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Die Tänzerin von Sidi Aissa

Es hatte nicht den Anschein, als ob Tarzans erste Sendung besonders interessant oder wichtig sein würde. Die Regierung hatte einen gewissen Leutnant der Spahis im Verdacht, unlautere Beziehungen zu einer europäischen Großmacht zu unterhalten. Dieser Leutnant Gernois, der gegenwärtig in Sidi-bel-Abbes stationiert war, war vor kurzem noch im Generalstab tätig gewesen. Dort war ein Schriftstück von großer militärischer Bedeutung auf dem gewöhnlichen Geschäftsweg in seine Hände gelangt. Die Regierung glaubte nun, der Offizier habe den Inhalt dieses Schriftstückes an eine andere Großmacht verraten.

Der Verdacht gegen den Leutnant war allerdings nur durch eine ziemlich unbestimmte Andeutung erregt worden, die eine bekannte Pariserin in einem Anfall von Eifersucht gemacht hatte. Aber ein Generalstab ist stets mißtrauisch, sobald es sich um seine Geheimnisse handelt, und ein Verrat von militärischen Geheimnissen ist ja auch eine so ernste Sache, daß schon der leiseste Wink nicht unbeachtet bleiben darf. Und so kam es, daß Tarzan als amerikanischer Jäger und Reisender nach Algerien ging, um den Leutnant Gernois heimlich zu überwachen.

Er hatte sich im voraus darauf gefreut, sein geliebtes Afrika wieder zu sehen, aber im Norden sah der schwarze Erdteil so ganz anders als eine westafrikanische Dschungel aus, daß bei ihm kein heimatliches Gefühl aufkommen konnte und er ebensogerne wieder in Paris gewesen wäre, trotz all der Aufregungen, die er dort gehabt hatte. In Oran verwandte er einen Tag darauf, durch die engen, krummen Gassen des Araberviertels zu wandern. Am nächsten Tage langte er in Sidi-bel-Abbes an, wo er den Zivil- und Militärbehörden sein Beglaubigungsschreiben überreichte, das aber keine Auskunft über den wahren Zweck seiner Sendung erteilte.

Tarzan beherrschte das Englisch genügend, um bei den Arabern und Franzosen als Amerikaner gelten zu können, und das war alles, was von ihm verlangt wurde. War er mit einem Engländer zusammen, so sprach er französisch, um sich nicht zu verraten. Gelegentlich sprach er auch englisch mit Fremden, die diese Sprache verstanden, bei denen aber keine Gefahr vorlag, daß sie seine leichten Mängel in der Betonung und der Aussprache merken würden.

Er wurde mit vielen französischen Offizieren bekannt und bald war er bei ihnen gern gesehen. Er lernte auch Gernois kennen, der etwa vierzig Jahre alt war, ein schweigsamer, verdrießlich aussehender Mann, der mit seinen Kameraden wenig oder gar keinen gesellschaftlichen Verkehr unterhielt.

Einen Monat lang geschah nichts Bemerkenswertes. Gernois bekam anscheinend keine Besuche, und bei seinen gelegentlichen Ausgängen in die Stadt schien er keine Verbindungen zu suchen, die irgendwie verdächtig erscheinen konnten. Tarzan fing schon an zu hoffen, daß der gegen den Offizier gehegte Verdacht unbegründet sei, als Gernois plötzlich nach Bu Saada in der Kleinen Sahara, fern im Süden, beordert wurde.

Eine Kompagnie Spahis und drei Offiziere sollten eine andere Abteilung dort ablösen. Zufällig war einer der Offiziere, der Hauptmann Gerard, ein besonderer Freund Tarzans, und so erregte es nicht den mindesten Verdacht, als der Affenmensch erklärte, er wolle ihn nach Bu Saada begleiten, da er dort Gelegenheit haben werde, auf die Jagd zu gehen.

