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Fritz lag mit offenen Augen und phantasierte. Er sah die seltsamsten Visionen: zuerst ein grinsendes, schwarzes Teufelsgesicht, und als das verschwand, zeigte sich Peters Gesicht, aber dicht daneben tauchte ein alter Kopf auf, mit einer großen gebogenen Nase und schwarzen Augen. Fritz merkte, daß ihm ein warmes Getränk in den Mund geflößt wurde, er schluckte, aber der Hals tat ihm so weh, und von neuem fielen ihm die Augenlider zu. Was war geschehen, wo war er?
Er merkte, wie es unter seinem Kopf in regelmäßigen, dumpfen Stößen polterte, was mochte das sein? Er lag weich und warm, konnte aber kein Glied rühren – und sein Hals tat ihm so weh, so weh.
Spärliches Licht kam durch das runde Kuhauge. Fritz lag jetzt und blickte sich um. Es war natürlich alles ein Traum, dachte er, denn wie sollte er plötzlich in dieses seltsame Zimmer, in ein weiches Bett, mit geblümten Gardinen, geraten sein? Aber solch kleines rundes Fenster hatte man doch nie in Häusern; er mußte an Bord eines Schiffes sein, und jetzt hörte Fritz auch deutlich Wellen, die gegen die Schiffswand plätscherten – der Laut unter seinem Kopf kam natürlich von einer Schraube.
Diese Gedankenanspannung aber war für den kranken Knaben zu viel gewesen, er verfiel wieder in einen todesähnlichen Schlaf.
* * *
Vier Tage waren vergangen, seit Donna Pampina die beiden Knaben von einem schrecklichen Tod auf offenem Meer errettet hatte, und noch war Fritz viel zu schwach, um seine Koje zu verlassen. Seine Kraft und Gesundheit aber kehrten schnell zurück. Pampina pflegte ihn.
In jedes weibliche Gemüt hat die Natur den Keim zur Mutterliebe gelegt, einen Keim, der nie verwelkt und stirbt, sondern nur auf eine Gelegenheit wartet, um sich zu entfalten und mit solcher Kraft hervorzudringen, daß er oft alle anderen Gefühle verdrängt.
Pampina hatte sechzig Jahre gelebt, ohne Muttergefühle zu kennen. Ihr Leben war rauh gewesen, ihr Sinn war hart geworden; ihr ständig zunehmender Geiz hatte nach und nach alle sanften und edlen Gefühle wie mit einer harten, fast undurchdringlichen Schale umschlossen.
Der Anblick der beiden schiffbrüchigen, halbtoten Knaben aber hatte ihr so ans Herz gegriffen, daß das Weib plötzlich in ihr erwachte. Es war Pampinas eigene Kajüte, ihr eigenes Bett, in dem Fritz lag und sich von seinen Strapazen erholte. Mit ihren harten Händen pflegte und liebkoste sie Fritz; mit jedem Tag, der verging, blühte eine größere Liebe zu dem hübschen Knaben, mit dem lockigen Haar, den braunen, träumenden Augen und der fremden Sprache, die sie zu ihrem größten Leidwesen nicht verstand, in der alten Frau empor.
Dabei aber vergaß sie keineswegs ihre Pflichten auf dem Schiff, noch war sie milder gegen die Mannschaft gestimmt, im Gegenteil. Pampinas Stimme war so hart und befehlend wie je, sie entschuldigte ihre Liebe zu Fritz gleichsam vor sich selbst, indem sie die trägen Neger desto reichlicher ausschalt.
»Wie geht's Fritz? Wollen wir heut mal probieren, ob Du auf den Beinen stehen kannst?«
Peter hatte dem Kranken beim Ankleiden geholfen und jetzt saß er neben ihm auf dem kleinen Sofa in Pampinas Kajüte.
»Ich fühl mich so matt in den Knien, und bin so hungrig – ich weiß nicht, wie es zugeht, aber wieviel sie auch in mich hineinstopft, ich bin immer gleich wieder hungrig.«
»Mir geht's genau so – ich hab immer einen Mordshunger. Wenn ich mein Essen hier drinnen bekommen habe, seh ich zu, daß ein Bissen bei der Mannschaft für mich abfällt. Nicht, daß es bei denen so reichlich zugeht, sie sagen, daß die Alte sie aushungert – was ich nicht begreifen kann, denn gegen uns ist sie doch furchtbar gut. Na, wollen wir nun mal probieren, ob Du auf Deck kommen kannst, um etwas frische Luft zu schnappen? – Komm, ich halt Dich. Siehst Du, es geht famos!«
Peter führte den Freund behutsam hinaus und plazierte ihn auf einer Holzbank vor dem Deckhaus.
Fritz sog mit Behagen die Luft ein: »Oh, wie herrlich ist es hier – aber furchtbar schmutzig.«
»Schmutzig! Verdreckt ist hier alles; der »Don Carlos« ist der größte Schweinestall von einem Dampfer, den ich jemals gesehen habe, so wahr ich Peter Most heiße. – Aber wir können uns freuen, daß er überhaupt da ist.«
»Und 'ne Besatzung! Unten im Maschinenraum sind nur zwei gelbe Chinesen und ein Maschinenmeister – ein kleiner, schielender Kerl, mit 'ner roten Nase; er liegt übrigens meistens besoffen in seiner Kajüte – Whisky pumpt er in sich 'rein, denn er ist ein Schotte.«
»Mit dem kannst Du Dich wohl unterhalten,« fragte Fritz, »denn Du sprichst doch englisch.«
»Jawohl, auf Englisch geht die Konversion den ganzen Tag, sowohl mit ihm wie mit den Negern, die können alle Englisch. Ich hätt' übrigens nicht gedacht, daß ich so wenig kann,« sagte Peter mit ungewohnter Bescheidenheit, »aber man hilft sich so gut es geht.«
»Wer ist sonst eigentlich noch an Bord, ich hab nie jemand anders als die Alte und einen Neger gesehen?«
»Da ist der Koch, der heißt Nelson, ebenso wie Dein Seebelt, weißt Du noch, der Napolibum verhaute. Das ist ein alter, zäher Fuchs, aber kochen kann er. Ich glaub, er stiehlt vom Proviant,« fügte Peter flüsternd hinzu, »denn manchmal mitten in der Nacht, wenn der Besitzer des Schiffes schläft, hab ich ihn kochen und braten hören.«
»Der Besitzer? Meinst Du den Kapitän?«
»Ach was, um den kümmert sich kein Mensch, nee, ich meine sie, Pampina – Donna Pampina, heißt sie. Sie regiert das Ganze. Der Kapitän, der Aermste, hat kein Wort dreinzureden. Na, und an Deckmannschaft sind nur zwei Neger da, Joe und Jeff, die aber lieber Faultier und Trunkenbold heißen sollten, das würde besser passen. Nichts mögen sie tun, nicht einmal ordentlich steuern können sie. Heut nacht auf der Hundewache hat Jeff einen ganzen Strich verkehrt auf den Kompaß gelegt.«
In diesem Augenblick kam Donna Pampina mit einer Untertasse voll Eingemachtem aus dem Roof, und trat zu den Knaben.
