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Da der Fluß ins Meer lief, und wahrscheinlich auf dem kürzesten Weg, so meinte Peter, daß sie nichts Besseres tun könnten, als das Boot mit dem Strom treiben zu lassen.
Es hatte keinen Zweck sich mit Rudern anzustrengen, wenigstens vorläufig nicht.
Gegen Mitternacht ging der Mond auf, das erhellte die waldbekleideten Flußufer angenehm; das Boot war dicht und trocken, die Luft mild, es war ein guter Anfang.
Peter hatte die erste Wache, er saß achtern, nahm einen Riemen zur Hand, wenn sich etwas ereignen sollte, und Fritz streckte sich unter die Ruderbänke auf den Boden der Jolle, in Pampinas wollene Bettdecke eingehüllt, den Kopf auf einem Bündel Kleider. Bald schlief er sanft.
Peter aber saß und summte vor sich hin, während er eine von Don Pedros spanischen Zigaretten rauchte; davon hatte er eine ganze Kiste mitgenommen. Zum erstenmal seit langer Zeit fühlte er sich froh und leicht ums Herz. Er dachte an seine alte Mutter, Madam Most, zu Hause in Flensburg; wenn alles gut ging, konnte es nicht länger als einen Monat dauern, bis er sie wiedersah; was würde das für eine Freude geben – besonders wenn er Fritz wohl und gesund mitbrachte! – Und Geld hatte er ja auch. »Ach, wie ist der liebe Gott gut,« sagte Peter ganz laut und faltete die Hände um den Riemen; er fühlte einen unbezwinglichen Drang, dem lieben Gott zu danken und ihn um seine Hülfe und seinen Beistand zu bitten, damit er und Fritz zu ihren Lieben in Flensburg zurückkehren konnten; und dann betete er das Vaterunser. Gerade war er zum Amen gekommen, da fiel eine Sternschnuppe vom dunklen Nachthimmel. – Jetzt wußte Peter bestimmt, daß Gott seine Bitte erhört hatte.
* * *
Als die Sonne aufging, war jede Spur eines menschlichen Daseins verschwunden, keine Hütte, kein bebautes Land war mehr zu sehen, nur Wald und wieder Wald. Es war nicht leicht einen Landungsplatz zu finden und Peter meinte, sie müßten vorsichtig sein, weil niemand wissen könne, was hinter den großen Bäumen an Land lauere.
Fritz war auch nicht sehr für einen Landgang, er hatte gerade ein Krokodil zwischen dem Schilf gesehen und hatte einen entschiedenen Respekt vor diesen unheimlichen Amphibien, die oft länger waren als die Jolle.
Darum blieben sie im Boot sitzen. Aus der Bettdecke, die sie an einem Bootshaken und einem Riemen befestigten, machten sie ein Sonnensegel, packten den Proviant aus und aßen ein gutes Frühstück. Darauf ordneten sie den ganzen Inhalt des Bootes, jedes Ding sollte an seinem bestimmten Platz liegen und besonders mußten die Waffen handgerecht untergebracht werden.
Sie hatten außer zwei Revolvern, einen Karabiner und eine doppelläufige Hagelbüchse mitgenommen, samt Patronen im Ueberfluß. Aber das Wichtigste: der Schrein, zwei Flaschen Wein und die Schwefelhölzer wurden in dem kleinen Raum achtern versteckt.
Als das besorgt war, war Peter müde und schläfrig, da er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Er legte sich auf den Boden des Bootes und schlief, während Fritz Wache hielt.
Die Jolle glitt mit guter Fahrtgeschwindigkeit den Fluß hinab. Meistens hielt sie sich in der Mitte des Stromes. Wenn aber eine plötzlich vorspringende Landzunge oder ein umgestürzter Baumstamm die Fahrt hindern zu wollen schien, genügte ein Schlag mit dem Riemen, um die Schwierigkeit zu überwinden.
Gegen Nachmittag wurden die Knaben wieder hungrig und beschlossen eine Stelle zu suchen, wo sie übernachten konnten, denn wiederum die ganze Nacht auf dem unbekannten Wasser zu treiben, war gar zu gewagt. Ihre Beine waren ganz steif von der unbequemen Stellung im Boot und der Körper tat ihnen weh von dem harten Holz.
Etwas weiter fort lag eine kleine Insel, nicht viel größer als eine Sandbank und mit Gebüsch bewachsen. Das war die beste, die sie bis jetzt gesehen hatten und eignete sich trefflich zum übernachten.
