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Von allen verlassen

Als Jane wieder zum Bewußtsein kam, stand Anderssen mit dem kleinen Kind in den Armen vor ihr. Schmerz und Schrecken malten sich sofort wieder in ihren Zügen; in ihren Augen lag unendlich tiefe Trauer.

Wie ist es Ihnen jetzt? fragte Anderssen teilnehmend. Sind Sie krank?

Wo ist mein Kind ... mein Kind? schrie sie ihn an und überging seine Fragen.

Anderssen hielt ihr das häßliche Kind entgegen. Sie schüttelte den Kopf.

Das ist nicht mein Kind, erwiderte sie hastig. Sie wissen es ja ganz genau, Sie sind genau so ein Schuft wie der Russe. Anderssens blaue Augen weiteten sich. Er war wirklich wie aus allen Wolken gefallen.

Nicht Ihr Kind ...? Sie erzählten mir doch, daß Ihr Kind mit an Bord der »Kincaid« sei?

Dies da? Nein, niemals. Die Antwort klang matter. Wo ist das andere Kind ... mein Kind? Es müssen eben dann zwei auf dem Schiff gewesen sein. Dies Kind da ist mir völlig fremd.

Ein zweites Kind war nicht mit an Bord. Ich denke nur, dies hier wird schon ihr Kind sein. Merkwürdig ... Anderssen trat vor Verlegenheit von einem Bein aufs andere und ging dann unruhig auf und ab. Jane fühlte schließlich, daß sein Erstaunen echt war. Er hatte tatsächlich nicht gewußt, daß er ihr ein fremdes Kind »gerettet« hatte.

Das kleine Geschöpf fing an zu schreien, strampelte auf den Armen des Schweden, beugte sich nach vorn herunter und streckte seine Händchen der jungen Frau fast bettelnd entgegen.

Sie war gerührt, sprang mit einem leisen Ruf auf und drückte das Kleine an ihre Brust.

Ein paar Minuten weinte sie still in sich hinein. Ihr Gesicht verschwand fast in dem schmutzigen Kleidchen des Kindes. Dann schien neue Hoffnung den ersten schlimmen Kummer zu verscheuchen. Gewiß, sie war enttäuscht, statt ihres geliebten kleinen Jack dies häßliche Kind vor sich zu haben ..., aber konnte es nun nicht so sein, daß man den kleinen Jack wie durch ein Wunder im letzten Augenblick vor der Abreise der »Kincaid« aus England Rokoff entrissen hatte ...? Dann bezwangen sie wieder die bettelnden, sehnsüchtigen Augen und Händchen des winzigen Kindes, das nun so allein und ferne dem liebenden Herzen der eigenen Mutter und den Schrecken der wilden Dschungel preisgegeben schien. Und so gab sie dem armen unschuldigen Kinde alles, was nur ein fühlendes Mutterherz geben kann, wenn auch schmerzliche Enttäuschung ihr Inneres leise und immer von neuem erbeben ließ.

Haben Sie denn keine Ahnung, wem dies Kind, gehört? wandte sie sich an Anderssen.

Der schüttelte den Kopf und meinte nachdenklich: Wenn's nicht Ihr Kind ist, weiß ich keinen Rat. Rokoff sagte mir, das sei Ihr Kind, und er wird es auch dafür gehalten haben. Was soll mit dem Kind nun werden? Ich kann unmöglich zur »Kincaid« zurück. Rokoff würde mich sofort niederknallen.

Gehen Sie zurück! Gehen Sie zurück! Ich bringe Sie bis zum Meer, und ein paar Schwarze mögen Sie dann zum Schiff hinüberrudern ...

Niemals ..., schrie Jane. Nie ..., nicht um alles in der Welt! Lieber will ich elend sterben als noch einmal in die Hände dieses Schurken fallen. Nein, wir ziehen weiter und nehmen das arme kleine Ding mit. So Gott will, werden wir so oder so gerettet ...

Die Flucht durch die schreckliche Wildnis begann von neuem. Ein Halbdutzend Mosula folgten mit Proviant und den Zelten, die Anderssen wohlweislich noch von der »Kincaid« in das kleine Boot hinübergeschmuggelt hatte.

