Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Wird mehr denn einem Leser Gähnen verursachen

Während der Erzählung der Zwickelbart, die, wie auch der Leser gemerkt haben wird, sehr lange dauerte, hatte man den Wald durchquert. Der Prinz entdeckte jetzt von fern eine große Stadt und fragte nach deren Namen. Es ist die Stadt der Tremissen, antwortete ihm die Zwickelbart. Sie ist groß und volkreich. Ihr König ist dem Genius zinsbar und sein Hauptagent in Liebesangelegenheiten. Dieser König hat die Gefälligkeit, sich ein Verzeichnis von allen Schönen des Erdbodens zu halten, die sonderbare Abenteuer, zum Beispiel wie die Prinzessin, erlebt haben, und der Genius läßt sich diese aus der Kanzlei der Feen kommen, wo man unendliche Achtsamkeit für ihn hat.

Aber, sagte Tanzai, dieser Genius hat eine sonderbare Beschäftigung übernommen. Was für eine Art von Vergnügen kann er daran finden, die Unglücksfälle eines Frauenzimmers zu nutzen? Das ist weder edel noch delikat gedacht!

Ihr habt Recht, erwiderte die Fee; indessen diese Sache ist gerade das, worum er sich am meisten kümmert. Er behauptet, daß Delikatesse die Freuden stört, oder daß diese, wenn jene auch nicht mit im Spiel ist, nicht weniger wesentlich und lebhaft sind. Es hält schwer, einen Menschen zu bessern, der sich ein System gemacht hat und der sich, um es zu behaupten, gleich darauf gründet, daß alle Frauenzimmer von Sentiment ihn immer hintergangen und ihm weniger Freuden verschafft, als die, die sich ihm aus Not oder aus bloßer Sinnlichkeit überliefert hätten; und daß es Torheit sei, um eines Gegenstandes willen, sich aller derer zu berauben, die einem gefallen könnten.

Die schlechteste Denkart von der Welt! brach der Prinz los. Ich bin zufriedener, wenn ich Neadarne bloß betrachten kann, als wenn ich mich in den Armen der reizendsten Fee auf dem Erdboden befinden würde! – Vielleicht seid Ihr nicht immer so schwer zu befriedigen gewesen, versetzte die Zwickelbart; doch wenn auch dem nicht so wäre, über Wollust muß man nicht disputieren; sie entspringt aus Caprice, die nur allein hilft zu ihrem Gedeihen.

Inzwischen glaube ich, hub Neadarne an, daß man zu dieser Wollust, der man so eifrig nachgab, des Beistandes seines Herzens nötig hat, und daß der liebenswürdigste Mann von der Welt, wenn mein Herz ihn nicht gewählt hat, geringeren Eindruck auf mich machen wird als ein Ungeheuer, von dem ich mir ein verführerisches Bild gemacht. – Viele Frauenzimmer, antwortete die Fee, die wie Ihr gedacht, sind durch die Erfahrung eines anderen belehrt worden. Man kann für den Augenblick nicht einstehen. Es gibt deren, wo bloß die Natur handelt und wo man sich gerade in dem Fall befindet, wie bei einem Traum, der Euren Sinnen die Gegenstände darstellt, die er will, und nicht die, die Ihr wollt. Des Prinzen Traum ist ein Beweis hiervon. Er hätte zuverlässig lieber von Euch geträumt als von der Fee Kukumer, inzwischen ... Unstreitig, unterbrach Tanzai die Zwickelbart, voll Unwillen über ihre Unbesonnenheit, dergleichen steht nicht in unserer Gewalt. Aber wir kommen der Stadt näher und müssen unseren Disput auf ein andermal verschieben. Die Schonkiljeninsel ist also wohl nicht mehr weit von hier? – Nein, versetzte die Zwickelbart. Vier Meilen von jener Stadt liegt ein großer See und auf demselben die Insel. Zierlich geschmückte Barken setzen ohne Fährmann die Schönen über, die bei dem Genius zu tun haben und bringen sie so wieder zurück.

Nach diesen und dergleichen eben so wenig erheblichen Reden kamen sie in die Stadt. Alle Bewohner derselben hatten die schönste blaue Farbe, die man nur sehen konnte. Wiewohl der Prinz und Neadarne nur inkognito reisten, schlossen dennoch die Kornblauen aus ihrem majestätischen Ansehen, zahlreichem Gefolge und prächtigen Equipagen, daß diese Fremden Personen vom höchsten Stande sein müßten.

Die Zwickelbart drang in den Prinzen, nach dem Logis zu eilen, das der Reisemarschall für sie bestellt hatte. – Weshalb treibt Ihr so? Weshalb seid Ihr so ängstlich? fragte sie Tanzai. – Nicht ohne Ursache, versetzte die Fee. Schonkilje ist hier in der Stadt, und mir ist bange, daß er mich erkennt. Was macht er denn hier? sagte der Prinz. Die Liebe und nichts anderes führt ihn stets hierher, entgegnete die Zwickelbart. Die Frauenzimmer dieser Stadt sind trotz ihrer Farbe außerordentlich schön, und wenn der Genius nichts zu tun hat, amüsiert er sich damit, sie mit seiner Zärtlichkeit zu beehren. Die Einwohner, die ihn fürchten, wagen es nicht, ihm das Geringste zu verweigern, und die Einwohnerinnen noch weniger.