In Buira verließ die Kompagnie die Eisenbahn, den Rest des Tages mußte sie im Sattel verbringen. Als Tarzan in Buira ein Pferd erhandelte, erblickte er flüchtig in der Türe eines einheimischen Kaffeehauses einen Mann in europäischer Kleidung, aber als er näher hinschaute, hatte der Mann sich umgedreht und war in dem Innern der niedrigen, schmutzigen Hütte verschwunden. Es schien Tarzan zwar, als ob das Gesicht und die Gestalt des Mannes ihm bekannt vorkämen, aber er achtete nicht weiter darauf.

Der Weg nach Aumale war für Tarzan recht ermüdend, denn seine ganze Reitkunst hatte bis dahin aus einigen Reitversuchen in einer Pariser Reitschule bestanden. So war er froh, im Hotel Grossat ein bequemes Bett zu finden, indes die Offiziere und Mannschaften ihr Quartier in der Militär-Station aufschlugen.

Früh am folgenden Morgen wurde Tarzan geweckt. Die Kompagnie der Spahis war schon abmarschiert, bevor Tarzan sein Frühstück vollendet hatte. Er beeilte sich daher so sehr es ging, damit die Truppe keinen zu großen Vorsprung vor ihm gewann.

Als er aber durch die Tür, die von dem Speisesaal in die Bar führte, schaute, erblickte er zu seinem Erstaunen Gernois, der dort mit demselben Fremden, den er am Tage zuvor im Kaffeehause von Buira gesehen hatte, stand. Es war kein Irrtum möglich, denn es war dieselbe, ihm bekannt vorkommende Haltung und Gestalt, obschon der Mann ihm den Rücken kehrte.

Da Tarzan den Fremden scharf ins Auge faßte, bemerkte Gernois dies. Der Fremde sprach in flüsterndem Tone, aber der französische Offizier unterbrach ihn sofort, und die beiden entfernten sich eilig.

Das war das erstemal, daß etwas in Gernois' Beziehungen seinen Verdacht erregte, denn er war fest überzeugt, daß die beiden Männer die Bar nur deshalb verlassen hatten, weil Gernois Tarzans beobachtende Blicke bemerkt hatte. Noch immer kam es Tarzan vor, als ob der Fremde ihm bekannt wäre. Das verstärkte seine Überzeugung, mitten in Vorgängen zu stehen, die seine Aufmerksamkeit dringend erheischten.

Einen Augenblick später ging Tarzan in die Bar hinein, aber die Männer waren fort, und auch auf den Straßen sah er nichts mehr von ihnen, als er ausritt, wie wenn er den Bazar besichtigen wollte. Die Kolonne hatte jetzt natürlich einen bedeutenden Vorsprung vor ihm, er erreichte sie auch nicht mehr vor Sidi Aissa. Erst kurz nach neun Uhr kam er dort an. Hier fand er auch Gernois bei der Kolonne, aber von dem Fremden war nichts mehr zu sehen.

Es war Markttag in Sidi Aissa. Die vielen aus der Wüste herbeigeströmten Karawanen und die Scharen der handelnden Araber reizten die Neugierde Tarzans, so daß er sich entschloß, noch einen Tag dort zu bleiben, um die Söhne der Wüste in aller Ruhe betrachten zu können. So kam es, daß die Kompagnie der Spahis am Nachmittag ohne ihn weiter marschierte.

Er vertrieb sich die Zeit, indem er sich mit einem jungen Araber, namens Abdul, den der Gastwirt ihm als vertrauenswürdigen Diener und Dolmetscher empfohlen hatte, in das Marktgedränge mischte.

Tarzan kaufte hier ein besseres Pferd, als das, das er in Buira eingehandelt hatte. Er unterhielt sich mit dem Araber, dem es gehört hatte, und erfuhr so, daß dieser Kadur ben Saden hieß und Scheik eines Wüstenstammes weit südlich von Djelfa war. Der Mann gefiel ihm und so lud er ihn durch seinen Dolmetscher Abdul zum Essen ein.

Als die drei sich einen Weg durch die Scharen der Händler, Kamele, Esel und Pferde bahnten, zupfte Abdul Tarzan plötzlich am Ärmel.

