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Konsul Hermanns war ein tüchtiger, liebenswürdiger Mann, wohlgelitten bei den Autoritäten in Cadiz, und sehr beliebt bei den Kapitänen der deutschen Schiffe, die den Hafen anliefen. Er war seit Jahren Brummers Agent, und hatte von diesem den Wink bekommen, sich Fritzens etwas anzunehmen. Daher die Einladung für die beiden Knaben, am folgenden Tag seine Gäste zu sein.
Arbeit gab es nicht für Fritz und Peter am nächsten Morgen, es sei denn, daß man die Extrawäsche, die sie an Händen und am ganzen Körper vornahmen, als eine Arbeit bezeichnen wollte, jedenfalls kostete sie sowohl Zeit wie Seife und warmes Wasser.
Die beiden Knaben mußten sich fein machen, denn Schiffer Tönjachsen hatte gesagt:
»Der Konsul ist ein riesig vernünftiger Mann, alles was recht ist, aber er hält was auf'n vornehmes Auftreten. Darum müßt Ihr Euer Bestes tun, damit Ihr der Brigg keine Schande macht.«
Für Fritz war es leicht genug, »vornehm aufzutreten,« er hatte alles in der grüngemalten Kiste, was er brauchte. Für Peter aber war der Fall schon schwieriger; sein Staatskleid bestand aus einem blauen Jackettanzug, der aus einer kassierten Jachtklubuniform von Klenow für ihn umgearbeitet war.
Und der Schneider hatte seine Sache nicht sehr gut gemacht.
Fritz aber kam Peter zu Hilfe; ein Paar weiße Flanellbeinkleider, die auf Zuwachs berechnet waren, paßten einigermaßen zu den Beinen des Leichtmatrosen, und sahen sehr nett aus zu Peters eigenen geweißten Segeltuchschuhen und einer feinen, weißen Mütze, die Fritz noch nie getragen hatte. Das Jackett konnte offen stehen, dann war es gar nicht so schlimm, und darunter kam ein ganz neues, blaugestreiftes Hemd zum Vorschein; um den Kragen aber knüpfte Fritz seinen besten, blauen Seidenslips. Die Hosen saßen etwas zu stramm, die Jacke etwas zu lose, Peter selbst aber fand, daß er nie eine ähnliche Pracht besessen hätte.
»Nimm Dich nur in acht, wenn Du Dich hinsetzt,« ermahnte Fritz. »Wenn die Hose platzt, ist das Unglück groß; denn das Jackett deckt den Schaden nicht.«
Das Mutterlamm sollte sie an Land rudern; er stand stumm da vor Bewunderung über die schönen Kleider – Fritz strahlte in seinem neuen, hellkarrierten Anzug und einem Strohhut. Peter ließ sich bewundern und wollte wie gewöhnlich, wenn die Situation es verlangte, seine Hände in die Hosentaschen begraben; aber das ließ sich in diesem Augenblick durchaus nicht machen, denn die Hosen waren zu stramm, es war nicht möglich, eine Hand hinein zu pressen. Glücklicherweise aber hatte das Jackett Taschen, und so mußten diese statt dessen herhalten.
Der Konsul, der Junggeselle war, wohnte in einem hübschen, neuen Haus, das an dem großen Promenadenplatz lag. Er saß in seinem gemütlich möblierten Wohnzimmer und lächelte den Knaben vergnügt entgegen, als sie hereinkamen.
»Na, da haben wir ja die beiden Seeleute! Guten Tag und willkommen.«
Fritz fühlte sich gleich wohl und behaglich zumute, nachdem er dem Konsul in sein offenes, gemütliches Gesicht geblickt hatte, in dem zwei klare, blaue Augen über einem goldbraunen Vollbart leuchteten, und er setzte sich, und erzählte frisch und ungeniert von Flensburg und von der Reise, ganz als sei er zu Hause und spräche mit Onkel Brummer.
Peter aber war nicht in seinem Element, er fühlte sich wie ein Fisch, der aufs Trockene geraten ist, zwischen all diesen feinen Möbeln und Nippsachen und anderen Hindernissen, die ein freies Manöverieren in dem Fahrwasser des Wohnzimmers erschwerten. Er setzte sich mit Vorsicht auf die Kante eines Stuhles – stand aber gleich wieder auf. Hatte die Hose nicht gekracht? Aengstlich fühlte er nach, ob auch alles in Ordnung sei, und schielte mißtrauisch zu Konsul Hermanns hin, der gerade lachte; ob er sich über die Hosen lustig machte, dachte Peter. Da meldete der Diner, daß das Frühstück serviert sei, und machte der peinlichen Situation damit ein Ende.
