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Siebenunddreißigstes Kapitel

Lehrt die Strengzüchtigen, daß es gefährliche Gelegenheiten gibt

Wenn es schmeichelhaft ist, über eine strenge Schönheit zu triumphieren, so muß man auch gestehen, daß es viel kostet, um bis dahin zu gelangen. Man muß sich mit Recht wundern, daß die Frauenzimmer, seitdem ihnen bekannt ist, daß sie am Ende doch nachgeben müssen, es noch nicht für ratsam gefunden haben, alle so überflüssige Zeremonien abzukürzen. Zwar gibt es gewisse Gecken in der Welt, die behaupten, man habe ihnen nie Widerstand getan; aber nicht minder wahr ist es, daß sie die Unwahrheit sagen. Oft rühmen sie sich, da Gunstbezeigungen erhalten zu haben, wo man sie mit Verachtung überhäuft hat. Zum Glück hat das für die Frauenzimmer keine weiteren Folgen, und rechtliche Leute haben demungeachtet nicht weniger zu seufzen. Vielleicht kommt einmal das weibliche Geschlecht auf bessere oder schlimmere Gedanken; auf schlimmere sag ich, denn Schonkilje würde weniger Vergnügen gehabt haben, wenn Neadarne minder störrisch gewesen wäre. Jetzt war der Genius so weit gekommen, daß er sie, wie jedermann weiß, bei ihrem Geständnisse festhalten konnte. Eine jede andere wie die Prinzessin hätte ihre Einwilligung nicht widerrufen, sie aber war mit einer Tugend begabt, die in puncto des Anständigen nie ein Ende wußte und der Schonkiljens alberne Zurückhaltung unaufhörlich neue Zierereien zu ersinnen Anlaß gab. Was man auch sagen mag, dieser Genius war minder geschickt, als man ihn uns geschildert hat. Daß er Neadarnen um Erlaubnis bat, sie ins Bette tragen zu dürfen, mag noch hingehen, so etwas ist wohl einer Höflichkeit wert; allein es gibt Fälle, wo es der Höflichkeit gemäßer ist und wo man sicherer geht, wenn man gar nichts sagt. Die Tugend ist nie zeremonienreicher, als wenn man ihr Zeit läßt, es zu sein, und es ist nicht schicklich eine Schöne dahin zu vermögen, das abzuschlagen, was sie sich würde nehmen lassen, wenn man diesen Weg einschlüge.