Seit Fritz und Peter an Bord waren, hatte Donna Pampina ihrer Toilette einen etwas weiblicheren Anstrich gegeben, sie sah nicht mehr ganz so schreckerregend aus wie früher.
Pampina blieb vor den Knaben stehen, kratzte sich den Schnurrbart, dann lächelte sie, strich Fritz über den Kopf und sagte: »Good boy.«
Fritz lächelte ihr zu, reichte ihr die Hand und antwortete: »Good Donna.«
Dann lachten sie alle drei, und Fritz aß das Eingemachte. Weder er noch sie konnten viele englische Vokabeln, diese wenigen aber wendeten sie zu ihrer gegenseitigen Freude an.
»Good Donna« war sie wahrlich für die beiden Knaben gewesen. Sie hatte sie von Kopf bis Fuß mit ihren eigenen und ihres Bruders Sachen gekleidet. Es waren ihre Strohpantoffeln, ihr Baumwollhemd und ihr alter Strohhut, die Fritz schmückten, die Hosen aber, blaukariert und ausgekrempelt, die ihn um die Beine schlotterten, gehörten dem Kapitän. Peter war auf ähnliche Weise ausstaffiert. Es waren noch nicht vierzehn Tage her, als Fritz sich vor dem Café in Cadiz seiner schäbigen Kleidung wegen genierte, und doch war sie fürstlich im Vergleich zu dem Kostüm, das er jetzt anhatte.
War Pampina glücklich mit Fritz, so war ihr Bruder es nicht weniger mit Peter, und zwar mit Recht.
Don Pedro hatte manches im Leben durchgemacht, und war häufig mit einer mageren und schlechten Besatzung unterwegs gewesen, aber eine ähnliche Mannschaft wie die, mit der der »Don Carlos« von Cadiz in See ging, war ihm doch noch nicht vorgekommen. Don Pedro fühlte die Last des Alters und die Folgen jahrelanger Strapazen; die Gicht plagte ihn häufig, und die Augen fingen an zu versagen. Jetzt hatte er eine lange Reise vor sich und keinen Steuermann zur Seite, der ihm bei den Observationen helfen und die Mannschaft in Zucht halten konnte.
Zu seinem Erstaunen aber entdeckte der Kapitän, daß Peter Mann genug war, ihm den Vermißten zu ersetzen.
Schon am zweiten Tag, nachdem Peter in der elenden Verfassung auf den Dampfer gekommen war, meldete er sich zum Dienst. Er hatte in der ledigen Steuermannskajüte gelegen, gegessen und getrunken und darauf zwanzig Stunden hintereinander geschlafen. Dann war er wieder obenauf.
Es war gerade Pampinas Wache. Sie steuerte, aber brannte vor Verlangen, zu Fritz in die Kajüte zu kommen. Auf einmal stand Peter auf der Brücke, etwas blaß um die Nase, aber voller Lust sich zu betätigen. Er sah die Donna an, sie ihn – sprechen konnten sie nicht miteinander. Da aber fand Peter einen Ausweg: er nahm seine alte Mütze ehrerbietig ab, machte einen Kratzfuß vor der alten Dame, und schubste sie behutsam vom Ruder fort.
Pampina vergaß ganz, zornig zu werden, so sprachlos war sie vor Erstaunen, und da stand Peter nun und steuerte den »Don Carlos.« Er hielt den Kurs sicher und stetig, und nachdem die Alte sich die Sache einige Zeit mit angesehen hatte, gab sie ihm ein Paar wohlgemeinte Püffe in den Rücken und ging zu ihrem lieben Patienten.
Peter stand noch da, als Don Pedro auf Deck kam. Der alte, magere Spanier, mit der frierenden Gestalt, dem Kahlkopf und der scharfen, krummen Nase glich einem Geier, dem die Flügel gestutzt sind und der vor Alter die meisten Federn verloren hat. Er ging langsam und vorsichtig auf der Brücke hin und her, betrachtete bald Peter, bald den Kompaß.
»Sprichst Du spanisch?« fragte er schließlich in seiner Muttersprache.
Peter schüttelte den Kopf.
»Du sprechen englisch?«
»Ich sprechen ein wenig englisch,« lautete die Antwort.
Don Pedro und Peter handhabten die englische Sprache nicht gerade mit Eleganz, und der eine gab ihr eine spanische, der andere eine holsteinische Aussprache; aber auf diese Weise konnten sie sich doch verständigen, und es dauerte nicht viele Tage, so hatten sie sich die schwierigsten Wendungen abgelauscht.
Von diesem Tage an war Peter Nächstkommandierender auf Pampinas Wache, und nur selten brauchte sie jetzt selbst einen Rudertörn zu nehmen.
Mit den Negern konnte Peter sich auch auf Englisch verständigen.
Er und der ergraute Koch waren anfangs gute Freunde. Peter war die Dienstwilligkeit in Person, holte gern einen Eimer frisches Wasser für den Koch oder schälte Kartoffeln. Mit Joe und Jeff aber ging es nicht so friedlich ab.