Qualvolle Tage und Nächte kamen für die junge Frau, und es schien ihr, als liege sie unter einer Last von Kummer und Herzeleid, schwer und furchtbar ... und unendlich. Sie konnte nicht sagen, ob es nun Tage oder Wochen oder Jahre waren, daß sie so durch die Dschungel zogen ... Ein einziger Lichtstrahl nur fiel gütig in diesen Abgrund ewig neuer Ängste und Sorgen: Das kleine Kind, das mit seinen Händchen sich über ihrem Herzen immer so fest an ihre sanft streichelnden Mutterhände klammerte.

Nach und nach schien es, als könne dies kleine Geschöpf ihr die Lücke schließen, die seit dem Raub ihres Jack in ihrem Herzen klaffte. Nicht ganz, das war nur natürlich, aber ihre Mutterliebe umgab doch das fremde winzige Wesen von Tag zu Tag immer mehr mit ihren schützenden und helfenden Armen. Ja, wenn sie bisweilen ihre Augen schloß, und süße Träume sie in die ersten Tage ihres Mutterglückes zurückschauen ließen, da konnte es ihr vorkommen, als sei dies kleine Geschöpfchen in ihren Armen wirklich ihr eigen Kind ...

Sie kamen einige Zeit nur sehr langsam vorwärts. Ab und zu erfuhren sie von Eingeborenen, die von der Küste nach dem Inneren des Landes auf Jagd ausgezogen waren, daß Rokoff ihnen noch nicht auf die Spur gekommen sein konnte. Diese erfreuliche Tatsache und vor allem auch die Rücksicht auf die immerhin zarte junge Frau hatten Anderssen dazu bestimmt, die Marschleistungen nicht unnötig zu steigern und so oft wie möglich zu rasten.

Der Schwede bestand darauf, daß sie ihn das Kind unterwegs tragen ließ, und auch sonst war er ihr immer und immer wieder behilflich, sobald es ihre Kräfte zu schonen galt. Die Entdeckung jener Verwechslung des Kindes hatte ihn übrigens innerlich sehr mitgenommen, und er konnte den Schmerz über seinen Irrtum nur selten verbergen. Doch da die junge Frau nun einmal immer mehr von seiner aufrichtigen und so selten ritterlichen Gesinnung überzeugt wurde, mochte sie seine fortwährenden Selbstanklagen nicht länger mehr dulden. Sie sagte es ihm auch und suchte ihn damit zu beruhigen, daß er ja nach Lage der Dinge einfach gar nichts dafür könne.

Am Abend sorgte Anderssen stets in rührender Weise für möglichst bequeme Unterkunft. Das Zelt wurde an einem günstig gewählten Platz aufgeschlagen, und die Mosula umgaben den Lagerplatz ringsum mit einem so starken und undurchdringlichen Dornenwall, wie eben sie ihn nur fertigbrachten.

Bei den Mahlzeiten bot der Schwede das denkbar Beste, was die immerhin nicht allzu reichlichen Vorräte und die Jagd hergaben. Am meisten rührte sie jedoch stets die edle Rücksicht und Höflichkeit, mit der sie der Mann umhegte.

Sie fand es geradezu wunderbar und fiel von einem Erstaunen ins andere, wenn sie sah, daß sich unter diesem so abstoßenden Äußeren alle Tage wieder ein selten vornehmer Charakter offenbarte. Ja, es schien ihr schließlich, als verwischten seine angeborene Ritterlichkeit und seine nie ermattende Fürsorge und Güte alles, was äußerlich unangenehm berührt hatte ..., als spiegele sich die ganze Liebenswürdigkeit seines Wesens nun auch deutlich in seinen Zügen. –

Sie kamen gerade etwas schneller vorwärts, als sie mit einem Male hörten, daß Rokoff schon ziemlich dicht hinter ihnen her sei und daß er ihre Marschrichtung kannte. Anderssen erstand sofort in einem Dorfe an einem Nebenfluß des Ugambi ein Boot und floh mit seiner kleinen Gesellschaft stromaufwärts.

Die Fahrt ging so rasch, daß ihnen nirgends mehr etwas von ihren Verfolgern zu Ohren kam.

