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Kapitel 2.
Nach Amerika. In Pittsburg. Als Arbeitsbursche in der Spulenfabrik.

Von Dunfermline hatten wir den Omnibus, der die Kohlenbahn entlang nach Charleston fuhr, benutzt. Im Firth of Forth wurden wir in einem kleinen Boot nach dem Edinburger Dampfer hinübergerudert. Als ich aus dem Boot in den Dampfer gehoben werden sollte, fiel ich meinem Onkel Lauder um den Hals und rief: »Ich kann nicht von dir fort! Ich kann nicht von dir fort!« Ein freundlicher Matrose trennte uns und hob mich auf das Deck des Dampfers. Als ich nach 14 Jahren wieder nach Dunfermline kam, fand ich auch diesen guten alten Mann wieder. Da sagte er mir, das sei der traurigste Abschied gewesen, den er je mit angesehen hätte.

Von Glasgow fuhren wir mit dem 800-Tonnen-Segelschiff »Wiscasset«. In den sieben Wochen unserer Reise schloß ich gute Bekanntschaft mit den Matrosen, lernte die Namen der verschiedenen Taue und konnte den Fahrgästen Anleitung geben, wie sie den Anordnungen des Bootsmanns zu folgen hatten; denn da das Schiff nicht genügend bemannt war, wurde die Hilfe der Passagiere dringend gebraucht. Dafür bekam ich am Sonntag auch mein Teil von der einzigen Delikatesse, die die Mannschaftsmesse aufzuweisen hatte: vom Plumpudding. Ich verließ das Schiff mit aufrichtigem Bedauern.

Die Ankunft in Neuyork war verwirrend. Ich war schon einmal nach Edinburg mitgenommen worden, um die Königin zu sehen; aber das war meine einzige Reise gewesen, ehe wir auswanderten. Glasgow konnten wir uns vor der Abfahrt nicht mehr ansehen. Neuyork war der erste große Bienenschwarm menschlicher Betriebsamkeit, unter dessen Bewohner ich mich mischte; der Lärm und das aufgeregte Treiben überwältigte mich vollkommen. Den größten Eindruck machte mir während unseres Aufenthalts in Neuyork ein kleiner Vorfall auf einem Spaziergang durch Bowling Green nach dem Castle Garden. Einer der Matrosen von der »Wiscasset«, Robert Barryman, hatte mich unter seinen Schutz genommen; er hatte sich landfein gemacht mit blauer Jacke und weißen Hosen, wie ein richtiger Matrose. Ich hielt ihn für den schönsten Mann, den ich je gesehen hatte. Er führte mich zu einer Bude mit Erfrischungen und ließ mir ein Glas Sassaparilla-Sirup geben, das ich mit ebensolchem Genuß austrank, als wenn es der Nektar der Götter gewesen wäre. Kaum je hat mir etwas einen derartigen Eindruck gemacht, wie das reichverzierte Messinggefäß, aus dem dieser Nektar heraussprudelte. Oftmals, wenn ich jetzt an der Stelle vorbeikomme und die alte Frau an ihrer Sassaparillabude stehen sehe, denke ich, was wohl aus dem netten alten Matrosen geworden sein mag. Vergebens habe ich versucht, ihn ausfindig zu machen; ich hatte gehofft, es würde mir vergönnt sein, seinen Lebensabend zu verschönern. Er verkörperte für mich die Gestalt des Tom Bowling Der Held der gleichnamigen Ballade des besonders durch seine Seemannslieder bekannten englischen Dichters und Komponisten Charles Dibdin (1715-1814).; und wenn das hübsche alte Lied gesungen wird, sehe ich als das »Urbild männlicher Schönheit« noch immer meinen Freund Barryman. Leider ist er wohl schon längst heimgegangen. Jedenfalls hat er durch seine Freundlichkeit auf der Reise einen Jungen zu seinem treuen Freund und Verehrer gemacht.