Peter haßte träge Menschen und nährte die tiefste Verachtung für Neger im allgemeinen. Dem Koch Handreichungen zu leisten, das war eine Sache – er war ein älterer Mann, und Peter verstand es außerdem, für seinen immer hungrigen Magen einen Vorteil daraus zu ziehen – aber sich mit zwei schwarzen Matrosen gemein zu machen, das war weit unter seiner Würde.
Das Verhältnis zwischen dem weißen Peter und den beiden Schwarzen war darum von Anfang an ein gespanntes, und es entwickelte sich bald durch zahlreiche Hänseleien zu Feindschaft und Haß.
Onkel Brummers Fernglas war die Veranlassung zum ersten Krach.
Peter wußte, daß das Glas in der Jolle gelegen hatte, als sie geborgen wurde, und mußte darum jetzt auf dem Dampfer sein. Don Pedro hatte es nicht und der Koch auch nicht, denn dessen Kajüte hatte Peter bereits mehr als einmal durchstöbert.
Joe und Jeff mußten also die Diebe sein, und Fritz sollte sein Glas wiederbekommen.
Peter berührte die Frage Joe gegenüber, der sein Wachtkamerad war, erst mit Vorsicht, dann mit unverhohlener Deutlichkeit; Joe aber grinste nur und zeigte seine weißen Zähne. Mit Jeff erging es ihm nicht besser. Es kam so weit, daß die schwarzen Schlingel ihm geradezu mit dem vermißten Gegenstand höhnten: sie hielten ihre hohlen Hände vor die Augen, als sähen sie durch ein Fernglas, worauf sie den Leichtmatrosen schadenfroh angrinsten, der inwendig raste, äußerlich aber seine Ruhe und Würde bewahrte.
Eines Tages fand er das Glas in Joes Laternenschrank, unter einem Haufen Werg, in das rote Halstuch des Negers eingewickelt. Peter aber ließ das Glas ruhig liegen, er wollte eine süße Rache haben.
Als Pampina am nächsten Tag auf der Brücke erschien, während Peter steuerte, berichtete er ihr mit Gesten und einzelnen englischen Worten, daß gestohlene Sachen im Laternenschrank lägen. Pampina ließ sich das nicht zweimal sagen, eilte zu dem bezeichneten Raum und durchstöberte ihn. Außer dem Fernglas fand sie noch eine Flasche Rum, die wahrscheinlich auch gestohlen war. Oben vom Ruder aus war Peter Zeuge eines Zusammenstoßes zwischen der Donna und den beiden Matrosen unten auf Deck. Es war ein kurzer, aber effektvoller Auftritt. Pampina stand mit dem Fernglas in der einen und der Rumflasche in der anderen Hand vor Joe und Jeff, die sich ihren wolligen Kopf kratzten und verlegen aussahen. Pampina feuerte eine Salbe spanischer Schimpfworte auf sie ab, worauf sie die gestohlenen Sachen auf Deck stellte, sich aufrichtete und mit blitzartiger Geschwindigkeit den beiden Schwarzen zwei schallende Ohrfeigen verabreichte. Dann nahm sie Fernglas und Flasche wieder auf, schritt siegesbewußt übers Deck und verschwand im Roof.
Die Neger aber steckten die Zunge hinter der alten Dame aus, und drohten erst ihr mit ihren Fäusten und dann Peter, der ruhig hinter dem Ruder stand, und sich den Anschein gab, als ginge ihn die ganze Sache gar nichts an.
Von diesem Tage an keimte Rachedurst in den Seelen der Matrosen, sie planten Uebles gegen Peter, und er wußte es.
In Anbetracht dessen, daß Peter nur Leichtmatrose war, und erst fünfzehn Jahre zählte, war er ganz ungewöhnlich tüchtig. Denn nicht allein, daß er die gewöhnliche Matrosenarbeit tadellos verrichtete, er verstand sich sogar auf die Benutzung des »Sextanten«, eines Instruments, mit dem man auf See die Sonne und andere Himmelskörper beobachtet, um dadurch den Platz des Fahrzeuges auf der Karte zu bestimmen.
Peter konnte »die Sonnenhöhe« messen und die »Breite« berechnen, was auf allgemeiner Landrattensprache so viel heißt, daß er durch Messungen des Sonnenstandes zur Mittagszeit ausrechnen konnte, wie weit das Schiff vom Aequator entfernt war. Eine andere und noch wichtigere Aufgabe besteht darin, herauszufinden, wie weit das Schiff in östliche oder westliche Richtung gekommen ist, aber das lag noch außerhalb Peters Wissen, denn dazu gebraucht man Seeuhren, und in die war Peter noch nicht eingeweiht worden.
Im Roof lag die Seekarte, und Peter, der mit Fritz zusammen in der Kajüte seine Mahlzeiten einnahm, hatte Gelegenheit genug, den Kurs des Schiffes zu studieren und die Entfernungen zu messen. Wenige Tage, nachdem er Pampina zum erstenmal am Ruder abgelöst hatte, bat er den Kapitän um den Sextanten.
Zu Don Pedros und der ganzen Mannschaft höchstem Staunen stand der jugendliche Leichtmatrose zur Mittagszeit und maß die Sonnenhöhe; und nachdem er sich mit peinlichster Mühe in den spanischen Tabellen des Kapitäns orientiert hatte, glückte es Peter, die Breite auszurechnen und sie auf der Karte zu bestimmen.
Und dadurch gewann er seinen ersten großen Sieg an Bord des »Don Carlos:« er wurde vom Kapitän mit großer Feierlichkeit und im Beisein der Mannschaft – die kohlengeschwärzten Chinesen mit einbegriffen – zum Steuermann, mit einer Gage von vierzig Pesetas im Monat ernannt.
Peter wuchs einen ganzen Meter in seinem eigenen Bewußtsein, und Fritz jubilierte. Joe und Jeff aber wurden grau im Gesicht vor innerer Wut, und schwuren, daß sie so einem Bengel nicht gehorchen wollten.
Don Pedro rieb sich die Hände, er hatte schließlich doch einen Steuermann bekommen und noch dazu für billiges Geld. Wenn er auch einsah, daß Peter kaum einen erwachsenen Mann ersetzen konnte, so war er doch eine ausgezeichnete Hilfe an Bord des schlecht bemannten Dampfers.
