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Zweites Kapitel

Die Glasthüren des reizenden Empfangszimmers, in dem sich Ida Langrishe und ihre Freundin Milly befanden, gingen auf eine tiefe steinerne Veranda hinaus, die mit Jelängerjelieber und Passionsblumen umzogen war und eine unvergleichlich schöne Aussicht bot. Der Vordergrund bestand freilich nur aus einem von gut gehaltenen Kieswegen durchzogenen Grasgarten und einigen Gruppen bleicher Winterrosen; aber jenseits der dahinter aufsteigenden, mit Tannenwald bestandenen Hügel, von denen hin und wieder rote Dächer herüberlugten, jenseits des Rhododendronthales und einer Kette in Purpur getauchter Felsspitzen erhoben sich die ewigen Schneeberge in ihrer wunderbaren, stets von neuem überraschenden Schönheit. Doch der Wind, der jetzt von dort herüberwehte, war scharf und kalt. Er hatte von jenen glänzend weißen Zacken und Hängen bis hierher sechzig englische Meilen zurückzulegen gehabt, kündigte den fröstelnden Rosen an, daß die Sonne untergegangen sei, und fuhr rauschend durch die majestätischen Cedern, die sich in dunklen Linien vom Himmel abhoben.

Frau Langrishe erhob sich von ihrem Schreibtisch und wandte sich mit dem vollendeten Briefe in der Hand zu ihrer Freundin zurück, die noch immer vor dem Kamin saß, ins Feuer blickte und vielleicht an die Zeit dachte, wo auch ihre Verwandten und Freunde so eifrig bemüht gewesen waren, ihr einen Mann zu verschaffen.

»Milly, du kommst ja an der Post vorüber und könntest wohl so gut sein, diesen Brief für mich aufzugeben,« sagte Frau Langrishe. »Ich glaube überhaupt, du würdest gut thun, jetzt heimzugehen; denn es ist bereits spät, die Luft ist kalt und du bist schon heiser.«

Mrs. Sladen stand sofort auf. Sie war daran gewöhnt, daß man ihr Besorgungen auftrug und ihre Gefälligkeit ausnutzte. So streifte sie denn hastig ihre billigen Handschuhe über, band ihre schäbige Boa um und griff nach dem Briefe, der Lalla Paske nach Shirani rufen sollte. Als die Freundin sie zum Abschied küßte, blickte sie besorgt zu ihr auf und sagte:

»Nicht wahr, Ida, wenn das junge Mädchen kommt, wirst du sie nicht als bloße verkäufliche Ware betrachten, die man um jeden Preis an den Mann zu bringen sucht, sondern ihr, wenn sie nun einmal heiraten will und muß, erlauben, eine Wahl nach ihrem eigenen Herzen zu treffen. Bitte, versprich mir das!«

»Du kleine thörichte, phantastische Person!« rief die andre und tätschelte sie mit zwei Fingern auf die Wange. »Was für unnütze Sorgen machst du dir! Als ob man in unsern aufgeklärten Zeiten junge Mädchen gegen ihren Willen verheiratete.«

Frau Sladen antwortete nur durch einen unwillkürlichen Seufzer. Dann verließ sie, ohne ein Wort zu sagen, die Veranda, bestieg ihren Rickshaw Der Rickshaw -- das landesübliche Gefährt in den Vorbergen des Himalaja -- gleicht einem verfeinerten, hübschen, leichten, vorn offenen Badekarren, wird von vier Männern gezogen und geschoben und fliegt auf den ebenen Straßen, wie auf den steil auf und ab steigenden Bergwegen, besonders wenn die »Jampannis« es darauf anlegen, ein andres Gespann auszustechen, mit der Schnelligkeit eines Ponywägelchens dahin. (Anmerk. d. Uebers.), der sich sofort in Bewegung setzte, und nickte im Davoneilen ihrer hübschen Freundin ein etwas melancholisches Lebewohl zu. Ida, deren elegante Gestalt einen Augenblick in der Thüröffnung erschien, rief ihr nach: »Die Post geht um sechs Uhr ab, du hast gerade noch zehn Minuten Zeit!« Dann trat sie mit einem leichten Frostschauer ins Zimmer zurück, schloß die Glasthür und nahm an ihrem behaglichen Kaminfeuer Platz.

»Die arme Milly!« murmelte sie vor sich hin, während sie ihre elegant beschuhten Füße wärmte, »die arme Milly! Sie war immer so sonderbar und sentimental. Eine Wahl nach dem eigenen Herzen! Ja natürlich, nur muß es eine Wahl auch nach meinem Herzen sein!«

*

Milly Sladens Rickshaw war alt; das Verdeck von billigem amerikanischem Ledertuch, an vielen Stellen schadhaft und zerschlissen, und die Jampannis trugen, gleich ihrer Herrin, noch die abgenutzten Kleider vom vorigen Jahre. Als sie den Abhang hinabeilten, wären sie fast mit einem andern, sehr eleganten, in C-Federn hängenden Rickshaw zusammengestoßen, der von vier Männern in blau und gelber Livree in Bewegung gesetzt wurde. In dem Gefährt saß eine ältliche, wohlbeleibte, flachsblonde Dame, mit hübschem, behaglichem und stattlichem Doppelkinn. Es war Frau Brande, die Gattin eines der höchsten Civilbeamten des Bezirks. »Kubbardar, Kubbardar! Achtung! Achtung!« rief die Dame erschrocken und fuhr dann, zu Frau Sladen gewendet, fort: »Wie schnell Sie fahren! Aber freilich, Sie sind nicht schwer. Kommen Sie hier an meine Seite, liebe Frau Sladen, und erzählen Sie mir, was es Neues gibt. Es ist in Shirani noch gar zu langweilig. Noch kein Mensch da! Nächstes Jahr werde ich mich wohl hüten, wieder so früh zu kommen!«

