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Allein in der Dschungel

Tambudza führte den Affen-Tarzan sicher und gut, wiewohl der schmale Pfad in immer neuen Windungen die Dschungel kreuzte. Doch der Weg bis zu Rokoffs Lager war immerhin weiter, als Tarzan anfangs vermutet hatte, zumal die Alte mit ihren gichtgeplagten Beinen nur langsam vorankam ...

Die Boten, die Maganwazam mit der Nachricht vorausgeschickt hatte, daß der weiße Riesenmensch im Dorfe sei, und daß man ihn diese Nacht unschädlich machen werde, erreichten so das Lager des Russen, ehe Tarzan und die Alte auch nur die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten.

Im Lager des Weißen ging alles drunter und drüber. Am Morgen hatte man Rokoff blutüberströmt und bewußtlos in seinem Zelt gefunden, und, als er dann wieder zur Besinnung kam, hatte man erst auf sein Befragen hin bemerkt, daß Jane fehlte. Sie mußte entflohen sein.

Rokoffs Wut kannte keine Grenzen mehr. Er nahm sein Gewehr und raste bald hier hin, bald dahin: Es schien, als wolle er das ganze Lager auf den Kopf stellen.

Beinahe hätte er die schwarzen Wachtposten, die am Entkommen der jungen Frau schuld sein mußten, einfach über den Haufen geknallt, doch schritten einige seiner weißen Leute noch rechtzeitig ein, packten und entwaffneten ihn. Sie taten dies um so mehr, als sie ihre eigene Lage schon bedenklich ernst fanden, weil die Mehrzahl der Schwarzen wegen der brutalen Behandlung, die bei Rokoff üblich war, einfach davongelaufen war.

Kaum waren dann die Boten Maganwazams eingetroffen, und kaum hatte Rokoff auf Grund ihrer Meldung alles gerüstet, um mit seinen Leuten zum Dorfe zu ziehen, da kam auch schon neue Kunde.

Die Schwarzen waren völlig erschöpft, sie mußten wie der Wind gelaufen sein. Ganz außer Atem berichteten sie, der gewaltige weiße Riesenmensch sei aus dem Dorfe entkommen, er müsse schon unterwegs sein, um an seinen Feinden schreckliche Rache zu üben ...

Das ganze Lager war mit einem Schlage Schauplatz denkbar größter Verwirrung. Vor allem Rokoffs schwarze Safari packte wildes Entsetzen, als sie jetzt erfuhren, daß der riesige weiße Jäger mit seiner wilden Affenhorde und dem Leoparden ihnen dicht auf den Fersen war, und, ehe die Weißen überhaupt merkten, wie stark Furcht und Aberglauben in den Köpfen der schwarzen Leute spukten, waren die Eingeborenen in der Dschungel verschwunden. Nicht nur Maganwazams Boten, nein, alle Träger und sogar die Safari hatten sich aus dem Staube gemacht und dabei alles, was ihnen gefiel, oder was an Nützlichem oder Wertvollem gerade zur Hand war, mitgenommen.

Rokoff und seine sieben weißen Matrosen sahen sich also mit einem Male ausgeplündert und mitten in der Wildnis der weiten Dschungel ganz allein auf sich gestellt.

Der Russe konnte sich wie gewöhnlich nicht beherrschen. Er überschüttete seine Leute mit Verwünschungen und schob ihnen die ganze Schuld an der geradezu hoffnungslosen Lage zu, der sie sich nun alle nach diesen unerwarteten Vorkommnissen preisgegeben sahen.

Diesmal war es den Matrosen jedoch nicht darnach zumute, sich seine unverschämten Beschuldigungen und Schimpfereien gefallen zu lassen.

Rokoff war mitten drin in seinem Donnerwetter, da zog einer der Matrosen seinen Revolver und drückte auf den Russen ab. Der Schuß ging fehl, aber Rokoff war über diese nie dagewesene Antwort derart erschrocken, daß er Hals über Kopf nach seinem Zelt flüchtete.

Mitten im Laufen fiel sein Blick hinüber nach der Waldecke jenseits des Zaunes. Was er da zu sehen glaubte, ließ sein Memmenherz vor Furcht und Entsetzen erbeben. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter, wie er da drüben mit einem Male die nackte Riesengestalt eines Weißen aus der Dschungel herannahen sah ...