Die Riemen wurden ausgelegt und das Boot aus dem Strom auf den gelben Flußsand gerudert; dort sprangen sie an Land und zogen die Jolle aufs Trockne. Es war wohltuend die Beine zu strecken und hier konnten sie sich eine gute Mahlzeit kochen. Erst aber galt es, die Insel abzusuchen; es konnten Gefahren zwischen den Büschen lauern.
Die geladenen Revolver in der Hand drangen die Knaben in das Gebüsch ein und untersuchten die Insel aufs Genaueste. Lange Zeit brauchten sie nicht dazu, denn die ganze Sandbank war nicht viel größer als ein gewöhnlicher Bauerngarten. Nichts Lebendes ließ sich entdecken.
Auf dem höchsten Punkt der Insel schafften sie Platz mit der Art und Peters spanischem Messer. Dort sollte ihr Lagerplatz sein. Hier trugen sie den Proviant her, die Decke und was sie sonst noch gebrauchten; dann sammelten sie Brennholz. Es lagen genug alte, sonnengetrocknete Zweige und verwelkte Blätter herum. Sie gruben ein Loch in den Sand und steckten drei frische Zweige um die Feuerstelle, daran wurde der gefüllte Wasserkessel aufgehängt und dann wurde das Feuer angezündet. Es war nicht leicht das Wasser zum Kochen zu bringen, denn der Wind wehte die Flamme zur Seite und der Rauch brannte in den Augen. Schließlich aber war es so weit. Eine Dose mit konserviertem Beef wurde gewärmt und schmeckte herrlich zu Schiffszwieback und Wein. Peter und Fritz wurden wunderbar satt, ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr kannten; der Kaffee wurde gemacht, das heißt, Kaffeepulver wurde in das kochende Wasser gegossen. Das Getränk war etwas dünn, aber sehr belebend. Tassen und Zucker gehörten mit zu ihrer Ausrüstung, Löffel aber fehlten. Dafür gab es Zweige im Ueberfluß und die eigneten sich wunderschön zum Umrühren. Peter und Fritz waren sich einig, daß sie lange nicht so herrlich gespeist hatten.
Peter zündete sich eine Zigarre an und dann begann eine längere Beratung.
Zwischen den vielen nützlichen Sachen, die der praktische Steuermann mitgenommen hatte, war auch ein kleiner Kompaß, Don Pedros Taschenuhr und eine Flußkarte. Diese wurde auf dem Sand ausgebreitet, der Kompaß aufgestellt und da lagen nun beide Jungen auf dem Bauch und studierten die Lage.
Peter maß mit einem Schwefelholz die Entfernung von dem Ort, wo der Dampfer geankert hatte, bis zur Küste. Viel weiter, als anderthalbhundert englische Meilen konnte es nicht sein, und mit zwei Meilen Strom war also ungefähr der vierte Teil der Entfernung zurückgelegt. Der Ankerplatz war auf der Karte als »Santa Cruz« bezeichnet, und von dort lief der Fluß zur Küste, bis er bei einer Stadt, die »Calle Portugese« hieß, mündete. Wenn sie dort nur ein Schiff antreffen würden!
Die Knaben beschlossen, am nächsten Tag zu rudern, dann würde es schneller gehen. Hier auf der Insel wollten sie die Nacht über bleiben, aber sie bestimmten, daß sie im Boot schlafen wollten, um im Falle der Gefahr schnell fortkommen zu können. Der eine sollte Wache halten, während der andere schlief.
Es fing an dunkel zu werden, die Sterne tauchten nach und nach auf, und die Moskitos fanden sich ein und schwirrten wie kleine Pfeile durch die Luft. Bald stachen sie sie auf den Beinen, bald am Hals. Es war fast nicht zum aushalten. Glücklicherweise erinnerte Fritz sich, daß er – trotz Peters Protest – das Moskitonetz mitgenommen, das Pampina ihnen genäht hatte. Es war um die Kleider gewickelt; Fritz hatte es eigentlich mehr als Erinnerung an die alte Donna mitgenommen, als zum Gebrauch. Jetzt kam es ihnen zu statten. Es wurde über die beiden Riemen gehängt, die sie in den Sand bohrten, und schützte gut vor Mücken. Peter streckte sich unter das Netz auf die Decke, Fritz hatte die erste Wache.
