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Das Gesetz der Dschungel

Tarzan hatte halb durch Drohungen, halb indem er ansehnliche Belohnungen versprach, erreicht, daß in seinem Lager wieder gearbeitet wurde, und so war der Rumpf eines großen Bootes nahezu fertig geworden. Er selbst und Mugambi hatten oft mit eigener Hand zugegriffen, wiewohl sie ja eigentlich durch die Jagd genügend in Anspruch genommen waren.

Der Steuermann Taylor hatte gehörig aufgemuckt und war eines schönen Tages vor aller Augen mit Smith davongelaufen; wie er sagte, um in der Dschungel zu jagen und endlich mal Ruhe zu haben. Tarzan hatte kein Aufhebens davon gemacht und die beiden einfach gehen lassen. Es hatte ja keinen Zweck, die schwüle Stimmung, die das Leben im Lager fast unerträglich machte, noch zu steigern.

Am folgenden Tage ging jedoch Taylor, der seine Handlungsweise zu bereuen schien, wieder der Arbeit im Lager nach; er gab sogar zu erkennen, daß er an der baldigen Fertigstellung des Bootes großes Interesse hatte. Auch Smith war mit gutem Willen bei der Sache, und Tarzan beglückwünschte sich selbst, daß die Leute schließlich doch die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Arbeiten eingesehen hatten, die er von ihnen um ihrer selbst wie um der anderen Schiff, brüchigen willen verlangen mußte.

Mit einem Gefühl der Erleichterung, wie er sie lange nicht empfunden hatte, begab er sich am gleichen Nachmittag auf die Jagd. Er hatte es auf ein Rudel junges Rotwild abgesehen, auf das Taylor, wie er sagte, tags zuvor tief in der Dschungel gestoßen war.

Taylor hatte angegeben, daß das Wild in südwestlicher Richtung streife, und dahin wandte sich jetzt der Affenmensch. Behend schwang er sich durch das dichte, oft engverschlungene Waldesgrün davon.

Er war kaum fort, da näherten sich von Norden her ein Halbdutzend Männer. Vorsichtig bahnten sie sich den Weg durch die Dschungel. An ihren Gesichtern und an dem lauernden Gang ließ sich sogleich erkennen, daß sie nichts Gutes im Schilde führten.

Wenn sie meinten, sie würden von niemandem beobachtet, täuschten sie sich allerdings sehr; denn sie hatten kaum ihrem Lagerplatz den Rücken gekehrt, als ein handfester Kerl ihnen heimlich nachschlich. Haß, Furcht und maßlose Neugier funkelten in seltsamem Gemisch aus seinen Augen. Warum machten sich Kai Shang, Momulla und die anderen so vorsichtig nach dem Süden der Insel davon? Was wollten sie eigentlich dort? Suchten sie jemanden? Gust schüttelte den Kopf. Hinter seiner niedrigen Stirn ging es wie ein Mühlenrad, er konnte sich nicht denken, was das bedeuten sollte. Doch er würde es erfahren. Es hieß ihnen einfach folgen und in die Karten sehen. Ha, wenn er ihnen Knüppel zwischen die Beine werfen könnte, sollte es daran nicht fehlen, das war selbstverständlich ...

Anfangs hatte er gedacht, daß sie ihn suchen wollten. Doch hatte ihn seine »gute Nase« bald eines Besseren belehrt. Nein, das konnte auf keinen Fall stimmen; sie hatten ihn aus dem Lager gewissermaßen hinausgeekelt, und damit war ihrer eigentlichen Absicht vollauf Genüge getan.

Nie würden Kai Shang oder Momulla derlei Mühen und Gefahren auf sich nehmen, wie sie ihnen jetzt vielleicht in der Dschungel begegneten –, bloß um ihn oder irgendeinen anderen zu erschlagen. Es sei denn, es ginge um Geld. Da Gust jedoch keinen Penny in der Tasche hatte, war es klar, daß sie irgend etwas Anderes aufs Korn genommen hatten.

Plötzlich hielt die Bande, der er immer in gewissem Abstand folgte. Die Kerle versteckten sich einzeln im dichten Laubwerk zu beiden Seiten des Wildpfades, auf dem sie vorgedrungen waren. Gust kletterte sofort etwas abseits hoch hinauf ins Geäst eines Baumes, um auf alle Fälle gut beobachten zu können, was da unten vorgehen mochte. Er sorgte natürlich dafür, daß er selbst hinter üppigem Tropengrün den Blicken seiner ehemaligen Kameraden völlig verborgen blieb.