Was kümmerten ihn seine sieben Leute, die voller Haß und Rachgier immer noch auf ihn schossen ..., er stürzte sich in sein Zelt, und, ohne auch nur eine Sekunde dort zu verweilen, durch den Riß in der Rückwand wieder hinaus, der Jane in der vergangenen Nacht den Weg in die Freiheit geöffnet.

Wie ein gehetztes Wild raste er weiter. Im Zaun klaffte noch immer die Lücke, durch die sein eigenes Opfer ihm entronnen war. Er zwängte sich durch, und, gerade als Tarzan auf der entgegengesetzten Seite des Zaunes in das Lager schritt, verschwand Rokoff auf Janes Spuren in der Dschungel ...

Der Affenmensch und neben ihm Tambudza betraten voll gespannter Erwartung den Lagerplatz.

Wie jedoch die sieben Matrosen ihrer ansichtig wurden, nahmen sie sofort Reißaus, und zwar ebenfalls nach der anderen Seite des Lagers.

Tarzan ließ sie laufen, weil er Rokoff nicht unter ihnen bemerkte; und mit dem hatte er es ja in erster Linie zu tun. Er würde ihn schon in seinem Zelte überraschen, dachte er. And die Matrosen? Die Dschungel würde von diesen Banditen Sühne fordern, Sühne für all die Schandtaten, zu denen sie die Hand gereicht hatten. Ja, unerbittlich würde die Dschungel richten, sie durften sicher sein, daß jetzt zum letzten Male die Augen eines Weißen auf ihnen allen zusammen geruht hatten.

Tarzan fand Rokoffs Zelt leer, und so war er entschlossen, dem Russen sofort zu folgen. Er würde ihn schon finden, und wenn er sonstwo steckte.

Tambudza meinte, der Russe habe sicher durch Maganwazam erfahren, daß er, der Tarzan, im Dorfe sei. Wahrscheinlich habe er deshalb auch sofort das Lager verlassen.

Er ist zweifellos drüben im Dorf, versicherte die Alte immer wieder. Willst du ihn fassen, dann wollen wir machen, daß wir hinüberkommen!

Tarzan war auch bald der Überzeugung, daß Tambudza mit ihrer Vermutung gar nicht so unrecht hatte, und so verlor er nicht erst lange Zeit, um die Spur des Russen hier im Lager ausfindig zu machen. Er bat Tambudza, ihm langsam zu folgen, während er selbst in größter Eile Maganwazams Dorf noch rechtzeitig zu erreichen hoffe.

Wenn nur Jane noch nichts zugestoßen wäre, und wenn er sie bei Rokoff träfe! Dann sollte es endlich soweit sein, daß er sie diesem Schurken entreißen könnte! Noch eine Stunde, vielleicht auch etwas länger ...?

Er wußte jetzt genau, daß Maganwazam ein elender Verräter war. Es würde einen heißen Kampf geben, wenn er seine geliebte Jane befreien wollte, und er hätte gewünscht, daß Mugambi, Sheeta, Akut und dessen Affen ihm gerade jetzt zur Seite stünden. Denn soviel schien klar: Es mochte kommen, wie es wolle, es würde kein Kinderspiel sein, Jane den Klauen dieser beiden Schufte Rokoff und Maganwazam unversehrt zu entwinden.

Er war nun überrascht, im Dorfe weder von Rokoff noch von Jane irgendeine Spur zu finden, und da er den Aussagen des Häuptlings ohnehin nicht im geringsten Glauben schenken mochte, verlor er nicht erst lange Zeit mit Verhör und Untersuchungen, die sowieso im Sande verlaufen wären.

Plötzlich und unerwartet war er eben im Dorfe erschienen und hatte im Handumdrehen festgestellt, daß die Gesuchten sich nicht hier bei den Waganwazams befanden; und ebenso rasch und unbemerkt entschwand er wieder in die Dschungel, ohne daß Maganwazam auch nur Zeit gehabt hätte, seine neue Flucht zu vereiteln.

