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Die Erklärungen der Gräfin

Ihr Paris ist gefährlicher, als meine wilde Dschungel, Paul, schloß Tarzan den Bericht, den er am Morgen nach seinem Zusammenstoß mit den Apachen und der Polizei in der Maule-Straße seinem Freunde erstattete. Weshalb lockten sie mich dorthin? Waren sie hungrig?

D'Arnot lachte und fragte neckend: Nicht wahr, es ist schwer, sich über die Verhältnisse der Dschungel hinwegzusetzen und die gesittete Lebensart bei Licht zu betrachten?

Das ist in der Tat eine gesittete Art, spottete Tarzan. In der Dschungel kommen keine mutwilligen Scheußlichkeiten vor. Dort töten wir, um Fleisch zu erbeuten, um uns zu verteidigen, um ein Weibchen zu erobern oder die Jungen zu beschützen. Wie Sie sehen, immer in Übereinstimmung mit den Vorschriften irgendeines großen Naturgesetzes. Aber hier! Pfui, Ihr gesitteter Mensch ist brutaler als die Tiere. Er tötet nur mutwilligerweise und noch schlimmer als das, er nützt ein edles Gefühl aus – die Brüderlichkeit der Menschen – als ein Lockmittel, sein nichtsahnendes Opfer ins Verderben zu stürzen. Um einem menschlichen Hilferuf zu folgen, eilte ich in das Zimmer hinauf, wo die Mörder auf mich lauerten.

Ich dachte natürlich nicht, und konnte noch lange nachher nicht verstehen, daß irgend eine Frau moralisch so tief sinken könnte, wie jene, die einen Mann, der sie retten wollte, ins Verderben lockte. Aber es muß so gewesen sein, denn die Anwesenheit Rokoffs und die Beschuldigung, die das Weib gegen mich erhob, lassen sich nicht anders erklären. Rokoff mußte gewußt haben, daß ich öfter durch die Maule-Straße ging. Er lauerte mir auf. Sein ganzer Plan war sorgfältig ausgearbeitet bis zur letzten Einzelheit, sogar bis zu der Aussage des Weibes für den Fall eines Hindernisses, wie es ja tatsächlich eintrat. Das ist mir alles ganz klar.

Jawohl, sagte d'Arnot, aber es zeigt Ihnen auch, wie sehr ich recht hatte, Ihnen zu sagen, man sollte die Maule-Straße abends meiden. Sie wollten es mir nicht glauben.

Und ich halte heute noch die Straße für die sehenswerteste in Paris. Ich werde nie verfehlen, durch sie zu gehen, denn sie hat mir die erste wirkliche Unterhaltung gewährt, seitdem ich Afrika verlassen habe.

Sie kann Ihnen noch eine andere Unterhaltung gewähren, die Ihnen weniger zusagen wird, sagte d'Arnot. Vergessen Sie nicht, daß die Polizei mit Ihnen noch nicht fertig ist. Ich kenne die Pariser Polizei genügend, um Ihnen zu versichern, daß sie nicht sobald vergessen wird, was Sie ihr zugefügt haben. Früher oder später wird sie Sie packen, mein lieber Tarzan, und dann wird sie den wilden Waldmenschen hinter eisernen Stäben einsperren. Wie wird Ihnen das gefallen?

Tarzan werden sie nie hinter eisernen Stäben einsperren, erwiderte er grimmig.

In dem Ton dieser Worte lag etwas, was d'Arnot veranlaßte, seinen Freund scharf anzusehen. Der Ausdruck der kalten grauen Augen machte den jungen Franzosen sehr besorgt um dieses große Kind, das kein Gesetz über seiner eigenen physischen Stärke erkennen wollte. Er sah ein, daß etwas geschehen müßte, um Tarzan mit der Polizei auszusöhnen, bevor eine andere Begegnung erfolgen konnte.

