Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Streit auf dem Dampfer

Prachtvoll! sagte die Gräfin de Coude halblaut vor sich hin.

Was ist prachtvoll? fragte der Graf, indem er sich nach seiner jungen Frau umwandte. Er schaute dann umher, um den Gegenstand ihrer Bewunderung zu entdecken.

Oh, gar nichts, mein Lieber, erwiderte die Gräfin, aber ihre ohnehin rosigen Wangen färbten sich dabei noch tiefer. Ich dachte nur mit Bewunderung an die erstaunlichen Wolkenkratzer von New York zurück. Die schöne Gräfin lehnte sich behaglich in ihren Sessel zurück und nahm die Zeitschrift, die sie auf den Schoß hatte fallen lassen, wieder auf.

Auch ihr Mann vertiefte sich wieder in sein Buch, doch kam es ihm merkwürdig vor, daß seine Frau jetzt die Gebäude bewunderte, die sie noch vor drei Tagen als abscheulich hingestellt hatte.

Bald legte der Graf das Buch wieder aus der Hand. Es ist sehr langweilig, Olga, sagte er. Ich will sehen, ob ich nicht noch ein paar Herren auftreibe, die sich auch langweilen, so daß wir vielleicht miteinander Karten spielen können.

Du bist nicht sehr galant, rief die junge Frau lachend, aber da ich mich ebenso langweile, so kann ich es dir nicht verübeln. Geh nur und spiele mit deinen langweiligen alten Karten, wenn es dir Spaß macht.

Als er fort war, sah sie verstohlen nach einem großen jungen Mann, der sich unweit von ihr bequem auf einem Liegestuhl ausgestreckt hatte.

Prachtvoll! murmelte sie noch einmal vor sich hin.

Die Gräfin Olga de Coude war erst zwanzig Jahre alt, ihr Mann aber schon vierzig. Sie war ihm treu und ergeben, aber da sie bei ihrer Wahl gar nicht befragt worden war, so war sie begreiflicherweise nicht gerade leidenschaftlich in den Mann verliebt, den das Schicksal oder vielmehr ihr adliger russischer Vater ihr als Lebensgefährten bestimmt hatte. Aus ihrem Ausruf der Bewunderung beim Anblick eines stattlichen jungen Fremden darf aber nicht geschlossen werden, daß ihre Gedanken ihrem Gatten in irgendeiner Weise untreu gewesen wären. Sie bewunderte den Fremden nur ebenso, wie sie ein besonders schönes Exemplar irgend einer andern Art von Lebewesen bewundert hätte. Zudem war es zweifellos ein Vergnügen, ihn anzusehen.

Gerade als ihr verstohlener Blick über sein Profil huschte, stand er auf und verließ das Deck.

Die Gräfin winkte einen vorübergehenden Steward heran. Wer ist jener Herr? fragte sie.

Er ist als Herr Tarzan aus Afrika eingetragen, gnädige Frau! lautete die Antwort.

Eine ziemlich große Besitzung, dachte die junge Frau, aber jetzt war ihre Neugier noch gestiegen.

Als Tarzan langsam auf das Rauchzimmer zuschritt, kam er an zwei Männern vorbei, die aufgeregt vor der Türe flüsterten. Er hätte sie nicht einmal beachtet, wenn nicht der eine von ihnen einen sonderbaren Blick auf ihn geworfen hätte. Die beiden erinnerten Tarzan an die Schurkengestalten, die ihm aus rührseligen Dramen der Pariser Theater sattsam in Erinnerung geblieben waren. Beide waren dunkelfarbig, und dies, ebenso wie ihr Achselzucken und ihre verstohlenen Blicke, ließ die Ähnlichkeit noch größer erscheinen. Jedenfalls hatten sie nichts Gutes im Sinn.

Tarzan trat in das Rauchzimmer und setzte sich etwas abseits von den Anwesenden. Er war nicht in der Stimmung, sich mit andern zu unterhalten. Während er seinen Absinth schlürfte, ließ er die vergangenen Wochen seines Lebens sorgenvoll an sich vorüberziehen. Immer wieder fragte er sich, ob er weise gehandelt habe, als er zugunsten eines Mannes auf sein Geburtsrecht verzichtete, dem er in keiner Weise zu Dank verpflichtet war. Allerdings betrachtete er Clayton als einen Freund, aber das war es nicht. Nicht William Cecil Clayton, Lord Greystoke, zuliebe hatte er seine Geburt verleugnet. Es war nur der Frau zuliebe, die er und Clayton liebten, und die eine seltsame Laune des Schicksals diesem, statt ihm, bestimmt hatte.