Schonkilje, wiewohl er sehr verliebt war, bat die Prinzessin, ihm zu erlauben, daß er sich ihr nähern dürfte; sogleich bat ihn die Prinzessin, daß er es doch nicht tun möchte. Diese unbillige Weigerung empörte seinen Unwillen, und da er endlich merkte, wie linkisch er sich bisher benommen hatte, näherte er sich ihr wider ihren Willen. Durch diesen Machtstreich flößte er ihr so viel Ehrfurcht ein, daß sie sich nicht mehr unterstand, etwas zu sagen. Nunmehr wagte er es, ihr die zärtlichen Namen zu geben, die unter Leuten gebräuchlich sind, die ausnehmend gut zusammen stehen. Wenn sie sie ihm nicht wiedergab, so war sie doch wenigstens nicht beleidigt, daß er sie ihr gegeben hatte. Dann nahm er sie, als ein Mann, der den Wert der Steigerungen kennt, in seine Arme, umschloß sie wollüstig und gab ihr unvermerkt, durch geschickt angebrachte Liebkosungen einen ziemlich lebhaften Begriff von den Freuden der Liebe, so daß sie mit nichts anderem sich mehr beschäftigen konnte. Endlich wurde der liebevolle Schonkilje für seine Empfindung belohnt, empfing so viel wieder, als er gab und sah seine von Wollust berauschte Prinzessin sich gutwillig in die Bemühungen fügen, die er zu ihrer Entzauberung anwandte. Noch war er vor einem verdrießlichen Rückfall bange. Um diesem nun zuvorzukommen, glaubte er, der Prinzessin keine Zeit zum Nachdenken lassen und alle Pausen sich zu ersparen zu müssen. Diese List tat ihre Wirkung und eine Phantasie von Neadarne gab ihr vollends den besten Erfolg. Sie bildete sich ein, daß Schonkilje Tanzain gliche, und indem sie sich höchlich bei sich selbst wunderte, daß diese Gleichheit ihr nicht eher aufgefallen sei, hing sie ihrem Irrtum nach, und ließ aus Liebe zu dem Prinzen den feurigen Trieben des Genius nichts zu verlangen mehr übrig. Reden voll holdem Zauber, zärtliche Liebkosungen, entflammte Seufzer, Entzückungen höchster Lust, gänzliches Hingeben, alles das genoß er. Was für ein großer Zauberer er auch war, so bedurfte er dennoch, nachdem er die Augen der Prinzessin geblendet hatte, einer beträchtlichen Zeit, ehe er wieder zur Auflösung des Zaubers schritt. Neadarne empfand alles, was sie bei der Rückkehr ihrer Vernunft verlor. Sie hatte schwermütige Vorstellungen; ihre Entzauberung beschäftigte sie nicht mehr. Sie sah nunmehr ein, daß es der Wille der Götter gewesen war, daß Schonkilje dieses Geschäft übernehmen mußte; es war geschehen; sie war völlig ergeben. Sie machte sich keine Vorwürfe wegen ihrer Untreue und fand eben so gute Gründe, sie zu beschönigen, als sie vorher gehabt hatte, sich dagegen zu verteidigen. Hatte sie bei alledem aufgehört, ihren Gemahl, den Prinzen anzubeten, und war das nicht das Werk der stärksten Leidenschaft, daß sie Schonkilje ihm ähnlich gemacht hatte? Am allermeisten beunruhigte sie aber die Ungewißheit, worin sie sich wegen des Arkans der Zwickelbart befand. Konnte sie je eine schönere Gelegenheit haben, dies zu untersuchen? Entschlossen, schlechterdings zu wissen, wie es damit beschaffen wäre, wollte sie die geheimnisvollen Worte aussprechen; allein sie hatte sie vergessen und ihre Gedanken und Vorstellungen waren durch Schonkilje so verwirrt worden, daß sie lange Zeit hindurch glaubte, sie würde sich nie wieder darauf besinnen. Das Papier zu suchen, worauf sie geschrieben waren, schien ganz unmöglich zu sein. Was würde Schonkilje davon gedacht haben? Er würde es unstreitig haben sehen wollen; und hätte sie's nun gar verloren, wie würde sie vor Tanzai wieder haben erscheinen können? Während der Zeit, daß sie sich in dieser Verlegenheit befand, drang Schonkilje, der die Entzauberung wieder vorzunehmen bereit war, von neuem in sie und brachte sie ganz außer Fassung. Glücklicherweise erinnerte sie sich, daß man ihre Taschen ihr unter das Kopfkissen gelegt habe. Sie drehte sich geschickt seitwärts, bemächtigte sich dessen zu so gelegener Zeit, daß Schonkilje die Prinzessin mehr denn je für bezaubert hielt. Er beklagte sich darüber und dankte ihr dafür. Er ermangelte nicht, der Kukumer eine Begebenheit zuzuschreiben, die so ungewöhnlich war; und je mehr er die Fee im Verdacht hatte, das Unglück der Prinzessin ewig dauern lassen zu wollen, je mehr beeiferte er sich, ihm abzuhelfen.

