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Ein Zweikampf

D'Arnot schlief bereits, als Tarzan in die Wohnung zurückkehrte. Tarzan störte ihn nicht, aber am folgenden Morgen erzählte er ihm die Ereignisse vom vorhergehenden Abend, ohne eine einzige Einzelheit wegzulassen.

Was für ein Narr bin ich doch gewesen, schloß er. De Coude und seine Frau waren beide meine Freunde. Wie habe ich ihnen ihre Freundschaft vergolten? Ich hätte den Grafen beinahe umgebracht. Ich habe einen Schandfleck auf den Namen einer anständigen Frau geworfen. Es ist wahrscheinlich, daß ich das Glück eines Heims zerstört habe.

Lieben Sie Olga de Coude? fragte d'Arnot.

Wäre ich nicht sicher, daß sie mich nicht liebt, so könnte ich Ihre Frage nicht beantworten, Paul; aber ohne unredlich an ihr zu handeln, kann ich Ihnen sagen, daß ich sie nicht liebe und daß sie mich nicht liebt. Für einen Augenblick waren wir das Opfer einer plötzlichen Verrücktheit. Es war keine Liebe, und es würde vorübergegangen sein, wie es über uns gekommen ist, selbst wenn de Coude nicht zurückgekehrt wäre. Wie Sie wissen, bin ich in bezug auf Frauen wenig erfahren. Olga de Coude ist sehr schön; diesem, dem matten Licht, der verführerischen Umgebung und dem Ruf der Hilflosen nach Schutz, all diesem hätte ein kultivierterer Mann widerstanden, aber bei mir ist die Kultur noch nicht durch die Haut gedrungen; sie sitzt nicht tiefer als meine Kleider.

Paris ist kein Ort für mich. Ich werde aus einer Fallgrube in die andere hineinstolpern. Die Einschränkungen, denen sich die Menschen hier unterwerfen müssen, sind mir lästig. Es kommt mir immer vor, als ob ich in der Gefangenschaft wäre. Ich kann es nicht ertragen, mein Freund, und deshalb habe ich die Absicht, in meine Dschungel zurückzukehren und das Leben zu führen, das Gott für mich bestimmt hat, als er mich dorthin setzte.

Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen, antwortete d'Arnot. Sie haben sich viel besser benommen, als die meisten »gesitteten« Männer unter ähnlichen Umständen getan hätten. Was das Verlassen von Paris betrifft, so nehme ich an, daß Raoul de Coude Ihnen in dieser Angelegenheit binnen kurzem etwas zu sagen haben wird.

D'Arnot irrte sich nicht. Eine Woche später gegen elf Uhr, als d'Arnot und Tarzan eben beim Frühstück saßen, wurde ein Herr Flaubert angemeldet. Es war ein würdevoller, höflicher Herr. Mit vielen tiefen Verbeugungen überbrachte er Tarzan die Herausforderung des Herrn Grafen de Coude. Würde der Herr die große Freundlichkeit haben, es so einzurichten, daß er einen Freund zu Herrn Flaubert sendete – so früh wie es ihm beliebt, um die Einzelheiten zur gemeinsamen Zufriedenheit aller Beteiligten zu ordnen?

Gewiß. Herr Tarzan wird sich freuen, seine Vertretung unbeschränkt in die Hände seines Freundes, des Herrn Leutnants d'Arnot, zu legen.

Und so wurde verabredet, daß d'Arnot am Nachmittag um zwei Uhr bei Herrn Flaubert vorsprechen sollte, und der höfliche Herr Flaubert verließ sie wieder unter vielen Bücklingen.

Als sie wieder allein waren, sah d'Arnot Tarzan spöttisch an. Nun? sagte er.

Jetzt muß ich meinen Sünden auch noch einen Mord hinzufügen oder mich selbst töten lassen, sagte Tarzan. Ich mache schnelle Fortschritte in den Sitten meiner kultivierten Brüder. Welche Waffe wollen Sie wählen? fragte d'Arnot. De Coude ist als ein Meister des Degens bekannt und auch ein vorzüglicher Schütze.

Dann möchte ich vergiftete Pfeile aus zwanzig Schritt oder Speere in derselben Entfernung wählen, sagte Tarzan lachend. Aber da de Coude darauf wohl nicht eingehen wird, so wählen Sie Pistolen, Paul.

Er wird Sie töten, Jean.

Daran zweifle ich nicht, antwortete Tarzan. Ich muß doch eines Tages sterben.

Wir würden besser Degen wählen, sagte d'Arnot. Er wird sich damit begnügen, Sie zu verwunden, und dabei ist weniger Gefahr für eine tödliche Wunde.