Schauen Sie hinter sich! Tarzan wandte sich um und sah eine Gestalt, die aber sofort hinter einem Kamel verschwand. Der Mann ist uns schon den ganzen Nachmittag gefolgt, fuhr Abdul fort.

Ich habe nur ganz flüchtig einen Araber in einem dunkelblauen Burnus und einem weißen Turban gesehen, sagte Tarzan. Ist es der, den Sie meinen?

Ja. Er kam mir verdächtig vor, weil er hier fremd zu sein scheint und nichts anderes tut, als uns folgen. Das tut kein ehrlicher Araber. Und dann hat er auch den größten Teil seines Gesichtes verhüllt, so daß nur noch die Augen herausblitzen. Es muß ein schlechter Mensch sein, sonst würde er schon eine andere Beschäftigung haben.

Dann ist er auf einer falschen Fährte, Abdul, erwiderte Tarzan, denn hier kann niemand etwas gegen mich haben. Es ist das erstemal, daß ich in dieser Gegend bin, und niemand kennt mich. Er wird schon bald seinen Irrtum entdecken und aufhören, uns zu folgen.

Vielleicht geht er auf Raub aus, meinte Abdul.

Dann wollen wir ruhig abwarten, bis er versucht, die Hand an uns zu legen, sagte Tarzan lächelnd; ich glaube, er wird seine Raublust schon bezähmen, wenn er merkt, daß wir auf einen Angriff von seiner Seite gefaßt sind.

Tarzan dachte jetzt weiter nicht mehr daran, doch sollte er bald Gelegenheit haben, sich den Vorfall wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Als Kadur ben Saden gut gespeist hatte, rüstete er sich zum Abschied. Mit großen Versicherungen der Freundschaft lud er Tarzan ein, ihn in seiner Wildnis zu besuchen, wo es für einen eifrigen Jäger Antilopen, Hirsche, Eber, Panther und Löwen in genügender Menge gäbe.

Sobald der Scheik sich entfernt hatte, setzte Tarzan seinen Spaziergang mit Abbul durch die Straßen von Sidi Aissa fort. Durch die offenen Türen der zahlreichen maurischen Kaffees drang wilder Lärm auf die Straße. Es war nach acht Uhr und der Trubel im vollsten Gange, als Tarzan in eine der Kaffeestuben eintrat. Der Raum war mit Arabern überfüllt. Alle rauchten und tranken ihren starken heißen Kaffee. Tarzan und Abdul nahmen ungefähr in der Mitte des Raumes Platz, wennschon das fürchterliche Getöse, das dort die arabischen Trommeln und Pfeifen in nächster Nähe vollführten, einen entfernteren Aufenthalt mehr im Hintergrund angenehmer erscheinen ließ. Gerade tanzte eine hübsche Wüstentochter vom Stamme der Uled-Nail. Tarzan in seiner europäischen Kleidung fiel ihr auf. Sie mochte vermuten, daß er ihr ein gutes Trinkgeld spenden würde und warf ihm daher neckisch ihr seidenes Tuch auf die Schulter. Ein Silberfranken war ihr Lohn.

Als an ihrer Stelle ein anderes Mädchen zu tanzen anfing, bemerkte der scharfäugige Abdul, wie das erste sich im Hintergrund des Saales mit zwei Arabern unterhielt. Sie stand mit ihnen nahe an der Seitentür, die in den Hof führte, um dessen Galerie herum die Tänzerinnen ihre Zimmer hatten.

Anfänglich dachte er sich nichts dabei, aber plötzlich sah er, daß einer der Männer auf ihn hinwies. Das Mädchen wandte sich um und warf einen flüchtigen Blick auf Tarzan. Dann verschwanden die Araber in der Dunkelheit des Hofes.