Neadarne, die, was auch der Genius von der Fülle seiner Empfindsamkeit gesagt, auf so tätigen Diensteifer von seiner Seite nicht gerechnet hatte, wußte gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Sich zu beschweren wäre undankbar gewesen, jenem Eifer aber noch weiteren Ausbruch zu lassen, hieß das nicht die Pflicht gegen Tanzai gar zu sehr aus den Augen zu setzen. Es war sonderbar, daß sie diese letzte Betrachtung anstellte; allein die Frauenzimmer haben nun einmal die zarteste Gewissenhaftigkeit! Neadarne, die für den Prinzen genug getan zu haben glaubte, machte sich Vorwürfe über das, was sie mehr tat. Sie war im Begriff, den Genius zu bitten, seiner Großmut Schranken zu setzen, als eine zweite Betrachtung (man hört nicht auf deren zu machen, wenn man einmal angefangen hat), sie auf andere Gedanken brachte. Sie konnte nicht zweifeln, daß das Arkan der Zwickelbart gut sei; aber diese Fee hatte ihr gesagt, daß man sich dessen so oft bedienen könnte, wie man wollte; und wenn nun dem nicht so wäre und sie sich dessen zu schnell bedient hätte, wie groß würde nicht Tanzais Wut sein! Um also an der Redlichkeit der Zwickelbart nicht weiter zu zweifeln, mußte sie unumgänglich hören, was Schonkilje davon sagen würde. Sie hatte Ursache, diesmal zufrieden zu sein. Der Genius sprach von der neuen Verlegenheit, worin er war, so vorteilhaft, daß sie aus Furcht, er möchte die wahre Veranlassung argwöhnen, ihm wegen dieses Wunderwerks Glück wünschte und es gänzlich auf ihn schob. So schmeichelhaft diese Beschuldigung auch war, so verteidigte er sich doch dagegen mit aller möglichen Bescheidenheit und bestand darauf, ihr allein die Ehre zu lassen. Ein solcher Streit der Höflichkeit konnte so bald nicht enden; und so wohlgeschliffen die Äußerungen der Prinzessin auch gegen ihn waren, so war Schonkilje doch so ungestüm hartnäckig, daß sie sich genötigt sah, alles auf sich zu nehmen.

Inzwischen rückte die Nacht dem Morgen näher und die Prinzessin, die ihr Arkan hinlänglich geprobt und für sich selbst nichts mehr zu verlangen hatte, hielt sich nun verbunden, an Scholuchern zu denken. Sie wußte nicht, wie sie's anfangen sollte, ihn zu befreien. Schonkilje schien ihr nicht gelaunt, so bald einzuschlafen; und es schien ihr unmöglich, sich des Pantoffels zu bedienen, so lange er wachend sei. Gnädiger Herr, sagte sie zu ihm, in vier Stunden reise ich ab. Ich wünschte wohl den Überrest der Nacht dem Schlafe widmen zu können. Ich wage von Eurer Gefälligkeit zu hoffen ... – Je eher Ihr abreist, antwortete er, je weniger müßt Ihr diese Gefälligkeit von mir erwarten. Ich verdiente nicht das Glück, Euch zu besitzen, wenn ich es dermaßen vernachlässigte; ich will Euch beweisen, daß ich dessen würdig bin, wenn Ihr inzwischen versprechen wollt, daß ich Euch wiedersehen darf, so will ... Mich wiedersehen! unterbrach sie schnell. Ah! gnädiger Herr, dies dürft Ihr gar nicht hoffen, und ich begreife nicht, wie Ihrs wagen könnt, mir einen solchen Vorschlag zu tun. – Ich habe geglaubt, versetzte er, daß ich ihn Euch tun könnte, ohne gegen die Euch schuldige Ehrerbietung zu verstoßen; und daß wir auf eine Art bekannt wären, die wenigstens als ein alter Bekannter von Euch mich erscheinen läßt.

Gerade deshalb, gnädiger Herr, seid Ihr unter allen Männern auf dem ganzen Erdboden derjenige, den ich am geflissentlichsten vermeiden muß. Meine Liebe für Tanzai und meine Pflichten erlauben mir sogar nicht einmal, an Euch zu denken. Bisher bin ich nicht strafbar gewesen. Die Götter, die mir anbefahlen, Euch aufzusuchen, nehmen meine Schuld auf sich, allein ich würde ihren Zorn und die Verachtung meines Gemahls verdienen, wenn ich je Euer Bild wieder in mir zurückriefe, um es mit zärtlichem Wohlgefallen zu betrachten.