Er eilte auf halber Höhe der Bäume zum Lager zurück; im stillen bedauerte er es, daß er auf Tambudzas Zureden so vorschnell zum Dorfe zurückgekehrt war, denn nur dort im Lager war es ja möglich, Rokoff und Jane sicher auf die Spur zu kommen.

Er ging denn auch gleich auf der Außenseite rings um den ganzen Zaun und entdeckte die Öffnung im Dornengestrüpp, durch die allem Anschein nach vor gar nicht zu langer Zeit Mensch oder Tier sich den Weg zur Dschungel gebahnt haben mußten. Sein scharfer Geruchssinn bestätigte ihm auch nur zu bald, daß sich die Gesuchten beide in dieser Richtung aus dem Lager geflüchtet hatten, und im nächsten Augenblick war er schon auf und davon. Der enge Pfad und seine feine Nase wiesen ihm den Weg ...

*

Auf einem schmalen Wildpfad – weit, weit entfernt von ihm – arbeitete sich ein junges Weib mühsam durch die Dschungel voran. Ihr Herz pochte vor Unruhe und Ängsten, denn jeden Augenblick mußte sie damit rechnen, irgendeiner Dschungelbestie oder einem vielleicht noch schlimmeren Menschenungetüm Auge in Auge gegenüberzustehen. Dann beschleunigte sie wieder ihre Schritte, so oft sie glaubte, endlich die Richtung gefunden zu haben, in der sie hoffentlich bald den großen Strom erreichen würde.

Plötzlich stutzte sie: Die Gegend schien ihr bekannt. Ein Stück abseits vom Pfad gewahrte sie einen Haufen lose geschichteter Zweige, dicht unter einem mächtigen Urwaldriesen ..., ihr Lebtag würde dies Bild unauslöschlich in ihrer Erinnerung eingezeichnet bleiben!

Sie griff sich an den Kopf: Hier, ja hier hatte Anderssen sie vor den Verfolgern bergen wollen ..., und hier hatte er sein Leben in die Schanze geworfen, um sie vor Rokoff zu retten. O, er hatte sich umsonst geopfert!

Ihr fiel mit einem Male ein, daß dieser edle Mann ihr noch im letzten Augenblick Gewehr und Munition übergeben hatte. Sonderbar, daß sie dies ganz vergessen konnte! Ihre Hand hielt den Revolver noch fest umklammert, den sie Rokoff aus seinem Gürtel gerissen, doch da konnten nicht mehr als höchstens sechs Schuß drinnen sein. Wie sollte das für Jagd und Verteidigung ausreichen, wo doch der Weg bis zum Meere noch so weit, so sehr weit war?

Da ..., unter dem kleinen Erdhaufen mußte es stecken. Mit angehaltenem Atem durchwühlte sie das lockere Erdreich; sie wagte schon kaum mehr zu hoffen, daß dieser unersetzliche Schatz geblieben, wo sie ihn damals noch verborgen hatte ... Wie unermeßlich war jedoch ihre Freude, als ihre Finger plötzlich den Lauf der schweren Waffe fühlten! Und auch noch den gefüllten Patronengurt ... Ein Stein fiel ihr vom Herzen.

Als sie dann, den Gurt über die Schulter gehangen und die schwere Jagdbüchse in der Hand, weiterschritt, durchrann sie ein Gefühl fast völligen Geborgenseins. Neue Hoffnung beflügelte sie, ja sie war fest überzeugt, das Ziel ihrer einsamen Wanderung nunmehr bestimmt zu erreichen.

Die Nacht verbrachte die Sportgewandte schlafend hoch oben im Gabelgeäst eines Baumes, wie sie es von Tarzan so oft gehört hatte, wenn er von seinem Leben im Urwald sprach. In der Frühe des nächsten Tages war sie wieder auf den Beinen. Es ging alles glatt, doch als sie am Spätnachmittag eine schmale Lichtung überschreiten wollte, hielt sie plötzlich entsetzt inne: Ein mächtiger Affe trat drüben an der anderen Seite aus der Dschungel ...

Der Wind wehte quer über die Lichtung, die Jane von dem Riesentier trennte, und so verlor sie zunächst keinen Augenblick, um wenigstens auszuweichen, damit das Affentier sie nicht sofort wittern konnte. In dichtestem Gestrüpp fand sie Unterschlupf und blieb dort mit schußbereitem Gewehr auf der Lauer.

