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Die Elfenbein-Räuber

Waziris Krieger eilten im Schnellmarsch durch die Dschungel zu ihrem Dorf zurück. Einige Minuten zuvor hatte das scharfe Gewehrgeknatter sie zur Eile angetrieben, schließlich vernahm man nur noch einzelne Schüsse, und nun hörten auch diese auf. Diese Ruhe war aber nicht weniger unheilverkündend, als das Gewehrfeuer, denn sie ließ nur die Deutung zu, daß das schlecht bewachte Dorf dem Angriff einer Übermacht erlegen sei.

Die heimkehrenden Krieger hatten etwas mehr als drei Meilen zurückgelegt und waren noch fast zwei Meilen von ihrem Dorfe entfernt, als sie auf die ersten Flüchtlinge stießen, die dem Feind entronnen waren. Es waren ein Dutzend Weiber, Knaben und Mädchen, die vor lauter Aufregung kaum sprechen konnten, als sie Waziri das Unglück, das über sein Volk hereingebrochen war, zu schildern versuchten.

Sie sind so zahlreich wie die Blätter auf den Bäumen, rief eine der Frauen, indem sie die Stärke des Feindes zu erklären suchte. Es sind viele Araber und unzählige Manyuema, und sie haben alle Feuerwaffen. Sie schlichen sich an das Dorf heran, bevor wir etwas von ihrem Herannahen bemerkt hatten, und dann stürzten sie mit Schnellfeuer auf uns los, Männer, Frauen und Kinder niederschießend. Manche von uns konnten nach allen Richtungen in die Dschungel entfliehen, aber viel mehr sind getötet worden. Ich weiß nicht, ob sie Gefangene gemacht haben oder nicht, – sie schienen es nur darauf abgesehen zu haben, uns alle zu töten. Die Manyuema beschimpften uns und sagten, sie wollten uns alle auffressen, bevor sie die Gegend verließen; das sei unsere Strafe dafür, daß wir voriges Jahr ihre Freunde getötet hätten. Mehr hörte ich nicht, denn ich lief sofort davon.

Der Marsch nach dem Dorfe erfolgte jetzt langsamer und vorsichtiger, denn Waziri wußte, daß die Hilfe jetzt doch zu spät käme; es konnte sich nur noch darum handeln, sich für den Überfall zu rächen. Innerhalb der nächsten Meile traf man noch auf etwa hundert Flüchtlinge. Es waren noch manche Männer darunter, und so wurde die Kampfkraft der Abteilung gut verstärkt.

Jetzt wurde ein Dutzend Krieger auf Erkundung ausgesandt. Waziri blieb bei den übrigen zurück, die sich in dünner, langer Kette durch den Wald fortbewegten. An der Seite des Häuptlings ging Tarzan.

Bald kam einer der Kundschafter wieder. Er war bis in Sichtweite des Dorfes vorgedrungen.

Sie sind alle innerhalb der Umzäunung! flüsterte er.

Gut! sagte Waziri. Jetzt stürzen wir uns auf sie und erschlagen sie!

Und er sandte den Befehl die Linie entlang, daß sie alle am Rande der Lichtung zu halten hätten, bis sie sähen, daß er ins Dorf eindrang, und dann sollten sie ihm folgen.

Vorsicht! sagte Tarzan. Wenn auch nur fünfzig mit Gewehren Bewaffnete innerhalb des Zaunes sind, so werden wir zurückgeschlagen und niedergemacht. Laß mich allein durch die Bäume gehen. Ich will von oben herabschauen und sehen, wieviel ihrer sind, und welche beste Aussicht wir haben, sie anzugreifen. Es wäre Wahnsinn, auch nur einen Mann nutzlos dranzuwagen, wenn wir keine Aussicht auf Erfolg haben. Ich habe die Überzeugung, daß wir durch Schlauheit mehr erreichen werden als durch Gewalt. Willst du warten, Waziri?

Ja, sagte der alte Häuptling. Geh nur!