Er saß mit dem Rücken gegen das Boot und wachte in der dunkeln Nacht. Moskitos schwärmten in dichten Wolken. Es war beschwerlich, sie sich vom Leibe zu halten. Aber ihre Stiche hielten ihn wach, das war ein immerhin Gutes, denn Fritz war müde.
Das Rieseln des Flusses auf dem sandigen Ufer der Insel klang einförmig und wehmütig – das Sausen des Windes über den Wipfeln der Bäume war wie ein leises Klagen. Fritz wurde es ganz unheimlich zumute. Er blickte sich furchtsam um, bei dem geringsten Laut schreckte er zusammen und griff nach der Büchse, die ihm im Schoß lag.
Als der Mond aufging wurde es besser, aber die Wälder längs der Flußufer standen wie schwarze Mauern da und warfen dunkle Schatten über das Wasser.
Leise Flügelschläge ließen sich hören, ein großer Vogel, eine Eule, flog mit jammerndem Schreien quer über das Wasser. Da plätscherte etwas zwischen dem Schilf drüben am Ufer. Fritz konnte durch sein Fernglas sehen, daß es eine Schar Schweine war, die im Morast wateten. Ihre Rüssel waren lang und gebogen – jetzt kamen sie in den Mondschein hinaus – es waren Tapiere. Fritz kannte sie von einem Besuch bei Hagenbeck in Hamburg.
Sie wateten in das Wasser hinaus und grunzten; sie waren keine hundert Meter von Fritz entfernt, der jede ihrer Bewegungen deutlich verfolgen konnte; es waren auch Junge dabei; sie sprangen herum und spielten am Ufer, während die Alten sich ins Wasser warfen und mit dem Rüssel überm Wasser schwammen. Fritz wurde ganz froh zu Mute, als er dieses friedliche Tierleben in der stillen, mondklaren Nacht sah.
Das Idyll aber wurde gestört.
Plötzlich erhob die ganze Schar ein entsetzliches Geheul; Angstgeschrei und Gegrunze vermischten sich mit dem Laut von spritzendem Wasser und Patschen im Morast. Die ganze Herde flüchtete in den Fluß hinaus und schwamm zur Insel hinüber. Vom Ufer aber ertönte Geschrei und Gejammer, wie von einem Tier in Todesangst, und der Wald hallte im selben Augenblick von einem solchen Gebrüll wieder, daß Fritz die Haare auf dem Kopfe zu Berge standen und Peter unter seinem Netz in die Höhe sprang. Gebrüll auf Gebrüll ertönte, und das Echo antwortete; anderes teuflisches Geheul klang von weiter fort. Es war, als ob die stillen Wälder plötzlich lebendig würden, erfüllt von dem Lärm und Gekreisch böser Geister.
Auf die Insel der Knaben kam die schwimmende, prustende und grunzende Tapierherde losgesteuert. Was war da zu machen? Dem Angriff von einigen fünfzig großen Tieren zu widerstehen, das war unmöglich. Peter und Fritz sprangen hinter die Jolle und lagen auf ihren Knien, die Büchsen in Bereitschaft. Da kam die Schar, galoppierend, sich überstürzend, indem sie den Sand mit ihren schweren Füßen aufwühlten. Die Insel erzitterte, Büsche krachten, quer über die Sandbank stürzte die ganze Herde; zuletzt kamen zehn bis zwölf kleine Ferkel, die in den Fußspuren der Alten vorwärtsjagten.
Peter legte die Büchse an die Backe – Bum! – knallte ein Schuß, und eines der Ferkel lag zappelnd auf dem Sand, während der Rest weiterschwamm, quer über die harte Strömung.
Peter sprang auf den kleinen Tapier zu, welcher sich im Tode wand, und mit dem Gewehrkolben versetzte er ihm einen Schlag gegen die Stirn, so daß er ganz still lag.
»Das ist ein schöner Braten für morgen,« rief der forsche Junge, »und eine gute Aufbesserung für unseren Proviant.«
Nach dem Schuß war es still geworden im Urwald. Es war, als ob der Laut der knallenden Büchse die wilden Tiere gewarnt hätte: Der Mensch ist in der Nähe, hütet Euch!
Der Rest der Nacht verstrich ohne die geringste Störung.
Als der Morgen dämmerte, standen die Knaben auf, erfrischt durch ihren Schlaf – denn der letzte Wachthabende war der Müdigkeit unterlegen und hatte auf dem trockenen, warmen Sand geschlafen. Die Mücken hatten die schlafenden Knaben schlimm zugerichtet, aber es half, als sie sich ihrer Kleider entledigten und ein Bad nahmen.