Pistolen! sagte Tarzan in ganz entschiedenem Tone.

D'Arnot versuchte es ihm auszureden, aber ohne Erfolg, und so blieb es bei den Pistolen.

Nachmittags fand die Unterredung mit Flaubert statt, und d'Arnot kehrte kurz nach vier Uhr zurück. Es ist alles geordnet, sagte er. Alles ist zufriedenstellend. Morgen früh bei Tagesgrauen – an der Straße nicht weit von Etampes, dort ist eine einsame Stelle. Aus persönlichen Gründen zog Herr Flaubert sie vor, und ich machte keine Einwendungen.

Gut! war Tarzans einzige Bemerkung. Er machte auch gar keine Anspielung mehr auf die Sache.

Abends schrieb er aber noch mehrere Briefe, bevor er zu Bett ging. Nachdem er sie adressiert und versiegelt hatte, steckte er sie alle in einen an d'Arnot gerichteten Umschlag. Als er sich auskleidete, hörte d'Arnot ihn einen Gassenhauer summen.

Der Freund fluchte halblaut vor sich hin, denn er war sicher, daß die Sonne am nächsten Morgen auf einen toten Tarzan scheinen würde. Es berührte ihn schmerzlich, Tarzan so gleichgültig zu sehen.

Das ist eine sehr unschickliche Stunde für Leute, die einander umbringen wollen, bemerkte der Affenmensch, als er in der Dunkelheit der frühen Morgenstunde aus dem bequemen Bett getrieben wurde. Er hatte gut geschlafen, und darum kam es ihm, als man ihn rücksichtsvoll weckte, vor, als ob sein Kopf das Kissen kaum berührt hätte. Seine Bemerkung war an d'Arnot gerichtet, der fertig angezogen in der Türe vor Tarzans Schlafzimmer stand.

D'Arnot hatte während der ganzen Nacht kaum geschlafen. Er war nervös und deshalb ziemlich aufgeregt.

Sie scheinen ja wie ein Kind geschlafen zu haben, sagte er.

Tarzan lachte. Nach Ihrem Tone zu urteilen, nehmen Sie mir es übel, meinte er. Ich kann aber nichts dafür.

Nein, Jean, so meine ich es nicht, erwiderte d'Arnot, der selbst lächeln mußte. Aber Sie fassen die ganze Sache mit einer so entsetzlichen Gleichgültigkeit auf, daß man sich darüber ärgern muß. Man sollte glauben, daß Sie zu einem Scheibenschießen ausgehen, nicht aber, um einem der besten Schützen Frankreichs gegenüberzutreten.

Tarzan zuckte die Achseln. Ich gehe aus, um ein großes Unrecht zu sühnen, Paul. Die Sühne kann nur erfolgen, wenn mein Gegner seines Zieles sicher ist. Da kann ich also zufrieden sein, denn Sie sagen ja selbst, daß der Graf de Coude ein vorzüglicher Schütze ist.

Das will heißen, daß Sie hoffen, getötet zu werden? rief d'Arnot entsetzt aus.

Ich kann nicht sagen, daß ich das hoffe, aber Sie müssen zugeben, daß wenig Grund zu der Annahme vorliegt, daß ich nicht getötet werde.

Hätte d'Arnot das Vorhaben des Affenmenschen gekannt – und dieser hatte einen Entschluß schon gleich, als er von der Absicht des Grafen erfahren, ihn herauszufordern, gefaßt – so wäre er noch entsetzter gewesen.

Schweigend bestiegen sie d'Arnots Wagen. In gleichem Schweigen sausten sie mit großer Geschwindigkeit die Straße entlang, die nach Etampes führt. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. D'Arnot war traurig, denn er hatte Tarzan von Herzen gern. Die Freundschaft zwischen diesen beiden Männern, deren früheres Leben und deren Erziehung so grundverschieden war, hatte im Laufe der Zeit noch zugenommen, denn sie waren beide Männer, denen die gleichen Ideale der Männlichkeit, des persönlichen Mutes und der Ehre vorschwebten. Sie verstanden einander, und jeder konnte stolz auf die Freundschaft des andern sein.

Tarzan war ganz in Gedanken über die Vergangenheit versunken, in frohe Erinnerungen an sein einstiges Dschungelleben. Er dachte an die zahllosen Stunden seiner Knabenjähre, die er mit übereinandergeschlagenen Beinen an dem Tisch in seines Vaters Hütte zugebracht hatte, seinen kleinen braunen Körper über die fesselnden Bilderbücher gebeugt, aus denen er ohne jegliche Hilfe das Geheimnis der gedruckten Sprache entziffert hatte, lange noch bevor die Laute der menschlichen Sprache an sein Ohr drangen. Ein Lächeln der Befriedigung flog über sein Gesicht, als er an jenen einzigartigen Tag dachte, den er allein mit Jane Porter im Herzen seines Urwaldes zugebracht hatte.