Seine Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt: Ein ihm unbekannter Weißer näherte sich vorsichtig aus südlicher Richtung auf jenem schmalen Dschungelpfad.

Momulla und Kai Shang hatten den Ankömmling kaum gewahrt, als sie auch schon aus ihrem Versteck hervorbrachen und ihn willkommen hießen.

Gust entging kein Wort von dem, was die drei miteinander auszumachen hatten. Der Weiße kehrte schließlich um und verschwand in der Richtung, aus der er vorhin aufgetaucht war.

Taylor war's, und wie er sich wieder Tarzans Lager näherte, machte er erst einen großen Bogen und kam von der anderen Seite völlig außer Atem zu Mugambi gerannt. Zitternd vor Erregung stürzte er auf ihn zu.

Rasch, rasch! schrie er – und es klang, als sei er zu Tode geängstet. Eure Affen haben Smith überfallen ..., sie werden ihn zerreißen, wenn wir ihm nicht auf der Stelle Hilfe bringen. Du allein kannst sie fortjagen, nimm Jones und Sullivan mit – kann sein, du wirst nicht fertig mit diesen Bestien – und sieh vor allem zu, daß du so schnell, als irgend möglich, hinkommst! Immer auf dem Wildpfad bleiben ... nach Süden zu, verstanden! Etwa eine Meile ... Ich will lieber hier bleiben ... ich ... bin einfach ... fertig, kann nicht wieder ... mit ... zurückkommen ... Der Steuermann der »Kincaid« ließ sich zu Boden sinken ..., keuchte und rang stöhnend nach Luft, als sei es schon um ihn geschehen.

Mugambi war unschlüssig. Was sollte er tun, Tarzan hatte ihn doch zum Schutze der beiden Frauen zurückgelassen ... Allein Jane, die Taylors Unglücksbotschaft mit angehört hatte, unterstützte sofort den dringenden Hilferuf des Steuermanns.

Schnell, Mugambi! Hier ist keine Zeit zu verlieren! bat sie, und in ihrer Stimme lag etwas, was keinen Widerspruch zu dulden schien. Wir sind hier gut aufgehoben. Herr Taylor wird bei uns bleiben. Geh, Mugambi! Der Ärmste muß auf alle Fälle gerettet werden.

Smith, der sich im Dickicht hinter dem Lager versteckt hatte, lachte bei diesen Worten über das ganze Gesicht.

Und Mugambi schenkte dem Drängen seiner Herrin Gehör, wiewohl er seiner Sache durchaus nicht sicher war. Wer konnte wissen, ob er nicht gerade jetzt eine Dummheit machte? Bald war er in südlicher Richtung entschwunden, Jones und Sullivan ihm nach.

Smith wartete kaum ab, bis der Schwarze im Dickicht untertauchte, dann erhob er sich auch schon aus seinem Versteck und stürzte nordwärts in die Dschungel davon. Wenige Minuten später äugte Khai Shang vom Dschungelsaum nach der Lichtung hinüber, auf der Tarzans Lager aufgeschlagen war. Taylor hatte den Chinesen sofort bemerkt und bedeutete ihm, daß die Luft rein war.

Jane und das Mosulaweib saßen vor Taylors Zelt mit dem Rücken nach der Richtung, aus der die Gauner nahten. Sie merkten auch nicht eher etwas davon, daß fremde Leute ins Lager eingedrungen waren, als bis sie sich mit einem Male von einem halben Dutzend fremder Männer umringt sahen.

Mitkommen! sagte Kai Shang einfach und gab den beiden Frauen mit einer Handbewegung zu verstehen, daß sie sich sofort zu erheben und ihm zu folgen hätten.

Jane sprang blitzschnell auf. Wo war denn Taylor?

Sie sah, daß er hinter den Eindringlingen stand, ein schadenfrohes Lächeln auf seinem Gesicht. Und neben ihm auch Smith?

Sofort war sie überzeugt, daß sie das Opfer eines Anschlags geworden.

Was soll das heißen? wandte sie sich an den Steuermann.

Was das heißen soll? Sehr einfach: Wir haben ein Schiff und können jetzt endlich von dieser elenden Dschungelinsel fliehen, entgegnete der Gefragte.

Warum haben Sie Mugambi und die anderen in die Dschungel weggeschickt? forschte Jane weiter.

Die? Die sollen eben nicht mit. Nur Sie, meine Wenigkeit und die Mosulafrau ...

Los, mitkommen! fuhr Kai Shang dazwischen und packte Jane am Handgelenk.

