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Calle Portugese war just die Stadt, der die Knaben sich jetzt mit raschen Schritten näherten. Ein imponierender Ort war es wahrlich nicht; eine alte, katholische Kirche, mit einer buckelförmigen Kuppel mitten auf dem Rücken, ein flachgedecktes, weißes Zollgebäude und zehn bis zwölf andere Häuser lagen in einer Reihe dem altmodischen Steinquai gegenüber, und hinter diesem zentralen Teil breitete sich in grauer Einförmigkeit die Neger- und Indianerstadt aus – lauter kleine, palmengedeckte Hütten.
Auf die beiden jugendlichen Flüchtlinge aber, die so lange nur Urwälder vor Augen gehabt hatten und für die die elendeste Blockhütte ein besonderer Anblick gewesen war, wirkte Calle Portugese wie eine Großstadt, ein Zentrum der Zivilisation.
Die moosbewachsene, kleine Kirche erweckte ihre Bewunderung, aber an dem Zollgebäude schlichen sie bangen Herzens vorbei, denn zwei uniformierte Männer saßen hinter dem offenen Fenster und starrten neugierig hinter den fremden Jungen her.
Das nächste Haus in der Reihe aber war gerade der Ort, den sie suchten; denn auf dem Dach war ein Schild angebracht, mit dem prangenden Namen: »Grand Hotel de Panama,« und in einem der Fenster des Parterres stand zu lesen » English spoken.«
Die Knaben nahmen allen Mut zusammen und gingen durch die Tür. Peter natürlich voran.
Das Parterre war eine sinnreiche Kombination von Café und Laden, und der Besitzer des Hauses, Mister Daniel Smith, dessen rotbärtiges Gesicht, mit blauer Brille vor den hellen, sonnenmüden Augen, über ein ungeheures Hauptbuch auf dem Pult hervorragte, war der betriebsamste Kaufmann und einzige Hotelwirt der Stadt.
Herr Smith war ein Mann, der nur das eine Ziel hatte: Geld zu verdienen. Er mischte sich nie in die privaten Angelegenheiten seiner Gäste, eine Politik, die sich an diesem Ort, wo mindestens jeder dritte Mann ein Spitzbube und jeder fünfte reif für den Galgen war, besonders gut bewährte.
»Können wir ein Zimmer bekommen?« fragte Peter, in seinem besten Englisch und mit einem würdigen Gesicht.
»Soviel Ihr wollt, mein lieber Freund,« antwortete Herr Smith überlegen und herablassend. »Die Frage ist nur, ob Ihr es bezahlen könnt.« Er kratzte sich seinen roten Vollbart und sah mit Mißtrauen auf die beiden verstaubten Burschen herab, die allerdings nicht den Eindruck machten, als ob sie Millionäre seien.
»Wir möchten ein Zimmer mit zwei Betten und Beköstigung haben – wieviel macht das täglich?«
»Das macht anderthalb Dollar für jeden – und die Bezahlung wird immer voraus entrichtet.«
Peter steckte die Fäuste in die Hosentaschen und machte ein beleidigtes Gesicht:
»Wir pflegen nicht zu betrügen, und ob wir hinterher bezahlen, oder vorher, das ist mir ganz Wurst« – wieviel macht es pro Tag in Pesetas, ich meine in Gold.«
Die Zinndose mit den rasselnden Goldstücken kam an den Tag, und Peter nahm einige Münzen heraus, die von seiner flachen Hand dem Hotelwirt in die blauen Augen stachen.
»Ih, das ist eine ganz andere Sache – Sie müssen wissen, hier kommen so viele, die man nicht kennt – – – sagen wir also fünf Pesetas für jeden pro Tag – in Gold.«
Peter gab ihm eine Münze: »Bitte, hier ist für die ersten zwei Tage – aber es muß das beste Zimmer sein.«
Herr Smith wurde jetzt die Höflichkeit selber und bald darauf waren die Knaben in einem großen, luftigen und verhältnismäßig gut möblierten Zimmer, mit einem Balkon zum Fluß, installiert. Zwei Eisenbetten mit Moskitonetzen über schneeweißen Bettüchern, Waschtische und eine große Blechbadewanne, das waren Herrlichkeiten, bei deren Anblick Fritz beinahe bis an die Decke sprang, als das flachnasige, ebenholzschwarze Stubenmädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Was für ein Zimmer und was für ein Balkon – und eine Badewanne – und ein Bett für jeden! Peter, mir ist, als wären wir im Paradies.«
Peter aber war damit beschäftigt, die Schlösser zu den beiden Türen zu untersuchen, ob sie auch ordentlich zu schließen seien.