So kletterte Tarzan auf einen Baum und verschwand in der Richtung nach dem Dorfe. Er bewegte sich vorsichtiger, als er es sonst gewohnt war, denn er wußte, daß Männer mit Gewehren ihn auf der Spitze eines Baumes ebenso leicht treffen konnten, wie auf dem Boden. Und wenn Tarzan sich vornahm, vorsichtig zu sein, so konnte kein Geschöpf in der Dschungel sich so leise fortbewegen und sich so gut den Augen des Feindes entziehen wie er.

In fünf Minuten war er bis zu dem großen Baume vorgedrungen, dessen Äste bis über den Zaun des Dorfes reichten, und von dort aus schaute er hinunter auf das Treiben der wilden Horde. Er zählte fünfzig Araber und die Zahl der Manyuema schätzte er wohl auf fünfmal so hoch. Diese letzteren stopften sich voll mit Essen und waren eben dabei, den schauerlichen Schmaus zu bereiten, mit dem sie jeden Sieg über ihre Feinde zu feiern pflegten.

Der Affenmensch sah, daß es zwecklos sei, diese Horde anzugreifen, die mit Gewehren bewaffnet war und sich hinter den verschlossenen Toren des Dorfes verrammelt hatte, und so kehrte er zu Waziri zurück und riet ihm zu warten, zumal er einen besseren Plan habe.

Einen Augenblick zuvor hatte einer der Flüchtlinge die scheußliche Ermordung der Frau des alten Häuptlings erzählt, und dadurch war Waziri in solche Wut geraten, daß er sich nicht mehr halten ließ. Er rief seine Krieger herbei und befahl ihnen, zum Angriff vorzugehen.

Die kleine Truppe, die kaum mehr als hundert Mann zählte, schwenkte die Speere und rannte mit wildem Geschrei gegen das Dorftor. Bevor sie aber die Hälfte der Lichtung durchschritten hatten, eröffneten die hinter dem Zaun postierten Araber ein wütendes Feuer auf sie.

Bei der ersten Salve fiel Waziri. Der Mut der Angreifer ließ schon nach. Eine zweite Salve streckte ein weiteres halbes Dutzend nieder. Nur wenige erreichten das verschlossene Tor und wurden dort niedergeschossen, ohne daß sie auch nur in das Innere eingedrungen waren, und dann brach der ganze Angriff zusammen. Die übrig gebliebenen Krieger eilten in den Wald zurück.

Als sie davonliefen, öffneten die Feinde das Tor und rannten hinter ihnen drein, um das Tagewerk mit der völligen Vernichtung des Stammes zu vollenden. Tarzan war unter den letzten gewesen, die in den Wald zurückflüchteten, aber unterwegs wandte er sich von Zeit zu Zeit um, und schoß einem Verfolger den wohlgezielten Pfeil in den Leib.

In der Dschungel fand er ein Häuflein Schwarzer, die entschieden waren, den Kampf mit der herankommenden Horde aufzunehmen, aber Tarzan rief ihnen zu, sich zu zerstreuen und abzuwarten, bis sie sich in der Dunkelheit wieder zu größerer Stärke vereinigen könnten.

Tut, was ich euch sage! riet er ihnen. Dann will ich euch zum Siege über eure Feinde führen. Zerstreut euch im Wald und sammelt dort soviel Nachzügler, wie möglich, und in der Nacht kommt auf Umwegen zu der Stelle, wo wir heute die Elefanten erlegt haben. Dann will ich euch meinen Plan auseinandersetzen, und ihr werdet finden, daß er gut ist. Ihr könnt nicht daran denken, eure geringe Stärke und eure einfachen Waffen mit der Zahl und den Gewehren der Araber und der Manyuema zu messen.

Die Schwarzen waren damit einverstanden.

Wenn ihr auseinandergeht, erklärte Tarzan zum Schluß, so müssen eure Feinde sich auch zerstreuen, um euch zu folgen, und so kann es leicht geschehen, daß, wenn ihr gut aufpaßt, ihr manch einen Manyuema mit euren Pfeilen aus dem Hinterhalt erlegen könnt.