Sie müssen noch viel lernen, Tarzan, sagte er ernst. Die menschlichen Gesetze müssen beachtet werden, ob sie Ihnen zusagen oder nicht. Ihnen und Ihren Freunden können nur Ungelegenheiten daraus erwachsen, wenn Sie der Polizei trotzen wollen. Ich kann in Ihrem Falle der Polizei den Sachverhalt erklären, und ich will das noch heute tun, aber hernach müssen Sie dem Gesetz gehorchen. Wenn der Vertreter des Gesetzes zu Ihnen sagt: Kommen Sie, so müssen Sie kommen, und wenn er sagt: Gehen Sie, so müssen Sie gehen. Jetzt wollen wir zu meinem großen Freund in der Polizeidirektion gehen und die Angelegenheit der Maule-Straße aufklären. Kommen Sie!

Eine halbe Stunde später betraten sie das Polizeibureau. Der Leiter war sehr freundlich. Er erinnerte sich noch sehr wohl des Besuches, den die beiden ihm einige Monate vorher in der Angelegenheit der Fingerabdrücke gemacht hatten.

D'Arnot erzählte die Ereignisse vom vorhergehenden Abend, und als er geendet, umflog ein grimmiges Lächeln den Mund des Polizeileiters. Er drückte auf einen Knopf, und während er auf den Beamten wartete, suchte er auf seinem Tisch nach einem Papier, das er schließlich fand.

Hier, Joubon, sagte er zu dem eintretenden Schreiber, lassen Sie diese Polizisten sofort zu mir kommen! Er übergab ihm das Blatt, und dann wandte er sich wieder zu Tarzan.

Sie haben einen schweren Fehltritt begangen, mein Herr, sagte er nicht unfreundlich, und ohne die Erklärung Ihres guten Freundes hier wäre ich geneigt, Ihre Handlungsweise streng zu verurteilen. Ich bin aber im Begriffe, etwas bisher Unerhörtes zu tun. Ich habe die Polizisten, die Sie vorige Nacht mißhandelt haben, hierherbefohlen. Sie sollen Leutnant d'Arnots Erzählung hören, und dann überlasse ich es ihnen, zu bestimmen, ob Anklage gegen Sie erhoben werden soll oder nicht.

Sie müssen noch viel lernen, um sich in den Wegen der Kultur zurechtzufinden. Sie müssen sich daran gewöhnen, auch solche Dinge gelten zu lassen, die Ihnen sonderbar oder unnütz erscheinen, solange Sie nicht imstande sind, die Gründe dafür einzusehen. Die Polizisten, die Sie angegriffen haben, taten nur ihre Pflicht. Sie hatten in der Sache nicht zu entscheiden. Täglich setzen sie ihr Leben aufs Spiel, indem sie das Leben oder das Eigentum der andern beschützen. Sie würden dasselbe auch für Sie tun. Es sind wirklich brave Leute, und sie sind tödlich gekränkt, daß ein einzelner unbewaffneter Mann sie schlecht behandelt oder gar geschlagen hat.

Machen Sie es ihnen leicht, zu verstehen, was Sie getan haben. Sonst würde ich mich sehr in bezug auf Sie irren, denn ich halte Sie für einen wackeren Menschen, und ein solcher gilt ja auch mit Recht als großmütig.

Die weitere Unterredung wurde unterbrochen durch das Erscheinen der vier Polizisten. Als ihr Blick auf Tarzan fiel, sah man, daß sie höchlichst erstaunt waren.

Leute, sagte der Polizeidirektor, hier ist ein Herr, mit dem Sie vorige Nacht in der Maule-Straße zusammengetroffen sind. Er ist freiwillig gekommen, um die Sache aufzuklären. Ich bitte Sie, aufmerksam die Erzählung des Leutnants d'Arnot anzuhören, der Ihnen einen Teil der Lebensgeschichte dieses Herrn erzählen wird. Es wird seine Haltung Ihnen gegenüber in der vergangenen Nacht erklären. Nun reden Sie, mein lieber Leutnant.

