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Die Schatzgewölbe von Opar

Es war schon ganz dunkel, als La, die Hohepriesterin, mit Speise und Trank zu Tarzan in die Totenkammer zurückkehrte. Sie trug kein Licht, sondern tastete mit den Händen an den zerbröckelten Mauern entlang, bis sie die Kammer erreichte. Durch ein Gitter in der Decke wurde das Innere vom tropischen Mondschein schwach erhellt.

Tarzan, der sich in den Schatten des hintersten Winkels gebückt hatte, kam La beim Herannahen ihrer Tritte entgegen. Sie sind wütend! waren ihre ersten Worte. Noch nie ist ein Menschenopfer dem Altar entronnen. Fünfzig Mann sind schon unterwegs, um Sie zu verfolgen. Sie haben den ganzen Tempel durchsucht, alle Räume, bis auf diesen.

Wie? fragte er, fürchten sie sich, hier hereinzukommen?

Es ist die Totenkammer. Hierher kehren die Toten zurück, um ihre Andacht zu verrichten. Sehen Sie diesen alten Altar? Hier opfern die Toten die Lebenden, – wenn sie ein Opfer hier finden. Deshalb meiden unsere Leute dieses Zimmer. Wer es betritt, weiß, daß der wartende Tod ihn als Opfer ergreifen würde.

Aber Sie? fragte er.

Ich bin Hohepriesterin, sagte sie. Ich allein bin gegen den Tod geschützt. Ich bin es, die dem Tod hie und da ein menschliches Opfer aus der Oberwelt zuführt. Ich allein kann hier sicher eintreten.

Warum hat der Tod mich nicht ergriffen? fragte er, um über ihren sonderbaren Glauben zu spotten.

Sie sah ihn einen Augenblick lächelnd an. Dann sagte sie:

Es ist die Pflicht einer Hohepriesterin, die Glaubenssätze, die andere, Weisere als sie selbst, niedergelegt haben, zu lehren und auszulegen, aber in diesen Glaubenssätzen ist nicht gesagt, daß sie selbst diese glauben muß. Je mehr einer von einer Religion weiß, desto weniger glaubt er davon. Kein Lebender kennt meine Religion besser als ich.

Sie fürchten also nur deshalb bei meiner Flucht behilflich zu sein, weil dann ihre Glaubensgenossen Ihre Zwiespältigkeit entdecken könnten?

Das ist alles. Die Toten sind tot. Sie können uns nichts mehr zuleid tun und uns nicht helfen. Wir müssen uns deshalb ganz auf und selbst verlassen, und je eher wir handeln, desto besser. Ich habe viele Mühe gehabt, die Wachsamkeit der Leute zu täuschen, aber jetzt bringe ich Ihnen wenigstens etwas zum Essen. Es wäre allerdings Wahnsinn, wenn ich versuchen wollte, dies täglich zu tun. Folgen Sie mir deshalb! Wir wollen sehen, wie weit ich Sie der Freiheit entgegenführen kann, bevor ich wieder fortgehen muß.

Sie führte ihn in die Kammer unter dem Altarraum zurück. Von dort bog sie in einen der verschiedenen Gänge ein. In der Dunkelheit konnte Tarzan nichts unterscheiden.

Zehn Minuten lang tappten sie in einem gewundenen Gang umher, bis sie zuletzt vor eine verschlossene Tür kamen. Hier hörte er sie mit einem Schlüssel tasten, und jetzt vernahm er das Knistern eines zurückgeschobenen Riegels. Die Tür öffnete sich mit ächzenden Angeln, und sie traten ein.

Hier werden Sie bis morgen abend sicher sein, sagte sie. Dann ging sie hinaus und verschloß die Tür.

In dem Raum, in dem Tarzan sich nun befand, war es völlig finster. Nicht einmal seine scharfen Augen konnten die Dunkelheit durchdringen. Vorsichtig bewegte er sich vorwärts, bis seine ausgestreckte Hand die Mauer berührte. Dann wanderte er langsam an den vier Wänden des Zimmers entlang.

Es hatte etwa sieben Meter im Geviert. Der Boden war aus Steinmörtel, aber die Mauern bestanden aus rohen Steinen, die ohne Mörtel aufeinandergelegt waren, wie auch die anderen Mauern, die er draußen gesehen hatte, gebaut waren. Granitstücke von verschiedener Größe waren in das Mauerwerk eingefügt.

