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Dreizehntes Kapitel

Brief von Frau Brande, derzeit in Allahabad, an Pelham Brande in Shirani.

 

»Lieber Pelham!

Sie ist gestern angekommen. Du kannst uns also Donnerstag erwarten. Bitte, schicke Nubbu am Dienstag nach dem Posthotel in Nath Tal hinunter, damit er uns das Mittagessen kocht, erlaube ihm aber nicht, mehr als sechs Träger und ein Pony mitzunehmen. Honor scheint unter der Hitze arg zu leiden, obwohl sie nicht dick ist, wie ich, sondern im Gegenteil sehr schlank und dünn. Auf den ersten Blick war ich, wie ich Dir gestehen muß, gewaltig enttäuscht. Als ich das lange Mädchen in dem zerknüllten weißen Kleide, mit einem fürchterlichen Hute ohne Schleier auf dem Kopfe und mit dem Reisestaub auf dem Gesicht aus dem Eisenbahnzuge aussteigen sah, war mir das Weinen näher als das Lachen. Sie sah ebenfalls sehr aufgeregt und erstaunt aus. Natürlich sagte ich nichts darüber, daß ich die Hübscheste von den drei Mädchen verlangt hätte; aber wir fuhren beide sehr niedergeschlagen nach dem Hotel. Sie schien recht müde; denn dem Zuge war ein Unglück zugestoßen und die Passagiere hatten aussteigen und mitten in der Nacht mehrere Stunden zu Fuß gehen müssen. Nach einer Weile aber, nachdem sie ihren Thee getrunken, ein Bad genommen, sich ausgeruht und sich umgekleidet hatte, war sie ein ganz andres Menschenkind. Ich fand sie gleich, als sie in mein Zimmer trat, ungewöhnlich gut aussehend und nach fünf Minuten sogar schön. Sie hat ein reizendes Lächeln, prachtvolle Zähne, schöne Augen, und wenn sie spricht, belebt sich ihr Gesicht in wundervoller Weise. Sie hat braunes, dichtes, seidenweiches Haar; aber was ihren Teint anbetrifft, so wirst Du viel an ihr auszusetzen haben; denn ich weiß, Du gibst was auf zarte, rosige Hautfarbe, und die hat sie gerade nicht.

»Aber ihre Figur ist herrlich, und immer, wenn ich sie ansehe, entdecke ich neue Schönheiten an ihr: Nacken und Ohren könnten einem Künstler zum Modell dienen. Natürlich fühlt sie sich noch fremd und ist etwas schüchtern, aber sie ist einfach in ihrem Wesen, leicht befriedigt und spielt sich, dem Himmel sei Dank! nicht als große Dame auf. Ich brachte sie gleich zu Madame Peter (so was nennt sich hier natürlich Pierre), um ihr einige Kleider machen zu lassen, die sie bei Einladungen zum Mittagessen tragen kann, und suchte unter anderm einen gelben gemusterten Atlas, sowie prachtvollen roten Plüsch für sie aus; denn sie ist dunkel; aber sie wollte durchaus nichts davon wissen, und alles, was sie annahm, waren einige einfache helle Kleider. Ich glaube, sie hat nicht nur den Wunsch, ihre Kleider selbst zu wählen, sondern würde auch gern bei meinen Toiletten ein Wort mitsprechen. Jedenfalls versteht sie sich gut auf Modesachen. Auch sagte sie mir, daß sie sehr gerne tanze und Tennis spiele, aber weder reiten noch singen könne, was sehr schade ist.

»Aber sie hat eine Geige mitgebracht, die sie spielt, wie sie mir sagte, und das erinnert mich an einen blinden Bettler mit einem Hunde, der die Pfennige einsammelte. Aber unsre Freunde, die Hodsons, behaupten, dies Instrument sei drüben jetzt Mode, und sie bewundern Honor sehr.

»Ich setze voraus, daß Frau Langrishes Nichte jetzt auch angekommen ist. Wie ich höre, soll sie, obgleich keine drei Käse hoch, eine riesige Kokette sein.