Einer von den Maorileuten faßte die Schwarze fest am Arm, und als sie schreien wollte, schlug er sie auf den Mund. –

*

Mugambi lief, was seine Kräfte hergaben, durch die Dschungel, immer nach Süden, wie Taylor angegeben hatte. Jones und Sullivan kamen gar nicht recht nach, doch folgten sie seiner Spur.

Er mußte schon eine Meile zurückgelegt haben. Gewiß, Smith wollte er helfen, er durfte nicht vergeblich warten ... Aber weit und breit war nichts zu sehen, von dem Vermißten nicht und auch nicht von einem aus Akuts Affenschar ...

Schließlich machte er Halt und rief laut, daß es weithin schallen mußte; es klang genau so, wie wenn er und Tarzan früher die großen Menschenaffen zu sich hatten heranlocken wollen. Allein keine Antwort hallte zurück. Immer wieder drang der wildgewaltige Lockruf hinein in die weiten Wälder, immer noch wartete Mugambi wie festgebannt, ob denn kein Echo ihm das Rätsel löste, und inzwischen hatten Jones und Sullivan den schwarzen Krieger eingeholt. Noch eine halbe Meile arbeitete sich Mugambi suchend durch das Dickicht voran, wobei er ab und zu von neuem seinen Lockruf durch die Wildnis vorauseilen ließ.

Bis mit einem Male die grausame Wahrheit blitzartig in ihm aufflammte ... Wie ein erschrecktes Wild wandte er sich in rasendem Lauf zurück. Er war auch noch kaum einen Augenblick im Lager, als er alle seine Befürchtungen nur zu sehr bestätigt fand: Jane und die Mosulafrau verschwunden – und ebenso Taylor!

Als Jones und Sulvian etwas später wieder im Lager eintrafen, hätte Mugambi sie in seiner grenzenlosen Wut am liebsten glatt niedergemacht; denn er war der Meinung, daß sie unbedingt um die Verschwörung oder, was es sein mochte, wußten.

Schließlich gelang es den beiden, ihn wenigstens einigermaßen davon zu überzeugen, daß sie von der ganzen Sache keine Ahnung gehabt hätten.

Wie sie so dastanden und darüber nachgrübelten, wo die Frauen samt ihren Entführern stecken konnten und was Taylor eigentlich mit ihrer Entführung aus dem Lager bezwecken mochte, schwang sich der Affen-Tarzan vom Geäst eines Urwaldriesen herab und kam über die Lichtung gerade auf sie zu.

Mit scharfem Blick hatte er sofort erfaßt, daß hier irgend etwas ganz und gar nicht stimmte. Als er Mugambis raschen Bericht hörte, knirschte er vor Wut mit den Zähnen und runzelte nachdenklich die Stirn.

Was wollte denn dieser unverschämte Steuermann damit erreichen, daß er Jane aus dem Lager entführte? Er wußte doch ganz genau, daß er auf dieser an sich kleinen Insel nun und nimmermehr Tarzans Vergeltung entgehen konnte. Nein, so töricht war Taylor nicht ..., da mußte noch jemand anderes die Hand im Spiele haben. Eine dunkle Ahnung vom wahren Sachverhalt dämmerte in ihm auf.

Taylor würde sich niemals zu etwas Derartigem herbeigelassen haben, wenn er nicht ganz sicher war, daß er auf irgendeine Weise mit seiner Gefangenen die Dschungelinsel verlassen konnte, ohne daß er noch vorher ertappt wurde. Aber weshalb hatte er die Schwarze mitgenommen? Es mußten also noch andere an der Verschwörung beteiligt sein, mindestens einer, der das Mosulaweib haben wollte.

Kommt mit! sagte Tarzan. Wir können nur eins tun: Wir müssen uns auf ihre Spur machen.

Er hatte dies kaum ausgesprochen, da tauchte eine große, fast plumpe Gestalt auf der Nordseite des Lagers aus der Dschungel hervor. Der Mann kam geradenwegs auf die Vier zu, wiewohl er ihnen allen völlig fremd war, und keiner sich auch nur hatte träumen lassen, daß, abgesehen von ihnen selbst, irgend ein menschliches Wesen an den unfreundlichen Gestaden oder im Innern der Dschungelinsel hauste.

Es war Gust. Er kam sofort auf die unangenehme Lage der Vier zu sprechen, als ob er vorhin alles mit angehört hätte.

Ihre Frauen sind geraubt worden, wandte er sich an Tarzan. Wenn Sie sie je wieder sehen wollen, dann kommen Sie mir auf der Stelle nach! Beeilen wir uns nicht, wird die »Cowrie« in See gegangen sein, ehe wir überhaupt an ihrem jetzigen Ankerplatz sind.

