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Jemand, der ein offenes Auge für die Eigentümlichkeiten im Leben hat, wird die Behauptung nicht merkwürdig finden, daß ein jedes Fahrzeug, das auf dem Wasser schwimmt, mit einem bestimmten Typus Menschen Aehnlichkeit hat.
Stell Dir zum Beispiel eine elegante, englische Lustjacht vor, die über's Wasser streicht, mit ihrem fein lackierten, schwarzen Rumpf, den fleckenlosen, weißen Segeln, dem blankgeputzten Messingbeschlag – gleicht sie nicht auf ein Haar einem Modefant, der seinen neuesten Anzug, seinen ungeheuren, steifen Kragen, seinen gebügelten Zylinder und seine Lackstiefel spazieren führt?
Oder nimm einen Frachtdampfer: ohne Schmuck und ohne Vergoldung dampft er von Hafen zu Hafen, langsam aber sicher und tut Nutzen. Der strebsame Kontorist gleicht dem Frachtdampfer. Bescheiden gekleidet, einfach im Auftreten geht er von seinem Heim zum Kontor, vom Kontor zu seinem Heim, immer fleißig und pflichtgetreu. Er begegnet dem Modefant auf seinem Weg und zuckt mitleidig die Achseln: ich tue Nutzen, denkt der Kontorist, aber der da –?
An der Straßenecke steht der Schutzmann in seiner strammen Uniform, starkknochig, breitschultrig und hochfahrend. Er spreizt die Beine und hält die Fäuste auf dem Rücken. Er schaut unterm Helm hervor mit der gleichen überlegenen Verachtung hinterm Fant wie hinterm Kontormann her: ich bin die Obrigkeit, denkt er.
Erinnert er nicht an das Panzerschiff, das plump, aber stark und selbstbewußt ist? Ein einziger wohlgezielter Schuß aus seinen schweren Kanonen, und der Frachtdampfer ist ein unnützes Wrack, die elegante Jacht ein zerfetzter Stümper.
Wenn man einen Typus an Land nennen wollte, der mit dem »Don Carlos« Aehnlichkeit hatte, so mußte man zweifellos einen schmutzigen, dem Trunk verfallenen Kohlentrimmer wählen.
Von allen Dampfern, die den Ozean pflügten, war der »Don Carlos« sicherlich der häßlichste, unsauberste und langsamste. Das einzig Flotte an ihm war sein Name.
Die Farbe des Rumpfes, die ursprünglich schwarz gewesen war, hatte mit der Zeit einen bräunlichgrauen Ton bekommen, der nur hier und dort von einem Kleks schreiend roter Mennigfarbe unterbrochen wurde.
Der Schornstein war nicht schöner als der Rumpf, und saß sehr weit nach hinten, was einem Dampfer niemals ein hübsches Aussehen verleiht. Andererseits gab es guten Deckraum, und daran fehlte es nicht auf dem »Don Carlos,« wenn nur nicht Kohlenstaub und jahrealter Schmutz so dick darauf gelegen hätten, daß die Deckplanken kaum zu sehen waren.
Der Dampfer war spanisch, und das war auch der alte Kapitän, Don Pedro José, dem der Dampfer zusammen mit einer Schwester, Donna Pampina, gehörte.
Don Pedro und Donna Pampina lebten immer an Bord des Dampfers; er war ihr Haus, ihr Heim, und so war es gewesen von dem Tage an, als sie – vor jetzt über vierzig Jahren – ihre Eltern verloren und der »Don Carlos« ihnen als Erbe zufiel. Damals war Pedro ein schwarzhaariger, lebhafter und unternehmungslustiger junger Bursche, Pampina eine kleine, rundliche, lustige Person von zwanzig Jahren gewesen, jetzt sahen sie ebenso aus wie das Schiff: alt, schmutzig und häßlich.
Don Pedro nahm Fracht, wo er sie bekommen konnte. Bald ging er mit Weizen und Mais von Argentinien nach England, bald mit Kohlen nach Frankreich und mit Kriegsmaterial nach Madagaskar; dann eine Reise nach Australien – es gab kurz gesagt kaum eine Küste auf der ganzen Welt, die er und sein altes Schiff noch nicht besucht hatten. Der Dampfer wurde immer gebrechlicher; weder dem Rumpf noch der Maschine wurde jemals eine ordentliche Reparatur zuteil, denn Don Pedro war geizig und seine Schwester ebenfalls. Die beiden hatten sich mit der Zeit ein hübsches kleines Vermögen gesammelt, das sie sicher in der Bank von Barcelona angelegt hatten; aber sie konnten es nicht übers Herz bringen ihr Erspartes anzurühren, sie ließen lieber den Dampfer rosten, die Maschine in verbrauchten Stopfbüchsen rasseln und den Dampf aus undichten Ventilen zischen.