Als Tarzan zum erstenmal an der Mauer entlang tastete, kam es ihm merkwürdig vor, daß der Raum kein Fenster und nur eine Tür enthalten sollte. Noch einmal ging er an der ganzen Mauer entlang, aber es war kein Irrtum mehr möglich.

An der Wand gegenüber der Tür blieb er stehen. Es schien ihm, als ob hier frische Luft hereinkäme, obschon er keine Öffnung entdecken konnte.

Noch einmal tastete er die Wände ab. Schließlich blieb er wieder an der alten Stelle, die seine Neugier erregt hatte, stehen. Es war kein Zweifel mehr möglich! Nur an dieser Stelle war deutlich die frische Luft zu spüren, die zwischen den Steinen hereinkam.

Tarzan befühlte sorgfältig die Granitstücke, die hier in die Mauer eingefügt waren, und schließlich fand er eines, das sich bewegen ließ. Er nahm es heraus und versuchte nun dasselbe bei den nächsten Steinen. Auch diese ließen sich leicht fortnehmen.

Allem Anschein nach bestand die Mauer hier ganz aus solchen gleichförmigen Steinen. In kurzer Zeit hatte er mehrere Dutzend herausgenommen, und nun fuhr er in das Loch hinein, um die nächste Lage des Mauerwerks festzustellen. Zu seiner Überraschung fühlte er aber nichts mehr dahinter. So weit er mit dem Arm reichen konnte, war nichts mehr zu spüren.

Nun war es nur mehr das Werk einiger Minuten, soviel Steine aus der Mauer zu entfernen, daß er mit seinem Körper durch die Öffnung hindurchkommen konnte. Gerade darüber glaubte er einen schwachen Schimmer zu entdecken; jedenfalls war dort die Finsternis nicht so undurchdringlich.

Vorsichtig bewegte er sich auf Händen und Knien weiter, bis er plötzlich merkte, daß der Boden unter ihm schwand. So weit er reichen konnte, fühlte er nichts, und er konnte auch nicht sehen, wie tief der schwarze Abgrund war, vor dem er sich befand.

Schließlich schaute er in die Höhe und erblickte da ein kleines, rundes Stück des gestirnten Himmels. Er befand sich also in einem Schacht, aber er konnte sich dessen Natur nicht erklären. Erst als der Mond aufging und seinen Silberschein herunter sandte, sah er nicht weit vor sich in der Tiefe Wasser glänzen.

Als er die Mauer entlang schaute, entdeckte er auf der anderen Seite eine Öffnung. Vielleicht konnte er dort hinausgelangen.

Zuerst sagte er sich, wäre es sicherer, das Loch in der Mauer, durch das er herausgekommen war, wieder zuzumachen, denn wenn er nicht rechtzeitig ins Freie käme, könnte man durch dieses Loch den von ihm eingeschlagenen Weg erraten. So holte er die Steine aus dem Zimmer und fügte sie von außen wieder in die Öffnung. Der dichte Staub, der auf den Steinen lag, hatte ihm übrigens bewiesen, daß die jetzigen Bewohner des Tempels diesen geheimen Durchgang nicht kannten.

Als Tarzan das Loch wieder ausgefüllt hatte, ging er nach der Öffnung hin, die er auf der andern Seite in der Mauer erblickt hatte. Es war ein enger Durchgang, und Tarzan mußte sich darin mit äußerster Vorsicht fortbewegen, da er ja nicht wissen konnte, ob nicht irgendwo wieder ein Abgrund sich auftat.

Er war einige hundert Schritte weit gegangen, als er zu einer Treppe kam, die abwärts in völlige Dunkelheit führte. Er ging etwa zwanzig Stufen hinunter und kam nun wieder auf den flachen Boden des Ganges. Aber schon nach wenigen Schritten stand er vor einer schweren Holztüre, die durch starke Balken gesichert war. Aus dieser Tatsache schloß er, daß dies die innere Seite war, die Tür also ins Freie führen mußte.

Auf den Balken lag ebenfalls dicker Staub, ein Zeichen, daß die Tür wohl schon lange nicht mehr benützt worden war. Als Tarzan die schweren Balken wegnahm, konnte er die Türe öffnen, aber sie schrie in ihren Angeln, als ob sie gegen diese ungewohnte Störung protestieren wollte.

Einen Augenblick wartete er, ob die Insassen des Gebäudes das Geräusch vielleicht gehört hätten und Lärm schlagen würden. Da aber alles ruhig blieb, ging er in den Torweg weiter hinein.

