Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

Frau Langrishe gab zu der ihr oft begegnenden Bemerkung: »Welch' reizendes Mädchen ist doch Honor Gordon, wie schnell ist sie zum allgemeinen Liebling geworden, Tante und Onkel sind völlig in sie verliebt!« stets nur eine sehr laue Zustimmung. Sie mußte bei solchen Gelegenheiten immer an ihre eigene Nichte Lalla denken, die tanzte wie eine Sylphide oder »wie Mondschein auf dem Wasser«, die auf Bällen stets umringt und ohne welche kein Vergnügen in Shirani denkbar war.

Alle diese gesellschaftlichen Triumphe waren allerdings sehr angenehm; aber leider galt für Lalla das französische Sprichwort: »Joie de rue, douleur de maison« (Der Straße Freud', des Hauses Leid) und ihre Tante, die so wohlgefällig lächelte, wenn man sie zu den Erfolgen ihrer Nichte beglückwünschte, gestand sich in der Tiefe ihres Herzens, daß dieselbe Nichte sich im Familienleben als grausame Enttäuschung und als ein grober Fehlgriff erwies. Fanny war sehr schlau zu Werke gegangen, als sie der Schwester diese Hausplage, diese kleine falsche Münze aufgeschwatzt hatte. Sie hatte in ihrer Beschreibung des jungen Mädchens nicht gelogen. Lalla war hübsch, pikant, hatte feinen gesellschaftlichen Schliff und war gleichmäßigen Temperaments; aber wer weiß, ob man sich nicht mit einer ungleicheren Gemütsart hätte besser stellen können! Machte man Lalla Vorstellungen oder sprach man scharf mit ihr, so begnügte sie sich, zu lächeln. Sagte man ihr, sie solle dies oder jenes nicht thun, so that sie es doch und lächelte. Verlor die Tante, was indessen sehr selten geschah, die Geduld und wurde heftig, so strahlte die Nichte förmlich vor Vergnügen. Lalla machte nie den Versuch, zu streiten oder zu widersprechen, sondern ging nur einfach und von den Wünschen ihrer Tante unbeirrt, mit der Halsstarrigkeit eines Maultieres ihren Weg. Sie wußte wohl, daß Frau Langrishe lieber den größten Aerger verschluckte, ehe sie die Leute ahnen ließ, daß die Nichte sich ihrer Autorität vollständig entzogen und daß sie nicht die mindeste Gewalt mehr über sie hatte, und benutzte diese Kenntnis in einer Weise, die ihre Beschützerin beinahe wahnsinnig machte.

Das junge Mädchen war fest entschlossen, sich zu amüsieren, das Leben zu genießen und sich womöglich gut zu verheiraten. Sie benahm sich im Hause ihrer Tante wie ein hochgeehrter, vornehmer Gast, gab der Dienerschaft Befehle, änderte bestehende Einrichtungen, die ihr nicht zusagten, lud sich, ohne Bedenken und ohne zu fragen, Gäste zum Thee, zum Frühstück, ja sogar zum Mittagessen, und machte ihre Tante dagegen Einwendungen, so pflegte sie nur mit ihrem bezauberndsten Lächeln zu erwidern: »Aber goldenes Tantchen« -- sie nannte Frau Langrishe in kritischen Augenblicken immer »goldenes Tantchen« --, »ich bin das von Tante Fanny her so gewöhnt. Sie hat nie etwas dagegen gehabt; sie war so gastfreundlich.«

Im Haushalt leistete Lalla nie irgendwelche Hilfe, sondern saß in ihrem Zimmer, kräuselte ihr Haar, studierte ihre Rollen oder schrieb Briefe. Ihre vertrauteste Freundin war eine ehemalige Schauspielerin, und ihr täglicher Umgang bestand aus den jungen Männern, die zu dem theatralischen Kreise gehörten.

Was ließ sich dagegen thun? Das war die Frage, die Frau Langrishe Granby und sich selbst vorlegte. Noch nie hatte sie so unangenehme Tage verlebt, wie in diesen letzten zwei Monaten. Sie mußte sich in ihrem eigenen Hause durch ein abscheuliches kleines Ding, das keinen Pfennig besaß und in allen Stücken, sogar mit dem Postporto und dem Opferpfennig, von ihr abhängig war, verspotten, kommandieren und heuchlerisch mit falschen Liebesnamen belegen lassen! That sie nicht am besten, Lalla nach Hause zu schicken? Nein, damit würde sie, die klügste Frau in der Familie, eingestanden haben, daß sie sich hatte anführen lassen, und das durfte nicht sein. Leichter war es, den kleinen Unhold in einer Weise zu verheiraten, die der Geschicklichkeit der Tante zur Ehre gereichte, und dann ihre Hände in Unschuld zu waschen für immer.