D'Arnot sprach eine halbe Stunde lang zu den Polizisten. Er erzählte ihnen einiges aus dem wilden Dschungelleben Tarzans. Er erklärte, wie er sich trainierte, so daß er, wenn er sich selbst verteidigen mußte, wie ein wildes Tier kämpfte. Es wurde den Polizisten dann auch klar, daß er bei seinen Angriffen auf sie eher vom Instinkt als vom Verstand geleitet worden war. Er hatte ihre Absichten nicht verstanden. Für ihn waren sie lediglich etwas anders aussehende Lebewesen, als er sie in seiner Dschungel traf, wo die meisten seine natürlichen Feinde waren.

Ihr Stolz ist verletzt, sagte d'Arnot zum Schluß. Dieser Mann hat Sie überwältigt, und das kränkt Sie am meisten. Aber Sie brauchen sich nicht zu schämen. Sie brauchten Ihre Niederlage nicht zu erklären, wenn Sie in einem engen Raum mit einem afrikanischen Löwen oder mit dem großen Gorilla aus der Dschungel eingesperrt gewesen wären. Und doch haben Sie mit diesem Mann gekämpft, dessen eiserne Muskeln stets siegreich waren gegenüber diesen Schrecken des schwarzen Erdteils. Es ist keine Schmach, der übermenschlichen Kraft Tarzans zu erliegen.

Und dann, als die Polizisten dastanden und einmal Tarzan ansahen und das andere Mal ihren Vorgesetzten, tat der Affenmensch das einzige, was noch nötig war, um den letzten Rest des Ärgers zu beseitigen. Mit der ausgestreckten Hand ging er ihnen entgegen.

Es tut mir leid, daß ich einen Mißgriff begangen habe, sagte er, lassen Sie uns gute Freunde sein!

Das war das Ende der ganzen Geschichte, nur daß Tarzan noch lange der Gegenstand des Gesprächs in den Polizeistationen war und die Zahl seiner Freunde um vier wackere Polizisten sich vermehrte.

*

Bei der Rückkehr in seine Wohnung fand d'Arnot einen Brief von seinem englischen Freund William Cecil Clayton, Lord Greystoke. Die beiden waren in brieflichem Verkehr geblieben, seitdem sie auf der mißglückten Expedition zur Befreiung der von dem Affen Terkop geraubten Jane Porter Freundschaft geschlossen hatten.

In etwa zwei Monaten sollen sie in London heiraten, sagte d'Arnot, als er den Brief sorgfältig durchgelesen hatte. Er brauchte Tarzan nicht zu sagen, wen er mit dem »sie« meinte. Tarzan antwortete nicht darauf, und auch den ganzen Rest des Tages war er schweigsam und nachdenklich.

Am Abend gingen sie in die Oper. Tarzan war aber während der Vorstellung ganz von seinen trüben Gedanken in Anspruch genommen. Er achtete fast gar nicht auf die Vorgänge auf der Bühne. Er sah nur die liebliche Vision eines schönen amerikanischen Mädchens und hörte nichts als die traurige süße Stimme, die ihm versicherte, daß seine Liebe erwidert werde. Und jetzt sollte sie einen andern heiraten!

Er suchte sich selbst aus den unliebsamen Gedanken aufzurütteln. Im selben Augenblick fühlte er, daß Augen auf ihn gerichtet waren, und als er aufblickte, sah er das lächelnde Gesicht der Gräfin Olga de Coude. Als Tarzan ihren Gruß erwiderte, war er überzeugt, daß der freundliche Ausdruck ihres Gesichtes für ihn eine Einladung bedeutete.

In der nächsten Pause begab er sich in ihre Loge.

Ich habe so sehr gewünscht, Sie zu sehen, sagte sie. Es hat mich nicht wenig geärgert, daß wir Ihnen nach den Diensten, die Sie meinem Manne und mir geleistet haben, keine Erklärung dafür geben konnten, weshalb wir keine Schritte unternahmen, um eine Wiederholung der Angriffe seitens der beiden Männer zu verhindern. Das muß Ihnen gewiß als Undankbarkeit erschienen sein.

Sie beurteilen mich falsch, erwiderte Tarzan. Ich habe nur mit lebhaftem Vergnügen an Sie gedacht. Sie schulden mir keine Erklärung. Sind Sie noch weiter belästigt worden?

