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Durch den Urwald

Im Walde, in den noch die Felsspitzen herüberleuchteten, legte Tarzan seine Last im Gras nieder. Dann ging er zu einem nahen Bach und holte Wasser, mit dem er Janes Gesicht und Hände anfeuchtete. Das belebte sie aber nicht wieder, und schmerzlich bewegt nahm er Jane wieder auf seine starken Arme und eilte mit ihr nach Westen.

Spät am Nachmittag erlangte sie langsam die Besinnung zurück. Sie öffnete die Augen, aber noch nicht gleich, sondern sie suchte sich der Szenen zu erinnern, deren Zeuge sie gewesen war. Ach, jetzt erinnerte sie sich des Altars, der schrecklichen Priesterin und des herabsinkenden Messers. Sie schauderte, denn sie dachte, entweder sei dies der Tod, oder das Messer sei ihr ins Herz gedrungen und sie erlebe jetzt die letzten Minuten vor dem Tode.

Und als sie schließlich allen Mut aufbot, um die Augen zu öffnen, bestätigte der Anblick, der sich ihr bot, ihre Befürchtungen, denn sie sah, daß sie in den Armen ihres toten Geliebten durch ein grünes Paradies getragen wurde. Wenn dies der Tod ist, murmelte sie, dann danke ich Gott, daß ich tot bin!

Sie sprechen, Jane, rief Tarzan. Sie sind also wieder zu sich gekommen!

Ja, Tarzan, antwortete sie, und zum ersten Male seit Monaten leuchtete ein Lächeln des Friedens und des Glückes über ihr Gesicht.

Gott sei Dank! rief der Affenmensch, als sie eben in eine kleine Lichtung am Fluß kamen. Es war aber auch höchste Zeit.

Wieso, höchste Zeit? Was meinen Sie damit?

Es war Zeit, Sie vor dem Tode auf dem Altar zu retten, mein Liebling! erwiderte er. Erinnern Sie sich nicht?

Mich vor dem Tode zu retten! fragte sie verblüfft. Sind wir denn nicht beide tot, mein Tarzan?

Er hatte sie auf das Gras gesetzt und mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Auf ihre Frage trat er etwas zurück, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können.

Tot! wiederholte er, und dann lachte er. Sie sind nicht tot, Jane, und wenn Sie in die Stadt Opar zurückkehren wollen und die Leute dort befragen, so wird man Ihnen sagen, daß ich noch vor ein paar Stunden nicht tot war. Nein, meine Gute, wir sind beide noch am Leben.

Aber Hazel und Herr Thuran haben mir doch gesagt, Sie seien viele Meilen vom Land in den Ozean gefallen, erklärte sie, wie wenn sie ihm klar machen wollte, daß er doch tot sei. Sie sagten mir, es sei kein Zweifel, daß Sie es gewesen und es sei auch ausgeschlossen, daß Sie gerettet worden wären.

Wie kann ich Sie überzeugen, daß ich kein Geist bin? fragte er lächelnd. Ich war es allerdings, den der köstliche Herr Thuran über Bord geworfen hat, aber ich bin nicht untergegangen – ich werde Ihnen das alles später noch erzählen – und hier bin ich wirklich wieder ganz derselbe wilde Mensch, den Sie früher gekannt haben, Jane Porter.

Sie stand langsam auf und kam auf ihn zu.

Ich kann es noch immer nicht glauben, murmelte sie. Ein solches Glück ist doch nicht möglich nach all den häßlichen Dingen, die ich in den schrecklichen Monaten seit dem Untergang der »Lady Alice« erlebt habe.

Sie kam näher an ihn heran und legte leise und zitternd eine Hand auf seinen Arm.

Ich muß wohl träumen, und ich muß wohl in dem Augenblick erwacht sein, wo ich das schreckliche Messer sich auf mein Herz senken sah. – Gib mir einen Kuß, Geliebter, ehe mein Traum für immer verfliegt!