*

Die ersten theatralischen Aufführungen in Shirani hatten einen großen Erfolg. Lalla Paske spielte die Hauptrolle und sah allerliebst aus. Die Zuschauer waren ebenso entzückt von ihrer pikanten Erscheinung wie von ihrem lebendigen Spiel; einen noch größeren Triumph errang sie aber durch ihren Tanz in der darauf folgenden Pantomime. Als Tänzerin war in Indien noch nie eine Dame der Gesellschaft aufgetreten, und die Neuheit der Sache, sowie Lallas reizendes, wenn auch einigermaßen überraschendes Kostüm, soweit von einem solchen überhaupt die Rede sein konnte, trugen ebensoviel dazu bei, einen wahren Sturm des Beifalls zu entfesseln, wie ihre bezaubernde Grazie und poetische Auffassung.

Lalla Paske und Toby Joy teilten sich in die Ehren des Abends, und niemand ahnte, daß inmitten des allgemeinen Jubels eine Seele die schärfsten Qualen erduldete.

Ida Langrishe war innerlich entsetzt. Sie hatte Lallas Kostüm nur in seinen einzelnen Bestandteilen gesehen, war von allen Konferenzen mit der Schneiderin streng ausgeschlossen und viel zu stolz gewesen, um ein zudringliches Interesse zu zeigen, aber sie hätte sich auch in ihren wildesten Träumen nicht vorgestellt, welcher Art dies Kostüm sein würde und bis zu welchen Grenzen es ging. Und jetzt, während sie da vorn in der ersten Reihe saß und voll innerer Entrüstung dem Spiele der gelenkigen Glieder ihrer schrecklichen Nichte zusah, erlitt sie ein Martyrium, das durch das selbstgefällige Zulächeln der Tänzerin und die ihr zugeworfenen Kußhändchen nur noch verschärft wurde.

Am nächsten Morgen begab sich Tante Ida, nachdem sie sich durch ein Glas Wein gestärkt hatte, zu einer ernsten Aussprache ins Zimmer ihrer Nichte.

»So lange du dich in meinem Hause und unter meinem Schutze befindest, muß ich dich bitten, dich anständig und schicklich zu betragen,« begann sie. »Solltest du das, wie ich fürchte, nicht können, so müßte ich dich ohne weiteres nach Hause schicken. Die Aja wird dich dann nach Bombay bringen und die Ueberfahrt in der zweiten Kajüte für dich bezahlen. Deinem Betragen nach würdest du zwar am besten zu den Zwischendeckspassagieren passen. Du hast sehr hübsch Komödie gespielt und bis zu einem gewissen Grade auch recht niedlich getanzt, aber es war nicht zu verwundern, daß Mutter Brande deine Kleidung oder vielmehr den Mangel an Bekleidung geradezu anstößig fand. Die Röcke gingen dir ja kaum über die Kniee!«

»Mutter Brande ist eine beschränkte alte Kröte!« rief Lalla verächtlich. »Sie ist wohl nie in einem englischen Theater gewesen. Sie würde drüben noch ganz andre Dinge zu sehen kriegen.«

»Das ist aber, und du weißt es auch recht gut, ganz und gar nicht der Weg zu einer anständigen Versorgung,« fuhr die Tante fort. »Glücklicherweise war der Baronet nicht anwesend. Er ist ein Mann von sehr strengen Grundsätzen.«

»Ach der dicke, dumme Kürbis. Was kümmern mich seine Grundsätze und Ansichten!« rief Lalla mit spöttischem Lachen.

»Ich wünschte, du hättest Ursache, dich drum zu kümmern!« gab die Tante zur Antwort. »Hoffentlich weißt du, daß wir in vier Monaten Shirani verlassen und daß hier die letzte Gelegenheit für dich ist, eine passende Bekanntschaft zu machen.«

Lallas ganze Antwort war ein helles Lachen; aber sie nahm sich den Rat doch zu Herzen, denn sie war einige Tage sehr still und nachdenklich und lehnte alle Lobpreisungen und Glückwünsche zu dem kürzlich errungenen Erfolge, sowie die Bezeichnung »zweite Taglioni«, womit man sie bedachte, mit einer schüchternen Bescheidenheit ab, die geradezu entzückend war.

Kurz nach der theatralischen Aufführung fand ein Konzert im Klubhause statt, und hier stellte Honor Gordon ihre Nebenbuhlerin Lalla Paske vollständig in den Schatten. Wie verschieden waren aber auch die beiden, das kleine, rosa gekleidete, lächelnde, sich verbeugende Geschöpf mit luftig aufgebauschtem Haar und dem an bunten Bändern um den Nacken hängenden Banjo, das den Mangel an Stimme durch Koketterie, Chic und Dreistigkeit zu ersetzen suchte, und die junge Dame in Weiß, mit der Ruhe und den Armen einer antiken Statue, deren Spiel sich der Seelen der Zuhörer unwiderstehlich bemächtigte und sie mit der schmalen Hand, die den Bogen führte, gleichsam in einen Zauberkreis bannte.

