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Fünfzehntes Kapitel

Hauptmann Waring blickte voll Neid auf den Kameraden, der an Honor Gordons Seite leichten Fußes wenige Schritte vor ihm her ging. Die beiden jungen Leute schienen sehr vergnügt, hatten sich allem Anscheine nach viel zu sagen, und ihr Lachen erfüllte ihn mit Neid und zugleich mit Erstaunen!

Mark war doch sonst nichts weniger als ein Courmacher; das schlug viel mehr in sein (Warings) Fach, und fürs Leben gern wäre er an Marks Stelle jetzt, im Mondenschein, mit dem jungen Mädchen am Ufer des reizenden Gebirgssees dahingeschlendert, anstatt an der Seite der alten Frau, deren zahllose Fragen er oft ganz verkehrt und meist mit einem bequemen »Ja« beantwortete.

»Wie merkwürdig, daß wir nun schon zum zweitenmal auf dieser Reise zusammentreffen!« sagte Jervis zu Honor gewendet.

»Ja, und ohne die erste Begegnung säße ich wahrscheinlich jetzt noch in meinem Eisenbahncoupé.«

»Nun, ganz so lange würde es wohl nicht gedauert haben. Aber wie gefällt es Ihnen hier? Zählen Sie noch immer die Stunden bis zu Ihrer Abreise?« fragte Mark neckend.

»Nein, nicht mehr! Ich hatte damals nur so starkes Heimweh,« versetzte Honor und begann dann, halb unter dem Einflusse des köstlichen Abends, halb durch das angenehme Organ und das offene, freimütige Wesen des jungen Mannes zutraulich gemacht, ihm von daheim, von Jessies Schriftstellerei, von dem berühmten alten Maulbeerbaume in Hoyle und allerlei andern Dingen zu erzählen. Es war ihr, als kenne sie ihn schon lange, jedenfalls war er ihr erster Bekannter in Indien, und schon daß er, wie sie, zu den »armen Verwandten« gehörte, bildete ein starkes Band der Sympathie. Hauptmann Waring würde die Unterhaltung der beiden jungen Leute ohne Zweifel höchst albern gefunden haben, denn sie war weder mit zuckersüßen Schmeicheleien gewürzt, noch hatte sie den leisesten Beigeschmack von Courmacherei oder Koketterie.

»Ich möchte den beiden Herren einen Vorschlag machen,« sagte Frau Brande, ehe man sich für die Nacht trennte. »Wir haben morgen denselben Weg, und ich erbiete mich, die Verpflegung bis zum Ziele unsrer Reise zu übernehmen, wenn die Herren uns unterwegs als Begleiter und Beschützer dienen wollen. Was sagen Sie dazu?«

»O liebe, verehrte Frau, wie könnten wir da anders, als sofort ja sagen!« rief Waring. »Der Vorschlag ist ja für uns nur vorteilhaft.«

Mutter Brandes Gesicht leuchtete vor Vergnügen.

»Das wäre also abgemacht,« sagte sie, indem sie den beiden ein freundliches »Gute Nacht« zunickte und Honors Arm nahm, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen.

Punkt sechs Uhr am andern Morgen brach die Gesellschaft auf, die Herren auf starken Bergponies, die Damen in Tragsesseln. Es kann wohl kaum etwas Schöneres, Erquicklicheres geben, als einen klaren Aprilmorgen in den Ausläufern des Himalayagebirges. Der See lag still und noch halb im Schatten, Tautropfen glitzerten auf den blühenden Kirschbäumen wie Diamanten; an den grasigen Abhängen der Hügel weideten Herden von Rindern, und wilde Tauben girrten im Gehölz. Trupps von Eingeborenen zogen zur Arbeit hinab nach den tiefer liegenden kultivierteren Plätzen oder den benachbarten Theegärten, und als die Reisenden ein kleines Dorf passierten, kam eine Schar brauner Kinder herbei, um den Damen frisch gepflückte Rosen in den Schoß zu werfen. »Das reine Arkadien!« dachte Honor, wurde aber aus ihren Illusionen gerissen, als die kleine braune Bande mit dem schrillen Geschrei: »Bakschisch, Bakschisch!« (Trinkgeld) wohl eine Viertelstunde weit hinter ihnen herlief.

Je weiter die Reisenden kamen, desto heißer wurde der Tag, desto steiler der Aufstieg. Gegen Mittag machten sie am Ufer eines rauschenden Bergwassers unter einer Gruppe immergrüner Eichen Halt, wo ihrer ein treffliches Mahl harrte. Frau Brandes sehr schätzenswerter Koch hatte seine Herrschaft auf Richt- und Seitenwegen überholt und sich hier mit seinen Vorräten von gebratenem Geflügel, kalten Pasteten, frischen Semmeln und Kaffee niedergelassen, um die kleine Gesellschaft zu erwarten. Französischer Rotwein und Hochheimer lagen zur Abkühlung im Wasser.