Als die Reihe wieder an das Mädchen kam, tanzte es bis nahe an Tarzan heran und lächelte ihn aufs freundlichste an. Manch böser Blick fiel nun aus den dunklen Augen der Wüstensöhne auf ihn, aber Lächeln und drohende Blicke ließen den Affenmenschen in gleicher Weise kalt. Wieder warf die Tänzerin ihm ihr seidenes Tuch auf die Schulter und abermals wurde sie mit einem Franken belohnt. Als sie das Tuch in gewohnter Weise wieder um die Stirne band, neigte sie sich zu ihm und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr.

Es sind zwei da draußen im Hofe, sagte sie schnell in gebrochenem Französisch, die dem Herrn nachstellen. Zuerst hatte ich ihnen versprochen, Sie hinauszulocken, aber Sie waren gut zu mir, und ich kann es nicht tun. Gehen Sie schnell fort, bevor sie bemerken, daß ich sie verraten habe. Ich glaube, es sind wirklich gefährliche Menschen.

Tarzan dankte der Tänzerin, indem er versicherte, er werde sich in acht nehmen. Da sie mit ihrem Tanze fertig war, ging sie durch die Türe in den Hof. Tarzan verließ aber das Kaffee nicht.

Eine halbe Stunde ging vorüber, ohne daß irgend etwas Auffälliges geschah. Aber da kam von der Straße ein düster dreinschauender Araber herein. Er blieb nahe bei Tarzan stehen und machte absichtlich beleidigende Bemerkungen über die Europäer. Da das aber in der Eingeborenensprache geschah, so konnte Tarzan nichts davon verstehen, bis Abdul es ihm erklärte.

Dieser Kerl sucht Streit, sagte er zu Tarzan. Er ist nicht allein. Sobald er zum Ausbruch kommt, werden ungefähr alle hier gegen Sie sein. Es wird besser sein, in Ruhe fortzugehen, Herr!

Fragen Sie den Kerl, was er wünscht! befahl Tarzan.

Er sagt, der »Christenhund« habe die Uled-Nail, die ihm gehört, beleidigt. Er sucht Streit, o Herr!

Sagen Sie ihm, ich hätte weder seine noch eine andere Uled-Nail beleidigt. Ich bäte ihn, sich zu entfernen und mich in Ruhe zu lassen. Ich habe keinen Streit mit ihm und er hat keinen mit mir.

Nachdem Abdul dem Araber Tarzans Worte wiederholt hatte, erwiderte er Tarzan:

Er sagt, Sie seien ein Hund und der Sohn einer Hündin und Ihre Großmutter sei eine Hyäne. Außerdem seien Sie ein Lügner.

Die ringsum sitzenden Gäste hatten den Wortwechsel gehört, und das höhnische Lachen, das auf diese Schimpfworte folgte, bewies zur Genüge, mit wem es die Mehrheit der Anwesenden hielt.

Tarzan war zwar nicht erbaut darüber, daß man über ihn lachte, und noch viel weniger über die Schimpfworte, die der Araber ihm ins Gesicht geschleudert hatte, aber nichts verriet sich in seinem Gesicht, als er jetzt aufstand. Ein leises Lächeln flog über seine Lippen, aber plötzlich versetzte er dem düster dreinschauenden Araber einen solchen Faustschlag ins Gesicht, daß er zu Boden stürzte.

Im selben Augenblick warf sich ein halbes Dutzend starker Kampfgenossen, die offenbar durch ein Zeichen von der Straße hereingerufen worden waren, in das Kaffee, und drang mit dem Rufe: »Nieder mit dem Ungläubigen!« »Nieder mit dem Christenhund!« auf Tarzan ein.

Auch eine Anzahl junger Araber, die im Kaffee saßen, sprangen auf, um auf den überraschten Weißen loszuschlagen. Tarzan und Abdul wurden durch die Macht der zahlreichen Anstürmenden in den Hintergrund gedrängt. Der junge Abdul blieb aber treu bei seinem Herrn und kämpfte mit gezogenem Messer an seiner Seite.

