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Neununddreißigstes Kapitel

Mehr notwendig als angenehm

Kaum hatte Tanzai eines jener holden Trugbilder verlassen, welche die Fee vor seine Phantasie schob, als er die Prinzessin ankommen sah. Er hatte eben von ihr geträumt, wie sie, fühllos gegen Schonkiljens Liebesglut, ihre Wiederherstellung ausschlug; und wie der Genius, durch so viel Tugend gerührt, sie ihr verschaffte, ohne die mindesten Ansprüche auf ihre Erkenntlichkeit weiter zu machen.

Dieser Traum hatte den Prinzen zu einem guten Empfang von Neadarnen gestimmt. Er eilte ihr entgegen; da er sie aber mit Schonkiljens Geschenken geschmückt und von Scholuchern geführt sah, bildete er sich ein, daß die Befreiung dieses Prinzen ihr mehr denn eine Gefälligkeit gekostet haben müßte, und daß, wenn sie tugendhaft gewesen wäre, Schonkilje sie geschätzt, aber ihr nicht so viel bewilligt haben würde. Seine ganze Eifersucht erwachte; er sah sie düster an und erwiderte mit hohem Wesen die Höflichkeiten des Anbeters der Zwickelbart. Kaum hatte die Fee den Scholuchern erblickt, als ihre Verwandlung aufhörte und Tanzai und die Prinzessin unter den galantesten Kleidern ein großes, etwas hageres Frauenzimmer erblickten, von einem verbuhlten, zierpuppenhaften und kostbaren Wesen, die sich in Scholucherns Arme warf. An der linken Backe hatte sie wirklich einen Zwickelbart wie die Chinesen, der das erste war, was Scholuchern küßte und der, nach Tanzais Meinung, der Fee gar lächerlich zu Gesichte stand. Da er ziemlich schlechter Laune war, untersuchte er Scholuchern genau, um ihn zu kritisieren. Nach dem reizenden Gemälde, das die Zwickelbart von ihm entworfen hatte, war er einen wunderschönen Jüngling gewärtig gewesen, und es tat ihm gar nicht leid, als er in jenem so hochgepriesenen Prinzen ein Figürchen gewahrte von etwa vier Fuß hoch, ganz schmächtig, unnatürlich in seinem ganzen Wesen, und der ihm keine andere Annehmlichkeiten zu haben schien als eine fade und süßliche Miene, die den Charakter seines Geistes und den Besitz ankündigte, worin er war, Frauenzimmern vom Schlage der Fee zu gefallen. Zu einer anderen Zeit würde Tanzai sich daran mehr belustigt haben, aber der Zorn, worin er gegen Neadarne war, erlaubte ihm nicht, darauf länger Aufmerksamkeit zu verwenden.

Diese Prinzessin hatte sich ihm zitternd genähert, und indeß die beiden wiedervereinigten Liebenden einander alles sagten, was eine lange Zeit hindurch unglückliche und endlich befriedigte Liebe Zärtliches einflößen kann, verweigerte Tanzai mit wilden Augen und düsterem Stillschweigen sich Neadarnens Umarmungen. Wie grausam seid Ihr! sagte sie zu ihm. Teurer Prinz, wie übel erwidert Ihr meine Zärtlichkeit! So viel Verachtung habe ich nicht verdient. – Geht nur, Madam, entgegnete er mit stolzer Miene, geht wieder zu Schonkiljen und vergeßt meiner auf ewig. Ich habe ihn nicht gesucht, gab sie zur Antwort. Ihr allein habt mich zu dieser leidigen Reise gezwungen und ich sehe nicht ein, weshalb Ihr ...

In Wahrheit, Prinz, sagte die Zwickelbart, die sich ihnen während ihres Streits genähert hatte, Ihr seid auf alle Art und Weise sehr unbillig; und wenn Ihr wüßtet, wie sehr Ihr über Eure Eifersucht zu erröten habt, so würdet Ihr sie nicht laut äußern. Hört mich an, fuhr sie fort, indem sie ihn bei Seite zog. Erinnert Euch, was ich Euch in betreff der Kukumer versprochen habe. In dem Augenblick, da Ihr Euer Wort gegen mich brecht, breche ich das meinige gegen Euch. Ich würde noch mehr getan, ich würde Euch die Unschuld der Prinzessin erwiesen haben; um Euch aber für Euren ungerechten Argwohn zu bestrafen, beraube ich Euch dieser deutlichen Beweistümer auf immer.