Wer sind Sie? fragte Tarzan. Was wissen Sie überhaupt vom Raub meiner Frau und einer Schwarzen?

Ich hörte, wie Kai Shang und der Maori Momulla mit zwei Leuten aus Ihrem Lager alle Einzelheiten des Anschlags verabredeten. Mich hatten sie vorher zum Teufel gejagt; umgebracht hätten die Schufte mich am liebsten ..., doch jetzt sollen sie es mit mir zu tun bekommen! Folgen Sie mir, wir haben keine Zeit zu verlieren.

Gust führte Tarzan, Mugambi und die beiden Matrosen der »Kincaid«-Besatzung, die noch mit im Lager waren, in raschem Marsch nordwärts durch die Dschungel. Ob man noch rechtzeitig die Küste erreichte? Noch ein paar Minuten nur, und man würde Klarheit haben ...

Als die Verfolger endlich das letzte Dickicht durchbrachen, das ihnen den freien Ausblick verwehrte, lagen schützende Bucht und Ozean vor ihnen ausgebreitet ... Allein das Schicksal hatte einen grausamen Strich durch ihre Rechnung gemacht: Auf der »Cowrie« waren alle Segel gesetzt, und schon trieb das Schiff langsam aus seinem Versteck hinaus in die offene See.

Was war jetzt zu tun? Tarzans Brust hob und senkte sich unter der Wucht dieses erschütternden Schicksalsschlages, der sein Inneres zerwühlte. Fast mochte es scheinen, als habe seine letzte Stunde geschlagen, denn, wenn der Affen-Tarzan je in seinem ganzen Leben Grund gehabt hatte, völlig zu verzweifeln, so war es jetzt der Fall, jetzt, wo er zusehen mußte, wie man seine geliebte Frau einem furchtbaren Schicksal entgegentrug, wie das Schiff mit ihr auf leichten Wellen davonschaukelte ..., so nahe, zum Greifen nahe – und doch wieder so schrecklich weit schon.

Schweigend schickte er dem Schiffe seine Blicke nach, bis es östlichen Kurs nahm und schließlich hinter den Hügeln einer weit vorgeschobenen Landzuge verschwand. Wohin mochten sie steuern? Er sank in sich zusammen und barg das Gesicht in seinen Händen. –

*

Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als die fünf Männer nach Tarzans Lager an der Ostküste der Insel zurückkehrten.

Schwül war die Tropennacht, nicht der leiseste Windhauch rührte die Blätter oder kräuselte das spiegelglatte Meer. Leicht nur leckte die Dünung den Strand.

Nie hatte Tarzan den großen Atlantischen Ozean so seltsam ruhig gesehen. Es war fast unheimlich, diese drückende Stille und Schwüle. Er stand am Strande, zu seinen Füßen die Meeresfluten, weit, weit, bis sie mit dem Horizont verschmolzen. Ja, dort hinten war das Festland ...

Und wie er so voller Sorgen und nahezu überwältigt von der Trostlosigkeit seiner und Janes Lage hinausstarrte in diese rätselhafte Nacht, vernahm er mit einem Male aus der Dschungel dicht hinter dem Lager das klagende wehleidige Gebrüll eines Leoparden.

Unheimlich klang's zuerst, wie die Stille jäh zerbarst, doch kam es Tarzan vor, als schwinge in jenem Brüllen ein wohlvertrauter Ton mit. Er wandte den Kopf und antwortete, wie er sich früher mit Sheeta verständigt hatte. Und richtig: Im nächsten Augenblick schlich sich Sheeta aus der Dschungel heran. Er sah deutlich den geschmeidigen lohfarbenen Körper, wie er sich im Halbdunkel des Strandes vom Sande abhob; denn wenn auch der Mond nicht schien, so funkelten doch die Sterne prächtig vom klaren Nachthimmel.

Leise kam das Raubtier immer näher heran. Tarzan hatte seinen alten wackeren Kampfgenossen lange nicht wieder gesehen, doch, wie das große Katzentier jetzt vertraulich schnurrte, war er sofort davon überzeugt, daß es sich noch der freundschaftlichen Bande erinnerte, die sie beide früher zu fester Kampfgemeinschaft verknüpft hatten.

Der Affenmensch fuhr dem treuen Tier mit den Händen über das seidige Fell, und als Sheeta sich dann mit seinem Leibe an Tarzans Bein schmiegte, schüttelte und streichelte er den Kopf seines Freundes, in dem ja auch so viel Böses und Grausames geboren werden konnte, wenn es galt, an den Feind zu gehen. Gleichzeitig hatte er unermüdlich mit seinen scharfen Augen die nachtumschatteten Fluten abgetastet.