Der Affe trappte langsam auf die Mitte der Lichtung zu, von Zeit zu Zeit mit der Nase am Boden, als folge er einer bekannten Fährte. Er hatte jedoch kaum erst zehn bis fünfzehn Schritte zurückgelegt, als ein zweiter Menschenaffe aus dem Dickicht hervorbrach, dann noch einer und wieder einer, bis schließlich fünf solch unheimlicher Bestien die Lichtung querten. Ganz deutlich konnte Jane alles beobachten; sie duckte sich und folgte mit klopfendem Herzen gespannt jeder Bewegung. Das Gewehr lag schußbereit im Anschlag.

Zu ihrer Bestürzung machten die Affen auch noch mitten auf der Lichtung Halt; sie standen dicht beieinander und blickten rückwärts, als ob sie noch auf andere Stammesgenossen, die ihnen nicht nachgekommen waren, warteten.

Jane hatte nur den einen Wunsch, daß sie endlich weitergingen; denn wenn der Wind plötzlich nur leicht umschlug, mußten sie ihre Witterung in die Nase bekommen, und dann ...? Sie war sich darüber klar, daß sie allein auch mit dem Gewehr den furchtbaren Muskeln und Fängen dieser Ungetüme nicht standhalten konnte.

Ihre Blicke schweiften bald hinüber zu den Affen, bald zum Dschungelrand. Jetzt mußten die Bestien am längsten gewartet haben, sie sah es an ihren Bewegungen, daß die anderen jeden Augenblick auftauchen konnten. Die anderen? Vielleicht schlich sich gar ein feindliches Tier kampflustig an die Affen heran?

Sie fand diese Vermutung bestätigt, als mit einem Male ein schlanker, sehniger Leopard lautlos aus dem Dickicht hervorsprang, genau an der Stelle, von der aus die Affen eben die Lichtung betreten hatten.

Das Tier lief rasch auf die Menschenaffen zu. Jane wunderte sich über deren völlige Gleichgültigkeit, und schon im nächsten Augenblick wandelte sich die bloße Verwunderung in Bestürzung:

Die große Katze kam ganz dicht an die Affen heran, ohne von diesen irgendwie beachtet zu werden, legte sich mitten unter ihnen nieder und putzte sich das seidige Fell, wie das bei Katzen die Hauptbeschäftigung am Tage zu sein pflegt.

Die junge Frau gab sich ganz der einzigartigen Überraschung hin, die jene deutliche Verbrüderung oder Freundschaft wilder Dschungeltiere ohne weiteres auslösen mußte, als sie plötzlich einen stattlichen, kräftig gebauten Krieger aus dem Dickicht heraustreten und geradenwegs auf die Gruppe der wilden Bestien zugehen sah.

Für sie selbst mochte der Schwarze kaum gefährlich werden können, denn schon im nächsten Augenblick mußte er ja in Stücke gerissen sein ... Sie hatte sich aus ihrem Versteck halb nach vorn gebeugt, das Gewehr fest an die Schulter gedrückt: Sie wollte tun, was in ihren Kräften stand, um das Unheil von diesem Manne abzuwenden ...

Doch, was war das? Es schien, als spräche er regelrecht mit diesen Bestien. So, als gäbe er ihnen für irgend etwas genaue Anweisungen oder gar Befehle ...

Es vergingen auch nur einige Minuten, und die ganze sonderbare Gesellschaft zog, einer nach dem anderen, quer über die Lichtung und verschwand in der Dschungel.

Jane atmete auf. Sie mochte es noch gar nicht glauben, daß alles so gnädig vorbeigegangen sein sollte – und doch, sie waren auf und davon. So zögerte sie nun auch keinen Augenblick mehr, wand sich aus ihrem Versteck hervor und setzte eilenden Fußes die Flucht fort ...

Zu gleicher Zeit duckte sich ein anderes menschliches Wesen von Entsetzen gepackt hinter einem großen Ameisenhügel, als die schreckliche Horde in unmittelbarer Nähe vorüberkam.