Die Dampfkessel waren fast unbrauchbar und vertrugen nur einen geringen Druck; die Fahrt war darum auch danach – fünf bis sechs Knoten in der Stunde, das war alles, was »Don Pedro« leisten konnte, und dabei mußte das Wetter noch günstig und die See nicht zu hart sein.
Aber durch dies geizige Sparen am Notwendigsten war der Dampfer unter Seeleuten in Verruf gekommen. Kein anständiger Matrose oder Heizer nahm auf dem »Sarg,« das war der Spitzname des Schiffes, Heuer, nur das ärgste Pack ging dort an Bord und machte nicht mehr als eine Reise mit; denn ebenso wie Don Pedro sein altes Schiff bis aufs Letzte ausnutzte, so sparte Donna Pampina an den Rationen der Mannschaft, wo sie nur konnte. Trotzalledem waren der Kapitän und seine Schwester keineswegs böse oder grausame Menschen, aber das Leben, das sie so viele Jahre geführt hatten, war nicht dazu geeignet gewesen, sanfte oder gute Gefühle großzuziehen.
Der »Don Carlos« war in Alexandria gewesen, hatte dort eine Ladung Reis für Cadiz genommen und eine Zeitlang im Hafen von Cadiz gelegen, ohne Besatzung – denn die Mannschaft war desertiert – und ohne Fracht. Schließlich war »Don Carlos« eine Ladung Eisenbahnschienen für Venezuela angeboren worden; das war eine schlechte Fracht, aber immerhin bester als gar keine.
Eine große Schwierigkeit hatte darin bestanden, Mannschaft zu schaffen, aber schließlich war es Pampinas Bemühungen – es war nämlich ihr Amt – gelungen, zwei chinesische Heizer, drei Neger und einen versoffenen Maschinenmeister zu heuern. Mit dieser Mannschaft ging der »Don Carlos« in See.
Das war die schlechteste Besatzung, die der alte Spanier jemals gehabt hatte, und es war nicht einmal ein Steuermann an Bord. Don Pedro meinte allerdings, daß Pampina so viel wert sei wie zwei, und sie machte seiner Behauptung keine Schande. Sie hatte die eine »Wache,« er die andere, und jeder nahm einen Neger zur Hülfe. Der dritte schwarze Mann der Besatzung tat Dienste als Koch, und unten im Maschinenraum ging es wie es gehen konnte, das heißt, der Maschinenmeister war meistens betrunken, und die Chinesen unterhielten das Feuer unter den Kesseln, und das war alles, was Don Pedro verlangte.
Es war am Morgen, nachdem der Dampfer den Hafen von Cadiz verlassen hatte. Donna Pampina hatte Wache und steuerte selbst. Sie stand hinterm Ruder oben auf der »Brücke,« die von der einen Seite des Dampfers zur anderen reichte, gerade hinter dem Fockmast. Ihr Neger war nach unten gegangen, um den Koch zu purren und die gelöschten Laternen in den Laternenraum zu bringen.
Ich glaube kaum, daß jemand erraten hätte, daß der Rudergast auf dem »Don Carlos« eine Frau war; wie Pampina dort breitbeinig stand, die Hände am Ruder, glich sie eher einem erwachsenen Zwerg, der aufs ungeheuerlichste in die Breite gegangen war. Sie war nicht größer als ein 14jähriger Junge. Sie hatte lange Schaftstiefel an, und darüber wölbte sich ihr von Natur ungewöhnlich dicker Körper, dessen Umfang noch von hochgeschürzten Röcken vergrößert wurde. Ihre Arme steckten in einer kurzen, schwarzen Oeljacke, die den Rücken zu einem großen Puckel rundete und bis an die Stiefel reichte. Ihr Gesicht konnte es an Männlichkeit mit dem jedes Matrosen aufnehmen, die Züge waren grob und unter der braunen Nase wuchs ihr ein recht artiger, grauer Schnurrbart.
Pampina war den lieben langen Tag über mürrisch, auf der Tagwache aber, bevor sie ihren Morgenkaffee bekommen hatte, war ihr überhaupt nicht nachzukommen. Jetzt stand sie und ärgerte sich wütend darüber, daß der Neger so lange fortblieb, – er war wahrscheinlich unten, um Proviant zu stehlen, zapfte sich wohl ein Glas Rum aus der Tonne im Vorratskeller – wo blieb der schwarze Spitzbube!