Tarzan ließ sich das nicht zweimal sagen. Er nahm die Geliebte in seine Arme und küßte sie nicht einmal, sondern hundertmal. Sie konnte kaum noch atmen, aber als er aufhörte, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und drückte ihre Lippen wieder an die seinigen.

Ist es Wirklichkeit oder träume ich? fragte er sich nun.

Wenn du nicht mehr am Leben bist, mein Mann, antwortete sie, so bete ich, daß ich so sterben möchte, ehe ich wieder zu den schrecklichen Wirklichkeiten meiner letzten wachen Augenblicke zurückkehre.

Eine Weile schwiegen beide, indem sie sich in die Augen schauten, als ob sie sich noch immer erst von dem wundervollen Glücke überzeugen mühten, das ihnen zuteil geworden war. Die Vergangenheit mit all ihren häßlichen Enttäuschungen und Schrecken war vergessen. An die Zukunft dachten sie einstweilen nicht, aber die Gegenwart – die gehörte ihnen, und niemand konnte sie ihnen nehmen!

Jane war es, die zuerst das süße Schweigen brach.

Wohin gehen wir, Geliebter? fragte sie. Und was sollen wir jetzt tun?

Wohin willst du gehen? fragte er, und was willst du am liebsten tun?

Ich gehe, wohin du gehst, mein Mann, und ich tue, was du wünschest! antwortete sie.

Aber Clayton? fragte er. Bis dahin hatte er ganz vergessen, daß sie nicht allein auf der Welt waren. Wir haben nicht an deinen Gatten gedacht.

Ich bin nicht verheiratet, Tarzan! rief sie. Und ich bin auch nicht mehr verlobt mit Clayton. Am Tage, bevor jene schrecklichen Menschen mich geraubt haben, sprach ich mit ihm über meine Liebe zu dir, und da sah er ein, daß ich das unglückliche Versprechen, das ich ihm gegeben hatte, nicht halten könne. Wir waren eben vor dem Angriff eines Löwen wunderbar gerettet worden.

Plötzlich hielt sie inne und sah mit leuchtenden Augen zu ihm hinauf.

Tarzan, rief sie, du warst es, der den Löwen getötet hat. Das kann kein anderer gewesen sein!

Er senkte die Augen, denn er war beschämt.

Wie konntest du nur fortgehen und mich im Stiche lassen? fragte sie vorwurfsvoll.

Sei nicht böse, Jane! bat er. Sei nicht böse! Du begreifst nicht, wie sehr ich deshalb seither gelitten habe, zuerst in wütender Eifersucht und dann wegen des Schicksals, das ich nicht verdient hatte. Ich kehrte zu den Affen zurück und wollte nie mehr ein menschliches Wesen sehen.

Dann erzählte er ihr von seinem Leben seitdem er in die Dschungel zurückgekehrt, wie er von einem zivilisierten Pariser zu einem wilden Waziri-Krieger herabsank und sich schließlich wieder mit den Affen befreundete.

Sie richtete manche Frage an ihn, nicht zuletzt bezüglich der Dinge, die Thuran ihr erzählt hatte, nämlich über die Frauen in Paris. Er erzählte ihr mancherlei Einzelheiten über sein zivilisiertes Leben, und ließ nichts dabei aus, denn er brauchte sich nicht zu schämen, da sein Herz immer aufrichtig ihr gehört hatte.

Als er geendet hatte, saß er da und schaute nach ihr hin, als ob er ihren Urteilsspruch erwartete.

Ich wußte, daß Thuran nicht die Wahrheit sagte, versicherte sie. Was ist das doch für ein Scheusal!

Du bist mir also nicht böse? fragte er.

Ihre Antwort war zwar scheinbar recht harmlos, aber echt weiblich.

Ist Olga de Coude wirklich schön? fragte sie.

Tarzan lachte und küßte sie wieder.