»Gott sei Dank, daß wir die Moneten des Kapitäns haben – der englische Lümmel hätte uns keinen Tropfen Wasser gegönnt, wenn wir zwei arme Luder gewesen wären, darauf kannst Du Gift nehmen.«
»Bist Du hungrig, Peter? Ich kann es fast nicht mehr aushalten. Was hast Du zum Abendbrot bestellt?«
»Bestellt – woher sollte ich wissen, was hier zu haben ist; ich habe nur gesagt, daß wir in einer halben Stunde essen wollen. Was meinst Du, wenn wir uns erst etwas waschen würden. Es liegt Seife auf dem Waschtisch.«
Im Handumdrehen saßen die beiden nackten, sonnenverbrannten und schmutzigen Knaben in der großen Badewanne und schäumten von Seife.
»Ha! Wie ist es herrlich, wieder rein zu werden – wir müssen uns eine Nagelbürste kaufen, Peter, und Zahnbürsten – ich habe seit unserm Schiffbruch meine Zähne nicht mehr geputzt.«
»Du mußt immer gleich den Grafen spielen, aber mir ist es recht, laß uns nur vornehm tun – wir können es uns ja erlauben!«
Eine halbe Stunde später fielen die reingewaschenen Jungen mit einem solchen Appetit über das Mittagessen her, daß selbst der Mulattenkellner staunte, der es doch sonst an Gefräßigkeit mit jedem ausnehmen konnte; Reissuppe, gekochter Flußaal, Schildkröte mit gestobtem Mais und eine Schale mit Früchten – Bananen und blauen Feigen – verschwanden in Peters und Fritz' ausgehungertem Magen.
Die Schüsseln ließen sich leicht hinaustragen, denn es war buchstäblich kein Bissen von den Gerichten übriggeblieben. Eine Flasche Bier verschwand denselben Weg wie das Essen; Fritz sprang in die Höhe, als er die Etikette sah: Echtes Münchner Pschorr-Bräu. Das waren die ersten deutschen Worte, die er sah, seit sie die Briefe im Dom von Cadix gelesen hatten, und das war schon so lange, lange her; es konnten ebenso gut zwei Jahre her sein, anstatt knapp zwei Monate, wie es in Wirklichkeit war.
Aber wie das Essen ihnen geschmeckt hatte und wie herrlich satt sie waren!
»Wenn wir jeden Tag so essen, wird er nicht viel an den fünf Pesetas verdienen,« meinte Peter, »aber das ist diesem englischen Geldmacher gut.«
Kaum war die Mahlzeit beendet, als sie so von Müdigkeit überwältigt wurden, daß sie beim Kaffee kaum ihre Augen mehr aufhalten konnten. Nachdem sie ihn getrunken hatten, gingen sie auf ihr Zimmer, verschlossen die Türen sorgfältig, entkleideten sich schnell und streckten ihre müden Glieder zum erstenmal seit der Abreise von Flensburg in einem richtigen Bett.
»Ach, wie lieg ich schön,« klang es aus Fritz' Moskitonetz; ein gewaltiges Gähnen war Peters Antwort, und dann schliefen sie beide sänftiglich ein.
* * *
Der nächste Tag war einbringend für Mister Daniel Smith, denn seine beiden Einlogierer machten nach dem Frühstück einen bedeutenden Einkauf: Einen soliden Koffer mit Patentschloß, alle möglichen Toilettesachen, Hemden und Strümpfe, zwei ganze Anzüge, die von dem chinesischen Schneider des Ortes allerdings etwas eingenäht werden mußten. Alles wurde bar mit roten Goldstücken bezahlt. Mister Smith behandelte sie nicht mehr so von oben herab, sondern mit ausgesuchter Höflichkeit, aber mit einem Anstrich von Gemütlichkeit, der jedoch Peter, dem ängstlichen Wächter seiner eigenen Würde, durchaus nicht gefiel.