Zum erstenmal schwelgte Sarabella Brande in dem stolzen Bewußtsein, daß ihre Nichte »den kleinen frechen Affen ausstach,« denn obgleich sie persönlich den Banjo und die Negerlieder vorzog, waren doch gerade die Inhaber der teuren Plätze andrer Meinung. Sie klatschten und stampften bei Honors Spiel wütend Beifall, schrieen wie besessen »da capo! da capo!« und schienen nicht abgeneigt, das Haus einzureißen. Sogar der sonst so zurückhaltende junge Jervis klatschte so rasend in die Hände, daß seine Handschuhe zerplatzten.

Auch Frau Langrishe beteiligte sich lebhaft an dem Beifall. Man sollte ihr nicht nachsagen können, sie sei eifersüchtig auf den Erfolg des jungen Mädchens; aber wie gern, das gestand sie sich innerlich, hätte sie ihre Nichte gegen die der Mutter Brande vertauscht! Honor war eine einfache, gut erzogene junge Dame, der in ihren jetzigen Verhältnissen eine glänzende Partie so gut wie gewiß war. Außer dem jungen Mädchen und ihrer »alten Gans von Tante« bemerkte auch jeder Mensch, daß der Baronet rein in sie vernarrt war. Auch jetzt wandte er kein Auge von ihr, und es ließ sich nicht leugnen, daß die schlanke, graziöse Erscheinung in ihrer etwas altmodischen, mädchenhaften Würde ein reizendes Bild abgab. Und wie spielte sie!

Jetzt trat Frau Langrishes eigene Nichte, besonders von den hinteren Sitzreihen mit rauschendem Beifall empfangen, wieder auf, um ein weiteres Liedchen zum besten zu geben. Auch sie war unbestreitbar hübsch. Ihr helles, kunstvoll aufgepufftes Haar rahmte ihr Gesichtchen sehr vorteilhaft ein, ihre Augen glänzten, ihre ganze Erscheinung war pikant; aber was für ein kleiner Teufel war sie auch!

»Ihre Nichte muß ja eine reizende Hausgenossin sein, Frau Langrishe,« sagte eine neben ihr sitzende Dame. »So amüsant und heiter, ein wahrer Sonnenstrahl im Hause!«

»In der That, sie ist sehr angenehm!« gab das arme Opferlamm mit etwas gezwungenem Lächeln zur Antwort.

Noch mehr beneidete Ida Langrishe die Widersacherin um ihren Schatz von Nichte, als sie beim allgemeinen Aufbruch mit ansah, wie sorgsam diese die Tante einhüllte; denn es hatte angefangen zu regnen, und wie sie ihr mit einem kleinen Scherzworte die Kapuze unter dem fleischigen Kinn zuband. Ihre eigene Nichte hatte sich zu dem einen mitgenommenen Gummiregenmantel verholfen und rollte, in Begleitung eines jungen Mannes zu Pferde, als eine der ersten in ihrem Rickshaw davon.

»Sie läßt sich von Toby Joy begleiten; ich wundere mich nur, daß Frau Langrishe ihr so viele Freiheiten gestattet,« klang eine Frauenstimme aus einer dunklen Ecke zu der gepeinigten Frau herüber, die auch der Hartherzigste, wenn er die Wahrheit geahnt hätte, bedauert haben würde.

Mit dem festen Entschlusse, Lalla eine gehörige Standrede zu halten, kehrte Frau Langrishe allein nach Hause zurück; aber unterwegs hatte sich ihr Aerger schon etwas gelegt, und als sie das Haus betrat, fand sie die Schuldige, sehr behaglich in einem Armstuhl lehnend und mit Granby eine freundschaftliche Cigarette rauchend, wobei sie ihn mit der ungemein komischen Nachahmung einiger ihrer Mitspieler köstlich unterhielt.

»Bist du endlich da, goldenes Tantchen?« rief sie ihr mit der größten Unbefangenheit entgegen. »Wo bist du denn so lange geblieben? Ich bin schon seit einer Ewigkeit zu Hause und brauchte den Gummimantel, um meinen geliebten Banjo zuzudecken. Als ich dich nicht kommen sah, war ich sicher, daß du von irgend einer langweiligen Person aufgehalten würdest, und da ich wußte, daß es dir ärgerlich sein würde, wenn ich im Regen auf dich wartete, machte ich mich so schnell als möglich davon.«


 << zurück weiter >>