Was in jener Insel vorgefallen ist, setzt Euch in Unruhe. Ich könnte Euch leicht durch Scholucherns Zeugnis, der Neadarnen nicht einen Augenblick verlassen hat, überführen, daß die Prinzessin, weit delikater wie Ihr, den Genius, ungeachtet seiner Schönheit und Macht, zurückgewiesen hat. Aber Ihr verlangt stärkere Beweise, deren Ersichtlichkeit Euren Unglauben zu Schanden macht? Ihr wißt, was Neadarne war, verlaßt Euch bei dem, was sie jetzt ist, nur auf Euch selbst. Gebt in den zärtlichsten Umarmungen jene düstere Schwermut auf, die die Prinzessin Euch vielleicht nicht verzeihen wird, wenn sie noch länger dauert. Erinnert Euch dabei, daß wenn Ihr sie auch nicht so finden solltet, als zur Tilgung Eures Argwohns erforderlich ist, daß Ihr unter allen Mannspersonen auf Erden gerade der seid, dem in jedem Betracht Klagen und Verweise am allerwenigsten erlaubt sind. Geht und büßt zu ihren Füßen das Verbrechen, ab, sie so ungerechterweise beleidigt zu haben; und bringt sie ohne die Zeit mit Fragen zu verderben, auf eine gute Art in die Stimmung, Euch vollständige Beweise sowohl von ihrer Tugend als von ihrer Zärtlichkeit für Euch zu geben.

Tanzai, der nicht wußte, was er der Fee darauf antworten sollte, kehrte mit einem eben so unterwürfigem als vorher hochfahrendem Wesen zu Neadarnen zurück; und da die Zwickelbart mit Scholuchern fortgegangen war, von dem sie noch sehr viele Aufschlüsse zu verlangen hatte, so sprach der Prinz zu seiner Gemahlin folgendergestalt: Wenn ich der Zwickelbart und meiner Achtung gegen Euch trauen darf, so habt Ihr keine Verräterei gegen mich begangen. Verzeiht es meiner delikaten Denkart, daß ich an Eurer Tugend gezweifelt habe. Um ganz unbesorgt zu sein, hätte ich Euch gar nicht lieben müssen; und ich habe mich in Verhältnissen befunden, die für mich so äußerst peinlich, für Euch so gefährlich waren, daß mirs nicht möglich gewesen ist, ohne Besorgnis zu sein. Jenes leidige Orakel, das den Befehl erteilte, Ihr solltet den Schonkilje aufsuchen; die Amtsverrichtungen dieses Genius; Eure Schönheit – wie viele Ursachen, um bange zu werden! O wie süß würde es für mich sein, wenn Ihr, vermöge Eurer Zärtlichkeit für mich, so viele Hindernisse überwunden hättet.

Ah, gnädiger Herr, antwortete Neadarne weinend, ich habe nicht einen Augenblick aufgehört, Euch zu lieben. Ihr schwebtet stets vor meiner Phantasie, und so konnte Schonkilje ungeachtet seiner Geflissenheiten auf ein Herz nicht Eindruck machen, das Ihr ganz allein besitzt. – Dieser Genius war unstreitig dringend, versetzte Tanzai. Ihr schient für ihn bestimmt zu sein, er wird Euch schön gefunden haben, er war unumschränkter Gebieter.

Erinnert Ihr Euch nicht mehr, gnädiger Herr, der schrecklichen Veränderung, welche die Nacht vor meiner Abreise sich mit mir zutrug; und glaubt Ihr, daß ich in dem Zustande ihm Begierden einzuflößen vermocht habe? – Es kam aber nur auf ihn an, jene Häßlichkeit verschwinden zu lassen, die er bewirkt hatte, und ich kann kaum glauben, daß er gegen Euch mehr Achtung soll gehabt haben, als gegen die Frauen aus dieser Stadt, die mit Euch in gleichen Umständen waren.

Gleichwohl hat er mich nicht auf einerlei Fuß mit ihnen behandelt, und ohne zu wissen, wem ich die Zurückgabe meiner Schönheit zu verdanken habe (weil Ihr doch findet, daß ich deren besitze) so trat ich in kurzem ihm so unter die Augen, wie jetzt Euch.