Sie hatten kaum Zeit, sich schleunigst in den Wald zu zerstreuen, als die ersten Räuber die Lichtung durchkreuzt hatten und die Verfolgung fortsetzten.

Tarzan lief eine kurze Strecke weit, bevor er sich auf einen Baum schwang. Er stieg hoch hinauf und bewegte sich dann schleunigst weiter. Er kehrte zum Dorf zurück. Hier fand er, daß alle Araber und Manyuema zur Verfolgung davon waren und im Dorfe nur die angeketteten Gefangenen und eine einzelne Wache zurückgelassen hatten.

Die Wache stand am offenen Tor und schaute in der Richtung auf den Wald, so daß sie den flinken Riesen nicht sah, der am andern Ende des Dorfes aus der Höhe herunterkam. Mit schußfertigem Bogen schlich sich der Affenmensch leise an den Mann heran, der seine Annäherung gar nicht bemerkt hatte. Die Gefangenen hatten ihn aber schon gesehen, und schauten mit weit geöffneten Augen Tarzan nach, von dem sie ihre Befreiung erhofften.

Jetzt war er bis auf zehn Schritte an den nichts ahnenden Manyuema herangekommen. Der Bogen war gespannt und das kühne graue Auge zielte scharf, bis plötzlich die braunen Finger sich bewegten und der Pfeil durch die Luft schwirrte. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der Räuber zu Boden; der Pfeil hatte ihm das Herz durchbohrt.

Tarzan wandte gleich darauf seine Aufmerksamkeit den fünfzig Frauen und Jugendlichen zu, die Nacken an Nacken an der langen Sklavenkette festgebunden waren. Bei der knappen Zeit, die ihm verblieb, war es ihm nicht möglich, sie von ihren Fesseln zu befreien, und so rief er ihnen zu, ihm so wie sie seien, zu folgen. Er selbst nahm der getöteten Wache das Gewehr und die Patronen ab und ließ die glücklichen Gefangenen zum Dorftor hinaus, von wo sie in den Wald auf der andern Seite der Lichtung verschwanden.

Es war ein langsamer und schwieriger Marsch, denn die Leute waren diese Sklavenkette nicht gewöhnt, und so entstand manche Verzögerung, wenn jemand stolperte oder fiel und die andern mit sich zog. Außerdem war Tarzan gezwungen, einen Umweg zu wählen, um nicht etwa mit zurückkehrenden Räubern zusammenzustoßen. Zum Teil wurde er durch gelegentliche Schüsse geleitet, die ihm verrieten, daß die Araber noch immer in Berührung mit den Dorfbewohnern waren. Aber er wußte, daß, wenn diese seinem Rate folgten, sich ihnen selbst noch manche günstige Möglichkeit gab.

Als es dunkel wurde, hörten die Schüsse ganz auf, und Tarzan sagte sich, nun seien die Araber alle ins Dorf zurückgekehrt. Bei dem Gedanken, daß sie ihre Wache getötet und alle ihre Gefangenen befreit finden würden, konnte er ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken. Er wünschte, er hätte nur einen Teil von dem großen Elfenbeinvorrat mitnehmen können, den das Dorf enthielt, und wäre es auch nur gewesen, um die Wut der Feinde noch zu vermehren; aber er wußte, daß das nicht notwendig war, denn er hatte bereits einen Plan entworfen, wonach die Araber auch nicht mit einem einzigen Elfenbeinzahn entkommen sollten. Und es wäre grausam gewesen, diese armen, geängstigten Frauen unnützerweise mit dem schweren Elfenbein zu belasten.

Es war nach Mitternacht, als sich Tarzan mit seiner langsam vorrückenden Karawane der Stelle näherte, wo die Elefanten lagen. Lange bevor sie diese Stelle erreichten, hatte ihnen ein großes Feuer als Leitsignal gedient. Die Eingeborenen hatten nämlich im Mittelpunkt ihres schnell errichteten Lagers ein Feuer gemacht, teils um sich zu wärmen, teils um die Löwen fernzuhalten.