»Ich glaube aber, daß alle Wohnungen bereits vergeben und bewohnt sind,« entgegnete die Angeredete freundlich, während die beiden Rickshaws nebeneinander dahin rollten. »Sogar das Monasterium und Haddon Hall sind bewohnt.«

»Was Sie sagen! Die Kamine rauchen ja dort in einer Weise, daß die Aermsten, die dort gemietet haben, nur zu bedauern sind.«

»Ich glaube, der Mieter von Haddon Hall ist ein einzelner Herr, ein Hauptmann Waring. Er soll das Haus wegen der Nähe des Offizierkasinos gewählt und für die ganze Saison genommen haben.«

»Bei welchem Regiment steht er?«

»Ich glaube, er ist nicht mehr im Dienst, ist nur für die heiße Zeit hier und gedenkt, späterhin drüben in Tibet zu jagen.«

»Also vermögend!« bemerkte die andre.

»Es scheint so. Man glaubt überhaupt, daß wir eine heitere Saison zu erwarten haben.«

»Das glaubt man immer,« versetzte Frau Brande ungeduldig. »Ich glaube es erst, wenn ich's erlebe. Aber ich höre, daß Frau Kane einen Bruder erwartet, der Baronet ist. Er ist ein sogenannter Weltbummler und will sich den Himalajaschnee ansehen. Sie kommen wohl von der Prinzessin da oben? Ist sie ganz allein?«

»Ja, zur Zeit ist sie noch allein; aber sie erwartet eine Nichte, die von Kalkutta kommt.«

»Eine Nichte?« rief Frau Brande mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. »Was für eine Nichte?«

»Eine Tochter ihres Bruders, Lalla Paske. Sie soll sehr hübsch, sehr gut erzogen und ein in jeder Beziehung angenehmes junges Mädchen sein.«

»Das bedarf keiner Erwähnung,« entgegnete die alte Dame im Tone tiefster Verachtung. »Ida Langrishe würde sich schwerlich mit einer häßlichen Nichte behaften. Was wird sie nun für Gesellschaften geben! Alle jungen reichen Männer wird sie einladen, den Baronet an der Spitze, aber gewiß keine kleinen, armen Beamten. Na, es wird hier ohne Zweifel gelingen, diese Nichte baldigst an den Mann zu bringen. So etwas thut sie ja gern, und außerdem ist ein junges Mädchen im Hause ein hübsches Mittel, die jungen Männer anzuziehen.«

»O, liebe Frau Brande, Sie wissen, daß Sie ihr damit unrecht thun,« fiel die andre ein.

»Na ja, sie ist Ihre Freundin, noch dazu eine Schulfreundin, und da will ich weiter nichts sagen. Aber Sie wissen auch, daß es mir unmöglich ist, zu heucheln, und ich kann die Person mit ihrer Vornehmthuerei, ihren fein angelegten Plänen und ihrem sich bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund Drängen nun einmal nicht ausstehen. Sitzt sie doch stets im Kirchenstuhle des Generals, fährt bei Wasser- und Landpartieen immer vor den Frauen der höchsten Beamten ab, war -- eine Unverschämtheit sondergleichen -- die erste, die den österreichischen Prinzen einlud, und die Leute lassen sich auch das alles gefallen. Wenn die arme kleine Jones, die doch, da sie aus vornehmer Familie stammt, ein besonderes Recht dazu hätte, sich so etwas herausnehmen wollte, dann möchte ich wissen, was man dazu sagte!« schloß die alte Dame und schlug dabei auf die Armlehne ihres Rickshaw, daß die C-Federn bebten.

»Sie vergessen, daß Ida meine Freundin ist,« fiel die andre ein.

»Freilich, und es ist besser, ihre Freundin zu sein, als ihre Feindin. Aber da ist meine Ecke; ich muß Ihnen Lebewohl sagen!« Und nach einer Abschiedsbewegung mit der rundlichen Hand donnerte Frau Brande den schmalen Weg hinab, der zu ihrer Villa, dem besten und gastfreiesten Hause in ganz Shirani, führte.

Milly Sladen gab ihren Brief zur Post und nahm dann ihren Weg an dem Klubhause vorüber, das den Haupt- und Mittelpunkt der Station bildete und von Tennis- und andern Spielplätzen umgeben war. An der Thür des Klubs begegnete sie einem ältlichen Mann von stämmiger Figur, mit struppigem, grauem Schnurrbart und zusammengezogenen Augenbrauen, der ein starkes, schwarzes Pony ritt.

»Ich habe dich überall gesucht; wo zum Kuckuck bist du gewesen?« fuhr er sie an. »Gewiß wieder bei einem Theeklatsch! Ich werde Soper und Rhodes zum Abendbrot mitbringen; also mach, daß du nach Hause kommst! Apropos, ich höre, daß soeben frische Fische eingetroffen sind; nimm also deinen Weg an dem Laden vorüber und bringe im Rickshaw mit, was du brauchst.«

Und so nimmt die schüchterne kleine Frau einen übelriechenden Fisch mit nach Hause und stellt sich wahrscheinlich in die Küche, um den Hauptteil des Abendessens selbst zu bereiten, während ihr Eheherr seinen Robber Whist spielt.


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