»Ihr bekommt heut nicht viel von Cadiz zu sehen,« bemerkte der Konsul, als sie mitten bei einem herrlichen Gericht Huhn in Curry waren, »wir wollen mit der Eisenbahn ganz aus der Stadt heraus, nach »Santa Maria,« auf die andere Seite der Bucht.«
»Was wollen wir da?« fragte Fritz.
»Ich dachte mir, daß es Dir und Peter Vergnügen machen würde, ein Stiergefecht zu sehen.«
»Ein richtiges Stiergefecht?« rief Fritz mit großen Augen aus. Peter legte Messer und Gabel hin und sperrte den Mund weit auf.
»So richtig wie man es sich nur wünschen kann – fünf Stiere werden getötet. Eigentlich ist es nicht recht etwas für zwei so junge Herren – –«
»Ach, lassen Sie sich deshalb man keine grauen Haare wachsen,« platzte Peter heraus, worauf er feuerrot wurde.
Fritz blickte den Konsul ängstlich an, der aber sagte lachend:
»Na, schön, dann gehen wir zum Stiergefecht. So was bekommt Ihr ja auch nicht alle Tage in Flensburg zu sehen, und wenn man auf Reisen geht, soll man ja was Neues lernen.
* * *
Der Zug pfiff und setzte sich in Bewegung; zwei Lokomotiven voran und dreißig Wagen hinterdrein, alle gestopft voll. Alles wollte nach Santa Maria zum Stiergefecht.
Es war eine glühende Hitze; der Wagen, in dem der Konsul, Fritz und Peter Platz genommen hatten, war überfüllt. Eine ungeheuer dicke Matrone, in einem schwarzen Seidenkleid, das ihre fetten Formen so eng umspannte, daß es fast platzte, saß ihnen gegenüber; die Dame kühlte sich mit einem feuerroten Papierfächer und trocknete sich ab und zu mit einem großen, weißen Taschentuch, denn die Schweißperlen tropften ihr unablässig von ihrem roten Gesicht.
Offiziere in blauen, goldgestickten Uniformen nahmen die übrigen Plätze ein. Sie hielten ihre schweren, blanken Reitersäbel zwischen den Knien und hatten ihre Reitpeitschen in den Schoß gelegt. Sie schwatzten und gestikulierten, rollten Zigaretten zwischen ihren tabakgefärbten Fingern, rauchten und spuckten.
»Schwatzen und rauchen und mit Armen und Beinen fuchteln, das können sie,« sagte der Konsul höhnisch, »aber sie sind unwissend wie Bauern und haben nicht halb so viel gelernt, wie ein deutscher Junge, der sein Einjährigenexamen macht.
Der Zug fuhr mit großer Geschwindigkeit. Auf der einen Seite sahen sie die blanke, blaue Meeresbucht, auf der anderen eine flache, langweilige Landschaft, deren bräunliche Erde nur spärlich mit kleinem, verkrüppeltem Buschwerk, versenkten Grasbüscheln und verstaubten Olivenbäumen bestanden war. Oft aber fuhr der Zug an großen, viereckigen Gärten vorbei, die von grauen, soliden Steinmauern umschlossen waren. In den Gärten wuchs etwas, das wie halbwelke, kurze, braune Stengel aussah. Alle Gärten waren reihenweise damit bepflanzt.
Fritz fragte, weshalb diese elenden Pflanzen dort stünden.
»Elende Pflanzen,« wiederholte der Konsul und lachte, »das sind einige von den berühmtesten Weinstöcken in ganz Spanien. Die ganze Umgebung von Cadiz ist damit bepflanzt, sowohl das flache Land wie die Bergabhänge, die Du dort drüben auf der anderen Seite der Bucht sehen kannst. In fünf Minuten hält der Zug bei einer Stadt, das ist Jerez de la Frontera – Du weist wohl aus Deiner Weltgeschichtsstunde, daß die Araber dort die Westgoten vor mehr als tausend Jahren schlugen – na, also Jerez de la Frontera ist diejenige Stadt in Spanien, wo am meisten Wein gemacht wird, Sherry, den Du heut zum Frühstück bekommen hast. Viele hunderttausend Weinfässer, viele Millionen Flaschen mit feinem, gelagerten Wein liegen in den Kellern dieser Stadt, und die Trauben, aus denen der Wein gepreßt wird, wachsen an den Ranken, die Du eben gesehen hast; sie nehmen sich etwas dürftig aus im Verhältnis zu Euren Johannis- und Stachelbeerbüschen in Flensburg, nichts destoweniger aber sind sie bedeutend mehr wert, das kannst Du mir glauben.«
Der Zug hielt einen Augenblick bei der berühmten Weinstadt, und hastete dann weiter. Die Landschaft wurde fruchtbarer, die Olivenbäume standen jetzt dichter, häufig in ganzen Wäldern beieinander. Hin und wieder lugten weiße Steinhäuser und schloßähnliche Villen zwischen Gärten hervor, in denen eine Ueppigkeit von Blumen wuchs, und wo Orangenbäume, Palmen und blühende Gebüsche frische Rasen und Gartenwege beschatteten.