Als Tarzan mit dem Zuge an das Lager herankam, rief er den Leuten zu, es seien Freunde, die kämen. Es war ein freudiger Empfang, der der kleinen Gruppe bereitet wurde, als man sah, daß eine lange Reihe gefangener Verwandter und Freunde im Schein des Feuers herankam. Man hatte alle diese Leute schon aufgegeben, und die Schwarzen waren über deren Rückkehr so glücklich, daß sie am liebsten die ganze Nacht hindurch bei einem Festmahl von Elefantenfleisch gefeiert hätten, wenn Tarzan nicht darauf bestanden hätte, daß sie wenigstens etwas schlafen sollten, um für den kommenden Tag gerüstet zu sein.

Nun war es aber nicht leicht, zu schlafen, denn die Frauen, die ihre Männer oder ihre Kinder verloren hatten, weinten und heulten fortwährend. Schließlich gelang es Tarzan, sie zum Schweigen zu bringen, indem er ihnen vorhielt, durch ihren Lärm verrieten sie den Arabern ihr Versteck und diese würden kommen, um sie alle zu töten.

Als der Morgen graute, erklärte Tarzan den Kriegern seinen Kampfplan, der ohne Widerspruch angenommen wurde. Alle erkannten an, daß dies der sicherste Weg sei, um sich von dem unwillkommenen Besuch zu befreien und sich zu rächen.

Zuerst wurden die Frauen und Kinder unter der Bewachung von etwa zwanzig alten Kriegern und Jünglingen nach Südwesten gesandt, um sie ganz aus der Gefahrzone herauszubringen. Sie erhielten die Anweisung, sich ein vorläufiges Lager anzulegen und mit einem Schutzzaun aus Dornenhecken zu umgeben, da Tarzans Feldzugsplan vielleicht Tage oder auch Wochen in Anspruch nehmen werde und die Krieger in dieser Zeit nicht in das neue Lager kommen könnten.

Zwei Stunden nach Tagesanbruch umgab ein dünner Kreis schwarzer Krieger das Dorf. In gewissen Zwischenräumen kletterte einer hoch auf einen Baum hinauf, von wo er den Zaun übersehen konnte.

Auf einmal fiel ein Manyuema mitten im Dorf um: er war von einem Pfeil getroffen. Dabei hatte man nichts von einem Angriff bemerkt, nichts von dem häßlichen Geschrei gehört, mit dem die Schwarzen, ihre Lanzen schwingend, gegen den Feind vorzugehen pflegen. Aus dem schweigenden Walde war lediglich ein todbringender Pfeil gekommen.

Über diesen unerwarteten Fall gerieten die Araber und ihre Begleiter in große Wut. Sie rannten nach dem Tore, um sich an den tollkühnen Urhebern dieses Angriffs zu rächen, aber sie wußten nicht, nach welcher Seite sie sich wenden sollten, um den Feind zu finden. Als sie dort standen und mit ängstlichem Geschrei und lebhaften Gebärden berieten, sank wiederum in ihrer Mitte einer ihrer Leute lautlos zu Boden: ein dünner Pfeil hatte ihm das Herz durchbohrt.

Tarzan hatte die besten Schützen des Stammes auf die Bäume rings um das Dorf verteilt und ihnen besonders anempfohlen, sich sorgfältig im Laub zu verbergen, so daß der Feind sie vom Dorf aus nicht sehen konnte. Sobald einer einen Pfeil abgeschossen, sollte er sich hinter den Stamm verstecken und nicht eher wieder schießen, bis er sich überzeugt hatte, daß niemand nach dem Baume schaute.

Dreimal liefen die Araber über die Lichtung nach der Seite hin, von wo ihrer Meinung nach der Pfeil gekommen sein mußte, aber jedesmal schwirrte ein neuer Pfeil heran und forderte wieder ein Opfer. Dann wollten sie wieder in einer anderen Richtung suchen, aber schließlich einigten sie sich dahin, den Wald ringsum genau abzusuchen. Sie entdeckten aber nirgends einen Feind, denn die Schwarzen schienen alle Reißaus genommen zu haben.