Pampina stand dem Proviant vor, und lag mit der anspruchsvollen, diebischen Mannschaft in ständigem Kampf.
Sie rief nach dem Matrosen und stampfte mit ihren wuchtigen Stiefeln auf die Brücke, aber kein Neger zeigte sich. Die Vermutung, daß der schwarze Spitzbube sie bestahl, wurde nach und nach in Pampinas Gehirn zur peinlichen Gewißheit. Sie wollte selbst nach unten, um zu sehen, was da vorging.
Sie surrte das Ruder fest – es war ja kein Dampfer oder Segler zu sehen. Bevor sie aber die Brücke verließ, warf der vorsichtige »Steuermann« doch noch einen prüfenden Blick übers Meer.
Die See lag ruhig da, nur eine leichte Morgenbrise kräuselte die Wasserfläche. Am ganzen Horizont ließ sich kein Schiff blicken, und die zornige Dame wollte just die Treppe hinuntertrampeln, als ihr Blick von einem schwarzen Gegenstand gefangen wurde, der einige hundert Meter entfernt, an der Steuerbortseite des Dampfers vorbeitrieb.
Pampina rieb sich die Augen, und kratzte sich den Bart mit dem Zeigefinger, wie es ihre Gewohnheit war – dort trieb ja eine Jolle im Wasser!
In der nächsten Minute stand sie wieder am Ruder und drehte es herum: eine Jolle, die schwimmen kann, ist nie zu verachten, und dem Dampfer konnte mit einem Boot gedient sein. Pampina rief durchs Sprachrohr hinunter, daß die Maschine stoppen sollte, aber das ging nicht so schnell, und inzwischen drehte das Schiff langsam und steuerte auf die Jolle los.
In diesem Augenblick tauchte der Neger auf; das schlechte Gewissen leuchtete ihm aus seiner schwarzen Fratze, Pampina aber vergaß das Strafgericht, das sie auf ihn herabsausen lassen wollte, und befahl dem Matrosen, den Kapitän zu purren und den Koch auf Deck zu rufen.
Mittlerweile war es dem wachhabenden Chinesen gelungen, die Maschine zu stoppen, was sich durch ein ohrenbetäubendes Zischen des Dampfventils kundtat; bald darauf lag »Don Carlos« in geringer Entfernung von dem erstrebten Gegenstand still: ein altes, schwarzes Boot, in dem etwas Unbestimmbares lag, das Pampinas alte Augen nicht zu unterscheiden vermochten.
»Willst Du diese Jolle haben, Pedro, sie ist immerhin ihre zwanzig Pesetas wert,« rief sie dem Bruder zu, der achtern aus dem Deckhaus kam, barfüßig und verschlafen, »fiert das Boot ins Wasser, Ihr beiden schwarzen Faulpelze, was steht Ihr da und grinst!«
So langsam und widerstrebend wie möglich wurde ein Boot heruntergefiert, die Neger ruderten hinaus und nahmen die Jolle ins Schlepptau. Pampina hörte den einen rufen, daß zwei Leichen auf dem Boden lägen, ob sie sie über Bord hieven sollten? Pampina aber winkte und schüttelte den Kopf, und bald lag die Jolle mit ihrem Inhalt neben dem »Don Carlos.«
Der alte Kapitän beugte sich über die Reling.
»Das sind ja zwei Knaben, Dios mio! Sind sie tot?«
»Tot und halb verwest,« versicherte der Koch und stocherte den einen mit seinem Ruder, »sie sind ja ganz grün im Gesicht.«
Im selben Augenblick aber zog er hastig sein Ruder zurück, und in dem schwarzen Gesicht malten sich Schrecken und Staunen, denn die eine der Leichen richtete sich halbwegs auf, hob den Kopf und sah verstört zu Don Pedro auf.
»Dios mio! Er lebt – – Pampina, Pampina!«
Und Pampina kam angerannt, daß es auf dem Deck nur so schallte!
»Was sagst Du, Madonna mia! Macht, daß Ihr sie heraufschafft, fier die Leiter runter, Pedro!« Eine Strickleiter wurde an der Schiffswand heruntergelassen; bald darauf lag Fritz steif und ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben, auf dem Deck des Dampfers, und neben ihm saß Peter mit dem Rücken gegen die Schiffsseite, und zeigte auf seinen Mund, der sich öffnete und schloß, ohne einen Laut hervorzubringen.
»Madonna mia, Madonna mia!« murmelte Pampina und kratzte sich den Schnurrbart; dann eilte sie in die Kajüte, um etwas zum Essen und zum Trinken zu holen.