Nachdem die Mahlzeit zur großen Befriedigung der Wirtin eingenommen war und die Männer sich neue Cigarren angesteckt hatten, fragte die alte Dame: »Was hast du da eigentlich für einen Kasten in deinem Dandy (Tragsessel), Honor? Du gehst damit so behutsam um, als enthielte er Schätze. Doch hoffentlich nicht deine neuen Hüte?«

»Nein, Tante, etwas viel Kostbareres -- meine Geige.«

»Unsinn, Kind! Warum hast du das Ding nicht bei dem übrigen Gepäck gelassen?«

»Weil es hätte beschädigt werden können.«

»Na, da hätte man's ausbessern lassen. Wir haben einen sehr geschickten Tischler in Shirani, bei dem ich manchmal Kleinigkeiten machen lasse. Mein Tafeldecker hat auch eine Fidel, und ich hörte neulich abends, daß er den andern Dienern was vorspielte.«

»Vielleicht könnte ich mit ihm zuweilen Duette spielen,« bemerkte Honor ernsthaft.

»Mein liebes Kind, wie kannst du solches dummes Zeug reden!« rief die Tante ärgerlich. »Finden Sie es nicht auch unerhört, Herr Hauptmann?«

»So unerhört, daß ich mich davon nur unter der Bedingung erholen kann, daß uns das gnädige Fräulein jetzt gleich etwas auf der Violine vorträgt. Wollen Sie, Fräulein Gordon? Zeit und Ort könnten nicht günstiger sein.«

Die Tante erwartete natürlich, daß ihre Nichte sich wenigstens eine Viertelstunde würde bitten lassen, ja eigentlich war sie gar nicht sicher, ob es für ein weibliches Wesen recht schicklich sei, Geige zu spielen. Würde Ida Langrishe es ihrer Nichte erlauben? Vor ihrem geistigen Auge stieg das Bild auf, wie ihr fetter schwarzer Tafeldecker in der Abendkühle draußen vor dem Hause dem übrigen Dienstpersonal schottische und irische Volkstänze vorgespielt hatte; aber diese Vision wurde schnell durch ein andres Bild verdrängt.

Honor sehnte sich danach, wieder einmal die Klänge ihrer geliebten Geige zu hören; vor dem Publikum hier brauchte sie sich ja nicht zu fürchten, und außerdem war sie gar nicht nervös. Als sie das letzte Mal Geige und Bogen in der Hand gehabt hatte, war sie noch daheim gewesen. Sie hatte damals den Ihrigen an einem grauen, echt englischen Regentage Schuberts » Les Adieux« vorgespielt, ja, und ihre Mutter hatte dabei geweint. Welche andre Umgebung und welche andre Zuhörerschaft hatte sie hier vor sich! Zwei im Grase liegende, ihr beinahe fremde Männer, wovon der eine seine gütige Bereitwilligkeit erklärte, sich unterhalten zu lassen, eine wohlbeleibte alte Dame, die, mit nach dem Hinterkopfe geschobenem Hute, auf einem Weinfäßchen saß, in der Ferne eine Gruppe in Weiß und Scharlachrot gekleidete, eingeborene Diener und ringsum ein Naturbild, wie es dereinst wohl Orpheus, wenn er die Saiten erklingen ließ, um sich gesehen hatte: tiefblaue Hügelreihen, die, eine hinter der andern, über die Rhododendron- und Eichenwälder emporragten, und über alledem die tiefste Einsamkeit und eine gleichsam erwartungsvolle Stille, die nur durch den fernen Ruf eines Kuckucks unterbrochen wurde.

Als Honor das Instrument aus dem Kasten nahm, bemerkte Waring, daß dies mit liebevoller Hand geschah, sowie daß diese Hand sehr schön und der Knöchel sehr fein modelliert war. Einige Augenblicke später entlockte der Bogen dem Instrumente bereits tiefe, mächtige Töne.

Honor stand, anscheinend sich selbst und ihre Zuhörer vergessend, das Antlitz den Bergen zugekehrt, an einen Baumstamm gelehnt. Ihre Augen nahmen allmählich einen begeisterten Ausdruck an, und ihr Spiel entsprach diesem Ausdrucke. Es war eine Art von innerer Offenbarung, eine Mischung von Einfachheit und tiefem menschlichem Empfinden: das junge, schöne Mädchen musizierte mit der Seele.