In Neuyork kannten wir nur Mr. und Mrs. Sloane, die Eltern der bekannten John, Willie und Henry Sloane. Mrs. Sloane (Euphemia Douglas) war eine Jugendgefährtin meiner Mutter aus Dunfermline, und Mr. Sloane hatte als Weber mit meinem Vater zusammen gearbeitet. Wir suchten sie auf und wurden von Herzen willkommen geheißen. Eine große Freude hat es mir gemacht, als der Sohn Willie im Jahre 1900 von mir ein Grundstück gegenüber unserem Neuyorker Hause für seine zwei verheirateten Töchter kaufte, so daß unsere Enkel Spielgefährten wurden, wie es unsere Mütter einst in Schottland gewesen waren.

Auswanderungsagenten in Neuyork veranlaßten meinen Vater, durch den Eriekanal über Buffalo und den Eriesee nach Cleveland zu fahren und von dort aus den Kanal hinab nach Beaver. Diese Reise dauerte damals drei Wochen; heute legt man den Weg mit der Eisenbahn in 10 Stunden zurück. Aber nach Pittsburg, wie überhaupt nach den westlich gelegenen Städten, gab es damals noch keine Bahnverbindung. Die Eriebahn war noch im Bau, und während der Fahrt sahen wir Gruppen von Leuten bei der Arbeit. Der Jugend ist alles recht, und mit ungetrübter Freude erinnere ich mich der drei Wochen, die ich auf dem Kanalschiff als Passagier verlebte. Die unangenehmen Erinnerungen sind mir längst aus dem Gedächtnis entschwunden, mit Ausnahme der Nacht, die wir auf dem Kai in Beaver verbringen mußten, um auf den Dampfer zu warten, der uns den Ohio hinauf nach Pittsburg bringen sollte. Bei dieser Gelegenheit lernten wir die Moskitoplage kennen, und zwar gleich in ihrer ganzen Furchtbarkeit. Meine Mutter wurde davon so heimgesucht, daß sie am nächsten Morgen kaum aus den Augen sehen konnte. Wir sahen alle schrecklich aus; aber ich kann mich nicht erinnern, daß mich selbst diese stechenden Quälgeister in jener Nacht um meinen Schlaf gebracht hätten. Ich konnte immer schlafen und lernte nie die »schrecklichen Nächte, die Kinder der Hölle« kennen.

Unsere Freunde in Pittsburg hatten schon voll Sorge auf eine Nachricht von uns gewartet. Bei dem warmen und liebevollen Empfang, den sie uns bereiteten, vergaßen wir schnell all unsere Sorgen. Wir zogen zu ihnen nach Allegheny City. Ein Bruder meines Onkels Hogan hatte eine kleine Weberei in der Rebecca Street eingerichtet. Im zweiten Stock waren zwei Zimmer, die meiner Tante Aitken gehörten und wo daher meine Eltern mietefrei sich einrichten konnten. Mein Onkel gab die Weberei bald auf, mein Vater trat an seine Stelle und fing an, Tischtücher zu weben. Da sich aber kein Händler fand, der diese in größeren Mengen abgenommen hätte, war mein Vater gezwungen, auch selbst für den Absatz zu sorgen und als Hausierer auf Reisen zu gehen. Die Einkünfte waren trotzdem äußerst schmal. Wie gewöhnlich, sprang meine Mutter auch jetzt in die Bresche. Sie ließ sich nicht Niederdrücken. In ihrer Jugend hatte sie im Geschäft ihres Vaters, um sich ein Nadelgeld zu verdienen, Schuhe einfassen gelernt, und die Fertigkeit, die sie hierin erworben hatte, wurde nun zum Nutzen der Familie angewandt. Mr. Phipps, der Vater meines Freundes und Teilhabers Mr. Henry Phipps, war, wie mein Großvater, Schuhmachermeister und unser Nachbar in Allegheny City. Von ihm bekam sie Arbeit zugewiesen. So verdiente diese herrliche Frau jede Woche 4 Dollar durch das Einfassen von Schuhen noch neben der Erledigung ihrer Hausfrauenpflichten, denn ein Dienstmädchen hatten wir natürlich nicht. Oft saß sie noch um Mitternacht bei der Arbeit. In der Dämmerstunde aber, wenn die Haushaltssorgen ihr Zeit ließen, trug sie meinem kleinen Bruder, der auf ihren Knien saß und Nadeln für sie einfädelte oder Fäden wachste, die Perlen der schottischen Volkspoesie oder lehrreiche Geschichten vor, geradeso wie früher mir.