Plötzlich stutzte er. Was war das? Seine Blicke bohrten sich gleichsam in die Finsternis, als wollte er sie bis in alle Fernen durchdringen. Dann drehte er sich um und rief mit lauter Stimme seine Leute, die es sich inzwischen auf ihren Decken im Lager bequem gemacht hatten und rauchend beieinanderhockten.

Sie kamen sofort angerannt. Gust schrak zurück, als er Tarzans eigenartigen Gefährten gewahr wurde.

Da! Seht ihr? rief Tarzan ihnen entgegen. Ein Licht! Eine Schiffslaterne! Das muß die »Cowrie« sein. Die Windstille ist am Werk, sie kommen nicht weiter ...

Hallo! Jetzt können wir sie fassen! fuhr er fort, und man merkte deutlich am Ton seiner Stimme, daß neue Hoffnung ihn beflügelte. Unser Boot wird uns gut hinüberbringen! Gust riet ab. Sie sind zu stark bewaffnet, warf er ein. Ich muß unbedingt warnen. Unmöglich, daß wir fünf dies Schiff überrennen.

Sechs sind wir bis jetzt schon, gab ihm Tarzan zurück und zeigte auf Sheeta. Und in einer halben Stunde sind wir noch mehr. Sheeta leistet allein so viel wie zwanzig Mann, und die anderen, die ich hierher beordern will, werden glatt hundert Mann ersetzen. Ich dächte, wir wären dann recht ansehnliche Gegner. Du kennst meine Kampfgenossen eben nicht! Der Affenmensch wandte sich abermals der Dschungel zu, er riß sein Haupt hoch, und über seine Lippen quoll wieder laut und unheimlich der gewaltige Kampfruf der Menschenaffen, der seine alten Gefährten zurücklocken sollte.

Bald hallte ein Echo aus der weiten Dschungel herüber, dann noch eines und abermals eines. Gust schauderte. Entsetzlich! Unter was für Geschöpfe hatte ihn das grausame Schicksal verschlagen? Waren da nicht Kai Shang und Momulla tausendmal erträglicher als dieses weiße Ungeheuer, das einen leibhaftigen Leoparden streichelte und die Bestien der Dschungel zu sich herbeirief?

Schon nach wenigen Minuten stürzten Akuts Affen heran. Krachen und Knacken im Dickicht, und dann standen sie mit einem Male bei Tarzan am Strande.

Die fünf hatten sich inzwischen redlich mit dem Rumpf des halbfertigen großen Bootes herumplagen müssen, und nur unter geradezu übermenschlichem Kraftaufwand war es ihnen endlich gelungen, das schwerfällige Ding ins Wasser zu bringen.

Von den beiden kleinen Booten der »Kincaid«, die durch einen plötzlichen Sturm von Land her noch in der Nacht unmittelbar nach der Landung weggespült worden waren, hatte man wenigstens die Ruder gerettet, die damals gleich als Stützen zum Bau der Segeltuchzelte mit auf den Lagerplatz genommen worden waren. Die Zelte wurden also jetzt rasch niedergerissen, und so hatte man genügend Ruder zur Hand. Als Akut mit seinen Stammesgenossen erschien, war alles zur Fahrt gerüstet.

Und wieder einmal begab sich der schreckengebietende Tiertrupp willig in die Dienste seines Herrn, und, ohne daß es irgendeiner Weisung oder Frage bedurft hätte, nahm ein jedes seinen alten Platz im Boote ein.

Nur Gust ließ sich durchaus nicht zur Teilnahme an diesem Abenteuer bewegen und blieb zurück. Die vier anderen ergriffen sofort je ein Ruder, konnten damit aber nur paddeln, da das große Boot zur Länge der Ruder in keinem Verhältnis stand. Einige der Affen folgten ihrem Beispiel, und so machte man den schwerfälligen Kasten unverzüglich flott. Ruhig glitt das Boot hinaus aufs Meer, dem Lichtpunkt entgegen, der über der leichten Dünung leise auf und ab schwebte. –

An Deck der »Cowrie« stand nur ein einziger Matrose auf Posten. Eine klägliche Nachtwache, wenn man bedachte, daß dem Manne vor Müdigkeit fast die Augen zufielen! Unten in der Kabine schritt Taylor, der Steuermann der »Kincaid«, aufgeregt auf und ab; er hatte sich mit Jane auseinanderzusetzen, denn die junge Frau hielt ihn mit einem Revolver in Schach, den sie in einem Tischkasten ihres neuen Gefängnisses gefunden hatte.