Doch eines Tages hieß es das Boot verlassen, da die wilde Strömung des immer schmäler werdenden Ugambi ein Weiterkommen unmöglich machte. Sie tauchten wieder in die Dschungel unter ...

Langsam, beschwerlich und voller Gefahren war die Reise jetzt. Am zweiten Tage bekam das Kind auch noch Fieber. Anderssen wußte genau, womit das enden mußte, brachte es aber nicht über das Herz, Jane die Wahrheit zu sagen. Sah er doch, mit welcher hingebenden Liebe die junge Frau das Kind betreute, als sei es ihr eigen Fleisch und Blut. Da sich das Befinden des Kindes nicht besserte, bog Anderssen von der Hauptrichtung, die er stets genau eingehalten hatte, ab und ließ auf einer Waldlichtung am Ufer eines kleinen Flusses das Lager errichten.

Jane gönnte sich hier keinen Augenblick Ruhe. Das Kind litt, und sie suchte auf alle erdenkliche Weise zu lindern und für Erleichterungen zu sorgen. Und als ob nicht das Maß von Ängsten und Sorgen schon bis zum Rande voll gewesen wäre ... ein neuer Schlag traf sie unerwartet: Wie ein Mosula-Träger, der in der nahen Dschungel auf der Jagd gewesen war, berichtete, lagerte Rokoff mit seinen Leuten ganz in der Nähe. Er war also offenbar dicht auf ihrer Spur, so daß auch dieser abgelegene Winkel kaum noch als Versteck in Betracht kommen konnte.

Es gab nur einen Ausweg: Sofort und ohne Rücksicht auf den Zustand des Kindes aufbrechen und fliehen ... fliehen ... immer weiter ... Jane kannte auch den Russen zu genau. Sie war sich darüber klar, daß er sie im Augenblick ihrer neuen Gefangennahme von dem Kinde trennen würde. Und damit wäre das arme Geschöpfchen unrettbar dem Tode verfallen ...

Während sie sich dann auf dem schmalen und überall von Schlinggewächsen und Gestrüpp überwucherten Dschungelpfad mühsam vorarbeiteten, machten sich die Mosula-Träger einer nach dem anderen aus dem Staube. Solange sie einen Überfall des Russen und seiner Leute nicht zu fürchten hatten, waren sie recht zuverlässig, willig und freundlich gewesen; doch mochten sich in ihren Köpfen die vielerlei Nachrichten von Rokoffs Grausamkeit schließlich immer mehr zu den schrecklichsten Vorstellungen verdichtet haben, so daß die Angst vor Rokoff jetzt einfach Mut und alle guten Vorsätze über den Haufen warf.

Die drei Weißen sahen sich mit einem Male allein, und doch ging's ohne Unterbrechung weiter. Der Schwede war immer ein paar Schritte voraus und bahnte den Weg, der fast überall wieder mit der üppigen Dschungel zu einem undurchdringlichen Ganzen verschlungen schien. Jane hatte jetzt auch noch das Kind zu tragen.

Sie waren den ganzen Tag auf den Beinen. Am Spätnachmittag merkten sie, daß sie aus der Richtung gekommen sein mußten, denn sie hörten mit einem Male die Stimmen der Rokoff-Karawane, die anscheinend auf dem mühsam gebahnten Dschungelpfad ohne Schwierigkeiten folgte.

Man durfte sich nicht täuschen: Schon in wenigen Minuten würden sie über sie herfallen ... Anderssen wies also Jane sofort in den Schutz eines großen breiten Baumes und barg sie mit dem Kinde unter rasch herabgebrochenen Zweigen.

Bis zum nächsten Dorf ist es höchstens noch eine Meile, flüsterte er ihr zu. Die Mosula sagten mir das, ehe sie so plötzlich verschwanden. Ich will versuchen, den Russen von Ihrer Spur abzubringen; dann gehen Sie auf jeden Fall nach dem Dorfe. Wie ich von den Mosula hörte, ist der Häuptling auf die Weißen an sich gut zu sprechen. Das ist alles, was wir zunächst tun können.

Bald werden Sie den Häuptling dazu bewegen, daß er Sie von den Mosula ans Meer zurückbegleiten läßt, und dann ist es so gut wie sicher, daß an der Mündung des Ugambi in absehbarer Zeit einmal ein Schiff vor Anker geht ... –, und alles ist wieder gut. Leben Sie wohl und viel Glück, Lady!