Als Fritz gerade vor dem Spiegel eine weiße Seemannsmütze probierte, fiel sein Auge auf ein weißes Schild. Dort stand mit roten Buchstaben: Hamburg–Südamerikanische Dampfschiffahrt-Gesellschaft. Darüber war ein Ozeandampfer in blau, und darunter standen Namen von Schiffen und Städten. Ein schwarzes Bleistiftkreuz bezeichnete die Stelle, wo Calle Portugese stand.
»Peter, sind wir nicht im August? Ich habe keine Ahnung, welches Datum wir haben – am zehnten kommt ein Dampfer her.«
Herr Smith unterrichtete sie, daß es der achte sei und daß der Dampfer »Rhenania« in den nächsten Tagen auf der Heimreise nach Hamburg erwartet würde. Er sei selbst Agent für die Linie.
»Wünschen Sie vielleicht Billete für Hamburg,« fragte er diensteifrig, »das macht zweihundert Franks für die erste Klasse, wenn Platz da ist – die zweite Klasse kostet 120, Kinder die Hälfte!« Hm! Hm! Nichts für ungut, es sollte nur ein kleiner Witz sein,« so floß es honigsüß von den englischen Lippen. Fritz sah Peter an und lächelte, mit blitzenden Augen; Peter aber blickte ihn warnend an.
»Wir wollten eigentlich den entgegengesetzten Weg – uns etwas umsehen,« antwortete er mit einer Miene, als ob er die Lage genau wäge, »aber wenn der Dampfer empfehlenswert ist –«
»Die Rhenania!« Ein erstklassiger Dampfer, ausgezeichnete Kajüten – tadellos tüchtiger Kapitän – – –«
Peter aber zog Fritz aus dem Laden ins Freie, er konnte nicht länger an sich halten, er mußte sich über das großartige Glück freuen und Peter zeigte seine starken Zähne in einem breiten Lachen, während Fritz jubelnd die Straße hinunterhüpfte, zum Entsetzen der schwarzen Schweine, die sich auf der Straße herumtrieben.
»Mit einem Dampfer nach Hause, geradeswegs nach Hamburg! Hurrah, Peter, das ist famos! – Wenn wir nur nach Hause telegraphieren könnten.«
»Telegraph gibts nicht – ich hab den Engländer heut Morgen gefragt; und die Post geht natürlich mit demselben Dampfer wie wir, also schreiben kann auch nichts nützen – Gott, was wird das für eine Freude geben!«
»Was wollen wir mit dem Boot machen, Peter – wollen wir uns nicht mal danach umsehen?«
»Nein, Du, wir wollen warten, bis der Dampfer kommt und dann gleich an Bord rudern. Es geht nicht, daß wir all die Schießwaffen hier im Hotel zeigen – der Engländer betrachtet schon unser Gold mit Mißtrauen.«
»Na, ich glaube eher, er freut sich, daß er es bekommt,« meinte Fritz. »Aber was wollen wir denn machen, wollen wir uns nicht die Haare schneiden lassen, wenn es einen Friseur gibt.«
Sie fanden einen. Er war alt und schwarz und wohnte in einer gewöhnlichen Negerhütte, aber die Jungen hatten es sehr nötig unter die Schere zu kommen, und bald lagen hellbraune und rote Haarlocken in brüderlichem Verein um den Friseurstuhl.
* * *
Außer dem weißen Raddampfer hatten nur drei Schonerbriggs im Fluß längs des Quais gelegen. Als die Knaben aber am nächsten Morgen erwachten, und von ihrer Balkontür übers Wasser blickten, entdeckten sie zu ihrer unsagbaren Freude, einen stattlichen, schwarzen Dampfer, von dem die deutsche Flagge wehte. Er mußte bei Tagesgrauen gekommen sein. Im Handumdrehen waren sie angekleidet.