Auf einmal wurden seine Träume durch das Halten des Wagens unterbrochen. Sie waren am Ziel angelangt. Jetzt dachte Tarzan wieder an die Gegenwart. Er wußte, daß er bald sterben würde, aber er hatte keine Furcht vor dem Tode. Für einen Bewohner der grausamen Dschungel ist der Tod etwas Alltägliches. Das erste Naturgesetz treibt ihn dazu, hartnäckig am Leben zu hängen und für dasselbe zu kämpfen, aber es lehrt ihn auch, den Tod nicht zu fürchten.

D'Arnot und Tarzan waren zuerst auf dem Plan. Eine Weile später kamen de Coude, Flaubert und als Dritter ein Arzt.

Einen Augenblick sprachen d'Arnot und Flaubert flüsternd zusammen. Der Graf de Coude und Tarzan standen abseits von einander. Jetzt wurden sie von den Sekundanten aufgefordert, sich bereit zu halten. D'Arnot und Flaubert hatten die Pistolen untersucht. Die beiden Männer, die sich einen Augenblick später gegenüberstehen sollten, standen schweigend da, während Flaubert die Bedingungen vorlas, die sie zu beobachten hatten.

Sie mußten Rücken an Rücken stehen. Auf ein Zeichen Flauberts hatten sie in entgegengesetzten Richtungen zu gehen, jeder die Pistole an der Seite, und wenn jeder zehn Schritte gemacht hatte, würde d'Arnot Halt rufen. Dann sollten sie sich umdrehen und nach Belieben schießen, bis einer fiel oder bis jeder die vorgesehenen drei Schüsse abgefeuert hatte.

Während Flaubert sprach, nahm Tarzan eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. De Coude war die Kaltblütigkeit selbst; er war ja der beste Schütze Frankreichs.

Flaubert winkte jetzt d'Arnot zu, und jeder wies seinem Duellanten die Stellung an.

Sind Sie bereit, meine Herren? fragte Flaubert.

Jawohl, erwiderte de Coude.

Tarzan nickte bloß.

Flaubert gab das Zeichen. Er und d'Arnot traten ein paar Schritte aus der Feuerlinie zurück, als die beiden langsam auseinandergingen. Sechs! Sieben! Acht! In d'Arnots Augen standen Tränen, denn er liebte Tarzan sehr. Neun! Noch ein Schritt, und der arme Leutnant gab das verhaßte Signal, das er geben mußte. Es war ihm, als ob er das Todesurteil über seinen besten Freund ausspräche.

Schnell drehte de Coude sich um und feuerte. Tarzan machte eine kleine Bewegung. Seine Pistole hing noch immer an seiner Seite. De Coude zögerte, als ob er darauf wartete, seinen Gegner niederstürzen zu sehen. Der Graf war so sicher im Schießen, daß er gar nicht daran zweifelte, ihn getroffen zu haben. Doch Tarzan machte keine Bewegung, seine Pistole hoch zu nehmen. De Coude feuerte noch einmal, aber die gänzliche Gleichgültigkeit des Affenmenschen, der ruhig seine Zigarette weiter rauchte, brachte den besten Schützen Frankreichs aus der Fassung. Diesmal machte Tarzan keine Bewegung, aber de Coude wußte, daß er getroffen hatte.

Plötzlich erklärte er sich Tarzans Verhalten wie folgt. Sein Gegner wollte kaltblütig die ersten Schüsse abwarten in der Hoffnung, daß sie ihm keine ernstliche Wunde beibringen würden, dann aber wollte er ihn selbst nach kühler Überlegung niederschießen. Dem Grafen lief ein kleiner Schauer über den Rücken. Es war teuflisch. Was mußte das für ein Mann sein, daß er mit zwei Kugeln im Leib dastand und auf die dritte wartete!

De Coude zielte diesmal sorgfältig, aber seine Spannkraft ließ nach, und er tat einen Fehlschuß. Nicht ein einziges Mal hatte Tarzan seine Pistole erhoben.

Einen Augenblick sahen sich die beiden gerade in die Augen. Auf Tarzans Gesicht zeigte sich ein rührender Ausdruck der Enttäuschung, auf de Coudes Angesicht aber wachsendes Entsetzen und Schrecken.

Er konnte es nicht länger ertragen.

