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Achtzehntes Kapitel

Das am wenigsten Belustigende in diesem Buche

Indessen der Prinz jene erstaunlichen Wunder bewirkte, war man zu Scheschian nicht ruhiger, als man es im Palaste der Kukumer gewesen war. Saugrenutios Sache machte viel Aufsehen. Die Priesterschaft und die Stände waren zusammenberufen worden. Der König, dem die Verdrießlichkeiten seines Sohnes sehr zu Herzen gingen und der der Meinung war, sie würden nicht eher ihr Ende erreichen, als bis Saugrenutio den Schaumlöffel geleckt hätte, ließ nichts unversucht, ihm diese Kränkung zuzufügen. Er hatte sogar den Patriarchen gewonnen, der, sowohl um den Cephaes zu gefallen, als um den Oberpriester zu beleidigen, mit dem er nicht gut stand, dem König versprochen hatte, für alle seine Absichten einzutreten. Saugrenutio war es nicht unbekannt, daß er von Seiten des Adels keine Unterstützung erhoffen durfte. Das unwissende und abergläubische Volk, das gewohnt war, die Aussprüche des Patriarchen für Aussprüche der Götter selbst zu halten, würde sich gefürchtet haben, den Zorn der letztern auf sich zu laden, wenn es Saugrenutios Partie bei einem Vorfall ergriffen hätte, wobei seiner Meinung nach die Religion eben nicht stark interessiert sei. Was blieb also dem Oberpriester übrig, das ihm drohende Schicksal zu vermeiden? Wie war es möglich, Gehorsam zu leisten? Die Schande, den Schaumlöffel zu lecken, der Schmerz, den ihm dies verursachen mußte, der Triumph des Königs, alle diese Betrachtungen beunruhigten ihn wechselweise; und wiewohl er bei dem festen Entschluß blieb, nicht zu gehorchen, sah er doch nicht ein, wie er so vielen gegen ihn vereinigten Mächten widerstehen können würde.

Noch wußte er nicht, was für eine Partie er ergreifen sollte, als der Patriarch bei Hofe ankam. Er hatte ein schreckliches Dekret vorausgehen lassen, worin er Saugrenutio anbefohlen, den Schaumlöffel zu lecken: der Schluß bestand in einer kurzen und brüderlichen Ermahnung sich zu unterwerfen und nicht die göttliche und menschliche Rache gegen sich zu waffnen. Saugrenutio, den dies Dekret zu Boden schlug, war im Begriff zu entfliehen, als eine Unvorsichtigkeit der Gegenpartei ihm wieder Mut gab.

Der Patriarch, der mit den scheschianischen Priestern mißvergnügt war – wozu er vielleicht Ursache hatte – drohte, sie wie ihr Oberhaupt zu behandeln und sie ebenfalls den Schaumlöffel lecken zu lassen. Dieser Patriarch war ein heftiger Mann, unumschränkt in seinem Willen, folglich hatten jene Ursache, ihn zu fürchten, und die gemeinschaftliche Gefahr verband sie wieder mit Saugrenutio. Es ward eine heimliche Zusammenkunft bei ihm gehalten, worin man beschloß, sich Mühe um Anhänger zu geben. Die Aufrührer überlegten gar weislich, daß man dem Volk, um es zu gewinnen, einreden müsse, das Lecken des Schaumlöffels würde eine allgemeine Angelegenheit und niemand im ganzen Lande, selbst der König nicht, davon ausgeschlossen werden. Dies Gerücht hatte in der Tat die Wirkung, die die Urheber erwartet hatten: es verursachte Furcht und gelangte bis zu dem Könige.

Cephaes ward dadurch beunruhigt. Er kannte den unternehmenden Charakter des Patriarchen. Hundertmal hatte er Ursache gehabt, sich über dessen Verwegenheit zu beschweren, und hundertmal hatte er ihn auch dafür bestrafen wollen. Ihm dünkte es sehr hart, in der Nähe des Throns eine Macht dulden zu sollen, die stets imstande war, die königliche Obergewalt zu verletzen, unter deren Schatten sie doch nur bestand, und die auch nichts unterließ, die letztere zu schwächen. Er nahm voller Entrüstung wahr, daß die Patriarchen, die ihren Posten lediglich den Königen zu verdanken haben, immer pflichtbrüchig gegen sie werden; allein der Aberglaube machte sie ehrwürdig. Überdem hatte er geglaubt, es sei von Belang für ihn, eine Obergewalt nicht aufzuheben, die seine Untertanen an Gehorsam gewöhnte, sie geschmeidiger gegen seine Willensmeinungen und treuer in Beobachtung ihres Eides machte.