Darin haben es die Kinder rechtschaffener armer Leute unendlich viel besser als die der reichen: sie haben Mutter, Pflegerin, Köchin, Gouvernante, Lehrerin, Schutzheilige in einer Person; und der Vater ist ihnen Vorbild, Führer, Berater und Freund zugleich. So wuchsen mein Bruder und ich heran. Was hat das Kind eines Millionärs oder eines vornehmen Hauses gegen solch eine Erbschaft in die Wagschale zu werfen?!

Meine Mutter war stets tätig, aber all ihre Arbeit hinderte doch nicht, daß alle Nachbarn bald in ihr die kluge und gütige Frau erkannten, die für jeden, der in Not war, Rat und Hilfe bereit hatte. Viele haben mir später erzählt, was meine Mutter für sie getan hat. So blieb es auch in späteren Jahren, wo wir auch wohnen mochten. Arme und Reiche kamen zu ihr mit ihren Sorgen, und jeder fand guten Rat. Wohin sie kam, überall stand sie turmhoch über ihrer Umgebung. –

Nun erhob sich die große Frage, was aus mir werden sollte; ich war eben 13 Jahre alt. Mein Schulunterricht war schon in Dunfermline für immer abgeschlossen. In Amerika habe ich nur noch einen Winter lang die Abendschule besucht. Später hatte ich dann eine Zeitlang des Abends französischen Unterricht und merkwürdigerweise auch bei einem Redekünstler, der mich deklamieren lehrte. Ich konnte lesen, schreiben und rechnen und hatte angefangen, Algebra und Latein zu treiben. Ein Brief, den ich auf der Überfahrt an meinen Onkel Lauder geschrieben habe und späterhin zurückbekam, beweist, daß ich damals besser schrieb als heute. Ich hatte mich mit der englischen Grammatik abgequält und wußte ebensowenig wie andere Kinder, weshalb man sie uns beibrachte. Außer über Wallace, Bruce und Burns hatte ich nur wenig gelesen; aber ich wußte viele bekannte Gedichte auswendig. Dann kannte ich noch die Märchen aus der Kinderzeit, besonders die »Aus Tausendundeiner Nacht«, die mir eine ganz neue Welt, ein Wunderland aufgetan hatten; ich habe sie förmlich verschlungen.

Jetzt stand nun mein ganzes Sinnen und Trachten danach, durch eigenen Geldverdienst dazu beizutragen, daß meine Familie in der neuen Heimat eine gesicherte Stellung gewinne. Die Aussicht auf ein Leben in dauernder Ärmlichkeit verfolgte mich wie ein Schreckgespenst Tag und Nacht. All meine Gedanken konzentrierten sich damals darauf, daß die Familie so viel ersparen könnte, um 300 Dollar im Jahre übrig zu haben. 25 Dollar Überschuß im Monat hielt ich für die Summe, die unbedingt nötig sei, um von Anderen völlig unabhängig zu sein.