Dorf nach Dorf wurde passiert; die Häuser lagen wie aus Kreide geschnitzt in dem blendenden Sonnenlicht da, mit Schatten, die so schwarz waren, als seien sie mit Kohle gezeichnet. Schließlich hielt der Zug bei Santa Maria.
* * *
Es war nicht schwer, den Weg von der Station zu den hohen, weißen Mauern der Arena zu finden, man brauchte nur dem Menschenstrom zu folgen. Zu Tausenden wanderten Männer, Frauen und Kinder durch die lange, sonnige Straße zum Stiergefecht.
Hinter der Mauer, unter offenem Himmel lag der große grantbestreute Platz, von wuchtigen Holzschranken eingezäunt; dort sollte der Kampf stattfinden. Und rings herum, von der Schranke aufwärts bis zu den Zinnen der Mauern saßen die Zuschauer auf Stühlen und Bänken, Reihe über Reihe, ein mächtiges Amphitheater, das von einem bunten Menschengewimmel in wogender, rastloser Bewegung angefüllt war: Arme, die geschwungen wurden, Körper, die sich hin und herbewegten, Köpfe, die nickten, Fächer, die sich wiegten, Hüte, die sich hoben und senkten. Stimmen erklangen aus tausend Kehlen. Stimmen, die sprachen, Stimmen, die riefen; Schwatzen und Lachen erfüllten den Raum, vermischten sich, flossen zu einem einförmigen, stark summenden Laut zusammen, zu einem wasserfallähnlichen Getöse.
Durch den Lärm aber drangen gellende Rufe von Knaben, die zwischen den Zuschauern ein und ausschlüpften und Zigaretten, Limonade und Obst feilboten, dazwischen wieder das Stimmen der Violinen oben im Orchester, und das wütende Gebrüll von Stieren, die gereizt wurden.
Der Konsul saß zwischen den beiden Jungen unten an der Schranke. Er hatte gute Plätze gekauft, nämlich auf derjenigen Hälfte des Zirkus, wo der Schatten kühlend auf den Plätzen lag. Gegenüber schimmerte und brannte die Sonne auf hellen Kleidern, weißen Hüten und Sonnenschirmen.
Das Orchester begann zu spielen: die spanische Nationalhymne; der Militärgouverneur von Cadiz trat herein, und seine breite, rotüberzogene Loge füllte sich mit eleganten Damen und Herren in goldfunkelnden Uniformen.
Der Gouverneur, der alte General da Silva y Perez, ließ sich dick und behäbig in dem großen, hochlehnigen Sessel, mitten vorm Logenrand nieder, von hübschen, jungen Damen umgeben. Er machte eine Bewegung mit seiner behandschuhten Hand, worauf die Musik eine gellende Fanfare blies: die Pforte in der Barriere, die der Loge gegenüber lag, öffnete sich, und während die Töne des berühmten Stiergefechtmarsches über den großen Raum hinbrausten, kamen die Stierfechter paarweise hereinmarschiert. An der Spitze schritt ein großer, schlanker, schwarzgekleideter Mann, in samtenen Kniehosen, kurzem spanischem Jackett, blanken Seidenstrümpfen, die die muskelstarken Beine straff umspannten, und einem kleinen flachen Hut auf dem ergrauten Haar.
Das war der berühmteste Mann des Landes, der Stolz der Spanier; jedes Kind kannte seinen Namen, es war Carlos Zummarro, der große »Espada,« der sicherste Arm, der die beste Klinge im Kampf gegen rasende Stiere zu führen verstand.