Sven, wohin gehen Sie? forschte Jane ängstlich. Warum wollen Sie sich nicht auch hier verstecken und dann mit mir zum Meer zurückfliehen?

Anderssen lächelte: Ich will dem Russen erzählen, Sie seien tot. Er wird Ihnen dann nicht mehr nachstellen ...

Und weshalb können Sie denn hernach nicht wieder zu mir stoßen ...? drang sie auf ihn ein.

Anderssen schüttelte den Kopf. Ich werde Sie wohl nie wiedersehen, nachdem ich dem Russen von Ihrem Tod berichtet habe ...

Sie denken doch nicht etwa, daß er Sie tötet? fragte Jane entsetzt, und doch schien sie zu ahnen, daß dies die einzig mögliche Rache jenes großen Schuftes sein würde, weil der Schwede seine Pläne zu durchkreuzen gewagt.

Anderssen schwieg erst, dann bat er sie, sich ja ganz ruhig zu verhalten. Er zeigte dabei auf den Pfad, auf dem die Verfolger jeden Augenblick auftauchen konnten.

Meinetwegen mögen sie nur kommen, flüsterte Jane. Nie sollen Sie für mich verbluten, wenn es irgendwie in meiner Macht steht, sie daran zu hindern. Geben Sie mir Ihren Revolver, ich weiß damit umzugehen. Wenn wir zusammenhalten, werden wir ihrer schon solange Herr, bis wir irgendwie doch noch entkommen.

Unmöglich, Lady, entgegnete Anderssen. Sie würden uns beide gefangennehmen, und dann ... könnte ich Ihnen gleich gar nicht mehr helfen ... Denken Sie bitte an das Kind, Lady! Wie würden Sie beide zu leiden haben, wenn Sie einmal diesem Rokoff auf Gnade und Ungnade ausgeliefert wären! Folgen Sie deshalb meinem Rat. Und da ist mein Gewehr und die Munition. Kann sein, Sie brauchen es ...

Er schob Gewehr und Patronengurt unter das Blätterdach neben Jane. Dann war er mit einem Male fort.

Sie sah ihm nach, wie er den schmalen Pfad wieder einschlug, auf dem er den heraneilenden Safari des Russen nur zu bald begegnen mußte, und dann entschwand er bei einer Biegung ihren Blicken.

Ihr erster Gedanke war, ihm folgen, ihm nach, komme, was da wolle. Sie würde ihm schon irgendwie helfen können, sie hatte ja das Gewehr. Schrecklich auch, bloß daran zu denken, daß sie nun ohne eine einzige schützende Hand mutterseelenallein all den Gefahren der unbarmherzigen Dschungel preisgegeben sein sollte ...

Sie zwängte sich unter ihrem Blätterdach hervor. Ja, sie wollte laufen, so schnell sie die Beine trugen ... Nur den Anderssen wieder einholen ...

Als sie das Kind fester an sich drückte, fielen ihre Blicke unwillkürlich auf das arme gequälte Gesichtchen. Wie rot, wie unnatürlich sah alles aus! Sie preßte die glühenden, fieberheißen Bäckchen an ihre kühlen Wangen, ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, und dann war sie mit einem Male auf dem schmalen Dschungelpfad. Gewehr und Patronen lagen vergraben unter dem Laubwerk, das sie noch eben schützend umhüllte. Vergessen war Anderssen, vergessen Rokoff und alle Gefahren. –

Nur Angst und Sorge um dies kleine hilflose Geschöpf in ihren Armen durchbebte über allem ihr Herz in wildem Wirbel. Es war zum Wahnsinnigwerden: Das Kind in der Glut des tückischen Dschungelfiebers, und sie ratlos ... ohnmächtig ... außerstande, die Qualen dieses unschuldigen Kindes irgendwie zu lindern, wenn sie jetzt immer schlimmer würden, sooft es aus seiner teilweisen Bewußtlosigkeit zu vollem Leiden erwachte.