Die Verfolgung hat noch nicht aufgehört, antwortete sie. Ich fühle, daß ich mit jemand darüber sprechen muß, und ich weiß keinen, bei dem ich mich so gut aussprechen könnte, wie bei Ihnen. Sie müssen mir das erlauben. Es mag auch von Nutzen für Sie sein, denn ich kenne Nikolaus Rokoff genug, um zu wissen, daß er Sie nicht das letztemal gesehen hat. Er wird schon Mittel finden, sich an Ihnen zu rächen.

Was ich Ihnen sagen werde, kann Ihnen vielleicht gute Dienste leisten, um seinen Racheplänen zu entgehen. Mehr kann ich Ihnen hier nicht verraten, aber morgen um fünf Uhr werde ich für Sie zu Hause sein.

Das wird mir wie eine Ewigkeit vorkommen – bis morgen um fünf, sagte er und wünschte ihr gute Nacht.

Aus einer Ecke des Theaters hatten Rokoff und Pawlowitsch ihn in der Loge der Gräfin gesehen, und beide hatten gelächelt.

Am folgenden Nachmittag um halb fünf klingelte ein dunkelfarbiger bärtiger Mann am Dienstboteneingang des Palastes des Grafen de Coude. Der Diener, der zum Öffnen kam, zog die Augenbrauen hoch, als er sah, wer dort stand. Beide sprachen leise.

Zuerst zögerte der Lakai bei einem Vorschlag, den der Mann ihm machte, aber bald darauf nahm er aus der Hand des Fremden etwas entgegen. Dann wandte er sich um und führte den Besucher auf einem weitläufigen Umweg in einen kleinen, von Vorhängen verhängten Alkoven neben dem Zimmer, in dem die Gräfin den Nachmittagstee zu geben pflegte.

Eine halbe Stunde später wurde Tarzan in das Zimmer eingeführt, und im selben Augenblick erschien die Gräfin lächelnd und mit ausgestreckten Händen ihm entgegengehend.

Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind, sagte sie.

Nichts hätte mich zurückhalten können, antwortete er.

Einige Augenblicke sprachen sie über die Oper, über einige Gegenstände, die die Aufmerksamkeit von Paris erregten, über das Vergnügen, ihre kurze Bekanntschaft, die unter so seltsamen Verhältnissen eingeleitet worden war, zu erneuern, und das brachte sie dann auf das Thema, das ihnen beiden am meisten am Herzen lag.

Sie werden sich gefragt haben, sagte die Gräfin, weshalb Rokoff uns eigentlich verfolgt. Die Sache ist ganz einfach. Der Graf ist vertraut mit manchen wichtigen Geheimnissen des Kriegsministeriums. Er hat oft Papiere im Besitz, für die ausländische Mächte gerne ein Vermögen ausgeben würden, Staatsgeheimnisse, für deren Kenntnis die Agenten jener Mächte Mörder oder noch schlimmere Subjekte dingen würden.

So hat er jetzt wieder eine solche Sache in seinen Händen, die einem Russen, der ihrer habhaft werden könnte, Ruhm und Reichtum eintragen würde. Rokoff und Pawlowitsch sind russische Spione. Sie schrecken vor nichts zurück, um sich das Dokument zu verschaffen. Der Vorfall auf dem Dampfer – ich meine die Geschichte mit dem Kartenspiel – hatte den Zweck, eine Erpressung an meinem Gatten auszuüben.

Wäre er des Falschspieles überführt worden, so wäre seine Laufbahn vernichtet gewesen. Er hätte dann aus dem Kriegsministerium ausscheiden müssen. Er wäre auch in der Gesellschaft völlig unmöglich gewesen. Sie hielten die Keule also über ihn. Nur dann wären sie bereit gewesen, einzugestehen, daß der Graf lediglich das Opfer eines Komplottes seiner Feinde geworden, wenn er sich jene Geheimpapiere hätte abpressen lassen.

