht Euretwegen? Man brauchte das Alles nicht zu wissen, man brauchte Euch nur jetzt zu sehen in Euerm Betragen gegeneinander, um zu erkennen, daß Ihr ein Paar Liebesleute seid, die irgend eine Thorheit schon seit längerer Zeit entzweit hält.«

Der Italiener war ruhiger geworden. Die Hast in seiner Rede war verschwunden, das bisher so lebendige Spiel seiner Gesichtsmuskeln hatte aufgehört. Nur dem Gegenstande seiner eigenen Leidenschaftlichkeit schien die Macht eigen zu sein, sein ganzes Wesen in Aufregung zu bringen. Der Uebergang aus eines Andern Angelegenheit kühlte ihn ab.

»Ihr habt Euch mit Gewalt in ein Geheimniß gedrängt, das ich Euch nie offenbart haben würde;« versetzte mit einigem Unwillen der junge Ritter. »Ihr habt es in einer Weise gethan, die mir wehe thun muß und die ich von Euch nie erwartet haben würde.«

»Mein altes Gelüst, den Arzt zu spielen, ist bei der Erkenntniß Eurer Krankheit in mir erwacht,« entgegnete in einem gutmüthigen Tone, der gegen sein früheres Wesen sehr abstach, Bandini. »Und dann wollte ich Euch auch zeigen, daß die Leidenschaft eine ebenso große Gewalt über Euch übt, wie über mich. Freilich ist die Leidenschaft, die mich beherrscht, eine gewaltigere und deshalb sind auch ihre Wirkungen heftiger. Während Ihr niedergedrückt und gebeugt werdet, reißt sie mich mit Sturmeskraft fort zur Wildheit und schrecklichem Verlangen. Aber was Euch betrifft, so glaube ich, steht Euch leicht zu helfen, wenn Ihr nur selbst wollt. Ich kann mir Alles recht gut deuten, wie es sich begeben hat. Ihr liebt das Fräulein, das Fräulein liebt Euch. Euere Hoffnungen standen in der schönsten Blüthe, Euere Liebe im Frühling. Der Kaiser ist Euch gewogen, seine Huld hat Euch ausgezeichnet, wie wenige andere. Kein Gedanke konnte in Eure Seele kommen, daß er Euch in Euerm liebsten Wunsche entgegen sein werde. Ihr waret eben ein Glückskind, das bei seinem ersten Eintritte in die Welt das Tischlein des Lebens gedeckt und mit dem Köstlichsten, was es bieten kann, besetzt fand. Ihr hattet nur das Zugreifen, das Beste stand Euch zu Willen. Da kam ein und der andere gute Freund und dieser hatte an dem Leckerbissen Das, ein anderer Jenes auszusetzen. Ihr wurdet irre in Euerer eigenen Meinung. Da erzählten sie Euch, wie die lockende Speise schon vor Euch eines Andern Wohlgefallen erregt habe. Das machte Euch unwillig. Ihr tratet zurück vom glänzenden Gastmale des Lebens, Ihr verschmähtet es und wie wehe es Euch selbst thun mochte, Ihr suchtet Euch zu gewöhnen, es mit gleichgültigen Blicken zu betrachten. Aber das einmal lebendig gewordene Verlangen widersetzt sich, wann der Mensch, der ihm seine Brust zur Heimath eingeräumt hat, es wiederum verstoßen will. Das ist nun der Kampf, dem Euere Seele hingegeben ist, der schwere Kampf zwischen Entsagen und Verlangen. Habe ich Unrecht, Herr Friedmann? Kann ich nicht anderer Leute Angelegenheiten noch recht wohl beurtheilen?«

»Ihr irrt dennoch in einem Hauptpunkte!« versetzte trübe der junge Ritter. »Ihr seid mein Vertrauter geworden, ohne daß ich es verlangt, aber ich kann zufrieden sein damit, weil Ihr mir schon manchen Beweis Euerer freundschaftlichen Anhänglichkeit gegeben habt. Es ist wahr, daß ich jene köstliche Gabe des Lebens verschmähte, es ist wahr, daß ich noch immer vergebens kämpfe, ihr zu entsagen! Aber glaubt nicht, daß ich das Alles auf die Rede Anderer hin thue, auf bösen Leumund und Kunkelgeschwätz. O nein! Ich selbst habe gehört, ich selbst habe gesehn« –