Wahrlich! ein schrecklicher Genius! rief Tanzai aus. Ach! Neadarne, wie bedauernswert wird Deine Schönheit mich nicht machen! Kann ich mir wohl schmeicheln, wenn ich Dich betrachte, daß Schonkilje nicht so gut Augen haben wird wie ich? Was wird die Macht der Zwickelbart frommen? Sie verspricht sie mir vergebens. Je näher ich meinem Unglück komme, desto empfindlicher wird mir dessen Vorstellung. Ich kann sie nicht mehr ertragen. Ich merke schon, daß Du mir nach Deiner Zurückkunft aus der Schonkiljeninsel unleidlich sein, daß Du mir nicht mehr teuer sein wirst, wenn ich nicht mehr Achtung vor Dir haben kann. Bleibe stets was Du bist; denn gibt Dir Schonkilje Deine vorige Gestalt wieder, so ist dies für mich unnütz. Zufrieden mit Dir, wollen wir uns gemeinschaftlich über die Strenge unseres Schicksals beschweren. Ich verlange nur Dein Herz; wenn der Besitz des meinigen in der Tat zu Deinem Glück hinreichend ist, so wird das unsrige vollständig sein. Mit einem Worte, weit davon entfernt zu begehren, daß Ihr Euch der Insel des Schonkilje nähern sollt, will ich vielmehr, daß wir morgen die Rückreise nach Scheschian antreten.

Wie glücklich macht Ihr mich, teuerster Prinz, rief die zärtliche Neadarne; doch bereitet Euch nicht Qualen durch Eure Gefälligkeit gegen mich. Zufrieden, den Titel Eurer Gemahlin zu tragen, will ich es ohne Entrüstung ansehen, wenn eine andere deren Obliegenheiten erfüllt. Sie wird mir durch die Freuden teuer sein, die sie Euch verschaffen wird. Eure Gesetze, jene strengen Gesetze, denen Ihr vergebens ausweichen wollt, werden nicht auf unsere Scheidung bestehen. Wenn Eure Untertanen die kostbaren Früchte Eures zweiten Bündnisses sehen, werden sie die Unmenschlichkeit nicht so weit treiben, Eure Freundin zu verbannen. Wenn ich zu dieser gräßlichen Widerwärtigkeit bestimmt bin, wenn ich fern von Euch meine unglücklichen Tage zubringen muß, so werde ich, Du mein einziges Gut, doch wenigstens (sie begann furchtbar zu weinen), wenn ich unsere Scheidung überlebe, die süße Zufriedenheit haben, zu denken, daß ich zu Deinen Freuden beigetragen habe.

Was sagt Ihr, anbetungswürdige Prinzessin? rief Tanzai. Ich Dich verlassen, meine Neadarne? Eine andere, wie Du, sollte jemals meine Blicke auf sich ziehen? Ach! glaube das nicht! Eher gehe das Reich unter, das ich Dir nicht mehr anbieten kann. Eher stürze alles in der ganzen Natur zusammen, als daß ich mich durch die höchst schändliche und schwärzeste aller Undankbarkeit brandmarke! Umsonst werden die Gesetze sich gegen Dich waffnen, umsonst meine Untertanen sie gegen mich anführen. Ich widerrufe sie von jetzt an. Sie müssen vor meiner Macht schweigen. Wehe dem, der es wagt, sie aufzuwecken! Selbst gegen die Götter werde ich mich auflehnen. Nein, göttliche Neadarne, nein, Deine Entfernung soll nicht der Lohn Deiner Liebe für mich und der Gesinnungen sein, die Du gegen mich äußertest, als ich in dem Fall war, worin Du jetzt bist. Nichts weiter mehr davon! vielleicht wird das Schicksal müde, uns ferner zu verfolgen, und bereitet uns endlich die glücklichsten Tage oder...

Damit schmeichelt Euch nicht, unterbrach ihn die Zwickelbart. Das Schicksal widerruft seine Aussprüche nicht nach dem Belieben der Sterblichen. Einzig Schonkilje vermag etwas für Euch zu tun. Überdies, was wird aus mir werden, wenn die Prinzessin meinen Scholuchern nicht erlöst?

Ihr wünschtet wohl, versetzte Tanzai, daß meine Besorgnis nicht das Übergewicht über meine Interessen behalten möchte. Und zudem schreibt mir das Schicksal nichts über diesen Artikel vor und ich bilde mir nicht ein, daß Ihr der Prinzessin aus einer willkürlichen Handlung, die sie zu unterlassen freie Macht hat, ein Gesetz machen wollt? – Aber was befürchtet Ihr? entgegnete die Zwickelbart, wenn ich Euch meines Schutzes versichere? Aber, Ihr zittert für Euch selbst, antwortete Tanzai. – Das ist nicht einerlei! entgegnete die Zwickelbart. Der Genius kann mir in meiner gegenwärtigen Lage furchtbar sein, ohne daß ich mich deshalb überall ohne Macht befinde. Wenn die Prinzessin in der Insel sein wird, bin ich auf den Einfall geraten, um sie Schonkiljens feurigem Ungestüm zu entziehen, ihm ein Phantom unterzuschieben, das er für sie halten soll, so viele Ähnlichkeit werde ich ihm zu verschaffen wissen. Ich will nicht einmal, daß er ein Konterfei von ihr genieße, rief der Prinz. Nach Scheschian zurück! Ich bedaure Euch. Aber wenn die Fee Barbacela Euch so sehr liebt, wird sie genug andere Mittel ausfindig machen, Euren Liebhaber und Eure Gestalt Euch wieder zu schaffen. – Mit diesen Worten befahl er in Gegenwart der Zwickelbart seine Abreise auf den folgenden Tag und ließ diese Fee in einer Trostlosigkeit, daß Neadarnens ganze Zärtlichkeit sie nicht stillen konnte, zurück.


 << zurück weiter >>