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Dreißigstes Kapitel

Interessant, wenn es gut behandelt worden ist

Neadarne reiste, wie man sich leicht denken kann, nicht ohne Bekümmernis zum Genius. Man stellt wenigstens Betrachtungen an und ihre Lage war von einer Art, bei der jedes delikatdenkende Frauenzimmer immer in einiger Verlegenheit ist. Ihre Häßlichkeit beunruhigte sie nicht, aber was auf der Insel vorgehen sollte, verursachte bei ihr die unangenehmsten Vorstellungen von der Welt. Inzwischen kam sie dem Orte ihrer Bestimmung näher. Als sie hundert Schritte vom Ufer war, ließ sie alle ihre Wagen halten, mit dem Befehl, dort auf sie zu warten. Kaum war sie von ihren Leuten entfernt, so zog sie ihren Spiegel heraus und fand mit einem geheimen Vergnügen, daß die Zwickelbart Wort gehalten hatte, daß alle ihre Reize nicht nur wieder da waren, sondern sich auch sogar vermehrt hatten. Wiewohl sie den Genius nicht liebte, wiewohl sie es für ein großes Unglück hielt, schön vor ihm zu erscheinen, würde es ihr gleichwohl sehr leid getan haben, sich in dem Zustande vor ihm sehen zu lassen, worin die Arglist der Fee sie versetzt hatte. Jedes Frauenzimmer will gefallen, sogar ohne Gebrauch von den Begierden machen zu wollen, die sie erregt. Von was für einer Leidenschaft sie auch eingenommen sein mag, so zart sie auch darüber denkt, so hat sie doch ihre Eitelkeit zu befriedigen; und da diese das dringendste Bedürfnis ist, so muß die Liebe dabei verlieren. Die Prinzessin fand sonach eine Art von Vergnügen in dem Gedanken, daß Schonkilje von ihrer Schönheit verblendet werden würde, und betrachtete es als einen großen Triumph, diesen Genius, der gewohnt war, die vollkommensten Frauenzimmer zu besitzen, das Geständnis gegen sich ablegen zu hören, daß sie alle anderen überträfe. Noch war sie mit diesen Ideen beschäftigt, als sie an den Ufern des Sees ankam, worauf die Insel lag. Man muß hier nicht anzumerken vergessen, daß sie wenigstens dreißig Barken mit den Maulwürfen hatte anfüllen lassen, die sie aus Scheschian mitgebracht hatte, und die durch Barbacelas wundertätige Fürsorge erhalten worden waren. Die Barke, die für Neadarne bestimmt war, war das anmutigste Ding, das man nur sehen konnte. Die schonkiljenen und silberdurchwirkten Segel waren mit galanten Sprüchen geziert; das Seilwerk war von eben der Materie wie die Segel; und ein Liebesgott, der das Steuer hielt, schien durch seine zärtliche und lebhafte Stellung den Schönen, die nach dieser Insel fuhren, die Vergnügungen anzukündigen, die ihrer dort harrten.

Neadarne begab sich in dies Schiffchen, doch nicht ohne Ängstlichkeit. Sie fürchtete von Natur das Wasser, und das Konterfei jenes Liebesgottes, das zum Steuermann zu dienen schien, war nicht imstande, ihr Mut einzuflößen. Inzwischen war ihre Reise glücklich. Die Barke, wiewohl sie keinen Führer hatte, durchspaltete mit ausnehmender Schnelligkeit die Wellen, und lief in einen stolzen Hafen ein, der dem Palaste des Genius gerade gegenüber erbaut war.

