Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Teil

Zweiunddreißigstes Kapitel

Worin man unter anderem sehen wird, wie sehr die Musik ausgeartet ist

Der Eßsaal, wohin der Leser sich mit mir am Schlusse des vorigen Buchs verfügte, war, wie man mir versichert hat, außerordentlich schön und das Bankett derer würdig, für die es zubereitet worden war. Neadarne befand sich dem Genius gerade gegenüber; dieser Sitz mißbehagte ihr sehr, denn man pflegt doch gemeiniglich gerade vor sich hinzusehen. Sie fand sich jetzt dazu verdammt, entweder die Augen nicht aufzuschlagen oder Schonkilje anzusehen, der seinerseits sehr zärtlich zu werden anfing und auf die lästigste Art von der Welt mit ihr liebäugelte.

Neadarne erstaunte unter anderen, daß keine Maulwürfe aufgetragen wurden. Gnädiger Herr, sagte sie zum Genius, tut Ihr Euch etwa meinetwegen Zwang an? Ich erblicke Euer Lieblingsgericht nicht. Gleichwohl habe ich eine ganz artige Partie Maulwürfe mitgebracht, daß man Euch welche zurichten könne. – Wem? Mir, Madame? sagte Schonkilje. Ich esse keine Maulwürfe; mache mir aus keinem Wildbret in der Welt weniger als aus diesem. Wer hat Euch das Märchen aufgebunden? – Man hat mir versichert, entgegnete sie, daß sie Euch das liebste Gericht wären. Wenn dem nicht so ist, wozu entblößt Ihr so die Erde von dieser Rasse?

Ich hatte dazu wesentlich Ursache, Prinzessin, antwortete der Genius; diese sind aber nicht mehr vorhanden, ich verfolge die Undankbare nicht mehr, die mich bitter beleidigt hat. Die Strafe ihres Buhlen und der Zustand, worin sie zu leben genötigt ist, rächen mich sattsam an ihr. Mein Zorn ist erloschen, seit meine Liebe verraucht ist. – Das ist für mich ein Rätsel, erwiderte Neadarne. –Welches man Euch leicht lösen kann, versetzte Schonkilje. Jener Unglückliche, den Ihr dort unten mit dem Cymbal erblickt und der Euch den glücklichen Tag zu verdanken hat, dessen er heute genießt, ist der unwürdige Gegenstand, den man mir vorgezogen. – Da aber Eure Liebe aufgehört hat, gnädiger Herr, sagte Neadarne, weshalb setzt Ihr Eure Rache fort?

Um mir zu verzeihen, daß ich bei kaltem Blute grausam bin, erwiderte Schonkilje, müßtet Ihr wissen, auf was für eine unwürdige Art man mir mitgespielt und was für gräßlichen Qualen mein Herz zum Raube gedient hat. Ich bitte, laßt uns davon abbrechen und vergiftet nicht durch Erinnerungen an so verdrießliche Vorfälle mir das Vergnügen, das Euer Anblick mir schenkt. – Wäre dies Vergnügen so lebhaft, als Ihr mich dessen bereden wollt, versetzte die Prinzessin, so würdet Ihr von Eurer vorigen Liebe wie von einem Traum sprechen hören, dessen Inhalt Ihr Euch kaum erinnern könntet. Euer Nebenbuhler würde nicht mehr Euer Feind sein und Ihr würdet bei meinem Anblick vergessen, daß eine andere imstande gewesen ist, Euch Liebe einzuflößen.