Das Mosulaweib kniete hinter ihr, als Taylor jetzt immer vor der Kabinentür hin und her lief, bald drohend, bald sich entschuldigend, bald bestrebt, sich mit allerhand Versprechungen aus dieser unangenehmen Situation zu befreien. Allein, so sehr er sich Mühe gab, zum Ziele zu kommen: Jane blieb unerbittlich.

Plötzlich hörte man von Deck einen lauten Alarmschrei; dann krachte ein Schuß.

Jane blickte nach dem oberen Kabinenfenster ... und schon stürzte Taylor, der im Moment das Nachlassen ihrer Aufmerksamkeit erkannt hatte, auf sein Opfer los ... –

Das erste, was dem Posten an Deck die Augen darüber öffnete; daß sich ein anderes Schiff der »Cowrie« innerhalb der nächsten »tausend Meilen« genähert haben mußte, waren Kopf und Schultern eines Mannes, der sich eben über die Reling schwingen wollte. Der Bursche fuhr sofort mit einem Aufschrei in die Höhe und gab einen Schuß aus seinem Revolver auf den Eindringling ab.

Eben dieser Schrei und der folgende Knall hatten Jane von ihrem Gegenüber abgelenkt.

Ruhe und vermeintliche Sicherheit an Bord der »Cowrie« wichen schlagartig der wildesten Panik. Mit Revolvern und Schiffermessern stürzte die Mannschaft aus den Kabinen.

Doch der Alarm war zu spät gekommen.

Schon rasten Tarzans Tiere über Deck, an ihrer Spitze Tarzan selbst und die beiden Matrosen der »Kincaid«.

Angesichts der wütenden Bestien kam der Mut der Meuterer sofort ins Wanken und war fast im Augenblick dahin. Die mit Revolvern Bewaffneten feuerten vor lauter Bestürzung ein paar Schüsse in die Luft und stoben auseinander, jeder dahin, wo er vor diesem furchtbaren Gegner sicher zu sein glaubte. Einige kletterten nach oben ins Tauwerk, aber Akuts Affen waren dort noch besser zu Hause als die Maorileute.

So sehr sie auch schrien und sich zu wehren suchten, die Affen rissen sie von ihren luftigen Sitzen herunter auf Deck, und, da Tarzan gerade auf der Suche nach Jane war, stürzten sie sich mit der ganzen Wucht auf jeden, den sie fassen konnten. Sheeta hatte inzwischen nur einen gepackt und ihn am Boden hin und hergezerrt.

Mit einem Male aber sah der Leopard Kai Shang, der sich gerade in einer Kabine zu verstecken suchte. Ein Sprung, ein schrilles Gebrüll ... und Sheeta war ihm auf den Fersen. Der Angriff des Leoparden ließ den Chinesen bis ins Innerste erbeben und löste augenblicklich einen verzweifelten Angstschrei aus der Kehle des Verfolgten.

Es handelte sich jetzt um den Bruchteil einer Sekunde. Kai Shang hatte die Kabine erreicht, er riß die Tür auf, sprang hinein und wollte die Tür hinter sich zuschlagen ...

Doch es war schon zu spät. Sheetas schwerer Körper stemmte sich gegen die Tür, noch ehe sie ins Schloß fiel. Kai Shang erkannte, daß er verloren war. Nur noch eines konnte er versuchen: Er schwang sich schreiend hinauf in die oberste Schlafkoje.

Sheeta duckte sich indessen nur und saß mit einem Sprung seinem Opfer im Nacken. Um Kai Shang war es geschehen, denn Sheetas Zähne und Pranken machten auf der Stelle ganze Arbeit. –

Kaum hatte Taylor sich über Jane gestürzt und ihrer Hand den Revolver entwunden, als sich die Kabinentür leicht öffnete, und ein riesiger halbnackter Weißer sich vorsichtig hereinzwängte. Ein Sprung ... und seine nervigen Finger schlossen sich wie eiserne Klammern um Taylors Hals. Der wandte sich rasch, um zu sehen, wer ihn da anzugreifen wagte. Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen, als er das Gesicht des Affenmenschen dicht über sich erkannte.

Immer fester preßten sich Tarzans Finger um den Hals des ehemaligen Steuermanns der »Kincaid«.

