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Schiffe, die vorüberfahren

Der Leser erinnert sich gewiß der kleinen Eisenbahnstation im nördlichen Wisconsin, wo sich die Helden unserer Erzählung zusammenfanden. Das war ein paar Monate vor den zuletzt geschilderten Ereignissen. Wir müssen nunmehr auf jene Zeit zurückgreifen.

Infolge des Waldbrandes lag auf der ganzen Landschaft ein beißender Rauch, und deshalb sahen die sechs Personen, die auf der Station warteten, ungeduldig dem Zuge entgegen, der sie nach dem Süden führen sollte.

Professor Archimedes Q. Porter hielt wie gewöhnlich die Arme unter seinen langen Rockschößen verschränkt. Er ging unter den wachsamen Augen seines getreuen Sekretärs Samuel T. Philander auf dem Bahnsteig auf und ab.

Jane Porter, die Tochter des Professors, unterhielt sich in unbehaglicher Stimmung mit William Cecil Clayton und Tarzan. Wenige Minuten zuvor hatten Jane und Tarzan sich im kleinen Wartezimmer ihre Liebe gestanden und hatten eingesehen, daß es zu spät war.

Hinter Miß Porter schritt Esmeralda hin und her. Sie war glücklich, denn sie kehrte ja nach ihrem geliebten Maryland zurück. Schon funkelten die Lichter der nahenden Lokomotive auf. Die Männer fingen an, ihr Handgepäck zusammenzuraffen.

Plötzlich rief Clayton:

O weh, jetzt habe ich meinen Überzieher im Warteraum vergessen!

Er eilte fort, ihn zu holen.

Leben Sie wohl, Jane, sagte Tarzan, ihr die Hand reichend. Gott segne Sie!

Leben Sie wohl, sagte Jane in gedrückter Stimmung. Versuchen Sie mich zu vergessen, – doch nein, ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß Sie mich vergessen.

Fürchten Sie das nicht, Geliebte, antwortete er. Wollte der Himmel, daß ich vergessen könnte! Es würde mir dann viel leichter werden, durchs Leben zu gehen, als wenn ich immer daran denken muß, wie es hätte sein können. Sie werden dennoch glücklich werden; dessen bin ich sicher. Sie müssen glücklich werden! Sagen Sie den andern, ich hätte mich entschlossen, in meinem Wagen nach New York zurückzukehren. Ich fühle mich nicht imstande, Clayton Lebewohl zu sagen. Ich möchte seiner in Freundschaft gedenken, aber ich fürchte, daß ich noch zu viel von einem wilden Tiere an mir habe, um lange mit einem Manne zusammen sein zu können, der zwischen mir und dem einzigen Menschen in der Welt steht, nach dem ich mich sehne.

Als Clayton seinen Überzieher im Warteraum holen wollte, fiel sein Blick auf ein Telegramm, das auf dem Boden lag. Er hob es auf, da er dachte, es wäre vielleicht eine wichtige Nachricht, die jemand verloren habe. Er warf einen hastigen Blick darauf, und dann vergaß er plötzlich seinen Überzieher und den herannahenden Zug, er vergaß alles, bis auf das schreckliche kleine Papier in seiner Hand. Er las es zweimal, ehe er den inhaltsschweren Sinn erfassen konnte.

Als er sich bückte, war er noch ein englischer Edelmann, der stolze Besitzer ausgedehnter Güter, und einen Augenblick später wußte er, daß er ein Mann ohne Titel und arm sei. Es war d'Arnots Kabeltelegramm an Tarzan; es lautete:

Fingerabdrücke beweisen, daß Sie Greystoke. Glückwünsch.

D'Arnot.

Clayton wankte, als wenn ihn ein tödlicher Schlag getroffen hätte. In demselben Augenblick riefen ihm die andern zu, er müsse sich beeilen, der Zug hielte bereits am Bahnsteig. Alles schwirrte ihm vor den Augen, so daß er kaum noch seinen Überzieher ergreifen und nach dem Zuge stürzen konnte. Die Lokomotive pfiff schon zum zweitenmale. Die andern waren bereits eingestiegen und riefen ihm von der Plattform eines Pullmann-Wagens nochmals zu, sich zu beeilen. Erst nachdem alle Platz genommen hatten, merkte Clayton, daß Tarzan fehlte.

Wo ist Tarzan? fragte er Jane. Ist er in einem andern Wagen?

Nein, erwiderte sie, in der letzten Minute entschloß er sich, in seinem Auto nach New York zurückzukehren. Er möchte mehr von Amerika sehen, als es von dem Fenster eines Eisenbahnwagens aus möglich ist. Wie Sie wissen, kehrt er nach Frankreich zurück.