In dem Betreff, sagte der neugierige Tanzai, brauchtet Ihr also seinen Beistand nicht anzuflehen. Aber in was für einem Zustand kommt Ihr wieder zurück? Tragt Ihr noch die Merkmale der Rache der Kukumer an Euch? Und ist Euch der Genius in dem Stück so unnötig gewesen als in dem anderen? Gnädiger Herr, versetzte sie mit niedergeschlagenen Augen, da ich meine erste Verwandlung nicht wahrgenommen habe, so werde ich auch jetzt nicht imstande sein zu entscheiden, ob uns Beiden noch das Mindeste zu begehren übrig bleibt. – Ihr wißt wenigstens, fuhr Tanzai fort, ob Schonkilje gegen Eure Leiden fühlbar gewesen ist, und Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr mir sagt, worin sein heiliger Wille (um mich der Worte des Orakels zu bedienen), gegen Euch bestanden hat. Schonkilje, nahm die Prinzessin jetzt das Wort, lobte gleich anfangs die wenigen Annehmlichkeiten, die ich besitzen mag, mit Übertreibung. Er nötigte mich, ihm die Veranlassung meiner Reise mitzuteilen, beklagte mein Unglück mehr als nötig gewesen wäre und sagte mir endlich: das einzige Mittel, Kukumers Zauber aufzuheben, bestünde darin, mich seinen Begierden zu überlassen. – Nun? unterbrach sie Tanzai, und ward vor Zorn feuerrot. O Ihr wißt, gnädiger Herr, daß ich Euch liebe und fragt mich doch noch. – Aber, was antwortet Ihr ihm denn? – Alles was meine Leidenschaft für Euch mir nur eingeben konnte. – Verlor er denn gleich nach diesem ersten Versuche den Mut? Suchte er Eure Strenge nicht zu überwinden? Ihr verdienet, daß er sich Mühe gab, Euch zu besitzen; und ich finde, daß ich an seiner Stelle gegen eine Schöne, wie Ihr seid, nicht fühllos geblieben sein würde.

Gnädiger Herr, meine Weigerungen, meine abschlägigen Antworten verdrossen ihn, ungeachtet meiner wenigen Reize. War er gleich anfangs nicht so aufgenommen worden, als er sichs geschmeichelt, so glaubt' er doch, mich durch seine Aufmerksamkeit, durch seine Dienstgeflissenheiten, zu bewegen, seine Huldigungen anzunehmen. Er hielt die verliebtesten Reden gegen mich; und da ihm mehr daran lag, mein Herz zu gewinnen, als die Freuden zu genießen, welche willfährige Schönen ihm überlassen, ohne daß es ihm Mühe kostet, so sparte er nichts, um mich zu überzeugen, daß ich den stärksten Eindruck auf ihn gemacht hätte. Die prächtigsten Festins erklärten mir seine Liebe. Mehr unumschränkte Beherrscherin in seiner Insel als er selbst, sah ich seine Untertanen nach seinem Beispiel sich vor mir demütigen. Der Geliebte der Zwickelbart, der lange in der grausamsten Gefangenschaft schmachtete, sah seine Ketten abfallen und seine Qualen sich enden; ich habe ihn endlich befreit ...

Und für alle diese Gefälligkeiten hätte der Genius keine Belohnung von Euch gefordert? Da Ihr seiner höchsten Gewalt in der Zeit unterworfen wart, wie er sie Euren Händen anvertraut hatte, suchte er nicht sie gegen Euch auszuüben? Wie ist endlich Eure Kur bewirkt worden? – Der Genius wurde meiner Weigerungen endlich eben so satt, als ich Eurer Fragen. Verliebter als Ihr, und weniger ungerecht, hatte er Achtung für meine Tränen. Wer der Gegenstand seiner feurigen Triebe geworden ist, weiß ich nicht; ebensowenig weiß ich, in was für einem Zustande ich endlich seine Insel verlassen habe. Ich befinde mich wieder bei Euch, und Ihr stellt die schmachvollste Untersuchung mit mir an; erinnert Euch nicht, daß Ihr allein mich zu Schonkiljen geschickt habt und wie sehr ich mich sträubte, Euch hierin Gehorsam zu leisten. Nun gut, so vollendet Eure Ungerechtigkeiten, zerreißt das Band, das uns miteinander verknüpft; und weil Ihr mich endlich zwingen wollt, Euch zu verlassen, so ...