Heilige Mutter Gottes! Schießen Sie doch! schrie er.

Aber Tarzan hob die Pistole nicht. Statt dessen schritt er auf de Coude zu, und als d'Arnot und Flaubert, seine Absicht mißverstehend, sich zwischen sie stürzten, erhob er die linke Hand zur Abwehr.

Fürchten Sie nichts, sagte er zu ihnen, ich werde ihm kein Leid zufügen.

Das war sehr ungewöhnlich, aber sie standen still. Tarzan ging bis dicht an de Coude heran.

Es muß mit des Herrn Pistole etwas nicht in Ordnung sein, sagte er. Oder der Herr ist abgespannt. Nehmen Sie meine, mein Herr, und versuchen Sie es noch einmal.

So bot Tarzan dem erstaunten Grafen seine Pistole an.

Mein Gott, mein Herr! schrie dieser, sind Sie verrückt?

Nein, mein Freund, erwiderte der Affenmensch, aber ich habe den Tod verdient. Es ist der einzige Weg der Sühne für das Unrecht, das ich einer vortrefflichen Frau zugefügt habe. Nehmen Sie meine Pistole und tun Sie, was ich Ihnen sagte. Das wäre ein Mord! erwiderte de Coude. Aber welches Unrecht begingen Sie denn gegen meine Frau? Sie schwor mir, daß –

Das meine ich nicht, sagte Tarzan rasch. Das ganze Unrecht, das zwischen uns geschah, haben Sie gesehen. Aber das war genug, um einen Schatten auf Ihren Namen zu werfen und das Glück eines Mannes zu zerstören, gegen den ich keine Feindschaft hegte. Die Schuld war mein ganz allein, und so hoffte ich, heute morgen dafür zu sterben. Ich bin enttäuscht, daß der Herr kein so vortrefflicher Schütze ist, wie mir gesagt wurde.

Sie sagen, daß Sie allein die Schuld tragen? fragte de Coude lebhaft.

Ganz allein, mein Herr. Ihre Frau ist rein. Sie liebt nur Sie. Das Unrecht, das Sie sahen, war auf meiner Seite. Was mich hingeführt hat, war weder die Schuld der Gräfin noch die meinige. Hier ist ein Schriftstück, aus dem dies ganz klar hervorgeht.

Dabei zog Tarzan die Blätter aus der Tasche, auf denen Rokoff seine Schuld eingestanden und unterzeichnet hatte.

De Coude nahm und las sie. D'Arnot und Flaubert waren nähergetreten. Dieser außergewöhnliche Ausgang eines so seltsamen Zweikampfes interessierte sie. Keiner sprach ein Wort, bis de Coude die Erklärung zu Ende gelesen hatte, worauf er Tarzan ansah.

Sie sind ein tapferer und ritterlicher Herr! sagte er. Ich danke Gott, daß ich Sie nicht getötet habe.

De Coude war Romane und als solcher sehr impulsiv. Er umarmte Tarzan und küßte ihn. Nun umarmte auch Flaubert den Leutnant d'Arnot. Es war aber niemand da, um auch den Arzt zu umarmen. Wahrscheinlich war dieser ärgerlich darüber, denn er sagte, nun werde es ihm doch wohl erlaubt sein, Tarzans Wunden zu verbinden.

Dieser Herr ist wenigstens einmal getroffen worden, sagte er, vielleicht auch dreimal.

Zweimal, sagte Tarzan. Einmal in die linke Schulter und dann in die linke Seite. Ich denke, es sind beides nur Fleischwunden.

Der Arzt aber bestand darauf, daß er sich auf den Rasen niederlegte, und machte sich an ihm zu schaffen, bis die Wunden gereinigt und das fließende Blut gestillt war.

Das Ergebnis des Zweikampfes war, daß sie alle zusammen als die besten Freunde in d'Arnots Wagen nach Paris zurückfuhren. De Coude war so erleichtert durch die doppelte Versicherung von der Treue seiner Frau, daß er keinen Groll mehr gegen Tarzan empfand. Allerdings hatte dieser noch mehr von der Schuld auf sich genommen, als es eigentlich der Wirklichkeit entsprach, aber wenn er ein wenig log, so mag es ihm verziehen sein, denn er log einer Frau zuliebe und er log als Gentleman.

Man veranlaßte den Affenmenschen, ein paar Tage lang das Bett zu hüten. Er hielt das zwar nicht für nötig, aber der Arzt und d'Arnot hatten sich die Sache so zu Herzen genommen, daß er ihnen zu Gefallen im Bett liegen blieb, obschon er selbst darüber lachte.