Unten im Café stand das Frühstück auf kleinen Tischen bereit und die Jungen wollten sich gerade über die weichgekochten Eier hermachen, als eine breitschultrige Gestalt hereintrat.
Daß es ein Dampfschiffskapitän war, sahen sie gleich an der militärischen Mütze mit den schmalen Goldtressen, und daß es ein braver und liebenswürdiger Seemann war, das leuchtete ihm aus seinem biederen, sonnenverbrannten Gesicht mit dem dichten, braunen Backenbart und den lächelnden, blauen Augen. Er nahm dicht neben Peter und Fritz an einem Tisch Platz und bestellte auf Spanisch eine Flasche Bier.
Peter stieß Fritz unterm Tisch an: »Der ist gewiß vom Dampfer, Du!« Fritz antwortete ganz laut: »Ach, wenn ers doch wäre, ich finde, er sieht so furchtbar nett aus.«
»So, findest Du?« fragte der Fremde in heimatlichem, holsteinischem Dialekt und wandte sich zu Fritz um, der vor Entzücken in die Höhe sprang. Peter fuhr sich riesig verlegen mit seinen Händen durchs Haar.
»Wie in aller Welt, kommt denn Ihr, zwei deutsche Jungen, in dieses Pestloch? Und wo wollt Ihr hin?«
»Wir wollten gern nach Hamburg – mit dem Dampfer –« stammelte Fritz, hochrot im Gesicht, »wir können die Reise bezahlen.«
»Alle Wetter,« lachte der Kapitän, »ja, es ist Platz genug in der Kajüte, oder wollt Ihr Deckplatz haben? He?«
Fritz sah Peter an. »Nein, wir können die erste Kajüte bezahlen – wollen Sie uns mitnehmen, Kapitän?«
»Na, aber sicher, in einer halben Stunde aber müssen wir fort; hier gibts ja nicht zwanzig Tonnen Waren an Bord zu nehmen. Könnt Ihr Euer Zeug gleich zusammenpacken und mit mir an Bord gehen?«
Das Frühstück wurde in aller Eile beendet, die Knaben rasten die Treppe hinauf um zu packen. Sie hatten Zeug genug, um den Koffer zu füllen und der Sack wurde auch noch voll.
»Aber die Jolle, Peter, was sollen wir nun mit der Jolle machen?«
»Tja, wir müssen sehen, daß wir sie holen, das kann höchstens eine Stunde dauern, ich will mal mit dem Kapitän darüber sprechen.« Peter ging ins Café hinunter.
Fritz packte inzwischen fertig und verschloß den Koffer gut, denn alle seine Schachteln mit den Schmucksachen lagen ja darin, von den Revolvern gar nicht zu reden. Das neue Zeug mußte hübsch zusammengelegt werden; das alles nahm Zeit. Da hörte er Peters Schritte – –. »Na, was hat er gesagt – – was ist denn los?«
Peter sah ganz verstört aus und hatte große Schweißperlen auf der Stirn.
»Wir müssen die Jolle im Stich lassen, Fritz, das ist 'ne faule Geschichte – – also höre: Wie ich ins Café komme, sitzt der Kapitän da und liest dem Wirt aus einer englischen Zeitung vor – mich sahen sie glücklicherweise nicht – die ganze Geschichte vom »Don Carlos« und dem Kanonenboot gab er zum Besten, und der Aufruhr soll ausgebrochen sein; er hatte die Zeitung aus Caracas, wo der Dampfer gerade gewesen ist – –«
»Na, aber was weiter, sie können doch nicht wissen, daß wir vom »Don Carlos« sind.
»Weißt Du nicht mehr, Fritz, daß ich den Namen auf die Jolle gemalt hab? Da steht »Don Carlos« auf beiden Seiten des Stevens.«
»Himmlische Güte, das ist wahr, dann müssen wir sie lieber liegen lassen. Wie schade, denn ich hatte mich so darauf gefreut, das liebe, alte Boot wieder nach Flensburg zu bringen. – Stell Dir vor, Peter, wenn wir wieder Dorsche in der Jolle pilken könnten.«
Dabei aber ließ sich nichts machen, die Jolle mußte bleiben, wo sie war. Die Knaben eilten zu Mister Smith hinunter, der ihnen zwei Billette erster Klasse für 400 Franks aushändigte. Ihr Gold hätte ordentlich Beine bekommen, wie Peter meinte, aber sie hatten ja noch die Geldscheine.