Warum aber den fünfzehnjährigen Jungen zum Steuermann ernennen und ihm Steuermannslohn bezahlen, anstatt ihn für Nahrung und Kleidung arbeiten zu lassen, wozu Peter Lust genug gezeigt hatte? Das hatte seinen guten Grund. Don Pedro hatte nämlich das Gesetz verletzt, indem er Cadiz ohne Steuermann verließ; jedes Schiff, das mehr als hundert Tons mißt, muß einen Steuermann angemustert haben; und in den Schiffspapieren war ein Steuermann eingetragen, der sich P. José nannte – das war Pampina, die sechzigjährige Schwester des Kapitäns. Aber es ist eine gefährliche Sache dem Gesetz ein Schnippchen zu schlagen, sowohl in Spanien wie anderwärts. Pedro setzte sich der Gefahr aus, zu großer Geldbuße verurteilt zu werden, ja, man konnte sein Schiff sogar konfiszieren.
Peter Most aber erfüllte die Forderungen, die das spanische Seegesetz an einen Steuermann stellt: er hatte über sechs Jahre zur See gefahren, verstand sein Geschäft, konnte Sonnenhöhen messen, Kurse und Entfernungen auf der Karte bestimmen. Um das Alter kümmert das Gesetz sich nicht.
Es öffnete sich jetzt ein weites Feld für Peters Wirksamkeit. Er untersuchte das Schiff von vorn nach achtern, vom Deck bis zum Schiffsboden. Im Lastraum stand Wasser, und der Maschinenmeister mußte die Lastpumpe in Gang setzen, bis der Dampfer trocken und lenz war. Ueber den Eisenbahnschienen lagen einige schlecht verstaute Fässer und Tonnen – Joe und Jeff mußten nach unten und sie ordentlich verstauen. Die Laternen waren in einem trostlosen Zustand, der Koch Nelson erhielt den Befehl sie zu reinigen und zu putzen.
Jedesmal wenn die Neger den Gehorsam verweigern wollten, kam Pampina Peter zu Hilfe und fuhr zwischen die schwarzen Burschen, wie ein Falke zwischen Kraniche. Vor ihr hatten sie Respekt.
Peter selbst arbeitete den ganzen Tag und gönnte sich kaum die notwendigste Ruhe. Don Pedro aber rieb sich zufrieden seine Geierkrallen, als er sah, wie nach und nach auf dem schmutzigen Dampfer Ordnung geschafft wurde.
Fritz war wieder wohlauf, seine Augen hatten ihren alten Glanz und seine Backen Farbe bekommen. Er wollte nicht müßig auf dem Dampfer herumgehen, sondern verlangte zu Pampinas Verzweiflung seinen Anteil an den Wachen und der Arbeit. Die alte Donna betrachtete ihn schon fast wie ihren eigenen Sohn, und hätte ihn am liebsten während der ganzen Reise in der Kajüte behalten, um ihn zu pflegen und zu verhätscheln, aber davon wollte Fritz nichts wissen. Zu Pampinas Beruhigung wurde es indessen so geordnet, daß sie und die beiden Jungen zusammen Wache hatten.
Eingedenk früherer Beobachtungen, hatte Peter ein wachsames Auge auf den Proviantkeller. Pampina hatte nicht ohne Bedenken eingewilligt, daß er auch in ihr spezielles Gebiet eingriff, aber ihre Angst, bestohlen zu werden und andererseits ihr Zutrauen zum Steuermann wuchsen mit jedem Tag. Die Reise konnte noch lange dauern, und Pampina hatte nicht sehr reichlich eingekauft; wenn deshalb mehr als die tägliche Ration gebraucht wurde, konnte es zum Schluß der Reise schlimm aussehen.
Den Schlüssel zum Raum unten im Last, wo der Proviant aufbewahrt wurde, trug Pampina immer in ihrer Tasche, aber es war ja möglich, daß die Neger einen falschen hatten, und darum ließ Peter ein solides Hängeschloß anlegen.
Tags darauf aber waren trotzdem auf dem Boden vor dem Rumfaß einige Tropfen verschüttet, Jeff war betrunken und roch nach Spiritus, und aus dem Brotsack war Schiffszwieback gestohlen.
Da berieten die beiden Freunde, was nun zu tun sei. Fritz erbot sich, unten im Last die Nacht über Wache zu halten, um den Dieben auf die Spur zu kommen; das aber wollte Peter nicht zulassen; Fritz durfte sich unter keiner Bedingung einem nächtlichen Zusammenstoß mit den schwarzen Schlingeln aussetzen. Peter fand einen anderen Ausweg.
Des abends streute er Mehl um den Proviantraum herum – die Diebe konnten nicht herankommen, ohne Spuren im Mehl zu hinterlassen.
Zwei Tage vergingen, ohne daß etwas zu entdecken war; am Morgen des dritten Tages aber erschien Joe auf Deck mit Mehl zwischen den Zehen, und vor dem Proviantraum waren deutliche Spuren von großen, bloßen Füßen zu sehen. Der Dieb war entdeckt, wie aber konnten die Neger durch die doppelt verschlossene Tür gekommen sein?
Nach genauer Untersuchung der Fußspuren fand Fritz des Rätsels Lösung. Indem er eine alte Kiste, die an der einen Seite des Proviantkellers stand, beiseite schob, entdeckte er zwei lose Bretter. Sie waren durchsägt, und wenn man sie zurückschob, wurde ein Loch frei, so groß, daß ein Mann bequem hindurchschlüpfen konnte.
Beim Mittagessen berichtete Peter dem Kapitän und Donna Pampina von dem Resultat ihrer Untersuchungen, worauf letztere so wutentbrannt wurde, daß sie Messer und Gabel hinlegte, und den Matrosen gleich an den Kragen wollte; ihr Bruder aber dämpfte ihren Zorn: was sollte man denn machen? Die Neger in Ketten legen? – die ganze Deckmannschaft bestand ja nur aus ihnen. Sollten Peter und Fritz vielleicht die ganze Arbeit tun? – Dann würden sie vor Ermattung sterben. So sprach Don Pedro, und Pampina schauderte bei dieser Aussicht. Man konnte nichts anderes tun, als die Bretter festnageln und aufpassen, daß kein neues Loch gemacht würde.