Der Bruder meines Onkels Hogan fragte meine Eltern öfters, was für Pläne sie mit mir hätten. Das führte eines Tages zu einer der dramatischsten Szenen, die ich je erlebt habe. Ich werde das niemals vergessen. Mit der besten Absicht von der Welt sagte er zu meiner Mutter, ich sei ein tüchtiger und aufgeweckter Junge; wenn man mir ein Körbchen mit Hausiererwaren zurechtmache, so könne ich auf den Kais ein ganz gutes Geschäft machen. Bis dahin hatte ich nicht gewußt, wozu eine erzürnte Frau imstande ist. Meine Mutter saß gerade bei einer Näharbeit. Aber sie sprang auf und hielt jenem ihre ausgestreckten Hände dicht vor das Gesicht: »Was! Mein Sohn soll hausieren gehen und sich zwischen dem Gesindel auf den Kais herumtreiben! Lieber mag er gleich in den Allegheny! Hinaus mit Ihnen!« rief sie und wies Mr. Hogan die Tür. Er ging, ohne noch ein Wort zu verlieren. Sie stand da wie eine tragische Königin. Es schien, als würde sie im nächsten Augenblick zusammenbrechen. Aber nur ein paar Augenblicke lang gab sie sich dem Weinen und Schluchzen hin. Dann schloß sie ihre beiden Jungen in die Arme und sagte, wir sollten nicht weiter an ihr törichtes Benehmen denken. Es gäbe genug ehrliche Arbeit für uns in der Welt; und wenn wir nur immer täten, was recht und gut ist, dann würden aus uns schon ein paar tüchtige Männer werden, die aller Menschen Achtung und Hochschätzung gewinnen. Meine Mutter glich damals der Helen Macgregor, wie sie dem Osbaldistone drohte, sie würde ihre Gefangenen in so viel Stücke hacken, wie ein schottisches Tuch Vierecke hat. Nur der Grund zu diesem Ausbruch war ein anderer; nicht weil die vorgeschlagene Beschäftigung eine niedrige Arbeit war – denn man hatte uns von klein auf gelehrt, daß Müßiggang aller Laster Anfang sei –, sondern weil in ihren Augen die vorgeschlagene Tätigkeit in ihrer ganzen Art etwas an Landstreicherei erinnerte und kein recht respektabler Beruf war. Lieber sterben, als auf solchen Vorschlag eingehen! Ja, Mutter hätte lieber ihre beiden Jungen bei der Hand genommen und wäre mit ihnen in den Tod gegangen, als daß sie sie in so jugendlichem Alter den Gefahren schlechter Gesellschaft ausgesetzt hätte.

Wenn ich auf diese alten Geschichten zurückblicke, so kann ich das eine wohl sagen: es gab im ganzen Land keine stolzere Familie. Jeder einzelne von uns war von einem ausgeprägten Ehrgefühl, von großer Liebe zur Unabhängigkeit, von hoher Selbstachtung durchdrungen. Walter Scott sagt, daß Burns die ungewöhnlichsten Augen hatte, die er je bei einem Menschen gesehen hätte. Dasselbe kann ich von meiner Mutter behaupten. Es ist gerade wie in den Versen von Burns: »Selbst wenn ihr Aug' ins Leere sah, strahlt' es in stolzem Glanze.« Ihrer stolzen Seele war alles Niedrige, Gemeine, Unehrliche, alle Gerissenheit, Roheit, Hinterlist oder Klatschsucht fremd. Bei solchen Eltern mußten ja Tom und ich zu ehrenwerten Männern heranwachsen; denn auch mein Vater war eine edle Natur, bei allen beliebt, ein wahrhaft ehrwürdiger Mann.