Als Sie, Herr Tarzan, ihren Plan durchkreuzten, versuchten die Menschen meinen Namen statt den des Grafen zu beschmutzen. Als Pawlowitsch in meine Kabine eindrang, erklärte er mir ihr Vorhaben. Wenn ich ihnen die gewünschte Auskunft verschaffen wollte, versprachen sie, nichts weiter zu tun; andernfalls sollte Rokoff, der draußen stand, einen Steward benachrichtigen, daß ich mich mit einem andern Mann hinter der verschlossenen Türe meiner Kabine abgäbe. Er drohte, es jedem zu sagen, dem er auf dem Schiffe begegnete, und bei unserer Landung wollte er die ganze Geschichte den Journalisten erzählen.

War das nicht schrecklich? Nun wußte ich aber zufällig etwas über diesen Herrn Pawlowitsch, das, wenn es der Polizei von St. Petersburg bekannt geworden wäre, ihn in Rußland an den Galgen gebracht hätte. Ich drohte ihm, dort Anzeige zu erstatten, und dann beugte ich mich zu ihm und flüsterte ihm einen Namen ins Ohr. Da sprang er mir – und dabei machte sie eine Bewegung mit dem Finger – wie ein Verrückter an die Gurgel, und hätte mich erwürgt, wenn Sie nicht eingegriffen hätten.

Die Scheusale! rief Tarzan aus.

Sie sind nicht bloß Scheusale, mein Freund, sagte sie, es sind wirkliche Teufel. Ich fürchte für Sie, weil Sie sich deren Haß zugezogen haben. Ich bitte Sie, ständig auf Ihrer Hut zu sein. Sagen Sie mir, daß Sie mir zuliebe vorsichtig sein wollen, denn ich könnte es nie vergessen, wenn Sie meinetwegen Ungemach erleiden müßten.

Ich fürchte die beiden nicht, antwortete er. Ich habe schon grimmigere Feinde überlebt als Rokoff und Pawlowitsch.

Er sah, daß sie von dem Vorfall in der Maule-Straße nichts wußte, und er sagte auch kein Wort davon, um sie nicht zu ängstigen.

Weshalb, fuhr er fort, übergeben Sie die Schurken nicht den Behörden, um Ruhe vor ihnen zu haben? Man würde sehr schnell mit ihnen fertig sein.

Einen Augenblick zögerte sie mit der Antwort. Dann sagte sie: Es gibt dafür zwei Gründe. Der eine ist der, der den Grafen überhaupt zurückhält, in dieser Sache etwas zu tun. Der andere ist der Grund, den ich bisher niemanden mitgeteilt habe – nur Rokoff und ich kennen ihn. Ich frage mich nur – und dann zögerte sie, indem sie ihn absichtlich lange betrachtete.

Was fragen Sie sich? sagte er lächelnd.

Ich frage mich, wie es kommt, daß ich Ihnen das mitteilen möchte, was ich noch nie gewagt habe, meinem Manne zu verraten. Ich glaube, daß Sie mich verstehen werden und daß Sie mir den richtigen Weg zeigen können. Ich hoffe, daß Sie mich nicht zu streng beurteilen werden.

Ich fürchte nur, daß ich ein schlechter Richter sein werde, erwiderte Tarzan, denn wenn Sie sich eines Mordes schuldig gemacht hätten, so würde ich sagen, das Opfer könnte Ihnen dankbar dafür sein, einen so süßen Tod erlitten zu haben.

O mein Lieber, antwortete sie, so schlimm ist es nicht. Aber ich will Ihnen zuerst den Grund angeben, aus dem der Graf diese Männer nicht verfolgt, und wenn ich dann noch genug Mut habe, will ich Ihnen auch verraten, weshalb ich selbst es nicht wage. Der erste Grund ist der, daß Nikolaus Rokoff mein Bruder ist. Wir sind Russen. Nikolaus ist stets ein schlimmer Mensch gewesen, soweit meine Erinnerung zurückreicht. Er wurde aus der russischen Armee, wo er Hauptmann war, schimpflich entlassen. Damals entstand ein Skandal, aber nach einiger Zeit wurde die Sache fast vergessen, und mein Vater erhielt für ihn eine Stellung in der Spionage.