Ganz aber wollte Pampina nicht auf ihre Rache verzichten; und während Peter und Fritz oben auf der Brücke standen, rief sie die beiden Sünder, Joe und Jeff nach achtern, und überhäufte sie so lange mit Schimpfworten, bis sie blau im Gesicht und trocken im Halse war. Darauf schickte sie die Neger mit Werkzeug und Brettern in den Last hinunter. Joe und Jeff mußten selbst – unter Pampinas strengen Augen – die losen Bretter festzimmern und eine gediegene Planke quer vors Loch nageln.
Damit war der Proviant gerettet, die Wut der Schwarzen aber gegen den Steuermann hatte ihren Siedepunkt erreicht; er war ihr Feind. Peter hatte sie zur Arbeit gezwungen, und jetzt war er schuld daran, daß Joe keinen Extrabissen und Jeff keinen Branntwein mehr stibitzen konnten. Auch den Koch dürstete es nach Rache, denn er war nicht besser als die anderen. Jetzt hatten sie es auf Peters Leben abgesehen.
* * *
Der Dampfer steuerte südwestlich; Madeira war schon längst passiert, Fritz aber hatte nichts anderes von der schönen Insel zu sehen bekommen, als einen bläulichen Umriß der hohen, fernen Berge. Der »Don Carlos« dampfte jetzt in denjenigen Teil des Atlantischen Meeres hinein, wo der Passat weht, der nördlichste Wind, der fast das ganze Jahr unverändert durch die ruhigen Dünungen des großen Meeres streicht.
Das Wetter war unverändert schön. Nur die federleichten »Passatwolken« trieben über die blaue Himmelswölbung, von wo die Sonne tags über auf Schiff und Meer herabschien, um des abends Tausenden von blinkenden Sternen Platz zu machen.
Nur selten begegnet man Schiffen in diesem Fahrwasser, das Meer selbst aber bietet viel Unterhaltung. Große Schollen gelbbraunen und grünlichen Tangs, so umfangreich wie Inseln, wiegen sich auf der rollenden Meeresfläche. Mattweiße Muscheln, leicht und zart wie das feinste Porzellan, schwimmen obenauf und strecken einen kristallklaren, blinkenden Zipfel in die Höhe, wie ein Segel. Fliegende Fische spießen pfeilschnell mit langen, schwirrenden, durchsichtigen Flügeln von einer Woge zur anderen, flachen Steinen gleich, die übers Wasser geschleudert, immer wieder aus den Wellen hervorhüpfen. Delphine tummeln sich zu Scharen; hin und wieder kann man ein fernes Prusten hören, Wassersäulen heben sich in die Höhe – das sind riesengroße Walfische, die ihre dunklen Körper sonnen, schläfrig und schwerfällig.
Des nachts funkelt Meerleuchten aus dem warmen, sehr salzigen Ozean. Ueberall wo das Wasser gebrochen wird, im Kielwasser, auf den Wogenkämmen, im Gischt beim Steven, leuchten Millionen Blitze durch die dunkle Nacht – ein bläulicher, phosphorähnlicher Schein, wie von Gnomenlichtern.
Und plötzlich erscheint ein Meerleuchtenstreifen, wie von unsichtbarer Hand geritzt. Fritz weiß, was er bedeutet, und es schaudert ihn, denn ein solcher Streifen wird nur von den Rückenflossen der großen, gierigen Haifische gezeichnet, die dem Schiff Tag und Nacht folgen, gefräßige Raubtiere, die auf Beute lauern. Weh dem Mann, der über Bord geht, wenn Haifische in Sicht sind, er ist rettungslos verloren.
Zehnmal hat die Erde sich um ihre Achse gedreht, zehn sonnenstrahlende Tage hat die Schraube des »Don Carlos« das Atlantische Meer gepflügt. Paradiesische Ruhe herrscht in der Natur, paradiesischer Frieden scheint über dem alten, spanischen Dampfer zu ruhen; unter der ruhigen Oberfläche aber glimmen starke Leidenschaften, tückische Anschläge werden geschmiedet.
Steuermann Peter hatte sich vorgenommen, die Takelung des Dampfers gründlich nachzusehen; wer einen sachverständigen Blick nach oben warf und die beiden mit Kohlenstaub überzogenen Rahen sah, die am Fockmast baumelten, die alten, verrosteten Stag, die schlotternden Wanten und das zerschlissene, rauchgeschwärzte »laufende Gut« – Fall und Brassen –, der mußte sich sagen, daß die Aufgabe fast hoffnungslos sei. In Peters fünfzehnjährigem Körper aber wohnte eine zähe Energie; wenn er sich etwas in seinen rothaarigen Kopf gesetzt hatte, war er nicht davon abzubringen.
Peter hatte den Kapitän davon überzeugt, daß es notwendig sei, das Takelwerk in Stand zu setzen; denn mit der jämmerlichen Maschine, den undichten Ventilen und dem versoffenen Maschinenmeister konnte man jeden Augenblick gewärtig sein, daß die Schraube versagte, der Dampfer plötzlich stillläge, in den Wellen und Dünungen rollte, bis er leck würde, oder der Proviant aufgezehrt sei – und dann war es mit ihnen allen vorbei. Wenn dagegen einige Segel gesetzt würden, konnte man immerhin bei dem gleichmäßigen Passatwind, das Schiff in der Gewalt behalten und irgendeinen Hafen erreichen. Und Segel lagen im Lastraum.
Mit Einwilligung des Kapitäns begann Peter die Reparatur.
Die Neger aber weigerten sich, in die Höhe zu entern und an der Takelung zu arbeiten. Zureden half ebenso wenig wie Drohungen, sie wollten nicht. Das einzige, worauf sie sich einließen, war, die Rahen unten auf Deck zu waschen und zu malen, und mit ungeheurer Anstrengung glückte es dem Steuermann, die schweren Rundhölzer herabzufieren und quer übers Schiff auf die Reling zu legen.