Unstreitig schließt irgendjemand aus dieser Rede, daß Neadarne dem Genius diesen Vorwurf nicht gemacht habe, ohne daß sich ein wenig Leidenschaft eingemischt hätte. Kiloho-ee selbst ist im Begriff gewesen, dies zu glauben. Inzwischen, da man sich sehr hüten muß, Handlungen, die unschuldig sein können, zu rasch übel auszulegen, da man überdies nie einen Ausspruch über eine schwierige Materie tun muß, ohne dieselbe von allen Seiten betrachtet zu haben, so glaubte jener Schriftsteller nach tiefem Nachdenken, daß Neadarne nur etwas die Eifersüchtige gespielt habe, um den Scholuchern desto leichter von Schonkilje frei zu bekommen. Diese Auslegung hat Wahrscheinlichkeit für sich. Neadarne liebte Schonkilje nicht genug, um wegen einer vergangenen Liebe auf ihn eifersüchtig zu sein, und die Zärtlichkeit, die sie noch immer für Tanzai hegte, müßte sie hierüber so kalt lassen, wie man gegen gleichgültige Dinge zu sein pflegt. Schonkilje, der zwar sehr liebenswürdig, aber auch so eitel war, dachte an alles das nicht und dankte der Prinzessin so sehr, als er sich wegen der guten Meinung, die er von sich hatte, dazu verbunden hielt.

Ah, schöne Prinzessin, sagte er mit Feuer zu ihr, wenn es schien, als hätte ich bei Euch die Liebe noch nicht ganz vergessen, die ich ehedem für eine andere gehegt, so wird wenigstens niemand imstande sein, die Leidenschaft zu schwächen, die ich jetzt für Euch empfinde. – Er sagte ihr noch mehrere und lauter affektvolle Sachen vor, die aber gleichwohl der Verfasser nicht aufbewahrt hat, entweder weil er sie wieder zu erzählen zu schwer fand, oder weil er es nicht der Mühe wert hielt; bestimmt weiß man hierüber nichts. Schonkilje würde unstreitig Neadarne noch ferner Langeweile gemacht haben, wenn nicht diese, um ihn daran zu verhindern, ein Verlangen bezeigt hätte, den Scholuchern singen zu hören. Dieser unglückliche Prinz näherte sich. Er sang aufs rührendste das Übermaß seiner Liehe und seiner Leiden (nach was für einer Melodie, gilt gleich) und begleitete seinen Gesang durch sein Cymbal mit unendlicher Feinheit. Die im Saale waren, wurden dadurch so gerührt, daß man überall schluchzen hörte. Neadarne, die ein sehr mitleidiges Herz besaß, zerfloß in Tränen und ward so beklommen, daß man ihr die Schnürsenkel aufschneiden mußte.

Als Schonkilje, dem selbst Tränen in den Augen standen, sah, daß die allgemeine Traurigkeit kein Ende nehmen wollte, sagte er zu Scholuchern: Bösewicht, habe ich Dir befohlen, meine Prinzessin und meine ganze Insel zu Tränen zu bewegen? Ende diese durchgängige Traurigkeit und besinge meine Freuden, oder fürchte, daß ich Dir neue Widerwärtigkeiten in Musik zu setzen gebe. – O! schmält nicht, sagte Neadarne. Ich gestehe, er hat mein Herz sehr durch wehmütige Gefühle zusammengepreßt, aber ich finde unaussprechliche Wonne darin, Tränen zu vergießen.

Kaum hatte sie ausgeredet, als Scholuchern, der sich, vor dem Zorn des Genius fürchtete, eine so lustige Arie sang und zugleich so lebhaft dazu spielte, daß die Betrübnis sogleich abnahm: und da die Arie des Scholuchern immer lustiger und lustiger ward, fiel es den Höflingen des Genius unmöglich, länger in ihren Schranken zu bleiben. Die ihm schuldige Ehrerbietung konnte sie nicht abhalten auf der Stelle einen Kontretanz zu machen. Schonkilje wäre gern darüber böse geworden, allein die Kraft der Musik riß auch ihn dahin und er war im Begriff, sich unter die Tanzenden zu mischen.