Über ihnen aber lauerte ein grimmiges Gesicht im dichten Laub eines mächtigen Baumes. Es war Tarzan, der wie ein drohender Todesgott über ihnen schwebte. Da ging eben ein Manyuema seinen Begleitern voraus. Es war nichts Gefährliches in der Umgebung zu sehen, und doch schwirrte auf einmal ein Pfeil durch die Luft und traf den Wilden mit tödlicher Sicherheit. Einen Augenblick später stolperten die andern über seine Leiche.

Eine solche Art der Kriegführung würde sogar Weiße nervös machen, und so war es nicht verwunderlich, daß die Manyuema bald von fürchterlicher Angst ergriffen wurden. Ging einer von ihnen voraus, so konnte man sicher sein, daß ein Pfeil ihn traf, blieb einer aber zurück, so sah man ihn nicht mehr lebend wieder. Ging einer nur eine Minute auf die Seite, so kehrte er nicht mehr wieder. Und jedesmal, wenn sie die Leiche eines der Ihrigen fanden, war das Herz von einem Pfeil durchbohrt. Es war geradezu, als ob unsichtbare Feinde um das Dorf herum lauerten, die eine übermenschliche Macht besäßen. Das Merkwürdigste war eben, daß sie den ganzen Vormittag nicht einen Feind gesehen oder gehört hatten.

Als sie schließlich aus dem Walde in das Dorf zurückkehrten, war es nicht besser. Bald hier, bald dort fiel ein Mann tot nieder, und in den Zwischenpausen war man vor Angst so aufgeregt, daß es zum Verrücktwerden war. Die Manyuema baten die Araber, den verhängnisvollen Ort zu verlassen, aber diese fürchteten sich, den Rückweg durch den von einem so gefährlichen neuen Feind besetzten Wald anzutreten, zumal sie mit dem großen Elfenbeinvorrat belastet sein würden, und bis jetzt konnten sie sich noch nicht entschließen, diesen zurückzulassen.

Schließlich suchte die ganze Expedition Zuflucht in den strohbedeckten Hütten, wo man sich wenigstens vor den Pfeilen geschützt glaubte. Tarzan hatte aber von seinem Baume aus erspäht, in welche Hütte der Araber-Häuptling gegangen war, und sich auf einen überhängenden Ast möglichst weit vorwagend, warf er sofort mit der ganzen Gewalt seiner Riesenmuskeln einen Speer durch das Strohdach hinein. Aus dem Schmerzgeheul, das aus dem Innern erscholl, erkannte er, daß er sein Ziel getroffen hatte.

Das war sein Abschiedsgruß, aus dem die Räuber ersehen sollten, daß sie nirgends mehr in Sicherheit wären.

Er kehrte nun in den Wald zurück, sammelte seine Krieger und zog mit ihnen eine Meile südwärts, um zu rasten und zu essen. Er stellte Wachen auf verschiedenen Bäumen auf, die die Aussicht auf den Weg nach dem Dorf beherrschten, aber es zeigte sich kein Feind.

Eine Besichtigung seiner Streitkräfte ergab, daß auch nicht ein Mann verloren gegangen, ja, daß nicht einmal einer verwundet worden war. Die Schwarzen aber wußten, daß mindestens zwanzig ihrer Feinde ihren Pfeilen erlegen waren. Das freute sie so sehr, daß sie den Tag mit einem großartigen Angriff auf das Dorf beschließen wollten, wobei sie die letzten Feinde zu vernichten gedachten. Sie waren eben dabei, sich all die Grausamkeiten auszumalen, die sie ihren Feinden und namentlich den verhaßten Manyuema zufügen wollten, als Tarzan dazukam und sie sehr ungehalten anfuhr.

Ihr seid verrückt! schrie er sie an. Ich habe euch den einzigen Weg gezeigt, dieses Volk zu bekämpfen. Schon habt ihr zwanzig davon erlegt, ohne auch nur einen von euch verloren zu haben, während ihr gestern mit euerm Verfahren mindestens ein Dutzend verloren und nicht einen Araber oder Manyuema getötet habt. Und dieses Verfahren wollt ihr jetzt wieder anwenden! Das gibt es nicht. Entweder kämpft ihr, so wie ich es euch sage, oder ich verlasse euch und gehe wieder in meine Gegend.