Neadarne stieg mit hochklopfendem Herzen und schamroter Stirn ans Land. Ihre Verlegenheit verdoppelte sich beim Anblick der Menge Leute, die von allen Enden der Insel herzugelaufen waren, sie zu bewundern. Wiewohl diese erste Wirkung ihrer Schönheit ihr nicht mißfiel, so brachte sie doch die hohnlächelnde Miene, womit die Insulaner sie betrachteten, auf den Gedanken, daß sie sich wegen des Besuchs, den sie beim Genius machen wollte, keinen Staub in die Augen streuen lassen würden; und ihre Scham war sondersgleichen. Sie setzte ihren Weg fort, wiewohl sie von jenen Einwohnern umringt war, die ohne Mäßigung über das Glück ihres Beherrschers und über das Geschenk jubilierten, das sie ihnen mitbrächte. Neadarne, die ihrer Lobsprüche, ihrer Reden und ihrer Gelbheit überdrüssig war, langte endlich an den Pforten des Palastes an, fest überzeugt, daß, wenn der Genius eben so gelb als seine Untertanen wäre, seine Bildung ihr nicht gefährlich sein würde.

Die Zeremonienmeister erwarteten sie. Diese Leute waren die Günstlinge des Genius und hatten bei ihrem Posten der Dienstgeschäfte mehrere. Sie sagten zur Prinzessin, daß Schonkilje nicht ermangelt haben würde, ihr entgegen zu kommen, wenn ihn nicht wichtige mit seiner Würde verbundene Pflichten daran verhindert hätten. In Erwartung seiner Ankunft führte man sie in ein prächtiges Zimmer, wo man ihr eine herrliche Erfrischung auftrug. Sie war noch damit beschäftigt, als eine liebliche Symphonie jenen fürchterlichen Schonkilje verkündete. Ein Schauer ergoß sich über das Herz der Prinzessin; Tanzai's Bild, die Vorstellung von dem, was man von ihr fordern würde, setzten sie in Verwirrung und preßten ihr Tränen aus. Sie war noch in Unordnung, als Schonkilje hereintrat. Der Glanz von Neadarne's Schönheit traf ihn dermaßen, daß er unbeweglich blieb. Neadarne war aus Höflichkeit aufgestanden. In diesem ersten Augenblick sagten beide nicht das Geringste; endlich erholte sich der Genius von seiner Verwirrung, bat die Prinzessin, sich wieder niederzulassen, und warf sich zu ihren Füßen. Noch hatte Neadarne es nicht gewagt, ihm ins Gesicht zu blicken. Da sie sich endlich genötigt sah, die Augen gegen ihn aufzuschlagen, geriet sie sowohl über die Majestät seiner Gestalt und Bildung, als auch in außerordentliche Bestürzung darüber, daß er nicht gelb war. Sie tat ihr Möglichstes, ihn zum Aufstehen zu vermögen. Er wollte dies so wenig als ihr die eine Hand wiedergeben, die er ergriffen und worauf er bereits, um keine Zeit zu verlieren, verschiedene Küsse gedrückt hatte. Dies hieß etwas hitzig zu Werke gehen; allein er war so gutes Glück bei Frauen gewohnt, daß er immer den Anfang damit machte, die Ehrerbietung ein wenig aus den Augen zu setzen.

Es war nicht Brauch bei ihm, seine ersten Unternehmungen auf solche Kleinigkeiten einzuschränken, und Neadarne's Mund lieferte ihm einen trefflichen Entschuldigungsgrund für seinen Ungestüm. Er wollte seine Lippen den ihrigen nähern, als Neadarne ihn mit Heftigkeit zurückstieß. Noch ist es ein wenig zu früh, sagte sie, mich das Grauenvolle meiner Lage sehen zu lassen und ... – Ich weiß wohl, Madame, unterbrach sie Schonkilje, daß ich mich nicht gleich dessen bemächtigen sollte, was man von Euch selbst nur erst nach vierzehn Tagen der Beharrlichkeit zu erlangen imstande sein kann; allein das Schicksal gesteht mir nur einen Tag zu, und dadurch, daß ich mich nicht in Gefahr setzen will, ihn zu verlieren, beweise ich, meines Bedünkens, Euch hinlänglich meine Gesinnungen. – Wie, gnädiger Herr, versetzte Neadarne, solltet Ihr so wenig Edelmut besitzen, den Zustand zu mißbrauchen, in dem ich mich befinde? – Nicht ich, Madame, entgegnete der Genius, habe diesen Schritt von Euch verlangt. Mein feuriges Ungestüm muß Euch sagen, wie sehr ich Euch nützlich zu sein wünsche. Ihr empfindet Abneigung, und ich muß Euch wider Willen verpflichten. – Aber, erwiderte Neadarne, könntet Ihr wohl zufrieden sein, wenn Ihr nur dem Zwange ein Gut zu verdanken hättet, das mein Herz Euch immer versagen wird?