Als er vorsichtig umhertastete, erriet er, daß er sich in einem großen Saal befand. Längs der Wände und auf dem Boden lagen ganze Haufen Barren von seltsamer Form, aber alle von gleicher Gestalt. Die Barren waren schwer, und bei ihrer ungeheuren Zahl konnte er nicht annehmen, daß sie aus Gold seien, denn diese Tausende von Pfund hätten einen fabelhaften Reichtum dargestellt. Es war jedenfalls ein anderes Metall, aber auf alle Fälle nahm er einen Barren mit, um sich Gewißheit zu verschaffen, sobald es hell wurde.

An dem anderen Ende des Saales fand er wieder eine Tür, und da sie in ähnlicher Weise verschlossen war, nahm er an, daß es sich hier um einen alten, vergessenen Durchgang handelte.

Er öffnete die Türe in derselben Weise wie die andere, und als er draußen war, fand er, daß der Weg nun geradeaus führte. Er war überzeugt, daß er sich jetzt bereits unter dem Außenwall des Tempels befand.

Wenn er nur gewußt hätte, welche Richtung er jetzt zu befolgen hätte. Wenn es nach Westen ging, so mußte er an den Außenmauern der Stadt sein.

Jedenfalls hatte er jetzt gute Hoffnung, und so beschleunigte er seine Schritte, soweit er es eben wagte. Nach einer halben Stunde kam er an eine Treppe, die aufwärts führte.

Als er hinaufging, spürte er an seinen bloßen Füßen, daß die Stufen sich veränderten, Sie waren jetzt aus Granit, und durch Betasten stellte er fest, daß sie offenbar in den Felsen gehauen waren.

Die Treppe ging spiralförmig nach oben, bis Tarzan sich nach einer plötzlichen Wendung in einer engen Kluft zwischen Felsgestein befand. Über ihm der gestirnte Himmel, und vor ihm fingen die Stufen wieder an. Tarzan stieg den schmalen Pfad hinauf und gelangte dann auf die rauhe Spitze eines hohen Granitfelsens.

Eine Meile weit hinter ihm lagen jetzt die Ruinen von Opar, seine Dome und Türme im sanften Mondschein.

Tarzan betrachtete den mitgebrachten Barren genauer. Dann erhob er sein Haupt und nach den entfernten Bauten von verfallener Größe schauend, rief er aus:

Opar, du Zauberstadt, Stadt des Todes und der Vergangenheit! Du Stadt der Schönheit und der Bestien! Stadt der Schrecken und des Todes, aber auch der fabelhaften Reichtümer!

Der Barren war nämlich aus lauterem Golde.

Der Felsblock, auf dem sich Tarzan befand, lag auf der Höhe zwischen der Stadt und den entfernteren Felsspitzen, die Tarzan am vorigen Morgen mit seinen schwarzen Kriegern überstiegen hatte.

Der Abstieg war sehr mühevoll und gefährlich, aber als Tarzan in das Tal gelangt war, warf er noch einen Blick rückwärts nach Opar, und wandte sich dann mit frischem Mute den vor ihm aufsteigenden Felsenhöhen zu.

Die Sonne ging gerade auf, als er auf die Kuppen des Westabhanges gelangte.

In der Ferne sah er schwachen Rauch zwischen den Baumgipfeln am Fuße der bewaldeten Hügel aufsteigen.

Menschen! murmelte er. Und es sind ihrer fünfzig, die ausgezogen sind, um mich zu verfolgen! Ob es die wohl sind?

Schnell stieg er den Abhang herunter und gelangte in eine enge Schlucht, die nach dem fernen Walde führte. Er folgte ihr in der Richtung auf den Rauch zu.

Als er an den Rand des Waldes gelangt war und nur noch eine Viertelstunde von der Stelle entfernt war, wo die Rauchsäule sich zeigte, stieg er auf einen Baum und setzte dann seinen Weg in der Höhe fort.

Vorsichtig näherte er sich der Stelle, wo das Feuer brannte, und war erstaunt, als sein Blick auf ein Lager fiel – seine fünfzig schwarzen Waziri-Krieger saßen um das Feuer.

Vom Baume herab rief er ihnen in ihrer Sprache zu:

Stehet auf, meine Kinder, und grüßt euren König!

Mit Ausrufen des Erstaunens und der Furcht sprangen die Krieger auf, aber sie wußten nicht, ob sie davonlaufen sollten oder nicht.

Da aber sahen sie Tarzan, der sich ganz gemütlich von einem überhängenden Aste in ihre Mitte herunterließ.

