Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Mark Jervis hatte alle Einladungen, in Mutter Brandes Haus zu übersiedeln und sich von ihr pflegen zu lassen, beharrlich abgelehnt. Vergeblich machte sie geltend, daß er sich in ihrem behaglichen Fremdenzimmer bei frischen Eiern und frischer Milch ungleich schneller erholen werde, als in dem rauchigen Haddon Hall, wo er von dem guten Willen seines Dieners abhing, keinerlei Bequemlichkeiten genoß und seine Mahlzeiten sehr unregelmäßig erhielt. Sie war ja so gewöhnt, junge Männer zu pflegen. Wie viele junge, Pelham beigegebene Zivilbeamte, die das Klima an den Rand des Grabes gebracht hatte, verdankten Sara Brande das Leben, und wie viele Geschichten würde sie, wenn sie gewollt hätte, von diesen ihren Pfleglingen haben erzählen können. Zu ihrem Glücke, noch unter den Lebenden zu weilen, und in der Schwäche der angehenden Genesung waren sie meist so mitteilsam, so schrankenlos vertrauend gegenüber der lieben, gütigen »alten Sally Brande« gewesen, über die sie vorher so oft gespöttelt und gelacht hatten, und die ihnen nun mehr war, als die eigene Mutter, ja ihnen geradezu als ein gottgesandter Engel erschien. Sie wurden später oft rot, wenn sie daran dachten, welche Geständnisse sie, matt und schwach in einem Lehnstuhle oder auf einer Chaiselongue liegend, in der Dämmerstunde oder beim milden Schimmer des Mondes ihrer aufmerksamen und teilnehmenden Zuhörerin gemacht, was sie ihr von »den Mädchens daheim«, von ihren Schulden und Verlegenheiten, von den guten Vorsätzen, die sie gefaßt, und dem »neuen Leben«, das sie nun beginnen wollten, anvertraut hatten, Geständnisse, die nun alle in Mama Brandes Busen begraben lagen. Aber sie waren seitdem höflich und rücksichtsvoll gegen die alte Dame, duldeten nicht, daß man in ihrer Gegenwart ungünstig von ihrer Lebensretterin sprach, und manche von ihnen behielten sie lieb und bewahrten ihr auch in weiter Ferne eine treue Anhänglichkeit. Frau Brande, die eine mütterliche Vorliebe für junge Männer hatte und das auch offen eingestand, nannte diese dankbaren Schützlinge »meine Jungens« und hätte Mark Jervis, der sich ihrer besonderen Gunst erfreute, gern in diese ihre »Brigade« eingereiht, wenn er nur nicht allen schriftlichen wie mündlichen Aufforderungen, sich in ihrem Hause pflegen zu lassen, so entschieden widerstanden hätte.

Sein Cousin war, da er sich mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigte, in diesen Tagen mehr als sonst daheim, und auch jetzt saßen die beiden Männer beisammen.

»Ihre Hand wird, wie der Doktor sagt, in etwa zehn Tagen wieder ganz heil und brauchbar sein, und Sie könnten immerhin überlegen, ob es nicht gut wäre, wenn Sie mir nach Simla folgten. Sie wissen, ich muß morgen fort, denn ich habe Frau Atherton und der Familie Potter versprochen, sie zu begleiten. Mit letzterer bin ich jetzt so weit, daß ich nur noch meinen Antrag zu machen brauche.«

»Das freut mich,« entgegnete Mark. »Was mich indessen anbetrifft, so werde ich hier bleiben, und Sie wissen auch, warum. Ich habe meinem Vater geschrieben, daß ich bis zum Oktober hier zu finden sei und bis dahin Nachricht von ihm erwarte.«

»Da können Sie, fürchte ich, lange warten,« versetzte Waring. »Ich glaube, zu wissen, zu welcher Art von Männern Ihr Vater gehört. Er hat so lange hier gelebt, daß er in diesem leichten, angenehmen Dasein auf- und untergegangen ist, und daß ihn außerhalb Indiens nichts mehr interessiert, nicht einmal sein Sohn. Es gibt Dutzende solcher Menschen hier. Sie haben gut abgerichtete Diener, gutes Essen und Trinken, ihre Cheroots (indische Cigarren), ihre Hukas (Wasserpfeifen), ihre bequemen Chaiselongues und verlangen nach nichts weiter auf der Welt, am wenigsten aber nach einem jungen Menschen, der mit allerlei neuen Ideen zu ihnen kommt und sie in ihrer Ruhe stört.«

»Na, die Zeit wird das ja lehren,« gab Mark abwehrend zur Antwort. »Da wir aber einmal von dem reden, was die Zeit bringt, Clarence, so möchte ich wiederholen, was ich schon neulich erwähnte, daß ich es an der Zeit halte, unserer kleinen Komödie hier ein Ende zu machen.«

Clarence richtete den Kopf auf und sah seinen Gefährten fast erschrocken an.