Wenn sie nur jemandem begegnen würde, der hier helfen könnte, einer Frau vielleicht, die selbst Kinder hatte, oder ... Plötzlich erinnerte sie sich an Anderssens Worte. Das Dorf, das Dorf mit dem freundlichen Häuptling ...? Könnte sie es nur noch erreichen, ehe es zu spät war!

Sie hatte also keine Zeit zu verlieren. Wie ein gehetztes Wild jagte sie dahin, immer in der Richtung, die ihr Anderssen bezeichnet hatte. Aus der Ferne hinter ihr vernahm sie plötzlich lautes Stimmengewirr. Ein paar Schüsse fielen, dann war alles still. Sie wußte, daß Anderssen eben auf den Russen gestoßen war ...

Eine halbe Stunde später wankte sie, zu Tode erschöpft, in ein kleines Dorf. Sofort strömten Männer, Weiber und Kinder aus den strohbedeckten Hütten und bestürmten sie mit unzähligen Fragen. Neugierde und Aufregung der Eingeborenen schienen keine Grenzen zu kennen, und dabei verstand sie nicht ein Wort, geschweige denn, daß sie hätte eine Antwort geben können.

Sie zeigte nur unter Tränen auf das Kind in ihren Armen, das jetzt zum Erbarmen wimmerte. Fieber ... Fieber ... Fieber ... war das einzige, was sie immer und immer wieder flehend hervorstammelte.

Die Schwarzen verstanden ihre Worte nicht, aber schließlich schienen sie doch den Grund ihres Kummers zu begreifen. Ein junges Weib zog Jane mit sich in ihre Hütte und mühte sich, so schlecht und recht es dort eben ging, das Kind zu beruhigen und die Qualen des nahenden Todes zu lindern.

Der Zauberdoktor erschien und kochte in einem irdenen Topf über dem eben entfachten Feuer ein seltsames Gemisch, wobei er unter fortwährendem Gemurmel allerhand unverständliche Zeichen über seinem Wundertrank oder, was es sonst sein mochte, schlug. Dann tauchte er den Schwanz eines Zebras in die Flüssigkeit und, ohne daß er dabei auf sein gleichförmiges Geleier verzichtet hätte, sprengte er die Zaubertropfen über das Gesicht des Kindes.

Als er wieder fort war, fing das Weib zu stöhnen und zu jammern an, daß Jane beinahe glaubte, die Schwarze sei verrückt geworden. Anderseits wußte sie, daß solcherlei eben der geradezu kindlichen Einfalt der Eingeborenen zuzuschreiben war, und so war sie bereit, all die entsetzlichen Stunden einer qualvoll durchwachten Nacht geduldig und stumm über sich ergehen zu lassen ...

Es mußte gegen Mitternacht gewesen sein, als plötzlich Leben in das schlummernde Dorf kam. Sie hörte lautes Stimmengewirr, doch konnte sie nicht verstehen, über was man sich eigentlich aufzuregen hatte.

Bald nahten Schritte; wie es schien, kam man auf ihre Hütte zu. Sie hockte vor dem schwach lodernden Feuer, auf ihrem Schoß das Kind, das jetzt ganz still dalag. Unter seinen halbgeöffneten Augenlidern leuchtete nur starr das Weiße hervor ...

Mit angsterfüllten Augen blickte Jane in das kleine Gesicht. Es war nicht ihr eigen Fleisch und Blut, es war nicht ihr eigen Kind, doch wie war ihr das arme, hilflose Geschöpf ans Herz gewachsen! Man hatte ihr den lieben kleinen Jack geraubt, und nun hatte sie all ihre reiche Mutterliebe über das winzige namenlose Wesen ausschütten können. O, wie hatte sie in den langen, bitteren Wochen der Gefangenschaft an Bord der »Kincaid« darunter gelitten, daß ihr dies Glück versagt gewesen ...

Sie sah, daß es jetzt mit dem Kleinen zu Ende gehen würde, und, wiewohl sie ein Schauder bei dem Gedanken an diesen Verlust durchlief, bat sie im stillen, der Tod möge nun wenigstens schnell kommen und sein so junges Opfer von den bösen Qualen und Schmerzen erlösen.

Eben noch hatte sie Schritte dicht draußen vor der Hütte gehört. Sie vernahm jetzt Flüstern und Tuscheln, und im nächsten Augenblick trat der Häuptling Maganwazam ein.