Als er sich zeigte, brach ein Beifall los, der nicht enden zu wollen schien; die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen, schwenkten mit Hüten und Tüchern und klopften mit ihren Stöcken auf den Fußboden.
Carlos Zummarro aber schritt ruhig an der Spitze seiner Stierfechter vorwärts, elastisch, als habe er Stahlfedern in den Beinen, stolz wie ein Held, dem gehuldigt wird; seine Gesichtszüge aber waren hart und unbeweglich, als seien sie in Bronze gegossen.
Nach ihm kam die ganze Schar der Stierkämpfer – Toreros werden sie in Spanien genannt – die heut ihr Leben zur Belustigung der Zuschauer aufs Spiel setzen sollten. Hübsche, starke Burschen, mit zigeunerbrauner Haut und geschmeidigen Gliedern, einige zu Fuß, andere zu Pferde, mit langen Lanzen in den Händen.
Quer über die Arena bewegte sich die schwarzgekleidete Schar, zu den taktfesten Tönen der Musik, auf die seidenüberzogene Loge des Gouverneurs zu. Vor derselben blieb Zummarro stehen und grüßte zu dem alten General hinauf, mit einem Anstand, um den mancher Prinz ihn beneiden konnte.
Dann marschierte die Schar der Toreros wieder dorthin zurück, woher sie gekommen war.
Der Gouverneur winkte wieder mit seiner fetten, weißen Hand: der erste Akt des blutigen Schauspiels nahm seinen Anfang.
Fünf »Picadores« kamen auf spindeldürren, alten Gäulen hereingetrabt, die große Scheuklappen vor den Augen hatten, damit sie den furchteinjagenden Stier nicht sehen konnten. Waren die Pferde aber jämmerlich, so boten die Reiter in den hohen, spanischen, messingbeschlagenen Sätteln, einen stolzen Anblick – kräftige, breitschultrige Männer, denen der kleine schwarze Hut keck auf dem Kopf saß; sie hielten eine lange Lanze lotrecht in die Höhe und stützten das Ende derselben gegen den massiven Steigbügel, dessen Eisenschirm den Fuß vor den Stößen der Hörner des Stiers schützen sollte.
Längs der Barriere machten die Picadores in einer Reihe Halt, und erwarteten das Kommen des Stieres mit gesenkten Lanzen.
Den Reitern gegenüber, unter den Plätzen der Zuschauer, erklang jetzt ein rasendes Gebrüll, eine Tür wurde weit geöffnet, und in wilden Sprüngen kam ein kohlschwarzer Stier zum Vorschein, mit Schaum auf Maul und Brust.
Mitten in der Arena machte er Halt, von den Menschenstimmen verwirrt und vom Sonnenlicht geblendet.
Er sah sich verstört um, wühlte den Sand mit seinen Hufen auf, drehte sich nach allen Seiten und erblickte die lanzenbewaffneten Reiter.
Der schwarze Kopf mit den langen, spitzen Hörnern senkte sich, und mit heiserem Gebrüll stürzte der Stier sich auf den nächsten Picador. Dieser aber beugte sich über den Pferderücken, mit der Lanze im ausgestreckten Arm, sammelte seine ganze Kraft zu einem Gegenstoß und pflanzte die Lanzenspitze in die Seite des Stieres.
Bei dem furchtbaren Zusammenstoß sank das Pferd in die Knie, der Reiter aber blieb im Sattel, der Stier sprang seitwärts, und während das Blut aus einer klaffenden Wunde floß, stürzte er sich auf das nächste Pferd in der Reihe. Dieser Angriff glückte ihm besser, der Picador verfehlte sein Ziel, und im selben Augenblick jagte der Stier seine Hörner in die Brust des Pferdes, warf es mit einem kräftigen Stoß seines Kopfes hintenüber, und da lag das alte, zappelnde Pferd auf dem Reiter, während der Stier in blinder Raserei seine Hörner wieder und wieder in den Körper des Pferdes grub.
Es war eine wilde und schreckliche Szene, das Leben des Picadors schien verloren. Die übrigen vier Reiter sprengten in die Mitte der Arena, und über die Barriere sprangen schwarzgekleidete, geschmeidige Burschen. Sie hielten scharlachrote Seidendecken in den Händen, die sie im vollen Lauf vor den Augen des Stieres flattern ließen.