Daß sie ihn liebte, machte ihm den Gedanken doppelt schwer, aber er sagte sich, er hätte nicht mehr tun können, als was er in jener Nacht auf der kleinen Eisenbahnstation in den fernen Wäldern von Wisconsin getan hatte. Für ihn war vor allem ihr Glück der erste Beweggrund, und seine kurze Erfahrung mit der Kultur und den Kulturmenschen hatte ihn gelehrt, daß das Leben ohne Geld und ohne Stellung den meisten von ihnen unerträglich war.

Jane Porter war nun einmal für die Güter der Kultur geboren; hätte Tarzan sie diesem Manne weggenommen, so hätte er sie zweifellos in ein Leben gestürzt, das ihr elend und qualvoll erscheinen mußte.

Tarzans Gedanken schweiften aus der Vergangenheit in die Zukunft. Er versuchte, sich auf die Rückkehr in die Dschungel zu freuen, in die grausame wilde Dschungel, in der er geboren worden und wo er von seinen 22 Jahren 20 verlebt hatte. Aber welches von der Myriade Lebewesen der Dschungel würde ihn bei seiner Rückkehr willkommen heißen? Kaum eines! Nur Tantor, den Elefanten, konnte er seinen Freund nennen. Die andern würden ihn verfolgen oder ihn fliehen, wie sie es früher getan hatten.

Nicht einmal die Affen seines früheren Stammes würden ihm ihre kameradschaftliche Hand entgegenstrecken.

Wenn die Kultur auch sonst nichts für Tarzan getan hatte, so hatte sie ihn doch bis zu einem gewissen Grade gelehrt, sich nach der Gesellschaft gleicher Wesen umzusehen und das Wohltuende der Kameradschaft zu schätzen. Es war ihm jetzt schwer, sich eine Welt ohne einen Freund zu denken, ohne ein lebendes Wesen, mit dem er sich jetzt doch durch die gelernten Sprachen so gut verständigen konnte. Und so kam es, daß Tarzan recht trübselig in die Zukunft schaute, die er selbst sich vorgezeichnet hatte.

Als er so, eine Zigarette rauchend, in Gedanken versunken da saß, fiel sein Blick auf einen Spiegel vor ihm, und darin sah er einen Tisch, an dem vier kartenspielende Männer saßen. Eben stand einer auf, um fortzugehen, und dann näherte sich ein anderer, der sich höflich erbot, den leeren Platz auszufüllen, damit das Spiel nicht unterbrochen würde. Es war der Kleinere von den beiden, die Tarzan miteinander flüsternd vor dem Rauchzimmer angetroffen hatte.

Das hatte die Neugier Tarzans einigermaßen geweckt und er konnte nicht umhin, im Spiegel das Bild der Spieler am Tische zu beobachten. Tarzan kannte nur den Namen eines der Spieler, nämlich desjenigen, der gegenüber dem neu hinzugekommenen saß. Es war der Graf Raoul de Coude, den ein zuvorkommender Steward ihm letzthin als eine der Berühmtheiten auf dem Schiffe bezeichnet hatte und der eine hohe Stellung im französischen Kriegsministerium einnehmen sollte.

Plötzlich wurde Tarzans ganze Aufmerksamkeit auf das Bild im Spiegel gelenkt. Der andere Dunkelfarbige, der wie ein Bösewicht aussah, war hereingekommen und stand hinter dem Stuhle des Grafen. Tarzan sah, daß er sich umdrehte und verstohlen umherschaute; sein huschender Blick ruhte aber nicht lange genug auf dem Spiegel, um Tarzans wachsame Augen zu entdecken. Heimlich zog der Mann etwas aus seiner Tasche, aber da er es mit der Hand bedeckte, konnte Tarzan nicht sehen, was es war.

Langsam näherte sich die Hand dem Grafen, um ihm das Ding, das sie enthielt, in die Tasche zu schieben. Der Mann blieb so stehen, daß er die Karten des Franzosen beobachten konnte. Das gab Tarzan zu denken. Er paßte jetzt sorgfältig auf und ließ sich keine Einzelheit des Vorfalls entgehen.