Deine Dich liebende
Sarabella Brande.«

»Nachschrift: Ich hoffe, Ben befindet sich wohl, und Honor und er werden sich vertragen.«

 

Honor hatte ebenfalls nach Hause geschrieben und ihre glückliche Ankunft gemeldet. Sie hob die ihr gezeigte Güte der Tante sehr hervor und stellte überhaupt alles im besten Lichte dar; denn sie wußte, daß die Ihrigen den sich teilnehmend erkundigenden Freunden lange Stellen aus ihren Briefen vorlesen würden. Sie litt, während sie schrieb, an furchtbarem Heimweh und hätte nichts sehnlicher gewünscht, als sich selbst in das Couvert einpacken zu können, aber sie nahm sich in acht, daß keine ihrer Thränen auf das Papier fiel und ihre Stimmung verriet. Es war ihr so bange unter all den fremden Gesichtern und in dieser weiten, fremden Welt. Sie fühlte sich wie verloren in dem großen Schlafzimmer mit den kahlen, luftigen Wänden, dem mit Matten belegten Fußboden und dem knarrenden Punkha Punkha: der große an der Zimmerdecke befestigte Luftfächer. (Anmerk. d. Uebers.). Ein unbekannter Hund hatte sich vom Stalle her hereingeschlichen, und in ihrer Einsamkeit und dem Wunsche, sich hier in der Fremde womöglich Freunde zu machen, versuchte sie, ihn näher zu locken. Aber er verstand nicht, was sie sagte, sondern blickte sie nur fragend an und schlüpfte wieder hinaus, wie er gekommen war.

Sara Brande war eine zu eingefleischte Anglo-Indierin, um den Wert der Bequemlichkeit auf Reisen nicht voll zu würdigen. Sie hatte mehrere Diener mit, war mit Fächern, Eis, Früchten und Eau de Cologne reichlich versehen, und bald lernte auch ihre junge Begleiterin diese Annehmlichkeiten hochschätzen. Behaglich in eine Ecke gelehnt, mit mehreren weichen Kissen im Rücken und einem Buche auf den Knieen, blickte sie auf die fremdartige Landschaft hinaus, die am Fenster des Eisenbahncoupés vorüberzugleiten schien, bis endlich, nach langer Fahrt, am Horizonte blaue Berge emporstiegen und wenige Stunden später der Zug an einem Bahnsteige fast unmittelbar an ihrem Fuße hielt.

Hier hatten die Damen den ersten Abschnitt der Reise hinter sich, und Honor fand Gelegenheit, ihre Tante zu bewundern, die, in einen crèmefarbigen Staubmantel und dazu passenden Hut gekleidet, ungefähr aussah, wie ein ungeheurer Champignon, und in einer Haltung und mit einer Miene ausstieg, als sei sie hier absolute Selbstherrscherin. Kurz und bündig verfügte sie über die lärmenden, schnatternden Kulis, gab ihrer eigenen Dienerschaft in fließendem Hindostanisch energische Befehle und alles dies ging inmitten eines betäubenden Lärms, eines Gewirrs von Stimmen und Honor völlig unverständlichen Lauten und Tönen vor sich. Dann geleitete Sara Brande das junge Mädchen nach der andern Seite des Bahnhofes, wo eine Anzahl langer offener Kasten stand, deren jeder mit einem Sitz und zwei Querhölzern zum Tragen versehen war.

»Wir benutzen diese Jampans zur Weiterreise!« rief Tante Sally vergnügt. »Steig' ein, Honor, ich werde dich einpacken. Da, nun nimm deinen Schleier vors Gesicht, zieh diese Decke über die Kniee, so wirst du es sehr angenehm haben.«

Aber Honor wäre beinahe hintenüber gefallen, als sie sich und ihren Jampan plötzlich von zwei Männern auf die Schultern gehoben und schnellen Schrittes davon getragen fühlte, während die ihr folgende Tante sich unter ganz gleichen Umständen offenbar sehr behaglich befand.

Eine Weile verfolgten die Reisenden eine gut geebnete, breite Straße, die zu beiden Seiten von großen Waldbäumen beschattet war, dann bogen sie über eine Hängebrücke in einen schmäleren Weg ein, der sich im Walde, an den steilen Ufern eines fast ganz ausgetrockneten Flusses hinschlängelte. Dieser sogenannte Saumpfad zog sich meilenweit im Zickzack am Berge empor und stieg mit jeder seiner scharfen Biegungen um ein Bedeutendes. Hin und wieder begegneten sie einem Trupp von Lastponies, die im donnernden Galopp nach der Ebene zurückkehrten, armen kleinen Tieren, die aussahen, als ließe man ihnen nie Zeit zum Fressen, oder als gäbe man ihnen überhaupt nichts zu fressen, auch wenn sich die Zeit dazu fände. Dann kamen sie an einigen breitschultrigen, schwer beladenen Kulis vorüber, die mühsam bergauf keuchten, und einmal auch an einem geputzten, lustigen, nach Männerart auf ihrem Pony sitzenden jungen eingeborenen Mädchen, das sich laut lachend und scherzend mit ihren Gefährten unterhielt. Endlich wurden sie, zum erstenmal, eines Europäers ansichtig. Er war ganz in hellen Flanell gekleidet und kam mit eingeklemmtem Augenglase, mit lauter Stimme singend, in halsbrecherischem Galopp den Berg herab, ein krausköpfiger, sonnverbrannter junger Mensch, der seinen Gesang unterbrach und sein Tier anhielt, sobald er Frau Brande erblickte.