»Ihr selbst?« unterbrach ihn kalt der Italiener. »Das ist freilich ein Anderes und wenn Ihr mir das gleich gesagt hättet, so würde ich mir nicht die Mühe gegeben haben, so viele Worte über Euere Sache zu verlieren. Wie,« fuhr er heftiger fort, »Ihr bildet Euch ein, das reizendste Geschöpf, das die Erde trägt, zu lieben, und seid nicht blind und taub dabei? Ihr habt noch für etwas Anderes Augen, als für ihre Schönheit, noch Ohren für andere Worte, als für die, welche Euch aus ihrem Munde Freuden ahnen lassen und Hoffnungen geben? So seid Ihr Deutschen. Euere Liebe ist der kümmerliche Abfall eines kalten Herzens und bringt es höchstens dahin, Euch auf einem Auge zu blenden, auf einem Ohre taub zu machen. Mit den übrig gebliebenen halben Sinnen seht und hört Ihr auch nur Alles halb, und immer die kleine schlimmere Hälfte, während die größere Bessere Euch verborgen bleibt. Reißet diese Halbheit aus Euerer Seele und werdet ganz verliebt, wie es wahrhaftig Euere Erwählte verdient. Sahet Ihr etwas, das Euch unangenehm dünkte, so hättet Ihr sollen Euere Blicke auf das Antlitz Euerer Geliebten wenden, und ihre Annehmlichkeit würde gewiß jenes Mißvergnügen besiegt haben. Liehet Ihr dem Schlimmen ein Ohr, warum habet Ihr dem Guten nicht zwei Ohren geliehen? Grad herausgesagt, ich kenne die Ursache Eures Kummers. Es ist das alte Lied, das man allenthalben singt von Adolph und der schönen Amalgund. Aber glaubt mir, dieser Kaiser ist nicht mehr empfänglich für solche Tändeleien. Euere Ritter, mit ihrem Gradsinne und ohne große Menschenkenntniß, Euere Weiber mit der unersättlichen Lust, dem lieben Nächsten Böses nachzureden, können und mögen das wohl nicht begreifen. Aber ich sage es noch einmal, dieser Kaiser mit dem ewig trüben Lächeln aus dem bleichen Angesichte, mit manchem Schmerze, mit großer Sorge und seltener Freude in der Brust, darf von Euch nicht gefürchtet werden. Und als er noch furchtbar war in solchen Angelegenheiten, durch ritterliche Tugend und männliche Schönheit vielleicht furchtbarer, als alle seine fürstlichen Zeitgenossen, da stand das Fräulein noch in den Kinderjahren. Ihr waret ein wilder Knabe, dem Armbrust und Waffenspiel näher am Herzen lagen, als das schönste Fräulein der Welt. Aus jener Zeit also kann sich Euere Eifersucht nicht herschreiben.«

Der junge Ritter erwiederte nichts, aber er konnte sich nicht verhehlen, daß in Bandini's Worten vieles zu Gunsten der Geliebten sprach. Er mußte nach ihr zurückblicken. Er flog zu ihr hin, um ihre etwaigen Befehle zu vernehmen. Sie hatte ihm nichts zu sagen, aber zu seiner Freude schien jene Kälte, die Geringschätzung, die sie ihm seit gestern in ihrem Benehmen gezeigt hatte, sehr gemildert. Ein Zug von Freundlichkeit war ihm sogar wohlthuend aufgefallen.

»Wahrhaftig,« sprach er zu sich selbst, während er sich wieder von den Frauen entfernte, »der Italiener hat am Ende Recht und ich bin thörigt und sündlich verfahren gegen die herrliche Amalgundis. War es doch eine Wahnsinnige und Erboste, der ich ein williges Ohr geliehen! Konnte nicht in jener Nacht, wo alle meine Empfindungen mächtig aufgeregt waren, meine Einbildungskraft ein tolles Spiel mit mir treiben und mich Dinge sehen lassen, die nicht in der Wirklichkeit bestanden?« Seine Erinnerung, seine Vernunft widersprachen dieser Ansicht. Er aber suchte sich mit Gewalt darin zu befestigen. So viel hatte ein halb freundliches Lächeln der Geliebten, ein wohlwollender Blick in ihr Angesicht, indem er, nach jener Unterredung mit dem Lombarden, gern wieder den reinen Ausdruck der Unschuld und Tugend erkannte, bewirkt.