Bald nach diesem Zwischenfall fügte sich mein Vater dem Zwang der Verhältnisse; er gab die Handweberei auf und trat als Weber bei der Baumwollwarenfabrik eines alten Schotten, Mr. Blackstock in Allegheny City, wo wir wohnten, ein. In dieser Fabrik brachte er auch mich unter, und zwar in einer Stellung als Spuljunge. Ich bekam in dieser ersten Stellung 1 Dollar und 20 Cent Wochenlohn. Es war ein schweres Leben. Im Winter mußten Vater und ich schon, wenn es noch ganz dunkel war, aufstehen und frühstücken, noch vor Tagesanbruch in der Fabrik sein und nur mit einer kurzen Mittagspause bis abends nach Einbruch der Dunkelheit arbeiten. Die Stunden drückten mich wie Bleigewichte, und die Arbeit selbst machte mir keine Freude. Aber die Wolken erschienen gleich weniger schwarz, wenn ich daran dachte, daß ich ja für meine Welt, für unsere Familie, arbeitete. Viele Millionen habe ich seitdem verdient, aber keine von diesen hat mich so glücklich gemacht wie mein erster Wochenlohn. Jetzt war ich eine Hilfe für die Familie, ein Verdiener, und lag meinen Eltern nicht mehr vollständig zur Last. Ich hatte vom Vater oft das hübsche Lied von der »Fähre« gehört und wollte selbst an mir wahrmachen, was die letzten Zeilen des Liedes ausdrückten:

»Sind Aaleck, Jock und Jeanettie
Erst groß und aus der Lehre,
Erleichtern sie der Eltern Last
Beim Rudern auf der Fähre.«

Ich wollte unser kleines Fahrzeug flottmachen.

Kurz darauf brauchte Mr. John Hay, Spulenfabrikant in Allegheny City, auch ein alter Schotte, einen Jungen und fragte mich, ob ich nicht in seine Dienste treten wolle. Ich nahm das Anerbieten an und bekam nun 2 Dollar Wochenlohn. Aber im Anfang war die Arbeit noch anstrengender als die in der ersten Fabrik. Ich mußte eine kleine Dampfmaschine bedienen und den Kessel im Keller der Spulenfabrik heizen. Das war zuviel für mich. Nacht für Nacht saß ich im Traum im Bett aufrecht und maß den Dampfdruck, immer in der Angst, daß er entweder zu schwach sei und die Arbeiter sich darüber beschweren würden, oder aber, daß der Druck zu hoch wäre und der Kessel platzen könnte.

Aber es war natürlich Ehrensache, von all dem meine Eltern nichts merken zu lassen. Sie hatten selbst genug Sorgen und trugen diese tapfer. Ich mußte versuchen, ein Mann zu sein und meine Sorgen auch allein zu tragen. Ich war voll guter Hoffnung auf die Zukunft und sah mich täglich nach einer Verbesserung meiner Stellung um. Welcher Art diese sein sollte, darüber war ich mir nicht recht klar, aber ich vertraute, daß sie kommen würde, wenn ich nur durchhielt. Überdies war ich noch immer nicht aus dem Alter heraus, in dem ich mich fragte, was Wallace an meiner Stelle getan hätte und was ein Schotte in solchem Falle tun mußte. Eins war gewiß: er durfte nie die Flinte ins Korn werfen.

Eines Tages kam wirklich ein Wechsel. Mr. Hay hatte einige Rechnungen auszustellen. Einen Buchhalter hatte er nicht, und er selbst war nicht gerade ein Schönschreiber. Er fragte mich, was ich für eine Handschrift hätte und ließ mich zur Probe etwas schreiben. Das Ergebnis stellte ihn zufrieden, und er ließ mich nun immer seine Rechnungen schreiben. Ich war auch ein guter Rechner; und er sah bald, daß es in seinem eigenen Interesse lag, mich in anderer Weise zu beschäftigen als bisher. Außerdem, glaube ich, handelte der liebe alte Herr aus einem gewissen Gefühl der Zuneigung zu dem blonden Jungen, denn er hatte ein gütiges Herz und war ein Schotte und wollte mich von der Maschine fort haben.