Und sie retteten das Leben des gestürzten Mannes, denn das rasende Tier ließ das Pferd liegen und jagte in der Arena hinter den roten Seidentüchern her. Durch kecke, blitzschnelle Seitensprünge gelang es den Männern das einemal nach dem anderen, den spitzen Hörnern zu entgehen; war die Gefahr gar zu groß, so sprangen sie behende wie Akrobaten über die hohe Schranke, während der Stier brüllend seine Stirn gegen die dicke Holzwand stieß.
Das Pferd lag tot im Sand, der Picador aber wurde vorsichtig hinausgetragen, ohnmächtig und verwundet; da hörte das Spiel mit den roten Seidenlappen wieder auf, und der Kampf zwischen den übriggebliebenen Picadores und dem Stier wurde fortgesetzt.
Und mit wechselndem Erfolg.
Bald wurden die wilden Angriffe des Stiers pariert, bald wurden die Pferde getroffen. Bevor das Signal zum Schluß des ersten Aktes gegeben wurde, hatten drei Pferde ihr Leben lassen müssen. Der letzte Picador ritt auf heilem Pferd, aber mit zersplitterter Lanze aus der Arena.
Die Zuschauer folgten dem Kampf mit lärmender Teilnahme. Bei jedem geschickten Lanzenstoß, bei jedem geschmeidigen Sprung, brauste das Beifallsklatschen los. Nicht ein Mensch auf dem ungeheuren Zuschauerplatz blieb ungerührt. Spannung malte sich auf allen Gesichtern, Zurufe ertönten von allen Lippen. Der Beifall aber galt nicht nur den mutigen Männern, der Stier bekam auch seinen Anteil, wenn er Pferd und Picador in den Sand geworfen hatte.
Peter und Fritz waren vom ersten Augenblick, als sie in den großen Raum kamen, ganz benommen gewesen, hatten alles mit den Augen verschlungen und kaum auf die Erklärungen des Konsuls gehört. Als der Stier hereingaloppierte und der Kampf begann, vergaßen sie alles – die Gesellschaft des Konsuls, die Menschenmasse um sie herum; Peter fühlte nicht mehr die strammen, gefährlichen Hosen, Fritz nicht die drückende Hitze; sie verschlangen mit den Augen all die wilden und wechselnden Auftritte vor sich auf dem Kampfplatz.
Als der Stier das vierte Pferd zu Fall gebracht und die Hörner in dessen Brust vergraben hatte, da saß Peter mit weitaufgerissenen Augen da und hämmerte mit seinen Fäusten auf den Logenrand, während Fritz die Hände wie ein Rufer an den Mund legte und aus vollen Lungen Hurrah schrie. Keiner aber achtete ihrer, denn alle benahmen sich ebenso.
Der Konsul lachte in seinen Bart hinein und amüsierte sich köstlich über seine kleinen Landsleute.
Wieder umflatterten rote Seidendecken den geifernden Stier, ihn bald in schwerfälligem Galopp nach der einen, bald nach einer anderen Seite lockend; das Tier aber war jetzt außer Atem und ermattet, müde vom Herumjagen und vom Blutverlust. Da trat ein »Banderillero« herein.
In den Händen hielt er zwei kurze Stäbe mit Spitzen und Widerhaken am einen Ende; die Stäbe waren mit Seidenband umwunden und wohl einen halben Meter lang. Sie werden »Banderillos« genannt.
Langsam und vorsichtig näherte der Mann sich dem wilden Stier, der ihm zornig brummend, mit schielenden Augen folgte. Plötzlich fuhr er auf den kecken Banderillo los, die gesenkten Hörner schienen bereits seinen Körper erreicht zu haben, im selben Augenblick aber hingen die beiden Banderillos in dem blutigen Nacken, der Stier sauste vorbei, und der Spanier stand unverletzt da und grüßte und lächelte zu den Logen hinaus.
Er wurde von einem anderen, einem noch tüchtigeren und mutigeren Mann abgelöst.
Dieser setzte sich mitten in die Arena auf einen Strohstuhl, die beiden seidenumwundenen Stäbe in den Händen und eine Zigarette zwischen den Lippen. Der Stier galoppierte aus ihn zu. Die Zuschauer hingen in atemloser Spannung über die Logenränder, nicht ein Laut war zu hören, außer dem Schnaufen des Stieres und seinen schwerfälligen Sprüngen über die Arena. Was jetzt geschah, ging so schnell vor sich, daß das Auge kaum den blitzschnellen Bewegungen zu folgen vermochte: der Stierfechter setzte seinen Fuß auf den Stuhlsitz und sprang über den Stier hinweg. Die beiden Banderillos aber saßen fest im Nacken des Stieres, der davonjagte, während der Rest des zersplitterten Stuhles ihm an den Hörnern hing.