Peter aber ließ sich mit einem Teereimer und einem Teerbesen in die Höhe ziehen, er hing hoch oben am Mast, an einem Tau, das unten am Deck festgesorrt war. So schwebte er oben in der Luft, in einer Tauschlinge sitzend, der Eimer hing unter ihm, während er mit dem langen Besen arbeitete. Fritz steuerte. Jeff und Joe seiften die Rahen – das heißt, die meiste Zeit ließen sie die Arbeit ruhen und steckten die wolligen Köpfe zusammen und flüsterten miteinander, ab und zu drehten sie das Weiße aus den Augen und schielten zu dem verhaßten Steuermann hinauf, der hoch oben über ihren Köpfen mit Lust und Liebe arbeitete und dazu sang.
Fritz hatte ein wachsames Auge auf die Neger, er lebte in ständiger Angst, daß seinem Freund etwas zustoßen könne, denn er kannte die haßerfüllten Gefühle der Neger, und wußte, daß sie Peter als ihren Plagegeist betrachteten.
Joe legte bald die Arbeit nieder und gähnte, so daß sein ganzes Gesicht einem großen, schwarzen Loch glich, streckte sich auf Deck hin und schlief scheinbar ein. Jeff wusch allein weiter.
Joe hatte sich in geringer Entfernung von dem Fuß des Mastes, wo Peters Tau festgesorrt war, hingelegt, aber es wollte Fritz scheinen, als ob der schlafende Neger sich nach und nach immer näher an den Mast heranschob, bis er schließlich nicht dichter herankommen konnte. Fritz hatte das ganze Manöver verfolgt, aber es schien ihm nur begreiflich, daß Joe am liebsten im Schatten liegen wollte.
Fritz legte gerade den Kopf in den Nacken, um mit seinem Freund oben in der Luft zu sprechen, als er einen Schrei ausstieß: Peter stürzte plötzlich kopfüber herab; da aber strammte sich das Tau wieder, Peter hielt mit einem heftigen Ruck im Fallen inne, und blieb keine fünf Meter überm Deck hängen.
In einer Sekunde war Fritz von der Brücke herunter und machte das Tau wieder fest – es hatte sich im Fallen um einen Nagel gewickelt und dadurch Peter gerettet, der sonst unfehlbar auf den Schiffsplanken zerschmettert worden wäre.
Joe lag nicht mehr und schlief; er und Jeff standen an der Reling. Fritz brauchte nur einen Blick auf die enttäuschten Verbrecherphysiognomien der beiden schwarzen Matrosen zu werfen, um seiner Sache sicher zu sein: sie hatten einen Mordversuch machen wollen.
Vorsichtig fierte Fritz seinen Freund aufs Deck herunter. Da stand Peter nun kreidebleich im Gesicht und atmete schwer. Einige Minuten vergingen, bevor er seine Ruhe wiedergewonnen hatte, dann fragte er mit heiserer Stimme:
Fritz zeigte auf Joe
»Du lügst, Bengel!« schrie der freche Neger in seinem gebrochenen Englisch, »ich nicht haben Tau gelöst!« Joe und Jeff rückten den beiden Knaben dicht auf den Leib. Joe schob den Kopf vor und ballte die Hände, als wolle er auf Fritz eindringen, und dieser griff hinter sich nach einem schweren Eisennagel; das war eine gute Waffe, wenn es zum Kampf käme.
Peter stand noch immer und atmete tief; den Teereimer hielt er in der linken Hand. Joe machte noch einen Schritt auf Fritz zu – da sprang Peter auf den Neger los und stülpte ihm den Teereimer über den Kopf, während Fritz den schweren Eisennagel hob und ihn mit seiner ganzen Kraft gegen Jeffs schwarzes Gesicht schleuderte. Die Spitze traf ihn gerade an der Stirn, und mit Geheul fiel der Neger aufs Deck, während Joe vom Teer geblendet, wild vor Wut und halb erstickt, mit dem Eimer überm Kopf herumtanzte.
Selten wohl haben zwei Knaben von vierzehn und fünfzehn Jahren einen größeren Sieg über zwei erwachsene, starke Männer davongetragen, als Peter und Fritz über Joe und Jeff. Aber die Schlacht war noch nicht beendigt. Joe war allerdings noch vollständig kampfunfähig, denn selbst nachdem er seinen Kopf von dem Eimer befreit hatte, war sein ganzes Gesicht, Haar und Hände so verklebt und schmierig von Teer, daß er zu keinem Angriff fähig war; anders aber mit Jeff. Einen Augenblick hatte er längelang auf Deck gelegen, von dem schweren Schlag betäubt, dann aber kam er wieder aus die Beine, mit einer gewaltigen Beule auf der schwarzen Stirn, die Augen vor Wut funkelnd, und ihm zur Hilfe eilte der Koch Nelson, mit einer Feuerzange in der Hand.
Wieder standen die beiden Knaben zwei starken Negern gegenüber – es war eine ungleiche Partei; der Lärm und die Rufe aber waren bis ins Roof gedrungen und jetzt erschien Donna Pampinas vierschrötige Gestalt in vollem Lauf auf Deck.
Sie stellte sich breit und kühn vor die Knaben, als die Neger von neuem zum Angriff schreiten wollten, diese aber waren so rachedurstig, daß nicht einmal die respekteinflößende Erscheinung der alten Donna ihnen Einhalt zu tun vermochte.
»Geh weg,« rief Jeff Pampina zu, »ich will ihn totschlagen.«
Er hatte den schweren Eisennagel vom Deck aufgehoben und mit demselben in der erhobenen Hand drang er auf Peter ein.
Da aber sah er geradeswegs in einen blanken Revolverlauf, dessen Mündung auf seinen Kopf gerichtet war. Der Revolver ruhte in der ausgestreckten Hand des alten Don Pedro, der Zeigefinger lag fest auf dem Hahn. Der Kapitän stand neben seiner Schwester; er glich nicht mehr einem alten, hinfälligen Geier, sondern einem starken Adler mit scharfen, mutigen Augen.
»Wirf den Eisennagel fort,« befahl er.
Der Nagel rollte auf die Erde.