Er wollte schreien, betteln, sich noch in letzter Minute rechtfertigen ..., er brachte keinen Ton heraus. Er rang um Rettung, um ein paar Atemzüge, um sein Leben ..., seine Augen traten weit aus ihren Höhlen.

Jane faßte die Hände ihres Gatten und suchte sie aus der Umklammerung des Sterbenden zu lösen. Doch Tarzan schüttelte den Kopf.

Nein ..., nicht noch einmal! sagte er ruhig. Hatte ich diesen Schuften das Leben geschenkt, bloß damit sie zum Danke dich und mich in neues Unglück stürzen? Diesmal wollen wir doch gleich kurzen Prozeß machen ..., ja kurzen Prozeß, damit solch ein Schurke uns und keinem anderen wieder in die Quere kommt ...

Mit einem Ausdruck von Ekel schleuderte Tarzan sein Opfer zu Boden. Dann stürmte er aufs Deck zurück, Jane und das Mosulaweib ihm nach.

Allein dort war der Kampf schon vorüber. Von der ganzen Besatzung der »Cowrie« waren nur Smith, Momulla und zwei andere am Leben geblieben, weil sie sich rechtzeitig in den Mannschaftsraum hatten retten können. Die übrigen hatten unter den Fängen und Pranken von Tarzans Tieren einen schrecklichen Tod gefunden, den Tod, den sie verdienten. Und als am anderen Morgen die Sonne ihre Strahlen über das Deck der unseligen »Cowrie« sandte, bot sich dort abermals ein wüstes Bild, nur daß diesmal das Blut der Meuterer statt des der Unschuldigen die weißen Planken färbte.

Tarzan holte die Leute, die sich im Mannschaftsraum versteckt gehalten hatten, heraus. Es konnte natürlich keine Rede davon sein, daß er ihnen erst Straffreiheit zusicherte. Im Gegenteil. Sie erhielten einfach Befehl, sofort beim Flottmachen des Schiffes mit allen Kräften mit zuzugreifen, wenn sie nicht auf der Stelle erschossen werden wollten.

Seit Tagesanbruch wehte eine steife Brise, die Segel waren gesetzt, und bald nahm die »Cowrie« Kurs auf die Dschungelinsel.

Nach ein paar Stunden hatte Tarzan Gust gefunden und schickte ihn an Bord.

Seine Tiere hatte Tarzan ausgebootet. Sie sollten ruhig ihr altes freies Leben in der Dschungel wiederhaben, das ihnen ja so über alles behagte. Ein letztes Lebewohl an Sheeta und Akuts Affen, und, ehe er sich's versehen, waren sie in die kühlen Tiefen ihrer geliebten Dschungelheimat untergetaucht.

Es muß freilich bezweifelt werden, ob sie überhaupt erfaßt hatten, daß Tarzan sich jetzt für immer von ihnen trennte. Bloß der bedeutend intelligentere Akut mochte vielleicht ahnen, was vorging, denn nur er wartete am Strande, als das kleine Boot seinen gewaltigen Herrn und Gebieter vom Lande hinüber zum Schoner trug.

Jane und Tarzan blieben an Deck, und solange ihre Augen über die weite Wasserfläche nach der Dschungelinsel zurückschweifen konnten, sahen sie den zottigen Menschenaffen, der ganz allein von der meerumbrandeten Sandbank aus regungslos dem rasch entschwindenden Schiffe nachzublicken schien.

*

Nach drei Tagen begegnete die »Cowrie« H. M. S. »Shorewater«, einem englischen Kreuzer, von dem aus Tarzan, Lord Greystoke, nach Erledigung der üblichen Formalitäten drahtlos mit seinen Londoner Bekannten in Verbindung trat. Er erfuhr auch sogleich von dort, was ihn und Jane mit jubelnder Freude und tiefer Dankbarkeit erfüllte: Der kleine Jack befand sich gesund und wohlbehalten in der Greystokeschen Stadtvilla.

Und noch ehe sie in London eintrafen, hörten sie Näheres über die sonderbare Verkettung der Umstände, die ihr Kind vor dem Schlimmsten bewahrt hatten.

Es stellte sich heraus, daß Rokoff den kleinen Jack erst in einem Findelhaus des Hafenviertels untergebracht hatte, weil er fürchtete, die Polizei könnte ihm in die Quere kommen, wenn er das Kind bei Tage an Bord der »Kincaid« brächte. Nach Einbruch der Dunkelheit wollte er es jedoch auf den Dampfer holen.