Clayton antwortete nichts darauf. Er suchte nach den richtigen Worten, um Jane Porter das Unglück zu erklären, das sie beide betroffen hatte. Er fragte sich, welchen Eindruck diese Eröffnung auf sie machen würde. Würde sie ihn noch heiraten, wenn er nur ein einfacher Mr. Clayton war und nicht der bisherige Würdenträger Lord Greystoke? Plötzlich kam ihm das schreckliche Opfer, das einer von ihnen nun bringen mußte, zum Bewußtsein. Dann fragte er sich: Wird Tarzan sein Eigentum fordern? Der Affenmensch hatte doch den Inhalt des Telegramms gekannt, ehe er sagte, er kenne seinen Vater nicht. Er hatte zugegeben, daß Kala, die Äffin, seine Mutter sei. Hatte er das aus Liebe zu Jane Porter getan?

Es mußte wohl so sein, denn es gab keine andere vernünftige Erklärung für seine Haltung. Er wollte also von dem Beweismittel, das er in Händen gehabt hatte, keinen Gebrauch machen. Damit war anzunehmen, daß er niemals Anspruch auf sein Geburtsrecht erheben würde. Wenn dem so war, so lag für ihn, William Cecil Clayton, kein Grund vor, die Absichten dieses seltsamen Menschen, der sich selbst aufopfern wollte, zu durchkreuzen. Wenn Tarzan das tun wollte, um Jane Porter vor der Armut zu bewahren, warum sollte er, dem sie ihre Zukunft anvertraute, ihren Interessen zuwiderhandeln?

So suchte er sich selbst zu überreden, nachdem er in der ersten Aufwallung die Absicht gehabt hatte, die Wahrheit zu bekennen und Titel wie Besitztum dem rechtmäßigen Eigentümer abzutreten. Unter der Wucht von Spitzfindigkeiten, die sein Eigennutz in den Vordergrund drängte, gab Clayton seine erste Absicht sehr schnell wieder auf.

Wenn er sich auch einigermaßen beruhigt fühlte, so war er doch während der ganzen Fahrt zerstreut und mürrisch, und auch an den folgenden Tagen wurde er den Gedanken nicht los, daß Tarzan später vielleicht doch einmal seine Großmut bereuen und seine Rechte fordern könnte.

Mehrere Tage nach der Ankunft in Baltimore brachte Clayton das Gespräch auf eine baldige Heirat mit Jane.

Was verstehst du unter bald? fragte sie.

Nun, innerhalb der nächsten Tage. Ich muß jetzt nach England zurückkehren, und da hätte ich gern, daß du mit mir gingest.

So schnell kann ich mich nicht bereit machen, erwiderte sie. Ich brauche wenigstens einen Monat dazu.

Sie freute sich, diese Ausrede zu haben, denn was ihn auch immer nach England zurückrufen mochte, jedenfalls wurde die Hochzeit dadurch verzögert. Sie hatte einen schlechten Handel gemacht, aber sie war entschlossen, ihr einmal gegebenes Wort zu halten, mochte es ihr auch noch so bitter vorkommen. Immerhin wollte sie wenigstens einen zeitweiligen Aufschub erlangen, und sie glaubte, darin liege kein Unrecht.

Seine Antwort brachte sie aus der Fassung.

Gut, Jane, sagte er. Das tut mir leid, aber ich werde dann mit meiner Rückkehr nach England einen Monat warten. Wir können dann zusammen reisen.

Vorläufig blieb es also dabei. Als aber der Monat sich zu Ende neigte, fand sie wieder einen andern Grund, um einen neuen Aufschub herbeizuführen, bis Clayton schließlich entmutigt und voller Zweifel allein nach England zurückkehrte.

Die verschiedenen Briefe, die zwischen ihnen gewechselt wurden, brachten Clayton der Verwirklichung seiner Hoffnungen nicht näher. Deshalb schrieb er endlich an Professor Porter, damit dieser seinen Einfluß auf Jane geltend machen möchte.

Der alte Herr hatte die Verbindung immer begünstigt. Er liebte Clayton, und da er aus einer alten Familie der Südstaaten stammte, legte er viel größeren Wert auf Titel und Würden als seine Tochter.

Clayton lud Professor Porter nach England ein, und zwar mit seiner ganzen Familie, einschließlich Mr. Philanders und Esmeraldas. Er sagte sich nämlich, wenn Jane einmal dort sei und die Beziehungen zu ihrer Heimat abgebrochen habe, so werde sie nicht mehr so zögern, den Heiratstag festzusetzen.