Sie stieß einen kleinen Seufzer aus und legte ihren Kopf wieder auf seine Schulter. Er wußte, daß ihm vergeben war.

Für die Nacht richtete Tarzan ein hübsches Nest hoch auf den Ästen eines riesigen Baumes und dort schlief die todmüde Jane, während er sich eine Stufe tiefer sein Lager bereitete, wo er sich niederlegte, stets bereit, sie auch im Schlafe zu beschützen.

Ihre Wanderung nach der Küste dauerte viele Tage. War der Weg gut, so gingen sie Hand in Hand unter den Bogenlauben des mächtigen Waldes, wie in unvordenklichen Zeiten ihre Urahnen dort gegangen sein mögen. War aber das Unterholz zu dicht, so nahm er sie auf seine großen Arme und trug sie leicht durch die Bäume.

Die Tage waren ihnen zu kurz, denn sie waren wirklich glücklich. Hätten sie sich nicht beeilen müssen, um Clayton zur Hilfe zu kommen, so hätten sie das Vergnügen dieser wundervollen Wanderung endlos ausdehnen mögen.

Am letzten Tage, bevor sie die Hütte erreichten, witterte Tarzan den Geruch von Menschen und zwar von Schwarzen.

Er hielt Jane zurück und gab ihr ein Zeichen zu schweigen. Es gibt wenig Freunde in der Dschungel, sagte er leise.

Nach einer halben Stunde trafen sie auf eine kleine Gruppe schwarzer Krieger, die nach Westen zogen. Als Tarzan sie erblickte, stieß er einen Freudenschrei aus.

Es war nämlich ein Trupp seiner eigenen Waziri.

Busuli war darunter und auch einige andere, die ihn nach Opar begleitet hatten.

Als sie ihn erblickten, tanzten und schrien sie in überschwänglicher Freude. Wochenlang suchten sie ihn schon, wie sie ihm erzählten.

Die Schwarzen waren sehr erstaunt, daß er ein weißes Mädchen bei sich hatte, und als sie erfuhren, daß sie sein Weib werden sollte, wetteiferten sie untereinander, ihr Ehre zu erweisen.

Die glücklichen Waziri begleiteten sie lachend und tanzend bis zu dem Baume, wo sie Clayton zu finden hofften.

Sie sahen nirgends einen Lebenden, und auf ihre Rufe erhielten sie keine Antwort.

Tarzan stieg hinauf, um in die kleine Baumhütte hineinzuschauen. Gleich darauf kam er wieder zum Vorschein.

Er hatte eine leere Büchse in der Hand und warf sie Busuli zu: er solle Wasser holen.

Dann winkte er Jane Porter, sie möchte heraufkommen.

Als sie sich über den abgemagerten Menschen beugte, der einst ein englischer Edelmann gewesen, kamen ihr Tränen in die Augen. Das junge, einst so schöne Gesicht war durch die eingefallenen Wangen, die hohlen Augen und die Züge des Leidens gänzlich entstellt.

Er lebt noch, sagte Tarzan. Wir wollen alles tun, was wir können, aber ich fürchte, es ist zu spät.

Als Busuli das Wasser brachte, schüttete Tarzan einige Tropfen zwischen die gerissenen und geschwollenen Lippen. Er befeuchtete ihm auch die Stirne und die Arme.

Jetzt öffnete Clayton die Augen.

Ein schwaches Lächeln erhellte sein Gesicht, als er Jane über sich gebeugt sah. Als er aber Tarzan erblickte, war er sehr erstaunt.

Wie geht's, Kamerad? sagte der Affenmensch. Wir haben Sie gerade noch rechtzeitig gefunden. Jetzt wird es bald besser werden, und wir werden Sie auf die Beine bringen, ehe Sie es glauben.

Der Engländer schüttelte den Kopf.

Es ist zu spät, flüsterte er. Aber es ist auch gut so. Es ist besser, wenn ich sterbe.