»Ja, mein alter Junge, Sie müssen doch einsehen, daß die Sache so nicht weitergehen kann,« fuhr Mark fort. »Als neulich Lalla Paske einen Schuß ins Blaue abfeuerte und sagte, daß ich es nicht für nötig hielte, den Leuten die Wahrheit über mich selbst zu sagen, fühlte ich mich getroffen, als ob ich wirklich ein Betrüger und Schwindler wäre, und wurde -- ich fühlte es -- rot wie eine Päonie. Was anfänglich ein kleiner harmloser Scherz war, hat sich zu einer dummen großen Geschichte ausgewachsen. Ich gehe hier nur unter dem Beinamen ›der arme Verwandte‹, und alle Mütter heiratsfähiger Töchter fliehen vor mir, wie vor der Pest.«

»Das ist ja aber gerade, was Sie wollten!« fiel Clarence mit Schärfe ein. »Ich glaube, die Sache verlief ganz nach Wunsch, und erfreue mich des Bewußtseins, daß wir beide unsre Rollen vorzüglich gespielt haben!« setzte er mit etwas unnatürlich klingendem Gelächter hinzu.

»Ja, aber das, was wir darstellten, war eine Lüge, und obgleich ich nie gesagt habe, daß ich ein armer Teufel sei --«

»Auch ich habe nie gesagt, ich sei reich, sondern habe nur die Kasse geführt, die Rechnungen bezahlt und anständig gelebt.«

Freilich war seine Sprache und sein Behaben die ganze Zeit über das eines Mannes gewesen, für den Geld gar keine Bedeutung hat. Auch hatte er mit keiner Silbe verraten, daß das Geld, das er ausgab, nicht sein Geld, sondern das Dan Pollitts war.

»Ich kann es nicht mehr ertragen, daß die Leute erstaunte Gesichter machen, wenn ich zum Polo hinausreite oder fünfzig Rupien zur Anschaffung eines neuen Harmoniums beisteuere, oder Sonntags vier Rupien auf den Opferteller lege,« fuhr Jervis fort. »Mit einem Worte, ich halte es für gut und richtig, wenn wir den Augenblick Ihrer Abreise benutzen, um uns in unsrer wahren Gestalt zu zeigen. Sind Sie einverstanden?«

Clarence wurde dunkelrot.

»Nein, damit bin ich keineswegs einverstanden,« versetzte er nach einer Weile. »Wir haben unsre Komödie nur noch einige Monate zu spielen, und ich bin dafür, daß wir sie zu Ende führen. Wie Sie wissen, habe ich mich auf die Rolle des Kassenführers nur auf Ihren Wunsch und um eine Laune oder Grille von Ihnen zu befriedigen, eingelassen; aber nun gedenke ich auch dabei zu bleiben, bis wir uns in Bombay wieder einschiffen.«

»Ganz recht! Aber ich bereue jetzt von Herzen, daß ich damals ein solcher dummer Kerl war und mich von dem Gesindel, das sich an meine Fersen hing, ins Bockshorn jagen ließ.«

»Die Einsicht kommt zu spät.«

»Besser spät als niemals. Ich habe also die Absicht, der Familie Brande, Frau Sladen und noch einigen andern zu sagen, daß ich nicht bin, was ich scheine.«

»Wo bliebe da die Rücksicht, die Sie mir schuldig sind?« entgegnete Waring mit heiserer Stimme. »Ihre Eröffnungen, die sich sofort über ganz Shirani verbreiten würden, brächten mich in Teufels Küche!«

»Wieso? Wie meinen Sie das?« fragte Jervis.

»Begreifen Sie das nicht? Ich habe hier die alten Kameraden wiedergefunden und bin in die alten Versuchungen geraten. Ich kann den Karten und Würfeln nun einmal nicht widerstehen, und der Beiname, ›der Millionär‹, den man mir gegeben hat, verschaffte mir Kredit. Ich habe an allen Ecken und Enden Schulden: im Klub, bei den Lieferanten, beim Hauswirt, der die Miete nicht erhalten hat; dreitausend Rupien werden kaum hinreichen, um alles das zu bezahlen, und wenn es morgen herauskommt, daß ich keinen Pfennig Vermögen besitze, werden alle die Leute über mich herfallen, wie eine wütende Meute. Geben Sie mir aber Zeit, so werde ich Gelegenheit finden, die Ponies in Simla gut zu verkaufen, beim nächsten Rennen etwas herauszuschlagen und« -- mit kurzem Auflachen -- »die Erbin zu heiraten! Auch habe ich noch einiges Geld ausstehen, ziemlich bedeutende Summen sogar; indessen man kann doch die Leute nicht drängen. Genug, alles, was ich von Euer Gnaden verlange, ist Zeit, nichts, als ein bißchen Zeit!«

Er lachte; aber ein nervöses Zucken umspielte seine Mundwinkel.