* * *
Die »Rhenania« lichtete den Anker und dampfte aus der Flußmündung heraus. Bald lag Calle Portugese wie ein weißer, sonnenbeschienener Streifen zwischen den hohen Wäldern. Aber vor ihnen brauste das Meer, das richtige, salzige Meer mit frischem Wind über den schaumgekrönten Wellen. Noch war das Wasser gelb wie der Fluß, aber lange dauerte es nicht, da wurde die Farbe reiner und immer blauer und blauer.
Peter und Fritz standen achtern und blickten zu dem schwindenden Land hinüber. Wie ein böser Traum lag alles Erlebte hinter ihnen. Keine Gefahren drohten mehr; dort, wo sie hinzogen, gab es weder blutdürstige Aufrührer, halbwilde Indianer, große, scheußliche Krokodile noch unheimliches Raubtiergebrüll in dunklen Urwäldern. Das frische, salzige Meer, der große, solide Dampfer, der seine zehn Knoten lief – in drei Wochen waren sie in Hamburg!
Wie hatten sie es gut an Bord!
Achtern lagen die Salons für die Passagiere mit einem großen Promenadendeck. In der Mitte war der große Speisesaal, in dem bequem zwanzig Personen sitzen konnten. Dort waren auch die Schlafkajüten. Peter und Fritz hatten jeder eine, denn es waren nicht viele Passagiere an Bord. Ein kleiner Kajütenjunge, genau so einer wie Plumps-August, bediente; viermal am Tag gab es reichlich zu essen und jeden Morgen ein salziges Brausebad im Badezimmer. Der Kapitän hieß Petersen und war aus Kiel gebürtig; und all die andern an Bord waren Deutsche, liebenswürdige, dicke, echte Hamburger.
Was war es für ein himmlisches Gefühl, auf einem deutschen Schiff zwischen lauter Deutschen zu sein, seine eigene Sprache zu hören und noch dazu das breite, heimatliche Norddeutsch.
Es dauerte nicht lange, bis Kapitän Petersen das ganze Vertrauen der beiden Knaben gewonnen hatte. Er hatte so eine derbe, vergnügliche Art, und Peter betrachtete ihn außerdem als seinen Vorgesetzten. Schon am zweiten Tag nach der Abreise hatte Fritz ihm die ganze Geschichte erzählt: Von dem Schiffbruch der »Anne-Marie,« der abenteuerlichen Reise den Fluß hinauf und der glücklichen Flucht. Der Kapitän wollte seinen Ohren kaum trauen, als aber Peter ihm nachher dasselbe erzählte, zweifelte er nicht mehr.
Nach dem Mittagessen zum Kaffee schenkte er den Knaben leckeren, süßen Likör ein, stieß mit ihnen an und sagte:
»Ihr seid ein paar forsche Jungen, und der liebe Gott ist mit Euch gewesen. Aber für eines müßt Ihr ihm besonders dankbar sein: daß ich mit dem Dampfer gekommen bin und Ihr Calle Portugese den Rücken wenden konntet. Denn wenn jemand entdeckt hätte, daß Ihr an Bord des »Don Carlos« gewesen seid, wäret Ihr ins Gefängnis geworfen und nicht lebend wieder herausgekommen; außerdem ist die Stadt das schlimmste Pestloch in ganz Südamerika. Dort ist immer gelbes Fieber und Malaria, und es ist als ein Wunder zu betrachten, daß Ihr nicht schon auf der Nase liegt – – Prost, Jungens, möge es mir vergönnt sein, Euch wohlbehalten nach Hause zu bringen!«
Es leuchtete nicht wenig Bewunderung aus dem Blick des Kapitäns, als er mit Peter und Fritz anstieß und er sagte halblaut zu sich selbst, »ja, ja, es gibt doch noch fixe, deutsche Jungens im Vaterlande!«
Aber wie die Tage vergingen, wurde Peter mürrisch und übellaunig, er langweilte sich, und es dauerte nicht lange, da erklärte er, er könne es nicht länger aushalten, er müsse etwas zu tun haben und darum ging er auf Wache mit den andern, hatte seinen Rudertörn, maß die Sonne zur Mittagszeit und nahm an der Arbeit an Bord teil, ebenso wie die übrigen Matrosen. Wieder zog die Freude in sein Gemüt ein, wieder leuchtete sein sommersprossiges Gesicht vor stillem Wohlbehagen.