Wo ist Thuran? fragte Jane.

Er verließ mich, als das Fieber schlimmer wurde. Er ist ein Teufel. Als ich ihn um Wasser bat, weil ich zu schwach war, um es mir selbst zu holen, trank er vor meinen Augen, schüttete den Rest aus und lachte mir ins Gesicht.

Bei dem Gedanken an diese Teufelei regte sich noch ein letzter Rest von Lebenskraft in ihm. Er richtete sich auf den Ellenbogen auf.

Ja, sagte er dann plötzlich. Ich will noch leben, wenigstens solange, bis ich ihn finde und diese Bestie erschlage!

Diese kurze Anstrengung hatte ihn so erschöpft, daß er auf das trockene Gras und den Überzieher zurückfiel, der Jane Porter seinerzeit als Decke gedient hatte.

Seien Sie wegen Thuran unbesorgt, sagte Tarzan, indem er die Hand beruhigend auf Claytons Stirn legte. Das ist meine Sache –, ich werde schon mit ihm fertig. Fürchten Sie nichts!

Clayton lag lange ganz still. Mehrere Male legte Tarzan sein Ohr an seine eingesunkene Brust, um zu hören, ob das Herz noch schlüge.

Gegen Abend kam Clayton wieder etwas zu Bewußtsein.

Jane, flüsterte er, und das Mädchen beugte sich über ihn, um seine schwache Stimme zu vernehmen. – Ich habe Ihnen Unrecht getan – und ihm. – Dabei zeigte er schwach nach Tarzan. – Ich liebte Sie so, doch das ist kaum eine Entschuldigung für das Unrecht, das ich Ihnen antat, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, Sie aufzugeben. Ich bitte Sie nicht um Verzeihung. Ich will jetzt nur tun, was ich vor mehr als einem Jahre hätte tun sollen.

Er suchte in dem Überzieher etwas, und dann zog er ein verknittertes Blatt Papier heraus. Er reichte es Jane, und dann ließ er seinen Arm auf die Brust sinken. Sein Kopf fiel zurück, er atmete noch ein letztes Mal und war dann still ...

Tarzan bedeckte das Gesicht des Toten mit einem Zipfel des Überziehers.

Jane und Tarzan knieten einen Augenblick nieder. Die Lippen des Mädchens bewegten sich in einem stillen Gebet. Auch Tarzan hatte Tränen in den Augen, denn er hatte selbst schon soviel gelitten, daß er wußte, was die Leiden der andern bedeuteten.

Mit ihren tränenfeuchten Augen las Jane die Botschaft, die auf dem gelben Stück Papier stand, und als sie es las, weiteten sich ihre Augen immer mehr. Zweimal las sie diese unglaublichen Worte, bis sie den Sinn verstand:

Fingerabdrücke beweisen, daß Sie Greystoke. Glückwünsch.

D'Arnot.

Sie reichte Tarzan das Blatt. Und das hat er all die Zeit gewußt, sagte sie, und hat Ihnen nichts davon gesagt?

Ich hatte das Telegramm zuerst gelesen, erwiderte er. Ich wußte nicht einmal, daß er es kannte. Ich hatte es richtig erhalten, aber ich muß es wohl in jener Nacht auf der Station in Wisconsins Wäldern verloren haben.

Und hernach erzähltest du uns, deine Mutter sei eine Äffin und du hättest deinen Vater nie gekannt.

Titel und Reichtum bedeuteten mir nichts ohne dich, mein Kind, erwiderte er. Und wenn ich ihm die genommen hätte, so hätte ich das Weib beraubt, das ich liebte. Verstehst du es jetzt, Jane?

Es war, als ob er versuchte, einen Fehler zu entschuldigen.

Sie streckte ihm ihre Arme entgegen und legte ihre Hände in die seinigen.

Und ich hatte eine solche Liebe von mir gewiesen! schluchzte sie.


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