»Wir haben doch sicherlich noch viele Tausende von Rupien bei unserm Bankhause liegen?« fragte Mark verwundert.

»Keinen Pfennig mehr,« lautete die überraschende Antwort. »Sie brauchen mir nicht zu sagen, daß ich kein Recht hatte, so mit dem Gelde umzugehen; ich weiß das selbst. Aber das Spiel ist nun einmal meine Krankheit und eine viel schlimmere als der Trunk, schon weil sie kostspieliger ist. Es sollte, wie für Gewohnheitstrinker, so auch Asyle und Heilanstalten für unverbesserliche Spieler geben. Ich hatte verwünschtes Pech; aber, ich muß es zu meiner Entschuldigung sagen, Sie tragen doch an alledem die meiste Schuld, indem Sie mich in Versuchung führten, mir das Checkbuch in die Hände gaben, mir alle Geldangelegenheiten überließen und nie fragten, oder sich um etwas kümmerten. So! Nun, beim Zeus! wissen Sie die ganze Wahrheit, die doch einmal heraus mußte!« schloß Waring seine Rede im Tone tugendhafter Ergebung ins Unvermeidliche.

»Aber setzen wir einmal den Fall, daß Ihre Pläne in Simla mißglücken, daß Ihre Schuldner Sie nicht bezahlen. Was dann?«

Clarence zuckte einfach die breiten Schultern.

»Wie sollen wir dann unsre Rechnungen hier bezahlen?« fuhr Mark in ernstem Tone fort.

»Weiß ich nicht.«

»Und woher sollen wir das Geld zur Heimreise nehmen?«

»Weiß ich ebensowenig.«

»Aber Sie müssen sich doch was gedacht haben?« fuhr Jervis mit einem Anfluge von Ungeduld fort.

»Ja, Sie können ja Ihrem Onkel schreiben, daß er Geld nachschicken soll.«

»Das werde ich nicht thun!« rief Mark jetzt, alle Geduld verlierend.

»Sie haben ja auch noch die Ihnen von Onkel Dan ausgesetzte, sehr reichliche Jahresrente.«

»Ich habe diese nicht erhoben, weil ich hoffte, wir würden mit der Summe auskommen, die uns Onkel für die Reise anwies.«

»Wie Sie sehen, haben Sie sich da allzu sanguinischen Hoffnungen hingegeben.«

»Wieviel bares Geld besitzen Sie noch, Waring?« fragte Mark kurz und streng. »Sie werden mir doch nicht weismachen wollen, daß Sie gar nichts mehr haben.«

»Nein; ich habe noch tausend Rupien, die zur Bezahlung der Dienerschaft hier, zur Uebersiedlung nach Simla und für den dortigen Aufenthalt so lange reichen werden, bis die Verhältnisse sich geklärt und befriedigend geordnet haben. Aber meine Rechnungen hier in Shirani kann ich nicht begleichen, zumal da sie sehr groß sind. Sie wissen, ich habe den Champagner nicht geschont und hatte immer Gäste.«

Hier folgte eine lange Pause.

»Nun, was haben Sie vorzuschlagen, um uns aus der Klemme zu bringen? Wie sollen wir beide wieder heimkommen?« fragte dann Clarence, dessen Frechheit von seltener und eigentümlicher Art war.

Jervis blieb noch eine Weile mit nachdenklich gefalteter Stirn und den Händen in den Taschen sitzen; dann sagte er: »Im schlimmsten Falle muß ich mir noch sechshundert Pfund von Onkel Dan anweisen lassen, obwohl ich das als einen gemeinen Mißbrauch seiner Großmut empfinde. Hundert Pfund werden zu meinem Unterhalt bis zur Abreise genügen, und die übrigen fünfhundert werde ich zur Bezahlung der Miete, der Klubrechnung und so weiter, sowie zur Rückreise für uns beide verwenden. Der Familie Brande aber werde ich die Wahrheit mitteilen, sobald ich mit ihr zusammentreffe, und das wird morgen vormittag sein.«

»Wenn Sie das thun,« schrie Clarence mit heiserer Stimme, »so brauchen Sie sich, das schwöre ich Ihnen zu, um kein Schiffsbillet zur Rückfahrt für mich zu bemühen. Hier sehen Sie diesen Revolver!« fuhr er fort, indem er den Tischkasten aufriß und die Waffe daraus hervorholte. »Thun Sie den Mund auf, um mich als einen elenden Betrüger, einen bezahlten Reisebegleiter und Bettler hinzustellen, so jage ich mir eine Kugel durch den Kopf, das schwöre ich Ihnen auf dieses Buch!« Dabei bemächtigte er sich des kleinen Gebetbuches Marks, das auf dem Tische lag, und drückte es an seine Lippen.