Ich weiß zwar, wie glücklich der Besitz Eures Herzens mich machen würde, versetzte Schonkilje, und ich würde alles in der Welt anwenden, ihn mir zu erringen, wenn ich glaubte, daß mirs gelänge. Wozu aber würde diese Zartheit von meiner Seite dienen? Ihr würdet Euch dadurch nur in noch größeren Zwang gesetzt finden, und ich würde Euch deshalb nicht liebenswürdiger vorkommen. Indem mir das Schicksal die süßesten Freuden darbeut, verdammt es mich, dessen beraubt zu sein, was deren größten Reiz ausmacht. Ihr gebt Euch mir mit Widerwillen hin. In jenen Augenblicken, die Ihr so selig machen könntet, werdet Ihr ächzen und wimmern, Eure strenge Tugend wird sie zu Augenblicken des Schmerzes und der Betrübnis machen. Ich könnte Euch einen weit besseren Rat geben. Es liegt nur an Euch, die Notwendigkeit zum Vergnügen umzuschauen; sie würde Euch minder hart fallen und Ihr würdet deshalb nicht weniger tugendhaft sein. Die Pflicht ist uns nur darum lästig, weil sie kein Werk unserer Phantasie ist; der liebenswürdigste Gemahl mißfällt uns öfters nur deshalb, weil er berechtigt ist, das zu fordern, was man ihm mit Entzücken zugestehen würde, wenn er es nicht als Tribut betrachtete. Bei dem Mann ist es eine Schuld, die man ihm abtragen muß; bei dem Liebhaber ein Geschenk, das man ihm macht. Natürlich, daß man bei dem einen mehr Vergnügen empfindet als bei dem andern. Ich bin mit Euch in diesem Fall. Ihr habt mich nicht gewählt, und nur deshalb haßt Ihr mich; demungeachtet aber seid Ihr verpflichtet, einige Gefälligkeiten für mich zu haben, und ich ersuche Euch nur Euretwegen, sie Euch so wenig beschwerlich als möglich zu denken.

Ach! kann ich das? rief die Prinzessin. Kann ich wohl anderes als Euch verabscheuen? Mein Herz ... Madame, unterbrach sie der Genius, es tut mir leid, daß Ihr es mir nicht mehr geben könnt; aber offenherzig zu sprechen! das Herz ist gar häufig nur eine Chimäre; es handelt öfters weit weniger als man denkt; ich bin hierin Philosoph geworden. So laßt uns denn sehen, worauf es ankommt, was für eine Veranlassung Euch herführt. – Wie, das wißt Ihr nicht? versetzte Neadarne. – Womit ich Euch hier die Zeit vertreiben soll, entgegnete Schonkilje, das weiß ich, weshalb Ihr aber Eure Zuflucht zu mir nehmt, ist mir unbekannt. Ich heile so vielerlei, daß ich selbst nicht alle meine Eigenschaften weiß.

Habt Ihr nicht noch ein anderes Heilmittel? fragte Neadarne. – Nein, Madame, antwortete der Genius; und Ihr seid die Einzige, die ich den Wunsch habe äußern hören, daß ich mich eines anderen bedienen möchte. So laßt uns denn endlich sehen, was Euch fehlt. – Ein Schaumlöffel ... – Wie, ein Schaumlöffel! unterbrach er. Die Krankheit kommt mir gar seltsam vor. – O, erwiderte Neadarne, mein Abenteuer ist die erstaunenswürdigste Geschichte von der Welt; ich werde es aber nie über mein Herz bringen können, Euch davon zu unterrichten. – Tut nichts, sagte der Genius; vielleicht heile ich Euch ohne sie. Inzwischen würde es besser sein, wenn ich bestimmt wüßte, wogegen ich zu arbeiten habe.