Es wurden Nikolaus mancherlei schreckliche Verbrechen zugeschrieben, aber er verstand es immer, einer Strafe zu entgehen. Zuletzt gelang es ihm stets dadurch, daß er sein Opfer durch eine gefälschte Aussage des Verrats am Zaren überführte, und da die russische Polizei immer bereit ist, eine derartige Beschuldigung zu glauben, so ließ sie seine Aussage gelten, und er ging straffrei aus.

Hat er nicht durch die an Ihnen und Ihrem Gatten versuchten Verbrechen alle Rechte der Verwandtschaft verwirkt? fragte Tarzan. Die Tatsache, daß Sie seine Schwester sind, hat ihn nicht davon abgehalten, zu versuchen, Ihre Ehre zu beschmutzen. Sie brauchen keine Rücksicht mehr auf ihn zu nehmen, gnädige Frau.

Ach, sagte sie, es kommt noch der andere Grund in Betracht. Wenn ich ihm als meinem Bruder keine Rücksicht schulde, so kann ich doch nicht so leicht die Furcht verbergen, die ich vor ihm habe, weil er eine gewisse Episode aus meinem Leben kennt.

Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:

Ich glaube, es ist am besten, ich erzähle Ihnen alles, denn ich fühle, daß ich es Ihnen früher oder später doch einmal sagen würde. Ich wurde in einem Kloster erzogen. In dieser Zeit lernte ich einen Mann kennen, den ich für einen Ehrenmann ansah. Ich wußte damals noch wenig oder gar nichts von den Menschen und der Liebe. Ich bildete mir in meinem unerfahrenen Kopfe ein, daß ich diesen Mann liebte, und auf sein Drängen brannte ich mit ihm durch. Wir wollten uns heiraten.

Ich war genau drei Stunden mit ihm zusammen und zwar am hellen Tage und in der Öffentlichkeit – auf Eisenbahnstationen und im Zuge. Als wir unseren Bestimmungsort erreichten, wo wir getraut werden sollten, stiegen mit uns zugleich zwei Polizisten aus, die ihn verhafteten. Auch mich hielten sie an, aber als ich ihnen meine Geschichte erzählt hatte, ließen sie mich frei, doch mußte ich in Begleitung einer Nonne in das Kloster zurückkehren. Wie es scheint, war der Mann, der um mich geworben hatte, durchaus kein Gentleman, sondern ein Deserteur, der auch von den bürgerlichen Gerichten gesucht wurde. Er war der Polizei aller Länder Europas bekannt.

Die Sache wurde von der Leitung des Klosters vertuscht. Nicht einmal meine Eltern erfuhren davon. Aber später lernte Nikolaus den Gauner kennen und erfuhr von ihm die ganze Geschichte. Jetzt droht er mir, er werde sie dem Grafen erzählen, wenn ich nicht tue, was er wünscht.

Tarzan lachte.

Sie sind doch noch wie ein kleines Mädchen. Die Geschichte, die Sie mir erzählt haben, kann Ihren Ruf nicht im geringsten beflecken, und wenn Sie nicht in Ihrem Herzen noch ein junges Mädchen wären, so würden Sie sich das selbst sagen. Gehen Sie noch heute abend zu Ihrem Gatten und erzählen Sie ihm die ganze Geschichte, genau so, wie Sie mir sie berichtet haben. Wenn ich mich nicht sehr irre, wird er Sie wegen Ihrer Angst auslachen und dann sofort die nötigen Schritte unternehmen, um diesen Ihren kostbaren Bruder ins Gefängnis befördern zu lassen, wo er hingehört.

Ich wünschte nur, ich hätte den Mut dazu, sagte sie, aber ich bin ängstlich. Ich habe früh gelernt, die Männer zu fürchten. Zuerst meinen Vater, dann Nikolaus, dann die Väter im Kloster. Fast alle meine Freundinnen fürchten ihre Gatten, wie sollte ich da nicht auch den meinen fürchten?