Pawlowitsch, Rokoffs rechte Hand und gleichzeitig erster Offizier der »Kincaid«, der lange genug ein gelehriger Schüler seines gerissenen Herrn gewesen war, hatte sich schließlich an ihm, der in allem mit Verrat, Tücke und unter dem Zwange einer geradezu fabelhaften Geldgier arbeitete, ein Beispiel genommen und war der Versuchung erlegen. Das stattliche Lösegeld, das er für unversehrte Rückgabe des Kindes würde fordern können, war zu verlockend, und so hatte er die Leiterin jenes Findelasyls in das Geheimnis eingeweiht und ihr die Adresse der Eltern des kleinen Jack genannt. Diese Frau hatte auch in die Vertauschung der Kinder eingewilligt, und Pawlowitsch war fest überzeugt, daß Rokoff niemals – wenigstens solange nicht, als bis es schon zu spät war – auch nur ahnen würde, welchen Streich er ihm da gespielt hatte.

Die Frau hatte ferner versprochen, daß sie das Kind bis zu Pawlowitschs Rückkehr nach England bei sich in Pflege behalten wollte. Doch hatte sie sich bald anders besonnen. Das Gold, das Gold ..., wer sollte da widerstehen können! Und so war sie vor dem Vertrauensbruch nicht zurückgeschreckt und hatte mit Lord Greystokes Sachwalter Verhandlungen wegen Herausgabe des Kindes eingeleitet.

Die Negerin Esmeralda, die ja im Greystokeschen Hause als Kinderfrau angestellt war und zu der Zeit, als der kleine Jack geraubt wurde, gerade auf Urlaub in Amerika weilte, war inzwischen nach London zurückgekehrt. Sie hatte das ganze Unglück natürlich darauf geschoben, daß sie nicht dagewesen sei. Sonst wäre so etwas nicht passiert, meinte sie. Jedenfalls stellte sie ohne weiteres fest, daß das Kind tatsächlich der kleine Greystoke war.

Das Lösegeld wurde glatt bezahlt, und zehn Tage nach seiner Entführung war der zukünftige Lord Greystoke in sein Elternhaus zurückgebracht worden.

So war schließlich Nikolaus Rokoffs letzter und größter Streich durch die Minderwertigkeit, die er selbst seinem einzigen Freunde eingeimpft hatte, nicht nur kläglich mißlungen; er hatte ihn vielmehr letzten Endes in Tod und Verderben getrieben.

Und obendrein waren Lord und Lady Greystoke endlich von jener drückenden Unruhe befreit, die nun und nimmer von ihnen gewichen wäre, solange noch ein Fünkchen Leben in dem Russen glomm, und sein Verbrecherhirn zu immer neuen Ränken gegen sie aufstachelte.

Rokoff war tot, und, wenn man auch nichts Näheres über Pawlowitschs Schicksal erfahren hatte, so konnte doch angenommen werden, daß er im Rachen der wilden Dschungel umgekommen war; denn dort hatten sie dieses gelehrige Werkzeug seines Herrn zum letzten Male gesehen.

Und so mußten sie jetzt nach menschlichem Ermessen für immer von den Drohungen dieser beiden Männer verschont bleiben, der einzigen Feinde, die der Affen-Tarzan wirklich zu fürchten gehabt hatte, weil ihre feigen Angriffe statt gegen ihn selbst sich gegen die richteten, mit denen er durch Verwandtschaft oder Zuneigung verknüpft war.

*

An demselben Tage noch, an dem Lord Greystoke und seine Gattin nach Verlassen des »Shorewater« englischen Boden betreten hatten, vereinte eine fröhliche Feier alle Familienangehörigen im Greystokeschen Hause.

Mugambi und die Mosulafrau, die dieser in jener Nacht im Kanu auf einem Nebenflusse des Ugambi vor den Fängen der Menschenaffen gerettet hatte, waren auch mitgenommen worden.

Die Schwarze hatte es vorgezogen, sich Mugambi als ihrem neuen Herrn und Gemahl anzuschließen, statt zu ihrem Manne im Mosuladorfe zurückzukehren, dem sie ja sowieso für immer hatte davonlaufen wollen.

Tarzan machte den Vorschlag, daß sie sich in einem eigenen Heim auf seinen ausgedehnten afrikanischen Besitzungen im Lande der Waziri ansiedeln sollten. Er würde sie hinüberreisen lassen, sobald sich eine günstige Gelegenheit bot.

Mag sein, daß wir sie alle zusammen mitten in dem Zauberreich der wilden Dschungel und der weiten Wälder, in denen sich der Affen-Tarzan ja am allerwohlsten fühlte, eines Tages wiedersehen ...

Wer kann es wissen?

 

*

Buchwerung


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