Das Spiel ging darnach noch etwa zehn Minuten weiter, bis der Graf dem, der zuletzt zum Spiel gekommen war, einen hohen Betrag abgewann. Dann sah Tarzan den Mann, der hinter des Grafen Stuhl stand, seinem Verbündeten zunicken. Sofort erhob sich der Spieler und zeigte mit dem Finger auf den Grafen.

Hätte ich gewußt, daß der Herr ein gewerbsmäßiger Falschspieler ist, sagte er, so wäre ich nicht so schnell bereit gewesen, mich in das Spiel hineinziehen zu lassen.

Im Nu sprangen der Graf und die beiden andern Spieler auf.

Der Graf war erblaßt.

Was wollen Sie damit sagen, Herr? schrie er. Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?

Ich weiß, daß ich das letztemal mit einem spreche, der beim Kartenspiel betrügt, erwiderte der andere.

Der Graf neigte sich sofort über den Tisch und versetzte dem Mann eine Ohrfeige, ehe die andern dazwischentreten konnten.

Da liegt unbedingt ein Irrtum vor, Herr! rief einer der andern Spieler. Das ist ja der Graf de Coude.

Wenn ich mich irre, sagte der, der ihn beschuldigt hatte, so will ich mich gern entschuldigen, aber ehe ich das tue, soll der Herr Graf erklären, wozu er die falschen Karten braucht, die ich ihn in seine Seitentasche stecken sah.

Der Mann, den Tarzan beim Hineinschieben der Karten beobachtet hatte, suchte den Wortwechsel zu benutzen, um sich aus dem Rauchzimmer fortzuschleichen; aber zu seinem Ärger fand er den Ausgang von einem großen grauäugigen Fremden versperrt.

Sie entschuldigen, rief er, indem er versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen.

Warten Sie! sagte Tarzan.

Aber warum, mein Herr? fragte der andere ungeduldig. Gestatten Sie, daß ich vorbeigehe!

Warten Sie, sagte Tarzan, denn hier ist eine Sache zu regeln, die Sie zweifellos aufklären können.

Der Mensch hatte inzwischen seine Ruhe verloren und wollte Tarzan mit einem leisen Fluch zur Seite stoßen. Der Affenmensch aber lachte nur, als er den großen Kerl am Mantelkragen faßte und ihn an den Tisch zurückführte, obschon dieser sich fluchend und schlagend dagegen wehrte.

So machte Nikolaus Rokoff die erste Erfahrung mit den Muskeln, die Tarzan zum Siege über Numa, den Löwen, und Terkop, den großen Menschenaffen, verholfen hatten.

Der Mann, der de Coude beschuldigt hatte, und die zwei andern Spieler sahen den Grafen erwartungsvoll an. Mehrere andere Passagiere waren infolge des Wortwechsels hinzugekommen und alle warteten auf den Ausgang.

Der Mensch ist verrückt, sagte der Graf. Meine Herren, ich bitte Sie, untersuchen Sie mich.

Die Beschuldigung ist lächerlich, sagte einer der Spieler.

Sie brauchen Ihre Hand nur in die Rocktasche des Grafen zu stecken, und Sie werden sehen, daß die Anklage berechtigt ist, versicherte der Spielpartner, der die Beschuldigung ausgesprochen hatte. Und als die andern noch zögerten, rief er aus: Vorwärts! Ich werde es selbst tun, wenn kein anderer es will. Zugleich ging er auf den Grafen zu.

Nein, mein Herr, sagte de Coude. Ich will mich nur von einem Gentleman untersuchen lassen.

Es ist nicht nötig, den Grafen zu untersuchen. Die Karten sind in seiner Tasche. Ich habe selbst gesehen, wie sie hineingesteckt wurden.

Alle wandten sich erstaunt nach dem neuen Sprecher um. Sie sahen einen wohlgebauten jungen Mann, der einen am Mantelkragen gefaßten Menschen heranschleppte.

Es ist eine Verschwörung, rief de Coude ärgerlich. Es sind keine Karten in meinem Rock. Und damit griff er in seine Tasche.

Es herrschte tiefes Schweigen in der kleinen Gruppe. Der Graf wurde leichenblaß und zog langsam seine Hand heraus, in der er tatsächlich drei Karten hielt.