Ich sehe nicht recht ein, weshalb die Frauen die Männer fürchten sollen, sagte Tarzan mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. Ich bin mehr vertraut mit dem Dschungelvolk, und dort ist öfters das Umgekehrte der Fall, ausgenommen bei den Schwarzen, und diese stehen meiner Meinung nach noch eine Stufe tiefer als das Tier. Nein, ich kann nicht verstehen, weshalb zivilisierte Frauen den Mann fürchten sollen, da dieser doch geschaffen ist, sie zu beschützen. Ich könnte mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß ein Weib mich fürchten würde.

Ich glaube auch nicht, mein Freund, daß irgend ein Weib Sie fürchten würde, sagte Olga de Coude leise. Ich kenne Sie erst seit kurzer Zeit, und es mag närrisch sein, das zu sagen, aber Sie sind von allen Männern, die ich je gekannt habe, der einzige, den ich wohl nie fürchten würde. Das ist merkwürdig, zumal Sie sehr kräftig sind. Ich war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit Sie Nikolaus und Pawlowitsch in jener Nacht aus meiner Kabine hinausbefördert haben. Das war einfach großartig.

Als Tarzan sie eine Weite darauf verließ, wunderte er sich über den festen Handdruck, mit dem sie ihn verabschiedete, und über den nachdrücklichen Ton, mit dem sie ihm das Versprechen abnahm, morgen wiederzukommen.

Die Erinnerung an ihre halbverschleierten Augen und ihren reizenden Mund, als sie ihn bei seinem Fortgang lächelnd ansah, verließ ihn den ganzen Rest des Tages nicht. Olga de Coude war wirklich eine schöne Frau, und Tarzan war ein einsamer junger Mann, dessen Herz sich nach Liebe sehnte.

Als die Gräfin nach dem Fortgang Tarzans sich im Zimmer umwandte, stand sie plötzlich Nikolaus Rokoff gegenüber.

Seit wann bist du hier? schrie sie, indem sie erschrocken zurückwich.

Schon länger als dein Geliebter, antwortete er, indem er einen boshaften Blick auf sie warf.

Halt ein! befahl sie. Wie konntest du es wagen, mir so was zu sagen, – deiner Schwester!

Gut, liebe Olga, wenn er nicht dein Geliebter ist, so will ich mich entschuldigen, aber es ist nicht dein Fehler, wenn er es nicht ist. Hätte er nur ein Zehntel meiner Weiberkenntnis, so lägst du jetzt in seinen Armen. Er ist ein dummer Narr, Olga. Jawohl, all deine Reden und Handlungen waren eine offene Einladung an ihn, und er schien das nicht einmal zu merken.

Die Gräfin hielt sich die Ohren zu.

Ich will dich nicht mehr anhören, sagte sie. Es ist unverschämt von dir, mir so etwas zu sagen! Du kannst mir drohen, soviel du willst – du weißt, daß ich eine anständige Frau bin. Von heute an sollst du es nicht mehr wagen, mich zu behelligen, denn ich werde Raoul alles erzählen. Er wird schon wissen, was er zu tun hat, und dann nimm dich in acht!

Du wirst ihm nichts sagen, erklärte Rokoff. Ich weiß jetzt Bescheid in dieser Sache, und mit Hilfe eines deiner Diener, dem ich vertrauen kann, wird nichts fehlen in dem Bericht für deinen Mann, sobald die Zeit gekommen sein wird, ihm die Sache zu unterbreiten. Die andere Affäre stimmt gut damit überein. Wir haben jetzt etwas Greifbares in Händen, Olga. Eine wirkliche Affäre – und du bist ein treues Weib. Schäme dich, Olga!

Dabei lachte der brutale Mensch.

So kam es, daß die Gräfin ihrem Gatten nichts erzählte und daß sich die Sache im Vergleich zu früher noch verschlimmerte. Während die Gräfin früher nur eine unbestimmte Furcht hatte, nahm diese jetzt faßbare Gestalt an. Es mag auch sein, daß ihr Gewissen sie noch mehr als nötig vergrößerte.


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