Es ist drollig, sagte er zu d'Arnot, im Bett liegen zu müssen wegen eines Nadelstiches. Als Bolgani, der Gorilla-König, mich fast in Stücke riß, da ich noch ein kleiner Knabe war, hatte ich da ein schönes weiches Bett, um mich hineinzulegen? Nein, nur das feuchte, modernde Gras der Dschungel. Unter irgendeinem freundlichen Gebüsch versteckt, lag ich wochenlang nur in den Armen Kalas, die mich pflegte. Arme, treue Kala, die die Insekten von meinen Wunden fernhielt und mich gegen die Raubtiere schützte! Wenn ich nach Wasser verlangte, so brachte sie mir es in ihrem Maul, – das war die einzige Weise, die sie kannte, um es zu holen. Da gab es keine sterilisierte Gaze, kein antiseptisches Verbandzeug, – da gab es nichts, was unseren lieben Doktor nicht zur Verzweiflung getrieben hätte, wenn er es gesehen. Und doch genas ich. Und jetzt muh ich wegen einer kleinen Schramme im Bett liegen. Einer aus dem Dschungel-Volk würde sie gar nicht in acht nehmen, wenn sie nicht zufällig auf seiner Nasenspitze wäre.

Aber die Zeit ging rasch vorüber, und ehe Tarzan sich dessen versah, war er schon wieder im Freien. De Coude hatte ihn mehrmals besucht, und als er herausfand, daß Tarzan sich um irgendeine Anstellung bemühte, versprach er ihm, einen Posten ausfindig zu machen.

Am ersten Tage, wo es Tarzan erlaubt war, wieder auszugehen, erhielt er von de Coude eine Mitteilung, er möchte am Nachmittag im Geschäftszimmer des Grafen vorsprechen.

De Coude erwartete ihn mit sehr vergnügtem Willkommen und aufrichtigem Glückwunsch, daß er wieder auf den Beinen sei. Von dem Zweikampf und der Veranlassung dazu hatte seit jenem Morgen keiner von beiden mehr ein Wort erwähnt.

Ich glaube, daß ich etwas Passendes für Sie gefunden habe, Herr Tarzan, sagte der Graf. Es ist eine verantwortungsvolle Vertrauensstelle, die auch beträchtlichen Mut und Tapferkeit erfordert. Ich kann mir keinen Geeigneteren als Sie, Herr Tarzan, für diesen Posten denken. Er bringt zwar viel Arbeit mit sich, aber später kann er zu einer viel besseren Stelle, wahrscheinlich im diplomatischen Dienst, führen.

Zuerst werden Sie nur für kurze Zeit Spezialagent im Dienste des Kriegsministeriums sein. Kommen Sie, ich will Sie zu dem Herrn führen, der Ihr Vorgesetzter sein wird. Er kann Ihnen die Aufgaben besser auseinandersetzen als ich, und dann können Sie beurteilen, ob die Stelle Ihnen zusagt oder nicht. De Coude führte Tarzan in das Bureau des Generals Rochere, dem Tarzan zugeteilt werden sollte. Dort verließ der Graf ihn, nachdem er dem General noch eine glänzende Beschreibung der Eigenschaften Tarzans, die ihn für die betreffende Beschäftigung besonders geeignet erscheinen ließen, gegeben hatte.

Eine halbe Stunde später kam Tarzan aus dem Bureau. Er war jetzt im Besitze des ersten Amtes, das er in seinem Leben erhielt. Am nächsten Tage sollte er zur Entgegennahme weiterer Anweisungen wieder vorsprechen, denn General Rochere hatte ihm gesagt, er müsse sich bereit halten, Paris vielleicht schon morgen für eine unbestimmte Zeit zu verlassen.

Mit gehobenem Gefühl eilte er nach Hause, um d'Arnot die Nachricht zu überbringen. Nun war er also doch für etwas brauchbar in der Welt! Jetzt sollte er auch Geld verdienen und – das schönste von allem – er konnte reisen und die Welt sehen.

Er konnte kaum erwarten, bis er nach Hause kam und d'Arnot mit der Neuigkeit überraschte. Der Leutnant war aber keineswegs freudig davon berührt.

Wie es scheint, freuen Sie sich, Paris verlassen zu können, sagte er. Vielleicht werden wir uns jetzt monatelang nicht mehr sehen. Tarzan, Sie sind ein undankbares Tier! Und dabei lachte er.

Nein, Paul, erwiderte Tarzan. Ich bin bloß ein großes Kind. Ich habe ein neues Spielzeug, und da bin ich glücklich. Und so kam es, daß Tarzan schon am nächsten Tage Paris verließ, um nach Marseille und Oran zu fahren.


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