Noch am selben Tage, an dem Claytons Brief eingetroffen war, antwortete Professor Porter ihm, er werde schon in nächster Woche mit seinen Angehörigen nach London abreisen.

In London zeigte Jane Porter sich nicht willfähriger als in Baltimore. Sie fand eine Entschuldigung nach der andern, und als schließlich Lord Tennington die Gesellschaft einlud, mit ihm auf seiner Jacht eine Fahrt um Afrika zu machen, war sie über diesen Gedanken außerordentlich erfreut, aber sie weigerte sich ganz entschieden, vor ihrer Rückkehr nach London zu heiraten. Da die Fahrt mindestens ein Jahr dauern sollte, weil man sich an den verschiedenen sehenswerten Punkten einige Zeit aufzuhalten gedachte, war Clayton sehr ärgerlich über Lord Tenningtons »verrückte« Idee.

Man wollte das Mittelmeer und das Rote Meer durchkreuzen und dann durch den Indischen Ozean an der Ostküste Afrikas entlang fahren.

So kam es, daß eines Tages zwei Schiffe durch die Meerenge von Gibraltar fuhren. Das kleinere, eine schmucke, weiße Jacht, fuhr gen Osten, und auf ihrem Verdeck saß eine junge Dame, deren traurige Augen auf einem diamantenbesetzten Medaillon ruhten, das sie lässig in der Hand hielt. Ihre Gedanken waren weit fort – in dem dunklen, mit Laub überdeckten Versteck einer tropischen Dschungel, und ihr Herz war bei ihren Gedanken.

Sie fragte sich, ob der Mann, der ihr das prachtvolle Kleinod geschenkt hatte, wohl in seine wilde Dschungel zurückgekehrt sei.

Auf dem Deck des größeren Schiffes, eines Passagierdampfers, der gegen Westen steuerte, saß ein Mann mit einer andern jungen Dame, und die beiden fragten sich, wem wohl das elegante Fahrzeug gehöre, das so zierlich die sanft sich hebenden Wogen der trägen See durchschnitt.

Als die Jacht passiert war, nahm der Mann die durch ihr Erscheinen unterbrochene Unterhaltung wieder auf.

Ja, sagte er, ich habe Amerika sehr gern, und infolgedessen liebe ich auch die Amerikaner, denn ein Land ist das, was seine Bewohner aus ihm machen. Ich habe dort prächtige Menschen kennen gelernt. Ich denke dabei an eine Familie aus Ihrer eigenen Stadt, Miß Strong, die ich besonders schätze – Professor Porter und seine Tochter.

Jane Porter! rief die junge Dame aus. Sie kennen also Jane Porter? Ach, sie ist meine liebste Freundin! Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit. Wir lieben uns wie zwei Schwestern, und jetzt, wo ich sie verlieren soll, bin ich tief betrübt.

Sie verlieren? versetzte Tarzan. Was meinen Sie damit? Ach ja, ich verstehe, wenn sie in England verheiratet ist, werden Sie Ihre Freundin selten oder vielleicht überhaupt nicht wiedersehen.

Ja, erwiderte sie, und das Traurigste von allem ist, daß sie einen Mann heiratet, den sie nicht liebt. Ach, es ist schrecklich, nur aus Pflichtgefühl zu heiraten. Ich finde, daß das leichtfertig ist, und ich sagte es ihr auch. Es ging mir so nahe, daß, obschon ich außer den Verwandten die einzige bin, die eingeladen werden sollte, ich ablehnte, weil es einfach gegen mein Gefühl geht. Aber Jane hat ganz eigenartige Ansichten. Sie hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß sie nicht anders handeln kann, und nichts in der Welt wird sie davon abhalten, Lord Greystoke zu heiraten.

Es tut mir leid um sie, sagte Tarzan.

Und mir tut es leid um den Mann, den sie liebt, bemerkte Hazel Strong, denn auch er liebt sie. Ich habe ihn nie gesehen, aber nach dem, was Jane mir von ihm erzählt hat, muß er ein wunderbarer Mensch sein. Wie es scheint, wurde er in einer afrikanischen Dschungel geboren und von wilden Menschenaffen aufgezogen. Er hatte nie einen Weißen gesehen, bis Professor Porter und seine Gefährten von Meuterern gerade vor seiner Hütte ausgesetzt wurden. Er rettete sie vor schrecklichen Tieren und vollbrachte die erstaunlichsten Heldentaten. Der Gipfel von allem aber war, daß er sich in sie verliebte und sie in ihn, obschon sie sich erst richtig klar darüber wurde, als sie sich Lord Greystoke verlobt hatte.