Die Diener kamen näher heran, um die neue »Miß Sahib« zu hören, die auf ihrer »Sitar« so wundervolle Töne hervorbrachte, sogar die Ponies spitzten die Ohren, eine im Walde umherstreifende Kuh stand still, um zu horchen, und der ferne Kuckucksruf verstummte.

Die beiden Männer hatten einer nach dem andern ihre Cigarretten fallen lassen, und Sara Brande saß mit offenem Munde da. Ihre Nichte spielte wahrhaftig wie einer der Virtuosen, die Konzerte gaben, ja, ihrer Meinung nach viel besser: denn die Töne, die Honor ihrer Geige entlockte, gingen ihr zu Herzen, die konnte sie verstehen! Sie klangen wie schöne Menschenstimmen, berührten ihr Gefühl und versetzten sie an die Pforten des Paradieses.

Hauptmann Waring beobachtete, auf seine Ellbogen gestützt, mit ungeheucheltem Interesse die junge Geigerin. Er verstand etwas von Musik, wußte den geschmackvollen Vortrag, wie die Reinheit und Schönheit des Tones zu beurteilen und war von der seelenvollen Auffassung entzückt. Das war ja eine moderne heilige Cäcilie! Er blickte Mark an, um zu sehen, wie dieser die Ueberraschung aufnähme; aber Mark hielt das Gesicht von ihm abgewendet und rührte sich nicht. In Wirklichkeit schwelgte er in einer seligen Traumwelt, in die ihn Honors Spiel versetzte.

Endlich ging das Stück (Variationen auf ein russisches Volkslied) mit einer Art von schluchzendem Aufseufzen zu Ende, und eine längere Pause trat ein, die nur von dem leisen Gemurmel der Dienerschaft unterbrochen wurde, bis Frau Brande, wie aus einem Zauberschlafe erwachend, plötzlich ausrief: »Schön! Sehr schön! Hat es Ihnen gefallen, Herr Hauptmann?«

»Gefallen?« rief der Angeredete im Tone der Entrüstung. »Meine liebe, gnädige Frau, was ist das für ein unpassendes Wort! Fräulein Gordon spielt wunderbar, herrlich!«

»O, nein,« warf Honor bescheiden ein. »Ich spiele nur Musik, die meinem Empfinden entspricht, und dabei ist keine große Kunst. Außerdem habe ich es, da ich schon mit vier Jahren anfing, Geige zu spielen, zu einer gewissen technischen Fertigkeit gebracht, aber wenn ich meine Leistungen mit denen andrer, zum Beispiel mit denen eines Sarasate vergleiche, so weiß ich, daß ich nichts bin als eine Dilettantin und auch nie etwas andres sein werde. Ich bin nicht im stande, große technische Schwierigkeiten zu überwinden, spiele keineswegs brillant; aber,« fügte sie mit einem leichten, glücklichen Aufatmen hinzu, »ich bin doch sehr froh, daß Ihnen mein Spiel gefallen hat.«

»Es war wirklich hübsch,« sagte Tante Sara mit zustimmendem Kopfnicken. »Aber nun gib uns was Lustiges zum besten. Spiel uns einen Hopser, eine Polka oder so was Aehnliches.«

Aber die Violine lag schon wieder im Kasten. Honor hatte sie mit der Sorgfalt einer Mutter, die ihr Kind zu Bett bringt, wieder eingepackt.

»O, wie schade, Fräulein Gordon!« rief Mark Jervis. »Ich könnte tagelang hier liegen und Ihnen zuhören.«

»Na, an Regentagen dürfte das doch seine Unannehmlichkeiten haben,« entgegnete Frau Brande mit einiger Schärfe; denn sie fand es nicht angemessen, daß ein solcher Habenichts ihrer Nichte Komplimente an den Kopf warf. »Aber wir müssen jetzt auch aufbrechen, wenn wir Binsa noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen wollen.«

Am nächsten und letzten Tage der Reise gruppierte sich die Gesellschaft abermals paarweise: Honor und Waring bildeten den Vortrab, während Frau Brande, die das schwere Geschütz repräsentierte, und Jervis in einiger Entfernung folgten. Und je weiter die kleine Gesellschaft vordrang, desto steiler und tiefer wurden die Abgründe, desto schmäler die Pfade. An einer Stelle weidete hoch über ihnen am Berghange eine Herde sogenannter zahmer Büffel, die sich Europäern gegenüber indes häufig als sehr wilde Bestien erweisen, und jedenfalls gehörte der Bulle, ein ungeheures Tier mit zottigem Kopfe und riesigen Hörnern, obgleich er eine Glocke am Halse trug, nicht zu den zahmeren. Als er unten auf dem Wege fremde Stimmen hörte, hob er den Kopf mit den schrecklichen, drohenden Augen, starrte einen Augenblick mit wildem Blicke hinab und stürmte dann polternd den Abhang hinunter. Aber die auserkorenen Opfer, Honor und ihr Begleiter, waren schon vorüber, er hatte sie im ersten Anlaufe verfehlt, stand nun in nachdenklicher Haltung still und stieß ein wildes, wütendes Gebrüll aus.