Als sie erkannten, daß es wirklich ihr leibhaftiger Häuptling war, und nicht etwa bloß eine Geistererscheinung, wurden sie fast verrückt vor Freude.

Wir waren Feiglinge, o Waziri, rief Busuli. Wir liefen davon und überließen dich deinem Schicksal. Als aber unser Schrecken vorbei war, schworen wir, zu dir zurückzukehren und dich zu retten oder wenigstens an deinen Mördern Rache zu nehmen. Wir bereiteten uns eben vor, die Höhen zu erklimmen und uns wieder durch das trostlose Tal nach der Stadt zu begeben.

Habt ihr, meine Kinder, von den Höhen fünfzig gräßliche Männer in diesen Wald herunterkommen sehen? fragte Tarzan.

Ja, Waziri, antwortete Busuli. Gestern gingen sie an uns vorüber, als wir im Begriffe waren, zu dir zurückzukehren. Die verstehen nichts von der Jagd. Wir hörten sie kommen schon eine Meile bevor wir sie sahen, und da wir etwas anderes vorhatten, zogen wir uns in den Wald zurück und ließen sie vorübergehen. Sie watschelten schnell auf ihren kurzen Beinen vorwärts, und hier und dort wollte einer auf allen Vieren gehen, ähnlich wie Bolgani, der Gorilla. Es waren in der Tat fünfzig gräßliche Männer, Waziri!

Als Tarzan seine Abenteuer erzählt und ihnen auch von dem gelben Metall berichtet hatte, das er gefunden, lehnte auch nicht einer seinen Vorschlag ab, in der Nacht dorthin zurückzukehren und von dem ungeheuren Schah mit fortzuschleppen, soviel sie nur tragen könnten.

So kam es, daß, als die Dunkelheit sich wieder über das trostlose Tal von Opar senkte, fünfzig ebenholzschwarze Krieger in strammem Schritt über den trockenen staubigen Talgrund nach den Felshöhen vor der Stadt hinaufschritten.

Wenn Tarzan schon in der vorigen Nacht nur mit Mühe dort heruntergekommen war, so schien es ihm jetzt fast unmöglich, mit seinen fünfzig Kriegern dort hinaufzuklettern. Schließlich gelang es aber doch mit Hilfe riesenhafter Anstrengungen des Affenmenschen. Zehn Speere wurden, einer am Ende des andern, aneinandergebunden, und mit der an seinem Körper befestigten Stange gelang es Tarzan, die Spitze zu erreichen.

Als er oben war, zog er einen Schwarzen nach dem andern herauf, und so gelangte die ganze Abteilung unversehrt auf die Spitze.

Von dort aus führte Tarzan sie denselben Weg zurück, den er in der Nacht gekommen war.

Sie gelangten ungestört in die Schatzkammer. Hier wurde jeder mit zwei Barren, etwa achtzig Pfund, beladen, und so traten sie den Rückweg an.

Um Mitternacht stand die ganze Gesellschaft wieder am Fuße der Felsspitze, aber wegen ihrer schweren Last verging der halbe Vormittag, bis sie den Gipfel erreicht hatten.

Von da an erfolgte die Rückkehr nur langsam, denn die Krieger waren nicht gewohnt, schwere Lasten zu tragen. Sie beklagten sich aber nicht, und nach dreißig Tagen kamen sie wieder in ihre eigene Gegend.

Anstatt nun nach Nordwesten direkt auf ihr Dorf loszugehen, führte Tarzan sie fast geradeaus nach Westen. Am Morgen des dreißigsten Tages bat er sie, aufzubrechen und in ihr Dorf zurückzukehren, nachdem sie das Gold dort ließen, wo sie es vorige Nacht aufgestapelt hatten.

Und du, Waziri, fragten sie.

Ich bleibe einige Tage hier, meine Kinder, antwortete er. Nun eilt zu euren Weibern und Kindern zurück!

Als seine Krieger fort waren, lud Tarzan zwei der Barren auf, sprang auf einen Baum, wanderte ein paar hundert Meter weit über das dichte, undurchdringliche Unterholz und gelangte dann plötzlich in eine runde Lichtung, um die herum die Riesenbäume gleich Wachen standen. In der Mitte dieses natürlichen Amphitheaters war ein kleiner flachgeschlagener Erdhügel.

Früher war Tarzan hunderte Male an diesem verborgenen Ort gewesen, der von Dornbüschen und Schlingpflanzen so dicht umwachsen war, daß nicht einmal Sheeta, der Leopard, sich bis dorthin durchschlängeln konnte, noch Tantor mit seiner riesigen Stärke sich einen Weg zu brechen vermochte. So gut war diese Kammer der Groß-Affen gegen all die lästigen Bewohner der wilden Dschungel abgeschlossen.