»Bindet ihm die Hände auf den Rücken – wenn Du eine einzige Bewegung machst, Jeff, blas ich Dir das Gehirn aus dem Kopf. – Fort in die Kombüse mit Dir, Koch.«
Die Stimme des Kapitäns klang wie Stahl auf Feuerstein, hart und gebieterisch. Ungehorsam war ausgeschlossen. Der Koch schlich in seine Küche, mit der Feuerzange in der Hand, Peter und Fritz banden Jeff die Hände auf den Rücken, mit einem gediegenen Tau.
»Geh ans Steuer, Fritz – führ den schwarzen Schlingel nach achtern, Steuermann.«
Peter zog mit dem Sünder ab, ihm folgten Don Pedro, mit dem Revolver in der Hand, und Pampina, die bald einen bewundernden Blick auf den Bruder warf, bald sich ängstlich nach Fritz umsah, für dessen Sicherheit ihr graute.
Jeff war zahm wie ein Lamm, aller Aufruhrsgeist war aus seiner schwarzen Seele wie fortgeblasen, die dicken Lippen bebten aus Schreck vor dem Bevorstehenden, die Knie schlotterten gegeneinander. Und als Peter während des folgenden Verhörs berichtete, wie einer der Matrosen das Tau gelöst habe, um den Steuermann umzubringen, fiel Jeff auf die Knie und brüllte:
»Ich haben es nicht getan – ich haben es nicht getan, Massa Capitano, Joe es getan – Joe großer Spitzbube. Nicht mich schießen, Don Pedro – Joe Tau losgemacht – Nelson großer Spitzbube, er Joe Rat gegeben – Joe und Nelson schlimme, schwarze Verbrecher.« So schrie er aus Todesangst vor der Strafe, indem er seine Kameraden feige verriet.
»Das scheint mir ja ein ganzes Komplott zu sein,« sagte der Kapitän zu seiner Schwester. »Geh nach vorn, Pampina, und hol den Koch und Joe.«
Kurz darauf kam die Donna zurück und trieb die beiden Sünder vor sich her; jedesmal, wenn sie Miene machten, stehen zu bleiben, gab sie ihnen einen Puff in den Rücken. Sie waren nicht mutiger als Jeff. Joe sah fürchterlich aus, sein ganzer Kopf war in Teer eingeschmiert, er hing ihm noch in großen Kleksen an Augen und Ohren.
Don Pedro richtete seinen alten, rheumatischen Rücken auf und sah mit einem scharfen Blick von dem einen schielenden Schwarzen zum anderen.
»Ihr habt ein Komplott angestiftet, Ihr habt einen Mordversuch auf Euren Steuermann gemacht – gehängt müßt Ihr alle drei werden, Ihr schwarzen Hunde, das ist die gesetzmäßige Strafe für Euer Verbrechen.«
Joe fiel neben Jeff auf die Knie und faltete die Hände.
»Nelson und Jeff will ich für diesmal noch laufen lassen,« fuhr Don Pedro fort; »aber wenn Ihr noch ein einziges Mal auf dieser Reise die Hand gegen den Steuermann erhebt, so schieße ich Euch nieder mit diesem Revolver.« Er schwang die Waffe über seinem Kopf. »Du aber, Joe, der Du eigenhändig das Tau gelöst hast, Du mußt Deine Strafe erleiden.«
Don Pedro senkte langsam die Hand und richtete den Revolverlauf auf Joe. Dieser aber schlug vor Entsetzen einen Purzelbaum und lief heulend übers Deck nach vorn:
»Erschieß ihn nicht, Pedro,« bat Pampina, »laß den feigen Schurken laufen.«
Der Kapitän steckte den Revolver in die Tasche, winkte Peter ihm zu folgen und ging in den Roof. Die Schwarzen schlichen beschämt davon.
Drinnen in der Kajüte sank der alte Mann wieder zusammen, frierend und schlaff, die Spannung war vorüber, er war wieder der alternde Geier.
Er saß eine Weile still da, den Revolver vor sich auf dem Tisch, und seufzte ab und zu. Peter stand erwartungsvoll vor ihm.
»Ich bin alt, das Schiff ist alt und Pampina ebenfalls,« begann der Kapitän, »dies wird für uns alle drei die letzte Reise sein.
Kommen wir mit dem Dampfer nach Barcelona zurück, so ist es gut, kommen wir ohne ihn nach Hause, so ist es auch kein Schaden – der »Don Carlos« ist nur noch altes Eisen –
Diese Reise aber muß zu Ende gebracht werden, hörst Du, Steuermann, der Dampfer soll und muß den Orinoco erreichen.
Setz Dich, Peter, und hör mir zu. Ich habe Zutrauen zu Dir, mein Freund, Du bist der Einzige hier an Bord, dem ich mich anvertrauen kann, und wenn mir etwas zustoßen sollte, mußt Du meine Pläne ausführen.«
Peter setzte sich, und während der vorsichtige Kapitän die Türen, die zu seiner und Pampinas Schlafkajüte und zum Deck hinaufführten, untersuchte, ob auch niemand sie belausche, nahm Peter den Revolver zur Hand, der auf dem Tisch lag und untersuchte ihn näher.
»Er ist ja gar nicht geladen,« sagte er zu Don Pedro, als dieser an der gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz genommen hatte.
»Ich hatte keine Zeit dazu, aber er hat ja trotzdem seine Wirkung getan. Kannst Du schießen, Peter?«
»Sehr schlecht,« gestand Peter. »Fritz hat eine Salonbüchse zu Hause und mit der haben wir bisweilen geschossen. Fritz aber kann einen Spatzen treffen, der schießt besser als ich.«
»Du sollst es lernen sowohl mit einem Revolver wie mit einer Büchse umzugehen, ich werde es Dich lehren – – Jetzt aber höre genau zu: Du weißt, daß der Dampfer mit Eisenbahnschienen geladen ist; sie sind für die Firma Gonzales Hermanos in Ciudad Bolivar bestimmt, – das ist eine Stadt, die ein gutes Stück flußaufwärts am Orinoco liegt – auf diese Fracht lauten die Schiffspapiere.