Fritz zündete wieder das Feuer an, während Peter mit seinem spanischen Messer ein Hinterbein von dem jungen Tapier abschnitt. Als das Wasser kochte, der Kaffee gemacht und das Feuer fast ausgebrannt war, legte Peter einige große, flache Steine über die qualmende Glut und darüber röstete er den Tapierschinken. Etwas verbrannt und verkohlt wurde er von außen, aber drinnen saß herrliches, gutgebratenes, hellrotes Fleisch, das vortrefflich schmeckte.
Der Rest wurde fürs Mittagessen aufbewahrt. Das Boot wurde gepackt und wieder ins Wasser geschoben; die Knaben legten die Riemen aus und dann ging es mit reißender Geschwindigkeit nach Norden. Der Strom lief eine gute Fahrt, und später bekamen sie noch einen frischen Wind von achtern. Ein viereckiges Stück Leinwand wurde als Segel gesetzt; und indem sie mit dem einen Riemen steuerten, strich das Schiff schnell und sicher mit dem Strom.
Am Abend war kein guter Landungsplatz zu finden, so daß sie sich entschließen mußten, im Boot zu bleiben. Sie vertäuten es an einem Ast, der über die Wasserfläche ragte. Erst aber schnitten die Knaben langes, weiches Schilf vom Ufer und breiteten es in einer dicken Schicht über den Boden des Bootes; da lagen sie nun weich, mit dem Moskitonetz über sich und wurden von dem leisen Schaukeln der Jolle und dem sanften Plätschern des Flusses gegen die Bootplanken, in Schlaf gelullt.
Am Morgen, als sie erwachten und gerade das Tau gelöst hatten, schien es Peter, als höre er den gedämpften Laut von fernem, aber regelmäßigem Wassergeplätscher; sollte es ein Dampfer sein? Voll Angst, daß der Caballero sie verfolgte, suchten sie sich ein Versteck und ruderten die Jolle zwischen das dichte Schilf.
Von dort konnten sie sehen, was auf dem Fluß vor sich ging; wenn Peter sich erhob, hatte er Ausblick über den Fluß, wohl eine halbe Meile nach Süden. Lange dauerte es nicht, bis sich ein weißer Dampfer zeigte, aus dessen Schornstein schwarzer Rauch lotrecht in die Höhe stieg. Aber Peter sah sofort mit seinen seekundigen Augen, daß es nicht das Schiff des Generals sei. Leichten Herzens warteten die Knaben, bis der Dampfer passiert war.
Er war sehr merkwürdig anzusehen. Ueber dem eigentlichen Deck erhob sich ein anderes, von Säulen getragen. Am Achterende drehte sich ein großes Rad wie eine Wassermühle, indem es das Wasser mit breiten Schaufeln aufwühlte.
Für Peter und Fritz, die noch nie einen Flußdampfer gesehen hatten, war dies ein seltsamer Anblick; solche Art Schiffe aber sind sowohl in Nord- wie in Südamerika ganz gebräuchlich, besonders da, wo seichtes Wasser ist, und wo Schiffe einen flachen Kiel haben müssen, so daß eine gewöhnliche Schraube oder ein Rad nicht verwendbar sind. Es waren viele Menschen auf dem Dampfer, besonders auf dem obersten Deck, wo ein Tisch mit einem Tischtuch und vielen Tellern gedeckt stand. Die Knaben wünschten sich dorthin; ach, wer doch wieder wie andere Menschen essen und auf einem Stuhl sitzen könnte!
Der Dampfer aber glitt vorbei. Peter merkte sich seine Richtung genau, denn er war überzeugt, daß sie jetzt nicht mehr weit von der Küste entfernt seien.
Als sie weiterruderten, konnten sie noch den weißen Rumpf und den schwarzen Rauch unterscheiden. Dann drehte der Dampfer nach Osten und verschwand.