Sie erschraken ob dieser Drohung und versprachen, ihm zu gehorchen, wenn er bei ihnen bliebe.

Gut, sagte er. Diese Nacht werden wir in das Elefantenlager zurückkehren. Ich habe einen Plan, um den Arabern einen kleinen Geschmack von dem zu geben, was sie erwartet, wenn sie in unserer Gegend bleiben, aber ich habe keine Hilfe nötig. Kommt! Wenn sie den Rest des Tages verschont bleiben, so fühlen sie sich wieder sicher, und wenn wir dann wieder anfangen, so wird die Angst sie mehr heimsuchen, als wenn wir fortfahren, sie den ganzen Nachmittag zu erschrecken.

So zogen sie also in das Lager zurück, das sie vorige Nacht benützt hatten, und nachdem sie sich große Feuer angezündet hatten, aßen und erzählten sie sich die Abenteuer des Tages bis weit in die Nacht hinein.

Tarzan aber schlief bis um Mitternacht. Dann stand er auf und wanderte durch den stockfinsteren Wald. Nach einer Stunde gelangte er an die Grenze der Dorflichtung.

Innerhalb des Zaunes brannte ein Wachtfeuer. Der Affenmensch schlich sich durch die Lichtung bis an das verschlossene Tor. Zwischen den Stäben hindurch sah er einen einzelnen Wachtposten am Feuer sitzen.

Vorsichtig ging Tarzan bis zu dem Baume am Ende des Dorfes. Leise kletterte er auf seinen früheren Platz hinauf und steckte einen Pfeil in seinen Bogen. Mehrere Minuten lang zielte er auf die Wache, aber bei der Bewegung der Äste und dem Flackern des Feuers war die Gefahr eines Fehlschusses zu groß. Er mußte schon sehen, den Mann direkt ins Herz zu treffen, damit er sofort tot wäre. So erforderte es sein Plan.

Außer Bogen und Pfeilen und einem Stricke hatte er auch das Gewehr mitgebracht, das er am vorhergehenden Tage dem getöteten Wachtposten abgenommen hatte. All diese Waffen verbarg er sorgfältig in einer passenden Gabelung des Baumes. Dann stieg er herunter und ließ sich vorsichtig auf den Boden innerhalb der Umzäunung herab. Als Waffe trug er bloß ein langes Messer.

Die Wache hatte ihm den Rücken gekehrt. Wie eine Katze schlich Tarzan auf den schlummernden Mann zu.

Jetzt war er nur mehr zwei Schritte von ihm entfernt. Noch einen Augenblick, und er würde ihm das Messer lautlos ins Herz stoßen! ...

Tarzan beugte sich, um zum Sprunge auszuholen, denn dies ist bei den Dschungeltieren immer die sicherste Art des Angriffs, aber plötzlich sprang der Mann auf. Er war offenbar durch irgendein geheimes Gefühl gewarnt worden, und stand nun dicht vor dem Affenmenschen.

Als der schwarze wilde Manyuema den fremden Mann erblickte, der mit gezücktem Messer dastand, riß er die Augen vor Schrecken auf. Er dachte weder daran, das Gewehr zu benützen, das er in der Hand hielt, noch zu schreien. Er dachte nur daran, diesem furchtbar dreinschauenden weißen Fremdling zu entfliehen, diesem Riesen, auf dessen mächtiger Brust sich der flackernde Feuerschein widerspiegelte.

Aber bevor er sich umwenden konnte, hatte Tarzan ihn ergriffen, und als er um Hilfe schreien wollte, war es zu spät. Eine starke Hand hatte ihn an der Gurgel gefaßt und ihn zu Boden geschleudert. Er schlug wütend um sich, aber es war vergebens. Dann erfolgte noch ein konvulsivisches Zittern der Muskeln, und der Manyuema lag tot da.