Ich hatte nun die Aufgabe, die neu angefertigten Spulen in Ölbottichen zu baden. Glücklicherweise gab es einen besonderen Raum für diesen Zweck und ich arbeitete da allein; aber alle Energie, die ich aufbringen konnte, und aller Zorn über meine Schwäche konnten meinen Magen nicht hindern, sich höchst eigensinnig zu betragen. Nie konnte ich die Seekrankheit überwinden, die mir der Geruch des Öls verursachte. Selbst Wallace und Bruce konnten hier nicht helfen. Aber wenn ich auch auf diese Weise um mein Frühstück oder Mittagbrot kam, so hatte ich dann zum Abendessen um so besseren Appetit; denn mein Tagewerk war geschafft. Wer wirklich von Wallace und Bruce etwas gelernt hat, gibt das Spiel nicht verloren; lieber stirbt er.

Meine Tätigkeit bei Mr. Hay bedeutete für mich einen offenbaren Fortschritt. Außerdem hatte ich in Mr. Hay einen Chef, der mir mit größter Güte entgegenkam. Seine Bücher wurden in einfacher Buchführung geführt, und das konnte ich ganz gut für ihn erledigen. Als ich aber hörte, daß alle großen Firmen doppelte Buchführung hätten, und mit meinen Freunden John Phipps, Thomas N. Miller und William Cowley darüber sprach, nahmen wir uns alle vor, im Winter Abendkurse zu besuchen, um das erweiterte System zu erlernen. So gingen wir vier zu einem gewissen Mr. Williams in Pittsburg und lernten doppelte Buchführung.

Eines Abends, zu Anfang des Jahres 1850, als ich von der Arbeit kam, erzählten mir meine Eltern, daß Mr. David Brooks, der Leiter des Telegraphenamtes, meinen Onkel Hogan gefragt hatte, ob er nicht einen netten Jungen wüßte, der als Depeschenbote zu gebrauchen sei. Mr. Brooks und mein Onkel waren leidenschaftliche Damespieler und bei einer Partie Dame fiel auch diese bedeutsame Frage. An solchen Kleinigkeiten hängen oft die wichtigsten Folgen. Ein Wort, ein Blick, eine Schattierung im Ton kann nicht nur das Geschick einzelner Menschen, sondern ganzer Nationen entscheidend beeinflussen. Es ist eine große Vermessenheit, irgendetwas als Kleinigkeit zu betrachten. Wer war es doch, der auf den Rat, sich um Kleinigkeiten nicht zu kümmern, antwortete, er würde diesen Rat gern befolgen, wenn ihm nur jemand erklären könnte, was eine Kleinigkeit sei? Die Jugend sollte daran denken, daß an Kleinigkeiten oft die besten Gaben der Götter hängen.

Mein Onkel hatte meinen Namen genannt und gesagt, er wolle anfragen, ob ich die Stellung annehmen könnte. Deutlich erinnere ich mich noch des Familienrats, der über diese Frage gehalten wurde. Ich war natürlich Feuer und Flamme. Kein Vogel, der je in einen Käfig gesperrt wurde, hatte glühendere Sehnsucht nach der Freiheit als ich. Mutter befürwortete meinen Wunsch, aber Vater war eher dagegen. Es würde zuviel für mich sein, meinte er; ich sei noch zu jung und zu klein; bei einer Bezahlung von 2½ Dollar wöchentlich erwarte man ganz offenbar einen viel größeren Jungen. Mitten in der Nacht könne man mich mit einem Telegramm über Land schicken, und das wäre allein schon gefährlich genug. Kurz und gut, mein Vater war der Meinung, daß es am besten sei, wenn ich auf meiner Stelle bliebe. Nachher aber zog er seine Einwendungen zurück und erlaubte mir, es zunächst einmal zu versuchen; ich glaube, er hat erst Mr. Hay um Rat gefragt. Mr. Hay meinte, es könnte von Nutzen für mich sein, und, obwohl es für ihn recht unbequem sei, riet er doch, den Versuch zu wagen; für den Fall, daß ich es nicht aushalten könnte, wolle er mir meine alte Stellung gern offen halten.