Der Fluß aber erweiterte sich und glich bald einem großen See, das Segel konnte gesetzt werden, und nun ging es rasch vorwärts. Bald glitt die Jolle an einer einsamen Hütte auf einem offenen Platz im Walde vorüber, bald kam ein Kanoe mit einem Eingeborenen vorbei. Es schien, als ob diese Gegend bewohnt sei. Immer häufiger sahen die Knaben Häuser und bebaute Felder, Boote, die an kleinen Stegen im Fluß vertäut lagen und große Stapel Brennholz, die sich hier und dort am Ufer erhoben. Das deutete darauf, daß Dampfer erwartet wurden. Einmal passierten sie einen gewaltigen Prahm; drei Indianer und ein Neger brachten ihn mit Stangen vorwärts. Der Prahm war leer, aber er hatte Brennholz an Bord gehabt, das konnte man an der Rinde und an den Holzsplittern sehen, die auf dem Boden lagen. Aber weder die Indianer noch der Neger nahmen Notiz von der kleinen Jolle, die dicht an ihnen vorbeifuhr.
Diese Begegnung machte die Knaben mutiger, denn nach dem Kampf mit dem Kanonenboot war ihnen ein solcher Schrecken vor Verfolgung und Polizei in die Glieder gefahren, daß sie sich einbildeten, jeder würde sie für Räuber und Aufrührer halten und sie der Obrigkeit ausliefern.
»Ich glaube gar nicht, daß wir solche Angst zu haben brauchen,« sagte Peter, als er und Fritz die Riemen ruhen und das Boot treiben ließen, um die Begebenheit mit dem Prahm in Ruhe zu besprechen. »Sie können uns doch unmöglich ins Gefängnis stecken, wenn wir gar nichts getan haben.«
»Aber wenn die Polizei uns fragt, wo wir herkommen.«
»Wir können doch auf nichts antworten, was wir nicht verstehen, Fritz. Im übrigen kann uns doch auch niemand ansehen, daß wir von Bord des »Don Carlos« kommen. Man weiß sicher überhaupt nichts von dem Zusammenstoß mit dem Kanonenboot; Du kannst überzeugt sein, daß sie hier keinen Telegraphen haben.«
»Meinst Du, daß wir so ohne weiteres an Land gehen können?« fragte Fritz mit bedenklicher Miene. »Gesetzt, daß jemand den Schrein mit dem vielen Geld entdeckt; kein Mensch wird uns glauben, daß wir auf ehrliche Weise in dessen Besitz gekommen sind.«
Peter fuhr sich durchs Haar: »Das mit dem Schrein ist 'ne faule Sache; er ist so mörderlich schwer und das Gold wiegt auch. Wir wollen lieber alles herausnehmen und den Schrein fortwerfen – das hat uns Don Pedro ja auch ausdrücklich erlaubt.«
Es war just zu der Tageszeit, wo die Knabenmagen mit Energie ihr Mittagessen forderten. Die Jolle wurde deshalb ein gutes Stück vom Lande gerudert und durfte den Fluß hinabtreiben, die Bettdecke wurde zu einem Sonnensegel verwandt und das Essen wurde ausgepackt. Als die Mahlzeit aber beendigt war, holte Peter den Schrein hervor, denn er hatte beschlossen, daß er ihn nicht mit an Land nehmen wollte; er konnte sie verraten und ihnen Ungelegenheiten bereiten.
Es war nicht leicht, das Schloß zu öffnen, aber schließlich glückte es, und Reichtum strahlte ihnen entgegen. Peter nahm die Geldscheine heraus, da waren sowohl spanische Pesetas wie französische Franks, aber sie hatten denselben Wert. Alle Scheine lauteten auf 100 und 500, es war ein dickes Paket; und als das Zählen ihm schwer fiel, wollte er Hilfe haben und drehte sich deshalb zu Fritz um, der alle Schachteln offen vor sich hatte und ihren Inhalt betrachtete.
»Heiliger Himmel!« rief Peter aus. »das sind ja lauter Diamanten und Karfunkeln, oder wie sie sonst heißen.«
Schön waren Pampinas Schmucksachen, und viel Geld mußten sie wert sein! Das konnten die Knaben sich ausrechnen, obgleich sie die Ringe, das Armband und die beiden Broschen, die in den Etui lagen, nicht richtig einzuschätzen verstanden. Eine kleine, silberne Dose mit schwarzem Samt gefüttert, war ganz voll von Perlen, weißen und runden, so groß wie Erbsen. In einer anderen Schachtel lagen lauter farbige Steine, grüne, rote und blaue. Daraus machte Fritz sich nichts. Das Armband aber war aus Gold mit blitzenden Diamanten und die Ringe auch.