Sehr merkwürdig, murmelte Tarzan, und suchte nach einem andern Gespräch. Es freute ihn zwar, von Jane Porter erzählen zu hören, aber er mochte nicht von sich selbst hören. So war es ihm lieb, daß Hazels Mutter hinzukam und das Gespräch nun eine allgemeine Wendung nahm.

Die nächsten Tage gingen ohne Zwischenfall vorüber. Die See war ruhig, der Himmel klar. Das Schiff fuhr rastlos immer weiter gen Süden.

Tarzan war oft mit Miß Strong und ihrer Mutter zusammen. Sie vertrieben sich die Stunden auf Deck mit Lesen und Plaudern dem oder sie photographierten mit Miß Strongs Apparat. Nach Sonnenuntergang promenierten sie.

Eines Tages fand Tarzan Miß Strong im Gespräch mit einem Fremden, den er vorher nicht an Bord gesehen hatte. Als er in ihre Nähe kam, verbeugte der Mann sich vor der jungen Dame und wollte sich entfernen.

Warten Sie, Herr Thuran, sagte Miß Strong, Sie müssen Herrn Caldwell kennen lernen. Wir sind Reisegefährten und sollten uns alle kennen.

Die beiden Männer reichten sich die Hände. Als Tarzan in die Augen des Herrn Thuran sah, kam ihm dieser seltsam bekannt vor.

Ich glaube, ich muß schon früher einmal die Ehre gehabt haben, die Bekanntschaft des Herrn zu machen, sagte Tarzan. Herrn Thuran wurde es sehr unbehaglich.

Ich kann es nicht sagen, erwiderte er. Es mag sein. Ich habe oft das gleiche Gefühl, wenn ich einem Fremden begegne.

Herr Thuran hat mir einige Geheimnisse der Schiffahrt erklärt, bemerkte Hazel.

Tarzan schenkte der nun folgenden Unterredung wenig Aufmerksamkeit. Er dachte darüber nach, wo er Herrn Thuran früher gesehen haben mochte. Daß es unter besonderen Umständen gewesen sein mußte, glaubte er bestimmt.

Jetzt hatte die Sonne sie erreicht und Hazel bat Herrn Thuran, ihren Stuhl in den Schatten zu rücken. Da bemerkte Tarzan zufällig, wie der Mann den Stuhl ungeschickt handhabte – sein linkes Handgelenk war steif. Jetzt wußte er Bescheid.

Herr Thuran suchte nach einem Vorwand, um sich auf geschickte Art zu entfernen. Die Pause, die durch das Wechseln des Platzes entstand, benutzte er, um sich zu empfehlen, indem er sich tief vor Miß Strong und leicht gegen Tarzan verbeugte.

Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Miß Strong, sagte Tarzan. Ich möchte den Herrn nur ein paar Schritte begleiten; – ich kehre sofort zurück.

Herrn Thuran wurde es sehr unbehaglich zu Mute. Sobald die beiden Männer außer Sicht waren, blieb Tarzan stehen und legte seine Hand schwer auf des andern Schulter.

Welche Rolle spielen Sie jetzt, Rokoff? fragte er.

Ich verlasse Frankreich, wie ich es Ihnen versprochen hatte, antwortete der andere mit sicherer Stimme.

Das sehe ich, erwiderte Tarzan, aber ich kenne Sie so gut, daß ich Ihre Anwesenheit auf diesem Dampfer wohl kaum als einen Zufall betrachten kann. Aber selbst wenn ich daran glaubte, so würde Ihre Verkleidung mir sofort eine andere Meinung beibringen.

Nun, erwiderte Rokoff brummend, was können Sie gegen mich unternehmen? Dieses Schiff fährt unter englischer Flagge. Ich habe ebensoviel Recht, auf diesem Schiff zu sein, wie Sie, und wenn Sie unter einem falschen Namen reisen, so darf ich das doch wohl auch tun.

Wir wollen nicht darüber streiten, Rokoff. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie nicht an Miß Strong rühren sollen, denn sie ist eine anständige Dame.

Rokoff wurde feuerrot.

Wenn Sie sich das Geringste erlauben, so werfe ich Sie über Bord, fuhr Tarzan fort. Vergessen Sie nicht, daß ich nur auf einen Anlaß warte!

Dann drehte er sich herum und ließ Rokoff stehen, der vor Wut zitterte.