Neadarne freute sich ungemein, daß sie den Genius an Scholucherns Talenten so viel Behagen finden sah, und sie sprach nochmals mit ihm davon, den Prinzen in Freiheit zu setzen. Allein er nahm diesen Vorschlag so übel auf und schien so stark darüber beleidigt zu sein, daß sie an den Prinzen zu einer Zeit dachte, da sie seiner Meinung nach lediglich an ihn hätte denken sollen, daß sie beschloß, sich des Pantoffels zu bedienen, weil auf andere Art nichts von ihm zu erhalten war.

Die Tafel wurde aufgehoben und da Neadarne nach dem Kaffee Schonkiljen beschäftigen wollte, schlug sie ihm eine Partie Quinze vor. Ich bin's zufrieden, sagte Schonkilje; wir wollen spielen, bis die Oper angeht. Höre Du Scholuchern, setzte er hinzu, besorge alles und denke darauf, Deine Rolle besser zu wissen, als neulich. Er ist also gut zur Oper? fragte Neadarne. Ja, sagte der Genius, wenn er nicht falsch sänge, wenn seine Töne nicht kreischend wären, wenn er sich weniger geckenhaft betrüge und weniger liebäugelte, würde er ein recht guter Schauspieler sein. Mit diesen Worten setzte man sich zum Spieltisch. Neadarne, die immer mithielt, stets eine Cinq bekam, beständig den höchsten Point aussetzte, auch jeden Rest in der Hinterhand hielt, spielte mit unendlichem Wohlbehagen. Während des Spiels hatte Schonkilje seine Beine unter dem Tisch ausgestreckt; Neadarne, die nicht wußte, wem sie zugehörten, und zerstreut wie eine Prinzessin bediente sich ihrer statt eines Kissens. Viele Leute haben dies Neadarne verdacht, zumal in dem Verhältnisse, worin sie sich mit Schonkiljen befand. Wer weiß aber nicht, daß, was bei Privatpersonen Folgen hat, bei Personen von hohem Range von ganz und gar keinen ist? Tut nicht eine Frau vom Stande den ganzen Tag über Dinge, die eine andere nicht einmal zu denken wagen würde? Zeichnet nicht sogar diese edle Verachtung der Gewohnheiten und Gebräuche am meisten ihren Rang aus? Überdem, ist es nicht ein deutlicher Beweis, daß Neadarne nicht wahrnahm, daß sie ihre Beine auf die des Genius gesetzt hatte, da sie ihn nicht nötigte, seine Beine schicklicher zu stellen und keine anderen Zerstreuungen hatte? Schonkilje freilich schöpfte hieraus große Hoffnungen; aber was tut das! Neadarne konnte deshalb um nichts strafbarer sein. Was würde daraus werden, wenn die Frauenzimmer für alles haften sollen, was die Keckheit der Männer sich für falsche Einbildungen betreffs ihrer in den Kopf setzt? Legen sie nicht sowohl die unschuldigen Achtsamkeiten, die man ihnen erweist, als auch die Geringschätzung, die man gegen sie äußert, zu ihrem Vorteil aus? Sieht man sie an, so ist es Begierde; sieht man sie nicht an, so ist es Verstellung. Die Frauen würden sehr unglücklich sein, wenn sie nur den vierten Teil der Ungereimtheiten dächten oder empfänden, die die Männer ihnen Schuld geben. Gemeinhin glauben diese jene nur dann lächerlich, wenn sie selbst es sind. Schonkilje war, wie man bereits hat bemerken müssen, sehr von sich eingenommen und voller Zuversicht. Er stand schon im Begriff, die Prinzessin wegen der ihm erwiesenen Gunstbezeigung zur Rede zu stellen, als das Spiel zu Ende war und man ihnen meldete, daß man sie erwarte, um die Oper anzufangen. Schonkilje führte die Prinzessin in dies Schauspiel, wobei er immer von seinem Brennen mit ihr sprach; und sie ließ ihn reden, weil vom Schicksal geschrieben war, daß sie ihm weder Stillschweigen auferlegen durfte noch konnte.


 << zurück weiter >>