Der Affenmensch legte die Leiche auf seine breite Schulter, hob das Gewehr der Wache auf und lief leise durch die Straße des schlafenden Dorfes bis zu dem Baum, von dem er heruntergestiegen war. Die Leiche verbarg er einstweilen oben im Laubwerk.

Zuerst nahm er ihr den Patronengürtel und die Schmucksachen ab und legte sie in einen Versteck. Dann tastete er die Leiche ab, ob er nicht noch sonst etwas erbeuten könnte, denn es war zu dunkel, um genau zu sehen.

Als er damit fertig war, nahm er das Gewehr, das der Wache gehört hatte, und ging auf einem Ast möglichst weit nach vorn, um besser die Hütten überblicken zu können. Er zielte mit dem Gewehr sorgfältig auf die bienenkorbähnliche Hütte, die dem arabischen Häuptling als Aufenthalt diente, und drückte los. Gleich darauf erscholl ein schmerzliches Stöhnen als Antwort. Tarzan freute sich: er wußte, daß er wieder einen Treffer zu verzeichnen hatte.

Nach dem Schuß war es noch einen Augenblick ruhig in dem Dorfe. Dann aber strömten Manyuema und Araber wie zornige Wespen aus den Hütten. Als sie erfuhren, was geschehen war, erschraken sie furchtbar. Die Vorfälle am vorigen Tage hatten sie schon aufgeregt, und jetzt versetzte dieser einzelne mitten in der Nacht gefallene Schuß sie in lähmenden Schrecken.

Nun entdeckten sie auch, daß ihre Wache verschwunden war, und um ihren Mut durch eine kriegerische Handlung neu zu beleben, fingen sie an, auf das verschlossene Tor des Dorfes zu feuern, obschon kein Feind zu sehen war.

Tarzan aber benützte dieses sinnlose Feuer, um seinerseits mitten in die aufgeregte Menge zu schießen. Bei dem furchtbaren Knattern ihrer eigenen Gewehre hatte keiner der Wilden den fremden Schuß vernommen, aber auf einmal sahen mehrere von ihnen einen der ihren zusammenbrechen. Als sie sich über ihn beugten, sahen sie, daß er tot war.

Da bemächtigte sich ihrer ein solcher Schrecken, daß sie alles im Stiche lassen wollten, um aus diesem unheimlichen Dorfe herauszukommen. Es bedurfte der ganzen Autorität der Araber, um die Manyuema von der Flucht zurückzuhalten.

Geraume Zeit dauerte es, bis sie sich etwas beruhigt hatten, erst als sich kein weiterer geheimnisvoller Todesfall ereignete, faßten sie sich.

Es war aber nur eine kurze Atempause, denn gerade als sie meinten, jetzt würden sie wohl nicht mehr gestört werden, gab Tarzan aus seinem Baume grausig stöhnende Laute von sich. Die Räuber suchten nun festzustellen, aus welcher Richtung diese merkwürdigen Töne herüberklangen, und als sie unter den Baum kamen, ließ Tarzan auf einmal die Leiche der erwürgten Wache herunterfallen, so daß sie ihnen auf den Kopf fiel.

Mit einem Schrei des Entsetzens stoben alle auseinander, um nur möglichst schnell diesem seltsamen Geschöpf, das auf sie heruntergesprungen war, zu entrinnen. In ihrer verstörten Einbildung hatte die Leiche, die mit ausgebreiteten Armen und Beinen heruntergefallen war, nämlich wie ein großes Raubtier ausgesehen.

In ihrer namenlosen Furcht kletterten viele über den Zaun, während andere die Stäbe durchbrachen und in aller Eile über die Lichtung in die Dschungel liefen.

Eine Zeitlang wagte es keiner von ihnen, zurückzuschauen, aber Tarzan wußte, daß sie nach einiger Zeit doch entdecken würden, daß es die Leiche ihrer Wache war, die sie so erschreckt hatte. Er wußte auch, was sie dann tun würden, und so zog er es vor, einstweilen wieder zu verschwinden.

In den vom Monde beschienenen Kronen der Bäume wanderte er südwärts nach dem neuen Lager der Waziri.


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