Nun sollte ich mich also bei Mr. Brooks in Pittsburg vorstellen. Mein Vater wollte mich begleiten; wir verabredeten, daß er bis zum Telegraphenamt, Ecke der Vierten Straße und Wood Street, mitgehen solle. Es war ein heller, sonniger Vormittag, und ich nahm das für ein gutes Vorzeichen. Vater und ich machten den Weg von Allegheny nach Pittsburg, von unserem Hause aus fast zwei Meilen, zu Fuß. Vor der Tür des Amtes bat ich meinen Vater, draußen zu warten. Ich bestand darauf, allein nach dem zweiten Stock, wo die Geschäftszimmer lagen, hinauf zu gehen, den großen Mann zu sehen und mein Schicksal aus seinem Munde zu erfahren. Der Grund für meinen Eigensinn lag vielleicht darin, daß ich mittlerweile angefangen hatte, mich schon halb als Amerikaner zu fühlen. Früher riefen mir die Jungen immer »Schottchen! Schottchen!« nach, und ich gab ihnen zur Antwort: »Jawohl, ich bin ein Schotte, und ich bin stolz auf diesen Namen.« Aber inzwischen war die breite schottische Art in meiner Sprache und in meinem Benehmen doch schon etwas abgeschliffen, und ich glaubte, ich könnte besser auftreten, wenn ich mit Mr. Brooks allein spräche, als wenn mein guter alter schottischer Vater dabei wäre, der vielleicht über mein Benehmen lächeln könnte.

Ich trug das einzige weiße Leinenhemd, das ich besaß und das gewöhnlich für den Sonntag aufgehoben wurde, meine blaue kurze Jacke und meinen Sonntagsanzug. Damals, und noch eine Weile nach meinem Eintritt in den Telegraphendienst, hatte ich nur einen leinenen Sommeranzug, und jeden Sonnabendabend, selbst wenn ich Dienst hatte und erst kurz vor Mitternacht nach Hause kam, wusch und plättete meine Mutter diesen Anzug, so daß ich ihn am Sonntag wieder frisch und sauber anziehen konnte. Es gab nichts, was diese heldenhafte Frau nicht getan hätte für unser Bemühen, uns in der neuen Welt einen Platz zu erringen. Die lange Arbeitszeit in der Fabrik griff Vaters Gesundheit sehr an; aber auch er stand in dem Kampfe seinen Mann wie ein Held und hörte nie auf, mir Mut zuzusprechen.

Die Unterredung endete mit einem Erfolg. Ich unterließ nicht, zu sagen, daß ich in Pittsburg noch nicht sehr bekannt wäre, daß ich es vielleicht nicht schaffen könnte, weil ich nicht kräftig genug sei, aber daß ich doch einen Versuch machen möchte. Mr. Brooks fragte mich, wann ich antreten könnte; ich sagte, ich könnte gleich dableiben, wenn ich gebraucht würde. Wenn ich heute daran denke, so scheint mir, jeder junge Mann sollte sich diese Antwort einmal recht überlegen. Es ist ein großer Fehler, eine Gelegenheit nicht gleich zu ergreifen. Die Stellung war mir angeboten; es konnte etwas dazwischenkommen, man konnte einen anderen Jungen heranziehen. Nun war ich einmal da und nahm mir vor, wenn irgend möglich, auch dazubleiben. Mr. Brooks war sehr freundlich; er rief den anderen Jungen – ich sollte zunächst nur als Hilfsbote eingestellt werden – und trug ihm auf, sich um mich zu bekümmern, mich mitzunehmen und anzulernen. Schnell fand ich noch eine Gelegenheit, nach der Straßenecke hinunterzulaufen und meinem Vater zu sagen, daß alles in Ordnung wäre und daß er nach Hause gehen und Mutter bestellen möchte, ich hätte die Stellung bekommen.


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