Dies war Rokoff, der in diesen furchtbaren Bestien sofort die Verbündeten des Affen-Tarzan erkannt hatte. Sie waren auch kaum erst hinter den nächsten Bäumen verschwunden, da raste er schon durch die Dschungel weiter; er lief, so schnell ihn die Beine tragen konnten, nur damit er den Bestien auf Nimmerwiedersehen entginge ...

So kam es, daß Jane das Ufer des Flusses, der sie dem Meere und so hoffentlich der völligen Rettung entgegentragen sollte, erreichte, als Nikolaus Rokoff nur mehr in kurzem Abstand ihrer Spur folgte.

Die junge Frau gewahrte sofort am Ufer ein größeres Boot, das zur Hälfte auf den Fluten schwamm und an einem Baum in der Nähe festgebunden war.

Sie fühlte instinktiv, daß die Frage, wie sie überhaupt den weiten Weg bis zum Meere zurücklegen sollte, nun mit einem Schlage gelöst war, wenn sie nur das große, schwerfällige Boot flott machen könne.

Also rasch das Tau vom Baum herunter, damit das Boot freikam. Mit allen Kräften suchte sie dann den Bug des schweren Bootes von der Stelle zu bringen, doch all ihr Mühen hatte nicht mehr Erfolg als wenn sie sich hätte erkühnen wollen, die Erde aus ihrer Bahn zu drängen.

Sie war schon der völligen Erschöpfung nahe, als ihr einfiel, sie könne doch das Boot in die Strömung zu bringen suchen, indem sie das Heck möglichst schwer belaste. Wenn sie dann am Bug recht herumrüttelte, würde das Boot noch am ehesten unter dem Druck der einseitigen Belastung von der Strömung erfaßt werden.

Weit und breit war jedoch kein Stein zu sehen. Schließlich fand sie allerlei Treibholz, das bei Hochwasser angespült worden war. Sie schleppte heran, soviel sich ganz hinten im Heck des Bootes unterbringen ließ.

Ein Freudenschrei entrang sich ihrer Brust, als sich mit einem Male die Erde rings um den Bug lockerte. Schon schwankte das ganze Boot auf den Fluten, doch kaum ein paar Meter stromabwärts hatte es sich wieder festgefahren.

Jane erkannte sofort, wie nun zu helfen war. Sie mußte nur immer zwischen Bug und Heck hin- und herlaufen und so die Hauptlast bald hier und bald dort einsetzen. Je nachdem würde das Boot weitertreiben oder wenigstens sofort wieder flott gemacht, wenn es von neuem im Ufersand oder Wassergestrüpp hängen geblieben war. Schließlich fand sie heraus, daß das Boot allemal ein Stück vorwärts kam, wenn sie vom Bug zum Heck hinübersprang.

Immer mehr und mehr arbeitete sich jetzt das Boot heraus, und sie war so bei der Sache, daß sie es nicht bemerkte, wie ein Mann die Dschungel durchbrach und dann an derselben Stelle, an der sie den rettenden Strom begrüßt, hinter einem mächtigen Baum ihre verzweifelten Anstrengungen lauernd verfolgte.

Ein grimmiges Lächeln lag auf seinem finsteren Gesicht. Jeder hätte gesehen, daß mit dem Mann nicht zu spaßen war ... Jetzt schien das Boot gleich frei zu sein. Jane merkte, daß der Kiel nicht mehr durch Schlinggewächse, Sand oder, was es sonst gewesen sein mochte, gefesselt war. Es galt nun, einfach mit einem der Ruder, die auf der Sohle des Bootes verstaut waren, sich von dem wenig tiefen Grund abzustoßen und so aus dem seichten Uferwasser hinauszugleiten in die freien raschen Fluten.

Sie ergriff auch sofort ein Ruder und hatte eben mit ihm in senkrechtem Stoß den Grund erreicht, als ihre Augen zufällig den Dschungelrand streiften.

Von Entsetzen gepackt, starrte sie hinüber, ein leiser Aufschrei kam über ihre Lippen: Das war ja Rokoff ...

Und da stürzte er auch schon heran. Er brüllte ihr zu, sie solle warten oder er werde sie einfach niederknallen. Er war jedoch völlig unbewaffnet, sodaß Jane sofort einleuchtete, er könne aus seiner Drohung überhaupt nicht Ernst machen.