»Hallo!« rief er lustig. »Kehren Sie von der Reise zurück, meine Gnädige? Willkommen, willkommen! Willkommen auch der neue Gast!« setzte er dann, die Hand aufs Herz legend, hinzu.

»Wo wollen Sie denn hin?« fragte zugleich verwundert und gebieterisch die alte Dame.

»Nur nach der Station! Wir haben eine große theatralische Aufführung vor, und trotz aller ausgesandten Kulis, trotz aller Botschaften und wütenden Briefe können wir die dazu bestellten Sachen nicht bekommen. Da will ich denn gleich selbst mal hinunter und nachsehen, woran es liegt. Ich hoffe, mir dadurch den Dank des gesamten Publikums zu verdienen,« versetzte der junge Mann.

»Na, die Reise ist was Rechtes!« rief Frau Brande verächtlich. »Ich komme aus Allahabad, wo wir fünfundneunzig Grad Hitze im Schatten hatten.«

»Der Zweck lohnte aber auch die Mühe!« rief der junge Mann mit einem Blicke auf Honor. »Sie können sich darauf verlassen, verehrteste Frau, daß ich Sie zum Orden der Ehrenlegion vorschlage.«

»Honor, das da ist Lieutenant Joy, ein ganz verrückter Mensch,« sagte Tante Sally, sich halb rückwärts zu dem jungen Mädchen wendend. »Und dies, Lieutenant Joy, ist meine Nichte, Fräulein Gordon, die eben aus England angekommen ist.«

Lieutenant Joy zog seine Mütze bis herab zum Sattel.

»Und was gibt's Neues?« fuhr die alte Dame, zu dem jungen Manne gewendet, fort. »Ist Frau Langrishes Nichte angekommen?«

»Ja, vorgestern.«

»Und wie sieht sie aus?«

»Wie eine Fee. Und tanzt wie eine Libelle.«

»Was wissen Sie denn von Feen und Libellen? Ist sie hübsch?«

»Ja, und außerdem ist sie sehr heiter und sehr chic, genug, ein großer Gewinn für die Gesellschaft.«

»Wieso?«

»Na, Sie werden ja bald selbst sehen und urteilen, meine Gnädige. Ich kann nur sagen, daß Fräulein Paske für ein Liebhabertheater ein wahrer Schatz ist und Banjo Banjo, das landesübliche, zitherartige Instrument. (Anmerk. d. Uebers.) spielt, wie ein Engel.«

»Was Sie da für Unsinn reden, Toby Joy! Ich habe nie gehört, daß Engel ein andres Instrument spielten, als die Harfe.«

»Dabei erlauben Sie mir wohl gleich eine Frage, Fräulein Gordon,« fuhr Toby, sich plötzlich zu dem jungen Mädchen wendend, fort: »Sie spielen doch auch Komödie, nicht wahr?«

»Nein, ich habe noch nie Theater gespielt.«

»O, das thut nichts. Alle Frauen sind geborene Schauspielerinnen. Aber Sie singen doch? Sie haben so ein Gesicht.«

»Es thut mir leid, gestehen zu müssen, daß mein Gesicht in diesem Falle trügt.«

»Sind sonst noch neue Menschen in Shirani angekommen?« unterbrach Tante Sara dies Gespräch in strengem Tone.

»Ja, wir haben allerlei neue Zuzügler, unter andern einen Baronet, und ein, wie man sagt, mehrfacher Millionär ist unterwegs. Es ist ein gewisser Waring, ein ehemaliger Militär, der sich im Golde zu wälzen und ein schneidiger Sportsman zu sein scheint. Er wohnt zur Zeit im Post-Bungalow zu Nath Tal und wird in Shirani hoffentlich am Offizierstische essen.«

»Er ist also nicht verheiratet?«

»Nicht im mindesten. Er hat nur einen jungen Menschen, wahrscheinlich einen armen Verwandten, bei sich.«

»Was für eine Art von Mensch ist er denn? Ich meine natürlich den Millionär.«

»O, er soll ein sehr netter, angenehmer Mensch, so etwas wie ein Romanheld sein.«

Frau Brande ließ ihre Augen flüchtig über Honor hinstreifen.