Dann schob er Buch und Waffe von sich, stützte die Ellbogen auf den Tisch und betrachtete sein Gegenüber mit grau-bleichem, verstörtem Gesicht, einem Gesicht, das so viel Angst und Verzweiflung ausdrückte, daß man es kaum als das des immer heiteren, allgemein beliebten Lebemanns Waring erkannt hätte.

»Ich will Sie zu keinem verzweifelten Schritte treiben,« entgegnete Mark, der ebenfalls totenblaß geworden war. »Aber wenn ich schweigen und fortfahren soll, mich hier in falscher Gestalt zu zeigen, so muß ich auch andre Bedingungen stellen. Sie wissen, daß ich mich zur weiteren Fortführung der Täuschung, die anfänglich so harmlos erschien und uns nun aus einer Verlegenheit in die andre stürzt, nur sehr ungern entschließe.«

»Bitte, sagen Sie mir Ihre Bedingungen!«

»Daß ich einer Person die volle Wahrheit sagen darf.«

»Unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, und wenn es keine Dame ist, habe ich nichts dagegen.«

»Es ist aber eine Dame.«

»So, nun, da brauche ich ja wohl nach dem Namen nicht zu fragen; sie heißt Honor Gordon!« rief Waring kratzig. »Die junge Dame ist nicht gerade mein Schlag. Sie hat ein so hochnäsiges Lächeln, eine so schnippische Manier.«

»Ihr Lächeln und ihre Manieren gehen Sie wohl nichts an!« fiel Jervis ein. »Honor Gordon ist die Dame, die ich zu heiraten gedenke, wenn sie mich will.«

»Und Sie glauben, sie wird wollen, wenn sie erfährt, daß Sie ein reicher Erbe sind?« rief Clarence spöttisch.

»Fräulein Gordon ist die letzte Person, die etwas auf Geld und Gut gibt; im Gegenteil, es würde mir, wie ich zufällig weiß, bei ihr zum Schaden gereichen.«

»Na, dann gehört sie zu einer ganz besonderen Sorte,« bemerkte Waring.

»Dessenungeachtet muß ich ihr, wenn ich um ihre Hand bitte, über meine Verhältnisse die Wahrheit sagen.«

»Das heißt, über Pollitts Perlgräupchen und so weiter.«

»Ich wollte, Sie wären im stande, fünf Minuten ernsthaft zu sprechen,« versetzte Jervis ärgerlich. »Uebrigens schäme ich mich der Perlgräupchen ebensowenig, als ich wünsche, von vornherein ein Geheimnis vor ihr zu haben.«

»Mit Vorbehalt dessen, was späterhin einmal geschieht, nicht wahr?« sagte Waring lachend. »Aber Onkel Dan, haben Sie schon an ihn gedacht? Ist er schon von Ihren Absichten auf die junge Dame unterrichtet, oder wollen Sie damit anfangen, ein Geheimnis vor ihm zu haben?«

»Natürlich werde ich ihm sofort alles mitteilen.«

»Das wird das Richtige sein. Aber ich glaube, wir haben jetzt alles besprochen, und jedenfalls habe ich mich durstig geredet. Sie behalten also die fünfhundert Pfund, um unsre Angelegenheiten hier abzuwickeln und auf alle Fälle gerüstet zu sein. Als Gegenleistung halten Sie reinen Mund und spielen Ihre Rolle vor jedermann, mit Ausnahme einer gewissen jungen Dame, weiter, wie bisher. Darüber wären wir also einig.«

»Ich denke, so lautet unser Uebereinkommen,« bestätigte Mark, indem er sich erhob, nach seiner Mütze griff und zu seinem ihn erwartenden Pony eilte.

Waring blickte ihm erleichtert aufatmend nach und sagte sich, während er ein Zündholz anstrich: »Na, Hauptmann Waring, ich denke, aus dem Handel hast du den größtmöglichen Vorteil gezogen. Du bist ein geriebener Bursche, und wenn du Geld und Gelegenheit hättest, könntest du was leisten.»

Dennoch betrachtete er den Revolver, ehe er ihn wieder in den Tischkasten legte, mit ernstem Gesicht.

 

Ende des ersten Bandes.

 


 << zurück