Entsetzt sah er sie schweigend an, indes sein Gesicht aufflammte. In den Mienen der Zuschauer aber, die sahen, wie die Ehre eines Mannes den Todesstoß erhielt, mischte sich Mitleid mit Verachtung.

Der grauäugige Unbekannte aber rief: Es ist eine Verschwörung, meine Herren. Der Herr Graf wußte nicht, daß diese Karten in seiner Tasche waren. Sie wurden ohne sein Wissen während des Spieles hineingesteckt. Von meinem Stuhle dort unten aus sah ich alles vor mir im Spiegel. Dieser Mann, den ich beim Entweichen festgehalten habe, hat die Karten in des Grafen Tasche gesteckt.

De Coude hatte zuerst auf Tarzan geschaut, dann auf den Mann, den dieser mit der Faust festhielt.

Mein Gott, Nikolaus! rief er. Du?

Dann wandte er sich an den Mann, der ihn beschuldigt hatte, und sah ihn einen Augenblick scharf an.

Und Sie, mein Herr, ich erkannte Sie nicht ohne Ihren Bart. Er verstellt Sie ganz, Pawlowitsch. Jetzt verstehe ich alles. Es ist ganz klar, meine Herren.

Was sollen wir mit ihm anfangen? fragte Tarzan. Dem Kapitän übergeben?

Nein, mein Freund, erwiderte der Graf hastig. Es ist eine persönliche Angelegenheit, und ich bitte Sie, sie auf sich beruhen zu lassen. Es genügt, daß ich von der Beschuldigung entlastet bin. Je weniger wir mit solchen Leuten zu tun haben, desto besser ist es. Aber, mein Herr, wie kann ich Ihnen für die große Güte danken, die Sie mir bewiesen haben? Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Karte überreiche, und falls sich mir einmal eine Gelegenheit bietet, Ihnen eine Gefälligkeit zu erweisen, so erinnern Sie sich, daß ich zu Ihren Diensten stehe.

Tarzan hatte Rokoff losgelassen, und dieser beeilte sich, mit seinem Verbündeten, Pawlowitsch, das Rauchzimmer zu verlassen. Zuvor aber zischte Rokoff Tarzan zu: Sie werden Ihre Einmischung in fremde Angelegenheiten noch schwer zu bedauern haben.

Über diese Drohung lachte Tarzan, und sich vor dem Graf verneigend, überreichte er ihm seine Karte.

Der Graf las:

M. Jean C. Tarzan.

Herr Tarzan, sagte er, Sie werden vielleicht noch einmal wünschen, mir niemals einen Freundschaftsdienst geleistet zu haben, denn ich kann Ihnen sagen: Sie haben sich die Feindschaft von zwei der größten Erzgauner von ganz Europa zugezogen. Gehen Sie ihnen aus dem Wege, wo Sie nur können.

Mein lieber Graf, erwiderte Tarzan mit ruhigem Lächeln. Ich habe Feinde gehabt, die mehr zu fürchten waren, und doch bin ich noch am Leben, und es hat mir noch keiner etwas anhaben können. Ich glaube nicht, daß einer von den beiden es fertig bringen wird, mir ein Leid zuzufügen.

Wir wollen es nicht hoffen, mein Herr, sagte de Coude, aber es wird auf alle Fälle nichts schaden, wenn Sie auf Ihrer Hut sind und wenn Sie wissen, daß Sie sich heute jemanden zum Feinde gemacht haben, der nie vergißt und nie vergibt, und in dessen bösartigem Hirn immer neue Schurkereien ersonnen werden, um sich an denen zu rächen, die seine Pläne vereitelt oder ihm zu nahe getreten sind. Wenn man Nikolaus Rokoff einen Teufel nennt, so beleidigt man damit noch die Majestät des Satans.

Am Abend, als Tarzan seine Kabine betrat, fand er ein zusammengefaltetes Billett auf dem Boden, das offenbar unter der Tür hereingeschoben worden war. Er öffnete es und las:

Herr Tarzan, Sie waren sich zweifellos der Schwere Ihrer Beleidigung nicht bewußt, sonst hätten Sie sich sicher nicht zu Ihrer heutigen Handlung hinreißen lassen. Ich will annehmen, daß Sie in Unkenntnis gehandelt haben und nicht die Absicht hatten, einen Fremden zu beleidigen. Aus diesem Grunde will ich Ihnen gerne erlauben, Abbitte zu leisten, und wenn ich die Versicherung erhalten habe, daß Sie sich nicht mehr in fremde Angelegenheiten mischen werden, will ich die Sache auf sich beruhen lassen.