»Na, ich dächte, wir könnten unsern Weg fortsetzen,« sagte sie dann mit einem befriedigten Aufatmen, und nachdem man sich mit heiterem Abschiedsgruße getrennt hatte, fügte die alte Dame, zu Honor gewendet, hinzu: »Ein harmloser Narr, der nichts im Kopfe hat, als Tanzen, Komödiespielen und dergleichen, der allerlei tolle Streiche macht und sich mit seinem Oberst sehr schlecht steht, dem aber niemand ernstlich böse sein kann; denn eigentlich ist er noch das reine Kind.«

»Er kann kaum dreiundzwanzig Jahre alt sein,« versetzte das junge Mädchen, wurde aber in diesem Augenblicke durch die alte Dame unterbrochen.

»Schau, da vor uns das Gepäck! Das müssen Hauptmann Warings Kulis sein!« rief sie erregt, um gleich darauf, zu Honors Erstaunen, der Kolonne der Lastträger ein gebieterisches Halt zuzurufen und eine Reihe von Fragen in hindostanischer Sprache an die Leute zu richten.

»Ja, die Sachen, die sie trugen, waren für einen Sahib, für zwei Sahibs, die in Nath Tal wohnten,« berichtete der Vormann des Zuges.

»Was für eine Menge Gepäck!« rief Sara Brande, indem sie die Last jedes einzelnen Trägers ohne alle Scheu mit prüfendem Auge betrachtete. »Sieh mal, Honor, den hübschen Toilettekasten und den schönen Frühstückskorb! Fünf Koffer, alle mit E. Waring gezeichnet, alle von gutem Leder, und der Flintenkasten! Das große Ding dort, das zwei Männer tragen, enthält Sattel und Pferdegeschirr. Ich kenne die Form.«

»Meinst du nicht, Tante, daß wir die Leute aufhalten?« fragte Honor.

»Mein liebes Kind, du wirst noch erfahren, daß dem Kuli nichts angenehmer und erwünschter ist, als aufgehalten zu werden,« entgegnete Tante Sally. »Diese Leute haben niemals Eile, und ich interessiere mich für den jungen Mann. Ich möchte wissen, woher er kommt und wo er schon gewesen ist.« Dabei rief sie einem der Kuli einen scharfen Befehl zu, und dieser drehte gehorsam grinsend seinen Rücken, auf dem er einen Koffer trug, sofort nach der Mem Sahib hin.

Der Koffer war mit Aufschriften und Hoteladressen bedeckt, welche die alte Dame mit lauter Stimme las.

»Mein Gott, der Mensch hat die halbe Welt gesehen, und in Kalkutta hat er sogar im Gouvernementshause gewohnt!« rief sie, nachdem sie die Lektüre beendigt hatte. »Sieh, Honor, wie schön es doch ist, Geld zu haben!«

Dann gab sie ihren Jampannis ein Zeichen, den Weg fortzusetzen. Bald darauf kamen sie an zwei weiteren Kulis vorüber, die mit bescheidenem Gepäck beladen waren, und die anzuhalten Frau Brande nicht für nötig hielt.

»Wahrscheinlich die Sachen des armen Vetters, der den Millionär begleitet. Sie sind M. J. gezeichnet und wirklich schäbig. Nur eine Tasche und zwei Koffer! Man sieht gleich, daß der Eigentümer ein armer Teufel ist.«

Honor gab keine Antwort. Sie fing an, zu vermuten, daß sie die Bekanntschaft des armen »Teufels« schon gemacht habe. Oder war es etwas so Gewöhnliches in Indien, daß zwei Vettern zusammen reisten? Es sollte sie gar nicht wundern, wenn ihr Begleiter auf der nächtlichen Wanderschaft und der arme Cousin, der dieses geringe Reisegepäck oben im Posthause zu Nath Tal erwartete, sich als eine und dieselbe Persönlichkeit entpuppten.

Tante Brandes gute Laune schien sich in dem Maße zu steigern, als sie höher in die Berge kamen. Sollte sie nicht oben in Nath Tal Gelegenheit finden, die Bekanntschaft eines Millionärs zu machen, und konnte sie diese Bekanntschaft nicht pflegen und ausnutzen, ohne durch ihre gefährliche Nebenbuhlerin gestört zu werden? Sie wollte die beiden Herren für einen oder zwei Tage zu Gast laden; dann konnten sie gemeinschaftlich die Reise fortsetzen, und damit war dieser Ida Langrishe in jedem Sinne des Wortes ein gehöriger Vorsprung abgewonnen!


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