Mit fürchterlichen Fausthieben schlug der Affenmensch alle nieder, die in die Reichweite seiner mächtigen Arme kamen. Er kämpfte ruhig und ohne ein Wort zu sagen, und auf seinen Lippen lag noch immer dasselbe Lächeln, mit dem er den frechen Araber niedergeschlagen hatte. Man hätte glauben können, weder ihm noch Abdul werde es gelingen, lebend aus diesem Menschenknäuel herauszukommen, da von allen Seiten Säbel und Messer gegen sie gezückt wurden, aber eben die große Zahl ihrer Angreifer war der beste Schutz für die beiden. Der Knäuel war so dicht, daß keiner von seiner Waffe Gebrauch machen konnte und kein Araber es wagte, zu schießen, um nicht einen Landsmann zu treffen.

Endlich gelang es Tarzan, einen seiner hartnäckigsten Verfolger zu packen. Mit einer kräftigen Bewegung entwaffnete er ihn und drängte, indem er seinen Gefangenen wie einen Schild vor sich hielt, mit Abdul rückwärts nach der Tür, die in den inneren Hof führte. Auf der Schwelle machte er einen Augenblick Halt, hob den sich sträubenden Araber in die Höhe und schleuderte ihn in den Knäuel der ihm Nachdrängenden.

Dann ging er mit Abdul in den halbdunkeln Hof hinein. Die erschreckten Tänzerinnen hockten auf der Treppe, die zu ihren Zimmern führte. Das einzige Licht im Hofe kam von den schwachen Stearinkerzen, die die Mädchen an ihren Türrahmen befestigt hatten.

Kaum waren Tarzan und Abdul herausgetreten, als auch aus dem Schatten unterhalb einer der Treppen ein Revolver hinter ihnen abgeschossen wurde. Als sie sich umdrehten, um diesem neuen Feind zu begegnen, sprangen zwei vermummte Gestalten feuernd auf sie zu. Eine Sekunde später lag der eine von ihnen entwaffnet und stöhnend mit gebrochenem Handgelenk im Schmutz des Hofes. Der andere aber machte in demselben Augenblick, als sein Revolver versagte, Bekanntschaft mit dem Messer Abduls.

Die wütenden Araber des Kaffees stürzten jetzt hinaus, um ihre Opfer zu verfolgen. Die Tänzerinnen aber hatten, als eine von ihnen aufschrie, all ihre Kerzen ausgelöscht, und so kam das einzige Licht nunmehr aus der offenen, aber halb besetzten Hoftür. Tarzan hatte sich des Säbels des von Abdul überwältigten Mannes bemächtigt. Jetzt stand er da und sah dem Ansturm der suchenden Männer entgegen.

Plötzlich fühlte er von hinten eine leichte Hand auf seiner Schulter, und eine Frau sprach leise: Schnell, mein Herr! Kommen Sie hierher! Folgen Sie mir!

Kommen Sie, Abdul, sagte Tarzan in leisem Tone zu dem Jüngling. Wir können anderswo nicht schlimmer dran sein als hier.

Die Frau führte sie die enge Treppe hinauf, die zu der Tür ihrer Wohnung führte. Tarzan ging dicht neben ihr. Er sah die goldenen und silbernen Spangen an ihren bloßen Armen, die Schnüre mit goldenen Münzen, die von ihrem Haarschmuck herunterhingen, und die prächtigen Farben ihres Gewandes. Er sah, daß sie eine Uled-Nail war, und instinktiv erriet er, daß es dieselbe Tänzerin war, die ihm im Saale die Warnung ins Ohr geflüstert hatte.

Als sie oben auf der Treppe waren, hörten sie, wie die wütende Menge unten den Hof noch immer absuchte.

Bald wird man hier oben suchen, flüsterte das Mädchen. Man darf Sie nicht finden, denn wenn Sie auch noch so stark sind, so wird man Sie schließlich doch umbringen. Eilen Sie! Sie können sich von dem letzten Fenster meines Zimmers aus auf die Straße hinunterlassen. Ehe man entdeckt, daß Sie nicht mehr im Hofe des Gebäudes sind, werden Sie sicher in Ihrem Hotel sein.