Der kühne Banderillo aber stand hochaufgerichtet und stolz da, die Zigarette hing ihm noch zwischen den Lippen. Der Beifall umtoste ihn, Händeklatschen und Bravorufe füllten die Luft mit ohrenbetäubendem Lärm, während Hüte und Stöcke und Mützen auf die Arena herabflogen, von den begeisterten Zuschauern geworfen.
Der dritte Akt begann: der berühmte Carlos Zummarro zeigte sich. Stolz und ruhig schritt er über den gelben Sand auf das gejagte Tier zu, das blutbefleckt, vor Ermattung und Gemütsbewegung zitternd, mit dem Schwanz gegen die Barriere schlug.
In seiner rechten Hand hielt er den berühmten »Espada«, eine blanke Stahlklinge, in der linken eine feuerrote Decke.
Kurz darauf stand er vor dem Stier, der durch den Anblick des wehenden, roten Tuches gereizt, von neuem den Kopf hob und auf die Erde stampfte. Eine letzte auflodernde Wildheit wurde in seinem Blick entzündet, eine letzte Kraftanstrengung spannte seine Muskeln, und mit rasender Gewalt stürzte er sich auf Zumarro.
Die sichere Hand des geübten Espado aber versagte nicht, die Messerspitze traf dort, wo sie treffen sollte – in den letzten Nackenwirbel. Mit stumpfem Gekrach stürzte der mächtige Stier zu Boden, nur die schweren Glieder zuckten noch im Sand; und während Carlos Zummarro mit unerschütterlicher Ruhe und vornehmem Anstand mit einem Degen zu dem hingerissen tobenden Zuschauerkranz hinaufgrüßte, schlich der letzte Teilnehmer im Stierkampf – der schwarzgekleidete, abstoßende »Matador« sich mit seinem breitblättrigen Schlachtmesser in der Hand, hinter den Rücken des Stiers und gab ihm den Gnadenstoß.
Das Schauspiel war vorbei – roh in seiner blutigen, schonungslosen Wildheit, aber anziehend durch die Beweise an Mut, Geistesgegenwart, Geschmeidigkeit und Kraft, die sowohl Menschen wie Tiere geliefert hatten.
Die Zuschauer beruhigten sich, Zigaretten wurden angezündet, Knaben boten wieder unter gellenden Rufen Erfrischungen feil, die Musik spielte eine lustige Tanzmusik.
Während die zerfetzten Pferdekörper und der tote Stier von Maultiergespannen über den blutbefleckten Sand der Arena hinausgeschleppt wurden, hörte man das Gebrüll des nächsten Stieres, der draußen gereizt wurde, bevor man ihn als Opfer für das grausame Verlangen der Spanier nach blutigen Kampfszenen und billigem Nervenkitzel hereinließ.
Fünf Stiere mußten an diesem Tage in Santa Marias großem Zirkus ihr Leben lassen, zwanzig Pferde wurden zerfleischt. Ein Banderillo wurde von dem dritten Stier ergriffen und gegen die Barriere geschleudert, so daß er tot mit zerschmettertem Kopf liegen blieb, und drei Picadores wurden mit gebrochenen Armen und Beinen hinausgetragen.
Das war das Resultat dieses Stiergefechts.
Bereits nach dem Tod des ersten Stieres wollte der Konsul aufbrechen und nach Hause fahren, die Jungen aber baten inständig, daß er bleiben möge. Mit fieberwilden Augen und glühenden Wangen folgten sie den Auftritten, bis der letzte der Stiere blutend auf der Erde lag.
Konsul Hermanns aber lachte nicht mehr, er bereute, daß er Fritz und Peter zu dieser Vorstellung mitgenommen hatte.
Dennoch, als sie wieder in der Eisenbahn saßen und nach Cadiz zurückfuhren, beruhigten sich die erhitzten Nerven, und beim Mittagessen im Hause des Konsuls herrschte nur Freude und Dankbarkeit wegen des unvergeßlichen Tages.
Die Zeit glättete die Erinnerung an den Stierkampf aus; die Roheit und Unheimlichkeit, die die Knaben so lebhaft empfunden hatten, verschwanden, und nur die Erinnerung an die großen, wilden Stiere, die ihr Leben lassen mußten, im Kampf mit starken, entschlossenen, mutigen Männern, blieb zurück.