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Den Ugambi hinab

Halbwegs zwischen dem Ugambi und dem Dorfe der Waganwazam stieß Tarzan auf seinen Tiertrupp, der ihm auf seiner alten Spur langsam entgegenkam.

Als Tarzan Mugambi nach dem Russen und nach seiner Frau fragte, konnte dieser sich gar nicht denken, daß die beiden irgendwo in seiner Nähe vorübergezogen seien oder gar seinen Weg gekreuzt hätten.

Es schien ihm schlechterdings unmöglich, daß zwei Menschen nicht entdeckt worden sein sollten, und wenn sie sich zehnmal abseits von der Fährte im Dickicht verborgen hätten. Dazu wären die Tiere mit ihren wunderbar scharfen Sinnen doch immer zu sehr auf dem Posten gewesen! Tarzan deutete jedoch auf die Spur der beiden, der er bisher schon gefolgt war, und wies dem Schwarzen an einigen anderen Stellen nach, daß der Mann und auch die Frau sich beim Herannahen der Tiere versteckt, ja, daß sie sogar von dort aus jede Bewegung der gefürchteten Bestien mit Angst und Spannung verfolgt haben mußten.

Zugleich stellte Tarzan allerdings auf den ersten Blick fest, daß Jane und Rokoff getrennt marschiert waren. Die Spuren ließen auch deutlich erkennen, daß die junge Frau dem Russen ein beträchtliches Stück vorausgewesen war, wenn sich auch nicht leugnen ließ, daß der Verfolger seinem Opfer schließlich immer näher gekommen sein, ja es vielleicht sogar eingeholt haben konnte. Je weiter der Affenmensch vordrang, um so mehr wurde er von der Richtigkeit seiner Vermutung überzeugt.

Anfangs hatte er ab und zu die Spuren wilder Tiere in den Fußtapfen Janes beobachtet, während er aus allen Fußtapfen Rokoffs ersah, daß er den schmalen Pfad erst nach den Raubtieren begangen haben konnte, weil die Fährten der Tiere durch feine Tritte fast verwischt waren. Doch späterhin wurden der Tierspuren immer weniger und weniger, während Janes und des Russen Fußtapfen immer klarer hervortraten.

Als Tarzan sich dann dem Strome näherte, wurde es offensichtlich, daß Rokoff nur noch ein paar hundert Meter hinter Jane hergewesen sein konnte.

Seinem Gefühl nach mußten sie jetzt alle beide nicht mehr weit von ihm entfernt sein. Ein leiser Schauer durchrann seine Glieder: Endlich, endlich würde sich alles erfüllen!

Rasch entschlossen sprang er seiner Horde voraus und schwang sich dann nach seiner altgewohnten Art oben durch die Bäume. Bald hatte er das Ufer erreicht. Es war dieselbe Stelle, an der Rokoff Jane überrascht hatte, wie sie sich damit plagte, das plumpe, schwerfällige Boot flott zu machen.

Wohl sah der Affenmensch deutlich die Fußspuren der beiden, die er suchte, aber so scharf er Umschau hielt: Weit und breit kein Boot, keine Menschenseele, auch nicht der geringste Anhaltspunkt, der ihm etwas über das Wo und Wohin der beiden hätte sagen können.

Soviel war jedoch klar: Sie mußten ein Boot bei den Eingeborenen aufgetrieben und sich auf dem Strom davongemacht haben.

Seine Blicke streiften abermals stromabwärts. Was war das? Ganz hinten schon, dicht unter den überhängenden Zweigen der Urwaldriesen, trieb ein Boot ... Er konnte gerade noch sehen, daß ein Mann im Heck saß; dann entschwand es hinter einer Biegung des Stromes seinen Blicken. Tarzans Tiertrupp war inzwischen am Ufer angelangt, doch sahen die Tiere nur noch, wie ihr Führer in schnellstem Tempo den Strom entlang jagte und dann unter geschickter Ausnutzung jeder kleinsten Bodenerhebung das breite Sumpfgelände durchquerte, das sich zwischen ihrem Standort und einem steilen Hügel in der Stromkurve dehnte. Der Hügel verwehrte natürlich auch jeden Überblick über den weiteren Verlauf des Stromes und über das, was hinter ihm vorgehen mochte. Gleichwohl war man sofort entschlossen, Tarzan zu folgen. Die schweren Affen mußten einen ziemlich großen Umweg machen, weil sie immerhin nicht beweglich genug gewesen wären, um das Sumpfgelände ohne Lebensgefahr zu durchschreiten. Sheeta schloß sich an, denn er haßte von jeher das Wasser. Und Mugambi war der letzte. Er lief, so schnell er nur konnte, um seinem großen, weißen Herrn im Notfall noch rechtzeitig beistehen zu können ...

Etwa nach einer halben Stunde hatte Tarzan die sumpfige Landzunge hinter sich. Der Marsch hatte alle seine Kräfte in Anspruch genommen, und doch erklomm er sofort die Hügelkuppe, um den Weg weiterhin abzukürzen, und eilte dann spornstreichs drüben zum Strom hinab.

Er hatte sich nicht getäuscht: Mitten auf den Fluten trieb ein Boot, und am Heck saß Nikolaus Rokoff!

Von Jane war nichts zu sehen.