Friedmann ahnete nicht, daß er diese günstige Veränderung in dem Betragen des Fräuleins, der Fürsprache Beaten's zu danken habe. Er bemerkte nicht den listigen, ein Einverständniß andeutenden Blick, den sie nach ihm hinwarf, nicht das schalkhafte Lächeln, das ihren Mund umschwebte und für die Zukunft noch mehr versprach, als Das, was sie bis jetzt hatte bewerkstelligen können. Sobald Frau Beata sich mit Amalgundis von der übrigen Gesellschaft getrennt gesehen, hatte es ihr keine Ruhe gelassen und ohne Umstände war von ihr das Gespräch auf den Ritter von Sonnenberg gebracht worden. Sie führte alles Rühmliche von ihm an, was sie wußte. Sie lobte ihn nicht allein seiner Großmuth und Gutmüthigkeit wegen, die er dem bedürftigen Pfeffer-Rösel bewiesen, nicht allein des geraden und treuen Wesens halber, das jeder gleich beim ersten Blicke erkennen müsse, nicht blos in Hindeutungen auf den ritterlichen Muth, den er gleich bei der ersten Bekanntschaft mit Amalgundis gezeigt, und auf seine innige Anhänglichkeit an den Kaiser bewährt in der Entdeckung jenes abscheulichen, von Günther geschmiedeten Verraths; als eine erfahrene Kennerin des weiblichen Herzens ging sie unbemerkt auf Friedmanns Persönlichkeit über, sie veranlaßte das Fräulein, ihre Blicke auf den in geringer Entfernung Voranreitenden zu richten, sie bemühete sich, sie dort zu fesseln, indem sie alle Eigenschaften seiner in der That sehr wohlgebaueten Gestalt und das Anmuthige, aber auch zugleich Männliche seiner ganzen Haltung mit gewandter Zunge auseinandersetzte.

»Seht,« fuhr sie, nachdem sie sich bereits in weitschweifige Reden zu des jungen Ritters Lobe ergossen, mit großer Lebhaftigkeit fort, »seht nur, wie kühn und anmuthig er das schwarzgelockte Haupt auf den sanft ablaufenden Schultern trägt! jede Bewegung ist frei und dennoch edel. Wenn er den Kopf einmal wendet, daß man sein Antlitz erblicken kann, so muß Einen die Lieblichkeit, die der liebe Gott hinein gelegt, im innersten Herzen erfreuen. Wie das feine Adlernäschen unter den blitzenden Augen keck hervortritt, wie das Grübchen im Kinn unter dem kleinen Munde mit den Elfenbein-Zähnen ihm wohl steht! Sonst aber hatte er ein noch weit besseres Aussehn, als jetzt. Er ist schwermüthig geworden und wenn das angeborene Feuer in den dunkeln Augen nicht erlöschen konnte, so ist es doch sehr getrübt. Auf den Wangen blüheten rothe Rosen, jetzt sind es weiße. Ich möchte das Gefühl nicht in mir tragen, daran Schuld zu sein.«

Sie schwieg einige Augenblicke und betrachtete Amalgundis verstohlen von der Seite. Diese sah nachdenklich auf den Hals ihres Pferdes hinab und unterdrückte mit Mühe einen aufsteigenden Seufzer. Da rief Frau Beata, nachdem sie die Wirkung ihrer Rede beobachtet, plötzlich aus:

»Ei, schaut hin, wie kühn und gewandt er jetzt das mächtige Roß tummelt! Bei'm Himmel, ein Thier das einem Riesen zu schaffen machen könnte! Seine Hand aber spielt nur leicht mit dem Zügel und es folgt gehorsam jeder seiner Bewegungen. Wahrlich, er ist ein so trefflicher Ritter, wie ich nur je einen gesehn, und ich glaube überhaupt nicht, daß er seinesgleichen hat unter der Reichsritterschaft!«

»Euer Lob ist sehr feuerig, Frau Beata;« sagte jetzt mit einigem Ernste das Fräulein. »Wäret Ihr noch ledigen Standes und hättet nicht Herrn Gabriel Liebe und Treue als ehrliche Hausfrau gelobt, so könnte man auf den Gedanken kommen, die Vorzüge, welche Ihr an dem Ritter von Sonnenberg preißt, hätten einen gefährlichen Eindruck auf Euer Herz gemacht.«

»Ihr wollt scherzen, edles Fräulein!« lachte Beata hell auf. »Nie war ich eine so thörigte Dirne, daß ich meine Blicke nach einem vornehmen Junker oder Ritter erhoben hätte. Die lasse ich den Edelfräulein, die wohl wissen, was sie mit ihnen anzufangen haben. Mir ist mein Gabriel ganz recht und wenn einige finden wollen, er sei zu lang für ein wohlgewachsenes Mannsbild und habe etwas Linkisches in seinem Wesen, so bin ich nicht der Meinung, sondern bilde mir ein, er sei ein gar stattlicher Mann, von einem angenehmen und zierlichen Betragen. Warum sollte ich aber das Gute an andern Männern deshalb nicht erkennen, besonders an solchen, von denen mich edle Geburt und hoher Stand ganz und gar trennen? Ach, mein liebes Fräulein, wenn irgend Etwas in meiner Seele dem jungen Ritter zu Gunsten spricht, so ist es kein anderes Gefühl, als das Mitleid!«

»Das Mitleid?« wiederholte fragend und erstaunt Beata's Gesellschafterin.