Ah Prinzessin, sagte Tanzai, indem er sich ihr zu Füßen warf, ich erkenne alle meine Vergehungen. Verschont mich mit Eurem Haß! Von allen Unglücksfällen, die mich betroffen haben, würde das der schrecklichste sein. Ja, ich glaube, daß Ihr, immer treu und zärtlich, Schonkiljens verliebtem Ungestüm nicht unterlegen seid. Aber was wollte denn das Orakel sagen? Und wenn Ihr so seid, wie meine Zärtlichkeit Euch wünscht, auf was für Art bin ich denn der Beschimpfung entgangen, die mir bestimmt zu sein schien?

Ich habe Euch gesagt, Prinz, versetzte Neadarne, daß ich nicht weiß, ob wir die Kukumer nicht mehr zu fürchten haben. Gleichwohl habe ich Ursache zu vermuten, daß ihr Zorn nicht mehr unser Leben vergällen wird. Schonkilje, meines Widerstandes überdrüssig, überließ mich endlich mir selbst, nachdem er bei mir alles versucht hatte, was die Liebe nur Verführerisches einzugeben vermag. Ich ward in ein Gemach geführt, dessen Türen ich alle hinter mir verschloß; ich warf mich auf eine Ottomane, jammerte über meine Lage; fing an tief über meine Unglücksfälle zu weinen und schlief ein. Endlich erwachte ich nach einem Traum, der für meine Schamhaftigkeit und für meine Liebe höchst angreifend war, einem Traum, der mich jetzt noch, so wachend ich auch bin, mit Schreck und Scham erfüllt, nach diesem Traum glaubte ich eine merkliche Veränderung an mir wahrzunehmen.

Ach barbarischer Affe! rief Tanzai, das fehlte mir gerade noch! Dieser fatale Traum sagt mir nur zu deutlich, wie begründet meine Furcht gewesen ist. – Ich begreife gar nicht, erwiderte die Prinzessin mit einer zornigen Miene, woher diese Ausbrüche des Unmuts rühren können und auf was für Art ich Euch beleidigt haben kann! Bisher sind unsere Abenteuer einander so gleich gewesen, daß ich gar nicht geglaubt habe, Ihr solltet erstaunen, daß die meinigen sich auch mit einem Traum endeten. Da wir beide auf einerlei Art sind bestraft worden, weshalb sollte man uns nicht einerlei Hilfsmittel gegeben haben?

Ah, wollten doch die grausamen Götter, die mich verfolgen, rief Tanzai, daß ich mir nicht jenes abscheuliche Hilfsmittel vorzuwerfen hätte, das Euch so wenig Gewissensbisse verursacht.

Nun gut denn, Herr, versetzte Neadarne, überlaßt Euch Eurem Zorne. Ihr sucht alles hervor, um mich schuldig zu finden; gut, ich will es sein. Macht aus meinem Traume Wirklichkeit. Vergeßt, daß ich Euch nie Vorwürfe über jenen Traum gemacht habe, der Euch die Kukumer Eurer Liebe so würdig schilderte, vergeßt, daß ich mich ohne Verbrechen dem Schonkilje hätte überlassen können; aber laßt mich auch Euch auf immer fliehen; und da Ihr mich Eurer Achtung nicht mehr würdig haltet, so sagt mir nie mehr etwas von Eurer Liebe vor.

Die Prinzessin sagte diese Worte in einem so strenggebieterischen Tone, und äußerte so viel Zorn, daß Tanzai, von seiner Zärtlichkeit überwältigt, seinen Vorwürfen ein Ende machte. Er erinnerte sich jetzt der Probe, die ihm die Zwickelbart angeraten hatte, und deshalb bemühte er sich, Neadarnen zu besänftigen. Er umarmte sie aufs feurigste und brachte sie soweit, daß sie, ungeachtet ihres Zornes, ihm nichts abschlug. Ah! Barbar! sagte sie mit Zärtlichkeit zu ihm, laß mich gehen, Du liebst mich doch nicht mehr. Tanzai, der nur darauf bedacht war, seine Liebe und seine Neugier zu befriedigen, antwortete nur durch verdoppelte Liebkosungen; und Neadarne, von ihrer Leidenschaft besiegt, widersetzte sich nicht länger einer Prüfung, die ihren Ruhm und ihre Ruhe auf immer sicherte.


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