Fritz war nicht so arbeitsfreudig; wohl stand er des Morgens um sechs Uhr auf, lief mit bloßen Beinen auf Deck umher und half beim Spülen, im übrigen aber befand er sich sehr wohl bei Essen, Trinken, Schlafen und Lesen; und der Grund war der, daß sein zarter Körper mehr unter den Strapazen auf dem Fluß gelitten hatte, als der des abgehärteten Peter. Aber die Seereise stärkte ihn.
Den 28. August fuhr die »Rhenania« in den Kanal ein und jetzt ging es mit guter Fahrt längs der englischen Küste nach Osten. Drei Tage noch, da glitt der Dampfer die Elbe hinauf, an Blankenese vorbei, wo die Badegäste die Zurückkehrenden mit Taschentuchwinken begrüßten, und legte in dem großen Quai der Dampfschiffahrtslinie im Hamburger Hafen an.
Wieder betraten Peter und Fritz deutschen Boden und nur wenige Stunden trennten sie noch von Flensburg. Die »Rhenania« lief gegen Abend in den Hafen ein, sie hatten aber beschlossen, die Nacht noch an Bord zu bleiben und erst am nächsten Vormittag nach Flensburg weiterzufahren. Denn sie wollten erst ein Telegramm an die Lieben in Flensburg absenden. Dies hatten sie sich auf der Reise gründlich überlegt. Es war ihnen klar, daß alle zu Hause sie tot und ertrunken glaubten. Wenn nun Tante Minchen und Madam Most die Nachricht von ihrer Heimkehr gar zu plötzlich erführen, konnte es den alten Menschen das Leben kosten; und der Zollkontrolleur, der einen Herzfehler hatte, das ging ja gar nicht an. Nein, Fritz hatte es so am richtigsten gefunden: Wir telegraphieren an Onkel Brummer, dann kann er die Bewohner von Villa Thule auf die frohe Nachricht vorbereiten.
Der Kapitän ging selbst mit ihnen zum Telegraphenamt und dort wurde folgende Depesche aufgegeben:
Reeder Brummer, Flensburg.
Sind nach Hamburg gekommen mit Dampfer »Rhenania«,
beide wohl, morgen in Flensburg. Vorbereite Thule.
Fritz Klenow. Peter Most.
Nachdem das besorgt war, und sie etwas Geld gewechselt hatten, führte der Kapitän sie in das Restaurant von Kempinsky an der Alster, um dort das letzte Mittagessen mit ihnen festlich zu begehen. Die Freude war groß; die Knaben lachten und schwatzten durcheinander vor lauter Jubel darüber, daß sie morgen Vater und Mutter und Tante Minchen wiedersehen sollten; und der gute Kapitän saß ganz still dabei, mit feuchten Augen, gerührt über diesen Jubel. Er hatte beide Knaben liebgewonnen und ihr Anblick erschien ihm wie ein leibhaftiges Abenteuer, dessen Schluß er gern miterlebt hätte. Aber das ging nicht an. Er bekam von Fritz das feierliche Versprechen, daß er ihm schreiben wolle, wie alles abgelaufen sei; und er sollte von ihnen beiden eine Photographie bekommen.
Dann kehrten sie an Bord des Dampfers zurück und legten sich zum letztenmal auf der »Rhenania« in ihre Koje. Der Kapitän hatte sie mit einem guten Glas Rotwein traktiert und darum schliefen sie trotz der freudigen Erregung auf der Stelle ein.