Während sie so sprach, waren mehrere Männer die Treppe heraufgestürmt. Plötzlich schrie einer von ihnen laut auf. Er hatte sie entdeckt! Nun eilte die ganze Menge auf die Treppe zu. Der vorderste Angreifer sprang rasch hinauf, aber schon sah er sich einem Säbel gegenüber, und das hatte er nicht erwartet, denn der Weiße war vorher nicht bewaffnet gewesen.

Mit einem Schrei stürzte der Mann rückwärts auf die hinter ihm Anstürmenden. Wie Kegel rollten sie die Treppe hinunter. Das alte morsche Holzwerk hielt die Last und die Erschütterung nicht aus. Mit lautem Krachen brach die Treppe unter den Arabern zusammen, während die schwache Plattform, auf der sich Tarzan, Abdul und das Mädchen befanden, gerade noch standhielt.

Kommen Sie! rief die Uled-Nail. Man wird uns von einer andern Treppe durch ein Nachbarzimmer erreichen. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren!

Gerade als sie in das Zimmer traten, hörte Abdul, wie jemand unten im Hofe rief, mehrere Mann sollten schleunigst auf die Straße laufen, um den Flüchtlingen auf jener Seite den Weg abzuschneiden.

Jetzt sind wir verloren! entfuhr es dem Mädchen.

Wir? fragte Tarzan.

Ja, mein Herr, antwortete das Mädchen. Man wird mich ebensogut töten wie Sie, denn ich habe Ihnen ja geholfen.

Das gab der Sache ein anderes Aussehen. Tarzan hatte eigentlich Vergnügen an der Aufregung und der Gefahr des Zusammenstoßes gefunden. Er hatte auch nicht einen Augenblick erwartet, daß Abdul oder das Mädchen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten – außer durch einen Zufall –, und er hatte sich gerade nur soviel zurückgezogen, daß er nicht getötet werden konnte. Er hatte gar nicht die Absicht, davonzulaufen, bis er sah, daß er hoffnungslos verloren wäre, wenn er noch bliebe.

Wäre er allein gewesen, so wäre er mitten in die Masse gesprungen und hätte nach der Art Numas, des Löwen, dreinschlagend, die Araber mit solcher Bestürzung erfüllt, daß er leicht hätte fliehen können. Jetzt aber mußte er an die zwei treuen Helfer denken.

Er ging zu dem Fenster, von dem man die Straße übersehen konnte. In der nächsten Minute würden die Feinde hinter ihm sein. Schon hörte er, wie die Menge die Treppe zu den Nachbarzimmern hinaufeilte. Im nächsten Augenblick mußte man an der Tür sein. Er setzte einen Fuß auf das Sims und lehnte sich hinaus, aber er konnte nicht hinuntersehen. Über ihm, in Armeslänge, war das niedere Dach des Gebäudes. Er rief das Mädchen. Dieses stand sofort an seiner Seite, sogleich hob er es auf seine Schulter.

Warten Sie hier, sagte er zu Abdul, bis ich von oben herab nach Ihnen herunterreiche. In der Zwischenzeit schieben Sie alles im Zimmer gegen die Türe; das wird die Meute lange genug aufhalten.

Dann trat er mit dem Mädchen auf seinen Schultern auf das Sims des schwachen Fensters.

Halten Sie sich fest, ermahnte er sie. Einen Augenblick später hatte er das Dach mit der Gewandtheit eines Affen erklettert.

Nachdem er das Mädchen auf das Dach niedergesetzt hatte, lehnte er über die Kante und rief Abdul leise zu. Der junge Mann rannte auf das Fenster zu.

Ihre Hand! flüsterte Tarzan.

Inzwischen hämmerten die Männer draußen an der Türe. Mit einem plötzlichen Krach gab diese nach, und im selben Augenblick fühlte Abdul sich wie eine Feder auf das Dach gehoben. Es war höchste Zeit gewesen, denn während die Männer in das Zimmer einbrachen, rannte ein Dutzend anderer in der Straße um die Ecke und lauerte bereits unter dem Fenster des Mädchens.


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