Aber es ist noch etwas anderes an Bord, wovon nichts in den Papieren steht,« – hier dämpfte Don Pedro seine Stimme zu einem Flüstern – »unter den Schienen stehen zwanzig schwere, eisenbeschlagene, wasserdichte Kisten und in jeder einzelnen liegen hundert Gewehre, Mausergewehre, und hier in der Kajüte, unter diesem Tisch, stehen Kisten mit Munition, fünfhundert Schuß für jede Büchse, das macht eine Million Patronen. Ich habe diese Kisten in Cadiz an Bord genommen, ein Stück nach dem anderen – zwei Monate hat das Laden gedauert, niemand ahnt, daß sie an Bord sind.«
Peter hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu, aber er konnte Don Pedros langen Ausführungen nur schwer folgen, denn sein schlechtes Englisch war reichlich mit spanischen Wörtern vermischt.
»Ich bin an dieser Spekulation mit einem Viertel beteiligt,« fuhr der Alte fort, »ich habe mit meinem eigenen Gelde den vierten Teil von zweitausend Gewehren und einer Million Patronen bezahlt – das ist viel Geld, Steuermann – der Verdienst von zwanzig Jahren, zwanzigjährige Mühe und Arbeit, es ist die Hälfte meines Vermögens.«
Don Pedro strich sich über die Augen; er stand auf, trat an den Schrank und nahm eine langhalsige Flasche und zwei Gläser heraus.
»Laß uns einen Schluck trinken, Peter, wir haben beide eine Stärkung nötig – Du sowohl wie ich. – Da ist Pampina, nimm Dir ein Glas, Schwester – ich weihe den Steuermann in unser Geheimnis ein; auf ihn mußt Du Dich verlassen, wenn mir etwas zustoßen sollte.«
Pampina hatte die Tür zur Kajüte geöffnet. Jetzt nahm sie am Tisch Platz und nickte Peter freundlich zu.
Der dunkle, duftende Wein füllte die Gläser. Peter trank hastig, die Kehle war ihm trocken von all den Gemütsbewegungen, die er durchgemacht hatte.
»Dieser Wein hat dreißig Jahr in der Flasche gelebt, Steuermann, laß ihn deshalb auch langsam sterben.« Don Pedro ließ den edlen Wein langsam auf die Zunge fließen und schluckte ihn langsam, mit kleinen, glucksenden Lauten hinunter.
»Das ist ein »Pedro Ximenez,« Steuermann,« fuhr der Kapitän fort und hielt das Glas nachdenklich gegen das Licht, das sich in dem vollen, braunroten Wein brach, »er hat achtmal die Linie passiert, mein Freund, jede Flasche ist ihre hundert Pesetas wert. – – Na, aber wir wollten nicht vom Wein sprechen. Pampina gib mal die Karte dort her.
Siehst Du, Peter, hier hast Du Venezuela vor Dir liegen; es ist vielleicht das reichste Land der Erde, aber von Satan selbst und allen bösen Geistern besessen.
Das Land ist groß, größer als Spanien, die Berge sind voll Gold, Silber und Kohlen, die Täler sind reich an Mais und Reis – Viehherden, unzählige Millionen von Pferden, Kühen, Ziegen und Maultieren weiden auf den Hochebenen – kein Land ist reicher, sage ich Dir. Der Teufel aber haust dort. Präsidenten und Generale und scheinheilige Mönche plündern und stehlen – sie hetzen den armen Mann zu Mord und Totschlag. Das ganze Jahr ist dort im Lande Aufruhr, Revolution; Soldaten schießen aufeinander, Bürger schlachten sich gegenseitig – das nennen sie Politik – Dios mio, das ist das Werk des Teufels.
Diesen Winter, im Januar, soll ein neuer Präsident gewählt werden; das heißt so viel wie neue Schlächtereien, Bürgerkrieg im ganzen Lande. Der Aufruhr soll zu Neujahr ausbrechen. Die Aufrührer haben Geld genug, aber es fehlt ihnen an Waffen. Nun weißt Du, für wen die Gewehre bestimmt sind. Ich will ihnen Waffen und Munition verkaufen.
Hast Du verstanden, was ich Dir erzählt habe?«
Peter nickte. Seine Augen glänzten und er fuhr sich mit seinen großen, sommersprossigen Händen durchs Haar: hier war doch endlich mal was, das nach Abenteuern schmeckte – was Fritz dazu sagen würde?
»Die Kisten sollen wohl nicht an demselben Ort gelöscht werden, wie die Schienen?« fragte er nach einer Weile nachdenklich.
»Nein, Bolivar ist auf seiten des Präsidenten, wie alle größeren Städte. Die Kisten sollen vorher von Bord. Aber darüber wirst Du zur rechten Zeit Bescheid bekommen. Vorläufig weißt Du genug. Wir verlassen uns auf Dich, Peter; Pampina und ich haben Dir das Geheimnis anvertraut, denn Du wirst uns nicht verraten. Du bist aus dem Norden, da sind die Menschen ehrlich, dort werden keine Verräter geboren.
Und wenn alles gut geht, sollst Du belohnt werden, Steuermann. Du sollst Deinen Anteil bekommen, das versprechen Pampina und ich Dir. – Geh jetzt, mein Freund.«
Peter stand auf, kaum aber war er bis zur Tür gekommen, als Don Pedro ihn zurückrief:
»Vergiß nicht das Wichtigste – das Schiff muß den Fluß erreichen, einerlei in welchem Zustand. Wir können die wenige Mannschaft, die wir haben, nicht entbehren, es muß Frieden gehalten werden.
Du hast heut selbst gesehen, wozu es führen kann, wenn man die faulen Schwarzen zur Arbeit zwingen will. Geh vorsichtig zu Werke, Steuermann, geh vorsichtig zu Werke. Sieh zu, daß die Segel instand kommen, aber laß es damit genug sein. Wenn die Kisten erst an Land sind – dann in Gottes Namen.«
Peter ging auf die Brücke hinauf und löste Fritz am Ruder ab. Dann erzählte er ihm brühwarm alle Neuigkeiten: von den versteckten Kisten für die Aufrührer in Venezuela, von der ganzen abenteuerlichen Expedition. Da gab es viel zu reden und zu überlegen, und die beiden Freunde konnten seelenruhig alles sagen, was sie wollten, denn keiner an Bord verstand eine Silbe davon.