Ein Volk ohne Religion legt bald den Gehorsam gegen seinen Oberherrn ab. Wenn es die Götter nicht kennt, wenn es sie nicht fürchtet, sind die menschlichen Gesetze nichts mehr für dasselbe. Es wird sein eigener Gesetzgeber, kennt keine andere Vorschriften als seine Launen und erhebt nur, um wieder zu Boden zu reißen. In einem fort gegen sein eigenes Werk empört, treibt sein nach Neuerungen dürstender Geist es von Projekten zu Projekten. Ohne Besorgnis für die Zukunft vernichtet es entweder ganz das Andenken an die Götter oder erblickt deren Zorn so sehr in der Ferne, daß es kaum daran denkt, daß derselbe zu fürchten ist. Ein Volk dagegen, das nach anderen Grundsätzen lebt, verhält sich ruhig gegen seine Könige, betrachtet sie als Geschenke der Gottheit und hält sich nicht für berechtigt, über sie oder über die Beschaffenheit ihrer Machtgewalt zu urteilen, und derselben Grenzen zu setzen. Da es aber mehr abergläubisch als religiös, weniger tugendhaft als furchtsam, mehr leichtgläubig als aufgeklärt ist, so würde es auch durch eine übelverstandene Religionsidee weit geführt; da der äußere Gottesdienst mehr Eindruck auf dasselbe gemacht hat, als die Existenz der Gottheit, ist es mehr jenem als dieser unterworfen und glaubt, daß erstere beleidigt werden, wenn man ihnen Gerechtigkeit widerfahren läßt; und der König, ein Opfer der Vorurteile seiner Untertanen wagt es nicht, aus seiner Sklaverei zu brechen, aus Besorgnis, Unruhen zu erregen, wobei seine Person so wohl als seine Würde gleich starken Beschimpfungen ausgesetzt sein könnte. Cephaes, von der Wahrheit dieser Grundsätze überführt, hatte die zu große Macht des Patriarchen zu begrenzen und bloß auf geistliche Angelegenheiten einzuschränken gesucht. Um der Hauptstadt den Anlaß zur Empörung zu benehmen, hatte er den Patriarchen vom Hofe entfernt, damit sie diesen Götzen, wenn er ihnen aus den Augen gerückt wäre, um so weniger anbeten möchten. Hierin verstieß er gleichwohl gegen die Politik. Es ist nicht weise von einem Souverän gehandelt, einen Mann von sich zu entfernen, der gewissermaßen seine Obergewalt teilt. Der Patriarch schimmerte an dem Orte allein, der ihm zum Aufenthalte angewiesen worden war; in Scheschian hingegen wäre er durch den Glanz des Throns verdunkelt worden. Die Untertanen, die ihn gedungen sahen, dem Könige seine pflichtmäßige Schuldigkeit zu bezeigen, konnten daraus schließen, wie sehr es demselben untergeordnet war. Überdies war man in der Nähe, um ein aufmerksames Auge auf die Kabalen zu richten, die er anzuspinnen sich etwa einfallen ließ. Ein einziger Blick des Beherrschers war imstande, sie zu zerstören. Hingegen in der Entfernung von ihm, benutzte er die Leichtgläubigkeit des Volks und wußte seinen Anschlägen Kredit durch die Länge der Zeit zu verschaffen, die dazu erforderlich war, sie zu verstören. Cephaes zweifelte nicht, daß der Patriarch sich für die üblen Streiche zu rächen suchen würde, die er demselben gespielt hatte. Indeß kam es ihm ganz außerordentlich vor, daß er so weit gehen sollte, ihm zuzumuten, den Schaumlöffel zu lecken. Diese Ehre hatte die Fee Barbacela nur dem Oberpriester zugedacht. Allein diese Fee erschien nicht. Ihr Befehl war nur mündlich, mithin konnte er ausgelegt und ausgedehnt werden, wie man wollte. Mit einem Wort, dem Könige war bange; inzwischen beschloß er, falls man die Religion zum Deckmantel nehmen wollte, einen Teil des Schimpfs auf den Patriarchen zurückzuwälzen und ihn zu zwingen, den Schaumlöffel zuerst zu lecken. Man kann sich vorstellen, daß er dem Patriarchen nicht das freundlichste Gesicht machte, wie er ihn wiedersah. Der Patriarch schmollte seinerseits mit dem Könige. Die erste Frucht von Saugrenutios Kunstgriff bestand also darin, daß er zwischen beiden einen Samen der Uneinigkeit ausgestreut hatte, der für ihn nicht anders, als ersprießlich sein konnte.


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