»So ist es!« entgegnete die Handelsfrau mit angenommener Betrübniß. »Sicherlich hat er Liebeskummer und wo ich den bemerke, da wird mir selbst das Herz schwer und ich kann nicht eher ruhen, bis ich das Meinige gethan, dem armen Leidenden zu helfen. Vielleicht hat ein Mißverständniß ihn mit seinem Schatze entzweit, das ohne große Mühe gehoben werden könnte, wenn man nur den nähern Umstand davon wüßte, oder seine Liebste ist stolz und hochfahrend gegen ihn geworden einer unbedeutenden Kleinigkeit wegen und das kränkt ihn jetzt tief, so daß er sich bekümmert im Gemüthe, und abfällt am Leibe. Ihr kennt ja die Frauenzimmer am Kaiserhofe! Habt Ihr keine Vermuthung, wer sein Schätzel sein könnte?«

Eine Purpurgluth bedeckte Amalgundis Wangen. Ihre Hände zitterten und der Zügel entfiel ihnen. Thränen zeigten sich in ihren Augen. Beata bemerkte sie sogleich. Ihr gutes Herz ward von schnell erwachender Rührung ergriffen und fast selbst weinend rief sie aus:

»O, mein herzliebes Fräulein, ich habe Euch doch nicht beleidigt durch ein übereiltes Wort? Gott weiß, ich wollte ja nur das Gute und Euch wieder vereinigen in Liebe und Versöhnung mit Herrn Friedmann, denn ich hatte es gleich gemerkt, daß Ihr ein Liebespaar wäret und nur jetzt in Zwiespalt mit einander lebtet, der nichts taugt und zwei gute Menschen unglücklich machen kann. Ach! Ihr weint immerfort und es ist Euch schwach, wie ich glaube. Rösel!« wandte sie sich um. »Gib schnell Dein Riechfläschel mit dem stärkenden Balsam. Glaubt mir! Es wird Euch gute Dienste thun.«

Eher als Beata bei der obwaltenden Zwistigkeit mit dem Pfeffer-Rösel hoffen durfte, war dieses an ihrer Seite:

»Da hast Du das Büchsel!« sagte sie, ohne jedoch Beaten anzublicken. »Es ist ein Geschenk vom Stephan; er hat mir's noch zur Messe verehrt. Aber nimm's nur hin! Gib's ihr und laß sie's gebrauchen. Sie muß es aber auch behalten, denn, das schwöre ich Dir, ich nehm's nicht wieder zurück, wenn sie's einmal in Händen gehabt.«

Eiligst entfernte sich das Mädchen. Frau Beata war sehr bemüht, ihrer neuen Freundin die trefflichen Eigenschaft des Balsams anzupreisen und sie zu dessen Gebrauch zu überreden. Doch waren Amalgundis Thränen schon getrocknet, sie hatte ihre frühere Ruhe wiedergewonnen und indem sie mit einer dankenden Bewegung den dargebotenen Balsam zurückwies, sagte sie:

»Erzeigt mir den Gefallen und sprecht nicht mehr von dieser Angelegenheit. Ihr habt Euch mir genähert mit freundlichem Worte und mir ein liebevolles Herz entgegen gebracht in einem Augenblicke, wo ich dessen sehr benöthigt war. Ich kann Euch nicht sagen, wie sehr ich mich dafür gegen Euch zu Dank verpflichtet fühle. Aber ich will es Euch durch ein Vertrauen, das ich noch niemand geschenkt, beweisen. Ich trage keine Schuld an Herrn Friedmann's Kummer; er selbst birgt die alleinige Veranlassung dazu in seinem Innern. Allein diese muß auch mich tief schmerzen, denn er hat einen kränkenden Argwohn gegen mich gefaßt und wo kein vollkommenes Vertrauen ist, da ist auch keine vollkommene Liebe. Ich habe Euch viel gestanden in wenigen Worten, aber laßt nun diese auch die letzten sein, die wir in dieser Sache mit einander wechseln!«

Frau Beata fand selbst, daß es am Besten sein würde, den zarten Gegenstand nicht ferner zu berühren. Uebrigens hegte sie die feste Zuversicht, daß schon der Anfang ihres Versöhnungsversuches von guten Folgen sein und das Feld, in welches sie die Saat des Friedens gelegt, hoffentlich recht bald gute Früchte tragen werde.

 

Ende des dritten Bandes.


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