Wenn ich mir diese Erlaubnis von Euch ausbat, versetzte er, so geschah dies nur, weil ich Euch selbst bis zu Ende all mein Vergnügen schuldig sein wollte. Kenntet Ihr meine Macht ganz genau, so würdet Ihr nicht zweifeln, daß ich, trotz Eurer Weigerungen, Euch sehen könnte, wenn ich wollte, und daß ich sogar von Eurer Zärtlichkeit alle die Gunstbezeigungen zu erhalten imstande wäre, die Ihr für Tanzai aufhebt. Da es bei mir steht, seine Gestalt anzunehmen, so werdet Ihr mich unter seinen Zügen sehen und werdet nie wissen, ob Ihr gegen ihn oder gegen mich Euer Herz ergießt. – O Ihr großen Götter, welch eine harte Züchtigung! rief die Prinzessin. Sie würde unstreitig länger gejammert haben, hätte der Genius sich nicht für verbunden gehalten, die Schwermut zu vertreiben, in die er sie versetzt hatte. Neadarne, der Äußerungen seiner Zärtlichkeit überdrüssig, hätte sie gern vermieden, da sie aber ein Opfer ihrer Liebe für Tanzai gewesen war, mußte sie auch vor allem ein Opfer ihrer Achtung für die Zwickelbart werden. Es war notwendig, den Genius zum Schlaf zu reizen, ohne den sie Scholuchern nicht befreien konnte. Aus eben dem Grunde bediente sie sich nochmals ihres Arkans; ein leichter Sieg würde Schonkiljen zu wenig ermüdet haben, und es war Zeit, vom Pantoffel Gebrauch zu machen. Endlich war es soweit gekommen. Der Genius fühlte, daß seine Augen, indem er Neadarnen die zärtlichsten Dinge äußerte, wider seinen Willen zufielen. In dem Augenblick berührte sie ihn mit dem Pantoffel und versenkte ihn dadurch in den tiefsten Schlaf. Sodann fuhr sie jählings aus dem Bette und zog sich mit der größten Geschwindigkeit an. Es ging so eilend, daß sie anfänglich nicht gewahr wurde, daß die Kleider, die sie anlegte, nicht die waren, die sie auf die Insel mitgebracht hatte. Der verliebte Genius hatte gewollt, daß Neadarne Beweise seiner Freigebigkeit und Prachtliebe mitnehmen sollte, daher die Kleider, die Neadarne wider ihren Willen anzog, köstlich und ganz der Schönheit würdig waren, die Schonkilje damit schmücken wollte. Ihr Widerwille hiergegen konnte mehr als eine Ursache haben. In diesen Kleidern konnte sie ihrem Gemahl nicht sagen, daß sie geträumt hätte, und ihr fiel nichts ein, wie sie ihn hierüber täuschen könnte.

Ungeachtet der Unruhe, worin dieser neue Anzug sie stürzte, konnte sie Schonkilje nicht die Achtung verweigern, die sein ganzes Benehmen gegen sie verdiente. Sie nahte sich dem Bette, wo er in tiefstem Schlaf lag. Lange betrachtete sie ihn. Seine Schönheit brachte ihr Inneres in Wallung.

Lebe wohl, sagte sie seufzend zu ihm, leb wohl, liebenswürdiger Genius! O daß Dein immerdauerndes Leben in Strömen von Freuden dahingleite! Daß Du auf immer das Andenken an die traurige Neadarne verlierst! Und o, daß sie Dich selbst vergessen könnte! Sie würde sich nur zu glücklich geschätzt haben, Deine feurige Liebe zu erwidern, und Du solltest ihr nicht zuvorgekommen sein, wenn Herz und Hand ihr Eigentum gewesen wären. Lebe wohl! Sie vermag zu Deiner Glückseligkeit nichts; habe die Güte, nie ihre Ruhe zu stören. – Mit der Endigung dieser Worte küßte sie ihn sanft auf die Stirn und riß sich von ihm mit solcher Mühe los, daß ihre Tugend darüber zu murren begann.


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