Nach einer Weile kam ihm jedoch eine andere Gruppe zu Gesicht. Frau Brandes in grelle Farben gekleidete Sänftenträger sowie die rote Decke ihres Dandy steigerten seine Wut, und einen Augenblick später brach er durch den letzten Streifen Unterholz, der ihn noch vom Wege trennte, und faßte, etwa sechs Meter vor den Reisenden, in kampfbereiter Stellung auf dem Pfade Posto.

Die erstaunliche Einmütigkeit und Schnelligkeit, womit Frau Brandes Diener den Dandy niedersetzten, die Beine auf die Schultern nahmen und die nächsten Bäume erkletterten, wurde nur noch von der Beweglichkeit übertroffen, mit der ihre Herrin aus dem Tragsessel sprang und über den Rand des jenseitigen Abhanges hinab verschwand. Nichts blieb auf dem Wege, als der leere Dandy, der Bulle und Jervis.

Dieser sprang sofort von seinem Pony, ergriff eine der hingeworfenen Tragstangen, spießte mit ihrem einen Ende die rote Decke auf und näherte sich so, wie ein Matador in der Arena, dem wütenden Büffel. Dieser neigte den riesigen Kopf zum Angriff, und fast in demselben Augenblicke hatte ihm der junge Mann, ebenso kühn wie ruhig, die Decke über die Hörner und Augen geworfen. Wie rasend stürzte sich der Bulle blindlings vorwärts, stolperte über den Dandy und stürzte krachend über den Abhang hinab, der zum Glück für ihn und Frau Brande weder steil noch tief war. Das laute Geschrei der alten Dame erregte endlich die Aufmerksamkeit Honors und, was in diesem Falle von größerer Bedeutung war, die des Knaben, der die Herde hütete. Wahrscheinlich hatte er fest geschlafen, kam jetzt aber durch das Buschwerk herabgesprungen, brachte den Büffel, dessen Zorn sich durch den Sturz augenscheinlich abgekühlt hatte, durch Stockschläge zur Vernunft und trieb ihn, unter den ausgiebigsten Verwünschungen der Jampannis, zu der Herde zurück. Diese braven Leute waren jetzt, mutig wie die Löwen, zur Mutter Erde herabgekommen; aber was war nun zu thun? Allerdings hatte niemand Verletzungen erlitten, aber die schöne rote Decke war in Fetzen gerissen und der Dandy völlig zertrümmert.

»Was fangen wir nun an?« fragte auch Hauptmann Waring, der Mühe hatte, das Lachen zu verbeißen, als er der alten Dame ansichtig wurde, die mit ihrem von Dornen zerkratzten Gesicht, ihren zerrissenen Händen und Kleidern einen wahrhaft kläglichen Anblick bot. Quer über das Rückenteil ihres Kleides klaffte eine breite Wunde, der Schleier hatte sich um ihren Hals gewickelt, und sie war vom Kopf bis zu den Füßen mit Sand, Laub und Grashalmen bedeckt.

Mark eilte herbei, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein, und ihre Nichte, die Hut und Sonnenschirm vom Boden aufhob, fragte ängstlich, ob sie verletzt sei.

»Nein, kein bißchen,« gab die Gefragte, während sie bemüht war, sich mit dem Taschentuche von Staub und Sand zu reinigen, schnaubend und keuchend zur Antwort.

»Aber Ihr Dandy ist in Trümmer gegangen. Was läßt sich nun thun?« fragte Waring.