Während der nächsten Tage sah Tarzan den Mann nicht wieder.

Rokoff war aber nicht müßig. Er saß in seiner Kammer mit Pawlowitsch zusammen und sann auf Rache.

Ich würde ihn heute nacht über Bord werfen, sagte er, wenn ich wüßte, daß er die Schriftstücke nicht bei sich trüge. Ich wage es nicht, ihn mit ihnen ins Meer zu werfen. Wenn Sie, Alexei, nicht ein so großer Feigling wären, würden Sie schon ein Mittel finden, in seine Kabine zu gelangen und nach den Schriftstücken zu suchen.

Pawlowitsch lächelte.

Sie gelten doch als der denkende Teil unserer Gemeinschaft, mein lieber Nikolaus, erwiderte dieser. Warum finden Sie nicht selbst ein Mittel, Herrn Caldwells Kammer zu durchsuchen?

Zwei Stunden später war das Schicksal ihnen hold, denn Pawlowitsch, der immer auf der Lauer lag, sah Tarzan sein Zimmer verlassen, ohne die Tür abzuschließen. Fünf Minuten später stellte Rokoff sich an einer Stelle auf, von wo er einen Warnruf geben konnte, falls Tarzan vorzeitig zurückkehren sollte.

Pawlowitsch durchsuchte schnell das Gepäck des Affenmenschen. Er fand aber nichts, und wollte die weitere Nachforschung schon aufgeben, als er ein Jackett sah, das Tarzan eben ausgezogen hatte. Im nächsten Augenblick erfaßte seine Hand einen amtlichen Briefumschlag. Ein schneller Blick in den Inhalt genügte ihm, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln.

Als er Rokoff den Umschlag in ihrer Kabine einhändigte, klingelte der Große dem Steward und bestellte eine Flasche Champagner.

Wir müssen den Sieg feiern, Alexei, sagte er.

Es war ein glücklicher Zufall, Nikolaus, erklärte Pawlowitsch. Er trägt offenbar die Schriftstücke immer bei sich. Durch Zufall versäumte er es, vorhin beim Wechseln des Rockes die Papiere wieder an sich zu nehmen. Aber wenn er den Verlust bemerkt, so werden wir ihn teuer bezahlen müssen. Ich befürchte, er wird Sie sofort in Verdacht haben, denn jetzt, wo er weiß, daß Sie an Bord sind, wird dies sein erster Gedanke sein.

Es ist gleich, wen er nach dieser Nacht im Verdacht hat, entschied Rokoff.

Nachdem Miß Strong an jenem Abend hinuntergegangen war, stand Tarzan an die Reling gelehnt und schaute in die weite See hinaus. Seitdem er an Bord war, hatte er dies noch jede Nacht getan. Manchmal stand er eine Stunde lang dort. Das wußten auch die beiden, die ihn heimlich beobachtet hatten, seitdem er in Algier den Dampfer bestiegen hatte.

Als er in dieser Nacht wieder dort stand, ruhten ihre Augen auf ihm. Jetzt hatte der letzte Spaziergänger das Deck verlassen. Es war eine klare Nacht, aber es war kein Mondschein, und die Gegenstände auf dem Deck waren kaum zu unterscheiden.

Aus dem Schatten einer Kabine schlichen sich zwei Gestalten heimlich hinter den Affenmenschen.

Das Klatschen der Wellen, das Rauschen der Schraube und das Stampfen der Maschinen übertönte das leise Geräusch ihrer Schritte.

Die beiden waren jetzt ganz nahe an ihn herangekommen. Einer von ihnen erhob seine Hand und senkte sie, als ob er Sekunden abzählte: eins – zwei – drei! Wie ein Mann sprangen die zwei auf ihr Opfer. Jeder ergriff ein Bein, und ehe Tarzan sich umdrehen konnte, ward er über die niedrige Reling geworfen und versank ins Meer.

Hazel Strong schaute aus ihrem Kabinenfenster über die dunkle weite See. Plötzlich schoß ein Körper vom Verdeck am Fenster vorüber. Er verschwand so schnell in den dunklen Fluten, daß sie nicht erkennen konnte, was es war. Ob es ein Mensch war, konnte sie nicht sagen. Sie horchte auf den Schrei, bei dem alles erschrickt: »Mann über Bord!« Aber es kam nichts. Oben auf dem Schiff war alles still, und auch im Atlantischen Ozean blieb alles ruhig.

Hazel schloß daraus, es müsse wohl ein Matrose einen Bündel Abfall über Bord geworfen haben, und suchte ihr Nachtlager auf.


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