Als sie am Abend hilfesuchend im Dorfe ankam, hatte sie ihn nur flüchtig bemerkt, zumal sich vor allem die Weiber bald ihrer angenommen hatten. Man sah es ihm aber gleich an: Er war ein Wilder schlimmster Sorte, mit allen Kennzeichen der Roheit. Man brauchte nur einen Blick auf seine groben Züge zu riskieren und hatte genug für immer ...

Jane hielt ihn übrigens eher für einen Gorilla als für ein sogenanntes menschliches Wesen, und, als er sie jetzt gar ins Gespräch ziehen wollte, ließ sie ihn einfach stehen. Er rief schließlich noch jemanden von draußen herein, und sofort erschien wieder ein Schwarzer, der jedoch, gleich nach dem ersten Eindruck zu urteilen, das gerade Gegenteil von Maganwazam zu sein schien. Er mußte, wie Jane zu erkennen glaubte, jedenfalls irgendeinem anderen Negerstamme angehören.

Der Mann trat als Dolmetscher auf und von der ersten Frage an, die Maganwazam durch ihn an sie richten ließ, fühlte Jane instinktiv, daß der Wilde sie aus irgendeinem besonderen und ihr unbekannten Grunde so genau wie möglich aushorchen wollte.

War es doch zum mindesten befremdlich, daß der schwarze Kerl da auf einmal sich so lebhaft für sie interessierte. Und warum wollte er auch wissen, weshalb sie auf ihrer Flucht gerade hier in seinem Dorfe Schutz und Rast gesucht hatte?

Sie sah jedoch ein, daß es wenig Zweck hatte, ihm die Auskunft zu verweigern, und so erzählte sie ihm die volle Wahrheit. Als er dann noch fragte, ob sie schließlich am Ziel ihrer weiten Reise ihren Mann wiederzutreffen hoffe, schüttelte sie den Kopf.

Er gab ihr darauf durch den Dolmetscher den Grund seines Besuches zu so später Stunde bekannt:

Ich habe eben von einigen Männern, die drüben über dem großen Wasser ihre Heimat haben, erfahren, daß dein Mann dir auf dem Ugambi gefolgt ist. Er war nur ein paar Tagereisen hinter dir, doch wurde er kürzlich von Eingeborenen überfallen und getötet. Ich sage dir das, damit du nicht deine Zeit mit einer solch langen und beschwerlichen Reise vergeudest und am Ende vergeblich nach deinem Manne ausschaust. Kehre lieber um und lenke deine Schritte zur Küste zurück!

Jane dankte Maganwazam für seinen gutgemeinten Rat. Ihre Stimme klang gefaßt, wenn ihr auch unter diesem neuen entsetzlichen Schicksalsschlag das Blut in den Adern zu erstarren drohte.

All ihre Sinne kamen ihr mit einem Male wie abgestumpft vor, zuviel hatte sie nun über sich hereinstürzen sehen ..., es konnte nichts Schlimmeres mehr geben, alles hatte sie bis zur Neige auskosten müssen ...

Sie neigte den Kopf auf ihre Brust und starrte mit leerem Blick auf das Kind in ihrem Schoß. Maganwazam war hinausgegangen.

Nach einer Weile hörte sie wieder Schritte. Er schien zurückzukommen. Eins der Weiber, das ihr gegenüber hockte, warf trockenes Reisig in die glühende Asche des inzwischen niedergegangenen Feuers.

Es flackerte erst auf, und als es dann in hellen Flammen emporloderte, war die Hütte mit einem Male bis in den letzten Winkel in magisches Licht getaucht.

Und im Flammenschein erkannte Jane, daß das Kind tot war. Wie lange schon ...? Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen ..., es wollte ihr fast die Kehle zuschnüren ... Matt fiel ihr Kopf auf das kleine Geschöpfchen, und in stummem Schmerze drückte sie es an ihre Brust.

Erst herrschte Totenstille in der Hütte, doch bald war sie erfüllt vom Klageschrei und Heulen der schwarzen Weiber. Dann hörte sie, wie jemand sich laut räusperte und sie bei ihrem Namen rief. Jane schrak auf. Vor ihr stand höhnisch lachend Nikolaus Rokoff ...


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