»Ich weiß nur, daß das, was zu thun war, von dem jungen Manne hier gethan worden ist,« versetzte Frau Brande und fuhr dann, sich mit einer gewissen Feierlichkeit zu Jervis wendend, fort: »Sie haben mir das Leben gerettet: ohne Sie wäre ich jetzt eine Leiche. Hätten Sie nicht den Mut gehabt, dem Tiere die Decke über den Kopf zu werfen, so würde es mich ohne allen Zweifel da hinunter verfolgt und mich auf die Hörner genommen oder zu Tode getrampelt haben. Ich bin keine Frau, die viele Worte macht, aber ich werde Ihnen das nie vergessen, und Pelham auch nicht.«

»O, gnädige Frau, Sie legen der Sache viel zu große Wichtigkeit bei. Es war ja nur ein Büffel.«

»Nur ein Büffel?« wiederholte sie. »Na, da sieht man, daß Sie die Tiere noch nicht kennen. Er hätte mich in einer Minute vom Leben zum Tode gebracht. Die Büffel sind die gefährlichsten Bestien, die es gibt, schon weil sie so furchtbar schlau sind.« Dann sich zu ihren Jampannis wendend, fuhr sie in schärferem Tone fort: »Jait, Sing, ihr elenden Feiglinge! Jedem von euch werden zwei Rupien von eurem Monatsgehalte abgezogen. Ihr nennt euch selbst Löwen! Na, schöne Löwen seid ihr. Seht euch den jungen Herrn da an, das ist der mutigste Mann, den ich je gesehen habe!«

»Liebe, gnädige Frau, Sie können nicht wissen, wozu ich im stande gewesen wäre, wenn ich dieselbe Gelegenheit dazu gefunden hätte, wie mein Cousin,« sagte Waring in scherzhaftem Tone.

»Da Sie diese Gelegenheit nicht fanden, so kann ich das allerdings nicht wissen,« gab die alte Dame etwas trocken zur Antwort.

»Einen Büffel in die Flucht zu schlagen, ist doch kein so großes Heldenstück.«

»Kommt nur darauf an, in welcher Laune sich der Büffel gerade befindet. Uebrigens setzt es mich in Erstaunen, daß Sie das Verdienst Ihres Cousins zu verkleinern suchen, anstatt stolz auf ihn zu sein,« fuhr Sara Brande, die Rolle, die sie sich dem Millionär gegenüber vorgezeichnet hatte, gänzlich vergessend, ziemlich frostig fort.

»Wie willst du nun weiter kommen, Tante?« fragte Honor. »Das Einfachste wird sein, daß ich dir meinen Dandy abtrete und zu Fuß gehe.«

»Unter keiner Bedingung!« fiel hier Waring ein. »Sie werden mein Pony besteigen. Es hat einen schönen, breiten Rücken, auch der Sattel ist breit und bequem, und ich werde dafür sorgen, daß Sie nicht heruntergleiten.«

Frau Brande, die sich inzwischen gefaßt hatte, fand gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden. Im Gegenteil, er gefiel ihr. Was sie selbst anbetraf, so fühlte sie sich so nervös und aufgeregt, daß sie gar nicht wagte, Jervis von sich zu lassen.

Sie waren jetzt nur noch drei und eine halbe Wegstunde von Shirani; aber wie lang waren diese Stunden! Der Weg wand sich in tödlicher Einförmigkeit bald aufwärts bald abwärts zwischen kahlen, braungrauen Hügeln so endlos dahin, als führte er direkt ins Innere von Asien. Hinter jeder Hügelkette hoffte man endlich den Ort zu erblicken, hatte man sie aber erstiegen, so türmten sich nur neue Reihen ganz ähnlicher Höhen vor dem Auge empor, und Honor begriff schließlich vollständig, daß eine Freundin ihrer Tante bei der ersten Reise nach Shirani infolge dieser immer wiederkehrenden Enttäuschungen auf halbem Wege in Nervenkrämpfe verfallen war. Das junge Mädchen ging abwechselnd zu Fuß und ritt, je nachdem das eine oder andre ihr im Moment das Angenehmste war, lehnte aber stets -- zu Fuß, wie zu Pferde -- Hauptmann Warings stützenden Arm ab.

Der Weg schien kein Ende nehmen zu wollen; aber endlich, endlich zeigten sich doch die dunkeln Umrisse des Tannenwaldes, der Shirani einschloß, und schon zwanzig Minuten später ritten die Reisenden in seinem Schatten dahin. Als die kleine Gesellschaft, Frau Brande an der Spitze des Zuges, und Honor mit Hauptmann Waring, der das Pony führte, den Nachtrab bildend, in die Hauptallee des Ortes einbog, begegneten sie Frau Langrishe, die in ihrer vornehmsten Haltung zwischen einem militärisch aussehenden Manne und einer kleinen, hochblonden, sehr geschmackvoll gekleideten jungen Dame einherschritt.

Die Damen begrüßten sich durch eine Verbeugung. Frau Langrishe war also Zeugin des unter diesen Umständen bedeutungsvollen Wiedereintreffens ihrer Nebenbuhlerin, und diese, obgleich staubig, heiß, durstig und müde, genoß einen der stolzesten Momente ihres Lebens.


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