»Dies Zeug müssen wir gut verstauen, Fritz; die Schachteln können wir in unsere Zeugbündel packen, das Geld aber müssen wir auf dem Körper tragen und die alte Brieftasche auch. – Ich wollte Dich übrigens gebeten haben, mir beim Zählen der Geldscheine zu helfen. Es ist eine mörderliche Masse. Nimm Du die Hälfte und zähl.«
Fritz kam zu dem Resultat, daß er 4600 Franks in seinem Haufen hatte und Peter hatte 7000.
»Wieviel ist das zusammen – laß mal sehen – 11 600, das ist kolossal, und außerdem sind noch tausend Franks in Gold da. – Wären wir nur erst mit all den Moneten zu Hause.«
Peter saß eine Weile nachdenklich da, dann rief er aus: »Du mußt mir etwas versprechen, Fritz, gib mir Deine Hand darauf!« Fritz reichte ihm seine Hand und sah ihn fragend an.
»Du sollst die Hälfte des Geldes haben, wenn wir nach Hause kommen,« sagte Peter mit großer Bestimmtheit.
Fritz aber protestierte. Peter sollte es selbst behalten.
»Bedenke, wie arm Deine Mutter ist und mein Alter hat Geld genug.« Peter aber war wie gewöhnlich eigensinnig.
»Du hast mir Deine Hand darauf gegeben, Fritz, und Du mußt Dein Wort halten.«
»Ja, das ist wahr, aber dann mußt Du auch die Hälfte von diesen Dingern annehmen, die Pampina mir geschenkt hat – willst Du mir Deine Hand darauf geben?«
Peter streckte seine Hand zu Fritz hinüber, damit war dieser Pakt geschlossen.
Es war eine ordentliche Arbeit, die Schachteln in ein Paar Unterhosen zu verstauen und diese in das übrige Zeug einzuwickeln; aber noch schlimmer war es, die Geldscheine und die Brieftasche zu verstecken. Die Knaben aber fanden einen Ausweg. Beide Teile wurden in Taschentücher eingehüllt und mit einer Schnur sorgfältig umwickelt, und dann hängten sie sich die Pakete um den Hals auf ihre nackte Brust. Peter bekam das Geld und Fritz die Brieftasche. Die Geldrollen wurden auch verteilt. Jeder bekam 25 Goldstücke, die sie in die Taschen stopften; aber das rasselte zu sehr, darum verwendete Peter die Zinndose und Fritz einen halben Strumpf als Geldbörse; den Schrein warfen sie in den Fluß.
Mit dieser Arbeit war die Zeit vergangen und das Boot ein gutes Stück abwärts getrieben, und so eifrig waren die Knaben gewesen, daß sie ganz vergessen hatten, sich umzusehen. Als nun das Sonnensegel geborgen und das Rudern fortgesetzt wurde, entdeckten sie, daß etwas weiterhin auf dem anderen Flußuser eine lange Häuserreihe lag, und nachdem sie eine halbe Stunde gerudert hatten, wurden sie mehrerer Schiffe ansichtig, die auf dem Fluß verankert lagen, dazwischen der weiße Dampfer, mit dem merkwürdigen Rad.
Dort in der Nähe lag gewiß die Stadt, obgleich sie noch nicht zu sehen war, und die Knaben faßten den Entschluß, nicht weiter zu rudern, sondern das Boot mit seinem Inhalt zu verstecken und selbst an Land zu gehen, um die Verhältnisse zu untersuchen.
Bald fanden sie einen bequemen Landungsplatz. Hinter einer Landzunge lag eine baufällige Hütte, von Gebüsch umgeben. Sie sah aus, als sei sie seit langem von ihren Bewohnern verlassen worden, und unten am Fluß wuchs so viel Rohr und Schilf, daß die Jolle fast versteckt liegen konnte.
In der Hütte, durch dessen Dach die Sonnenstrahlen freien Zutritt hatten, versteckten sie alles, was im Boot war, Proviant, Büchsen und die übrigen Sachen. Nur ihr Zeug nahmen sie mit, das in dem Segeltuch verstaut war. Mit Don Pedros neuesten Flanellanzügen bekleidet und mit dem Geld und den beiden Revolvern in der Tasche – Peter hatte sein solides Messer umgeschnallt und Fritz das Fernglas auf dem Rücken – arbeiteten die beiden Knaben sich zwischen den Büschen am Flußufer vorwärts. Bald fanden sie einen Weg und jetzt trabten sie getrost vorwärts, mit dem Sack zwischen sich, während die Sonne ihnen auf den Rücken brannte.