Andernfalls – doch ich bin sicher, daß Sie so klug sein werden, den angedeuteten Weg einzuschlagen.

Hochachtungsvoll
Nikolaus Rokoff.

Einen Augenblick spielte ein grimmiges Lächeln um Tarzans Lippen, aber dann dachte er nicht weiter daran und ging zu Bett.

In einer naheliegenden Kabine sprach die Gräfin de Coude mit ihrem Gatten.

Warum so ernst, mein lieber Raoul? Du bist den ganzen Abend so verdrießlich gewesen? Was macht dir Sorgen?

Olga, Nikolaus ist an Bord unseres Schiffes. Wußtest du es?

Nikolaus! rief sie aus. Das ist unmöglich, Raoul. Das kann nicht sein! Nikolaus ist in Deutschland verhaftet.

Das glaubte ich auch, bis ich ihn heute sah, ihn und den andern Erzgauner, Pawlowitsch. Olga, ich kann diese Verfolgung nicht länger ertragen. Nein, selbst nicht um deinetwillen. Früher oder später werde ich ihn den Behörden ausliefern. Ich habe mich in der Tat so halb und halb entschlossen, dem Kapitän alles zu erklären, ehe wir landen. Auf einem französischen Dampfer wäre es leicht, uns diesen Verfolger dauernd vom Halse zu schaffen.

O nein, Raoul! rief die Gräfin, indem sie vor ihm niederkniete, da er mit gesenktem Kopf auf einem Diwan saß. Tu das nicht! Denke an das Versprechen, das du mir gegeben hast. Sage mir, Raoul, daß du das nicht tun willst. Drohe ihm nicht einmal.

De Coude nahm die Hände seiner Frau in die seinen und betrachtete ihre bleichen, verwirrten Züge eine Weile, ehe er sprach, als ob er aus diesen schönen Augen den wirklichen Grund erraten wollte, der sie bestimmte, diesen Mann zu schützen.

Es soll geschehen, wie du wünschest, Olga, sagte er endlich. Ich kann es nicht verstehen. Er hat jeden Anspruch auf deine Liebe, Anhänglichkeit oder Achtung verwirkt. Er ist eine Gefahr für dein Leben und deine Ehre und für das Leben und die Ehre deines Mannes. Mögest du es nie bereuen, ihn verteidigt zu haben.

Ich verteidige ihn nicht, Raoul, unterbrach sie ihn heftig. Ich glaube, daß ich ihn ebensosehr hasse wie du, aber – o Raoul, Blut ist dicker als Wasser.

Ich hätte heute gern die Beschaffenheit des seinigen erprobt, sagte de Coude in grimmigem Ärger. Die beiden haben heute vorsätzlich meine Ehre zu beschmutzen versucht, Olga. Und dann erzählte er die Vorfälle im Rauchzimmer.

Ohne diesen Fremden, fuhr er hierauf fort, wäre es ihnen geglückt, denn wer hätte meinem einfachen Wort geglaubt, da ja die verwünschten Karten in meiner Tasche waren? Ich hätte beinahe selbst daran gezweifelt, bis dieser Herr Tarzan deinen feinen Nikolaus zu uns heranschleppte und den ganzen feigen Anschlag aufklärte.

Herr Tarzan? fragte die Gräfin sichtlich überrascht.

Ja, kennst du ihn, Olga?

Ich habe ihn gesehen. Ein Steward zeigte ihn mir.

Ich wußte nicht, daß er eine Berühmtheit ist, sagte der Graf. Olga de Coude ging auf ein anderes Thema über. Es fiel ihr nämlich ein, daß es ihr schwer sein würde, zu erklären, warum der Steward gerade ihr den hübschen Tarzan gezeigt habe. Vielleicht errötete sie ein wenig, denn ihr Gatte sah sie mit einem sonderbar spöttischen Blick an. Ach, dachte sie, ein schuldiges Gewissen ist ein sehr verdächtiges Ding.


 << zurück weiter >>