So sollt Ihr denn wissen, fuhr die Prinzessin fort, daß vermöge des eben gedachten Schaumlöffels der Prinz, mein Gemahl, alles verlor und ihm nichts als dies Instrument übrig blieb. Seitdem hat er wieder erlangt, was verschwunden war; allein mir meinerseits sind Zufälle begegnet ... Euch ist nicht unbekannt, daß der Ehestand gewisse Obliegenheiten, gewisse unumgängliche Erfordernisse hat ... – Ich müsse Euch nie zu etwas nützlich sein, rief Schonkilje, wenn ich im Geringsten verstehe, was Ihr mir sagt! Was will der Schaumlöffel sagen, vermöge dessen man verliert, was man hat; und was hat der mit den Obliegenheiten, den unumgänglichen Erfordernissen des Ehestandes gemein? Sprecht deutlicher mit mir, ich beschwöre Euch. – Neadarne, die durch des Genius Bitten nunmehr schon dreister geworden war, entdeckte ihm Punkt für Punkt, nicht ohne Erröten, wovon die Rede war.

Euer Zustand ist unbehaglich, erwiderte Schonkilje lächelnd; allein es wird leicht sein, Euch da herauszuziehen; Eure Krankheit ist gleichwohl sonderbar; und seit ich Kenntnis von mir habe, ist mir nie eine solche Krankheit unter die Hände gekommen. Demungeachtet verzweifle ich nicht; allein, Madame, ich befürchte, daß Eure Unfolgsamkeit gegen mein Heilmittel dessen Wirkung fruchtlos mache. Könnt Ihr Euch nicht eine weniger gräßliche Idee davon machen? Ich tadle Eure Empfindsamkeit nicht, aber man muß auch ...

Nun wohl, gnädiger Herr, versetzte Neadarne, wenn Ihr meine Delikatesse nicht verdammt, so fordert auch nicht das von mir, was mir so mißfällig ist. – Ich fordere nichts, Madame, erwiderte Schonkilje; es hängt von Euch ab, meine Dienstleistungen anzunehmen oder auszuschlagen. Von diesem Augenblick an steht es bei Euch, abzureisen. – Ich würde aber eine vergebliche Reise gemacht haben, sagte Neadarne. – Es liegt nur an Euch, daß sies nicht ist, antwortete der Genius. – Grausamer! rief sie und ihr Gesicht war in Tränen gebadet. – Himmlische Prinzessin, entgegnete er, indem er aufstand, werdet Ihr denn nichts über Euch selbst vermögen können und werde ich denn immer in Euch dringen müssen, an Eurem Glück zu arbeiten? – Brechen wir das Gespräch ab, sagte die Prinzessin, es setzt mich in Verlegenheit. – Ich würde Euch in noch größere Verlegenheit setzen, erwiderte Schonkilje, wenn ich gar nicht mehr mit Euch reden wollte, allein ich kenne meine Pflichten zu gut, um diese Unhöflichkeit zu begehen, und ich weiß, daß ich Euch immer das zu entreißen scheinen muß, was Eure Huld mir unstreitig gewähren wird. Bemüht Euch indes, mich nicht zu hassen, und verschönert jetzt durch Eure Gegenwart die Feste, die ich Euch habe zubereiten lassen. Hierauf nahm der Genius die Hand der Prinzessin, nicht ohne sie stärker zu drücken, als sies gewünscht hätte; sie errötete wegen der Freiheiten, die er sich nahm, ließ sich aber doch von ihm führen, in der Hoffnung, daß es dabei sein Bewenden haben sollte.


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