Fünfzigmal mußte Tarzan hin- und herwandern, bis er sämtliche Barren innerhalb des Amphitheaters niedergelegt hatte.

Dann holte er aus der Höhle eines alten Baumes den Spaten wieder hervor, mit dem er früher die Kiste des Professors Archimedes Q. Porter an diesem selben Orte vergraben hatte. Mit dem Spaten warf er eine lange Grube auf, und in diese legte er das Gold, das die Schwarzen aus dem vergessenen Schatzgewölbe der Stadt Opar herbeigeschleppt hatten.

In dieser Nacht schlief er im Amphitheater, und früh am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg, um seine Hütte noch einmal zu besuchen, bevor er zu den Waziri zurückkehrte.

Da er noch alles in gewohnter Ordnung fand, ging er hinaus in die Dschungel auf die Jagd. Er wollte aber mit seiner Beute in die Hütte zurückkehren, sie dort verspeisen und sich einmal gemütlich die Nacht über ausruhen.

Etwa fünf Meilen nach Süden streifte er an dem Ufer eines schönen Flusses umher, der etwa sechs Meilen von seiner Hütte entfernt ins Meer floß. Er war etwa eine halbe Meile landeinwärts gegangen, als seine feine Nase einen Geruch verspürte, der die ganze Dschungel in Bewegung setzt: Tarzan roch Menschen.

Der Wind blies vom Ozean her. So wußte der Affenmensch, daß die Menschen westlich von ihm wären. Dem Menschengeruch war aber der Geruch Numas beigemischt.

Also Mensch und Löwe!

Ich muß mich beeilen, dachte Tarzan, denn er hatte jetzt erkannt, daß es der Geruch von Weißen war. Numa wird auf der Jagd sein.

Als er durch die Bäume an den Rand der Dschungel kam, sah er ein Weib, das betend niederkniete, und vor ihr einen wild aussehenden weißen Mann, der sein Gesicht mit seinen Armen verdeckte. Da der Mann ihm den Rücken kehrte und das Weib den Kopf zum Gebet gesenkt hielt, konnte er ihre Züge nicht erkennen.

Jetzt schickte Numa sich zum Sprunge an. Deshalb war keine Sekunde mehr zu verlieren. Tarzan hatte keine Zeit mehr, seinen Bogen zu spannen und einen vergifteten Pfeil auf die gelbe Bestie abzuschießen. Er war auch zu weit, um mit dem Messer darauf loszugehen. Es blieb nur eines übrig, und so schnell der Gedanke kam, handelte er auch.

Sein muskulöser Arm schleuderte seinen schweren Speer auf den Löwen, den er durchbohrte. Ohne einen Laut von sich zu geben, rollte das Tier zu den Füßen der Menschen, die es schon als seine Beute betrachtet hatte; es war tot.

Einen Augenblick bewegte sich weder der Mann noch das Weib. Dann aber öffnete dieses die Augen und sah zu ihrem Erstaunen die Bestie tot hinter ihrem Begleiter ausgestreckt.

Als der schöne Kopf sich aufrichtete, war Tarzan sprachlos erstaunt. War er von Sinnen? Das konnte doch nicht seine geliebte Jane sein! Und doch war es keine andere als sie selbst!

Nun sah er, wie sie aufstand und wie der Mann sie in seine Arme nahm, um sie zu küssen. Plötzlich wurde es dem Affenmenschen rot vor den Augen, und die alte Narbe auf seiner Stirne erglänzte wie Scharlach auf seinem braunen Gesicht. Es lag ein furchtbarer Ausdruck auf seinem wilden Antlitz, als er einen vergifteten Pfeil in seinen Bogen steckte. Ein unheimliches Feuer leuchtete aus seinen grauen Augen, als er auf den Rücken des Mannes unter ihm zielte.

Einen Augenblick schaute er an dem glatten Schaft entlang, indem er die Bogenschnur anzog, damit der Pfeil das Herz, auf das er zielte, durchbohren sollte.

Aber er sandte den verhängnisvollen Pfeil nicht ab. Er zog ihn zurück und hängte den Bogen wieder um. Die Narbe auf seiner Stirn verlor ihre Farbe wieder. Mit gesenktem Kopf wandte Tarzan sich um und kehrte in der Richtung auf das Waziri-Dorf in die Dschungel zurück.


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