Sie wußte anderseits aber nicht, wie seit ihrer heimlichen Flucht aus seinem Zelte Unglück auf Unglück über Rokoff hereingebrochen war, und glaubte daher, daß im nächsten Augenblick auch seine Leute auftauchen würden.

Auf jeden Fall spürte sie nicht das geringste Verlangen, je wieder diesem Schurken in die Hände zu fallen. Lieber auf der Stelle tot, als daß ihr das noch einmal passieren sollte!

Noch ein paar Sekunden, und ihr Boot mußte von der Strömung gefaßt werden. Ein anderes Boot war nicht am Ufer; auch Rokoff könnte ihr dann nicht mehr in die Quere kommen, frei war sie dann, endgültig befreit aus seinen Klauen. Und keiner – am allerwenigsten der Feigling da drüben – würde auch nur den Versuch wagen, sie in diesem Dorado der Krokodile schwimmend einzuholen!

Rokoff seinerseits beschäftigte am meisten der Gedanke, wie er selbst am schnellsten dieser Dschungelwildnis den Rücken kehren könne. All die geheimen Rachepläne, die er an Jane verwirklichen wollte, hätte er gerne zum Teufel gejagt, wenn sie ihn nur mit ins Boot nahm.

Daß er nicht eher dagewesen war!

So hatte sie nun das Boot ihm gleichsam vor der Nase weggeschnappt und damit das einzige Mittel, das schnelles und sicheres Entkommen verhieß!

Er wollte ihr eben allerhand lockende Versprechungen machen, da schien es ihm mit einem Male, als könne er sich doch noch gerade am Bug des Bootes festklammern, ehe es ihm auf immer entschwand. Wozu also erst gar noch betteln! Er würde sich zwar keine Gewissensbisse gemacht haben, die junge Frau mit schönen Versprechungen zu überschütten, die er dann doch nicht gehalten hätte. Insofern war es ja einerlei, ob er darauf verzichtete oder nicht. Er wollte indessen gleichwohl davon absehen, weil es ihm widerstrebte, auch noch um die Gunst eines Menschen zu werben, der ihm erst kürzlich ins Gesicht geschlagen und sich obendrein noch seiner rächenden Hand entzogen hatte.

Schon stand deutlich vor seinen Augen, wie er sie Tag und Nacht peinigen würde, wenn er nun mit ihr in dem schwerfälligen Boot langsam dem Meere zutriebe ...

Jane mühte sich immer noch verzweifelt, das Boot flott zu machen, doch plötzlich merkte sie, daß die Strömung mit starkem Arm ihr zu Hilfe kam. Das Boot schwankte mit einem Male, als schaukele es schon mitten auf sicherer Flut.

Noch eine Sekunde – und der Russe hätte mit seinen gierigen Tatzen das Boot erhascht. Doch es war vorbei, seine Finger griffen ins Leere.

Die junge Frau war nahe am Zusammenbrechen. Wie sollte es auch anders sein nach dieser minutenlangen unerhörten Spannung, die Geist, Körper und Nerven in gleichem Maße bis ins Mark erschüttert hatte!

Aber nun war sie, Gott sei Dank, gerettet! Ein leichter Seufzer kam wie ein stilles Gebet über ihre Lippen.

Doch plötzlich sah sie, wie sich das Gesicht des Russen, der fluchend am Ufer folgte, zu einem wild triumphierenden Lächeln verzerrte. Im selben Augenblick bückte er sich blitzschnell zur Erde und fuhr förmlich auf etwas los, was dort im Grase liegen mußte.

Janes Augen waren vor Schrecken geweitet; sie duckte sich tief in das Boot: Im letzten Moment hatte sich der Erfolg all ihrer Mühen zu furchtbarem Fehlschlag gewandelt, sie war dem Schurken Rokoff abermals auf Gnade und Ungnade in die Hände gefallen ...

Denn das, was er soeben entdeckt und blitzschnell ergriffen hatte, war das Ende des Taues, das sie vorhin vom Baume gelöst, und das vom Boot jetzt nachgeschleppt wurde ...


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