Beim ersten Blick auf diesen seinen Erzfeind schoß Zornesröte in des Affenmenschen Antlitz. Purpurrot färbte sich die breite Stirnnarbe, und über seine Lippen jagte jäh der schreckengebietende Kampfruf der Affen.

Rokoff fuhr zusammen, wie dieser unheimliche, ohrenbetäubende Alarm das Schweigen der Dschungel so unerwartet durchbrach. Zähneklappernd verkroch er sich augenblicklich im Innern des Bootes und verfolgte jede Bewegung dieses Menschen, den er mehr als alles in der Welt fürchtete. Tarzan suchte gerade dicht ans Ufer heranzukommen.

Wohl wußte der Russe genau, daß sein Gegner ihm jetzt eigentlich gar nichts anhaben konnte. Allein schon dessen Anblick brachte ihn vor lauter Furcht fast zur Verzweiflung. Und als er gar noch sah, wie der weiße Riese sich unerschrocken in die Fluten stürzte, ungeachtet der tausend Gefahren, die in solchen Tropengewässern an allen Ecken und Enden drohen, – da feierte seine Feigheit Triumphe. Man hätte glauben können, er sei verrückt geworden, so unsinnig gebärdete sich dieser Feigling, der alles andere, bloß nicht der grausame Rokoff zu sein schien.

Mit regelmäßigen kräftigen Stößen arbeitete sich der Affenmensch immer näher an das rasch dahingleitende Boot heran. Rokoff erraffte eines der Ruder, die auf der Sohle des Bootes untergebracht waren, und legte sich wie ein Wahnsinniger ins Zeug, um die Geschwindigkeit des schwerfälligen Bootes noch im letzten Augenblick derart zu steigern, daß der schwimmende Tarzan einfach nicht mehr nachkommen konnte. Seine Augen blieben vor Entsetzen geweitet auf seinen Verfolger gerichtet, als sei der leibhaftige Teufel hinter ihm her. Vom jenseitigen Ufer nahte indessen ein unheimlicher Retter. Keiner sah die leichte Welle, die ihres Zieles gewiß dem halbnackten Schwimmer entgegenrollte ...

Tarzan hatte endlich das Boot eingeholt: Seine Linke umklammerte fest den Heckrand. Rokoff saß zitternd im Boot; er war außerstande, auch nur einen Finger zu krümmen, geschweige denn, sich zu wehren. Seine Augen waren starr und leer. Er erwartete anscheinend nichts als die Rache, die nun kommen mußte ...

Doch in demselben Augenblick fühlte Tarzan, wie mächtige Kinnbacken über seinem rechten Bein zusammenklappten. Er suchte sofort loszukommen und sich seitlich ins Boot hineinzuschwingen, und es wäre ihm sicher auch gelungen, hätte nicht dieser unerwartete Zwischenfall in des Russen Hirn blitzartig den Gedanken aufschießen lassen, daß rasche Tat jetzt Rettung und Rache auf einen Schlag verspräche.

Wie eine giftgeschwollene Schlange schnellte er nach dem Heck des Bootes, und schon sauste das schwere Ruder nieder auf Tarzans Haupt. Augenblicklich glitten die Finger des Affenmenschen vom Bootsrand ab.

Ein kurzer Kampf über Wasser ... die trägen Fluten in wildem Wirbel ... und ein tiefer Strudel ...

Dann quollen nur noch Luftblasen auf und zerfielen ins Nichts, sowie sie sich mit dem Wellengekräusel vermengten.

Dort war es, wo der Affen-Tarzan und Herr der Dschungel in den düsteren, gefahrenschwangeren Wassern des Ugambi den Blicken seines Feindes entschwunden war ...

Ein Schauer hatte Rokoff gepackt, und halb entkräftet sank er tief ins Boot hinab. Noch konnte er es nicht fassen, wie das Glück ihm im letzten Augenblick den rettenden Gedanken in die Brust gegeben ..., er sah nur immer noch, wie der weiße Riese in stummem Kampfe hinabgetaucht wurde, hinab auf den schlammigen Grund, hinab in den Rachen eines Todes, wie er schlimmer nicht ausgedacht werden konnte ...

Langsam ließ er dann all das an sich vorüberziehen, was er jenem Opfer des Ugambi nur zu oft drohend entgegengeschleudert, – und ein grausam rohes Lächeln verzerrte sein Gesicht: Nun war er doch gerettet; er war befreit von diesem Unmenschen, er war Sieger geblieben! –

Doch das Siegerglück sollte nicht lange währen. Er war noch immer ganz damit beschäftigt, gleichsam sich selbst zu beglückwünschen, daß er nun mit größter Wahrscheinlichkeit die Küste sicher und unbehelligt erreichen werde, als sich mit einem Male am nahen Ufer ein Höllenlärm erhob, wie er kaum je zu seinen Ohren gedrungen.

Seine Blicke schweiften sofort von neuer Angst gepeitscht nach der Dschungel: Ein Leopard, wutschnaubend, als sei er der leibhaftige Teufel, und Akuts furchtbare Affenhorde säumten das Ufer, und ganz vorne stand ein riesiger schwarzer Krieger. Der fuchtelte mit geballten Fäusten in der Luft herum und verhieß ihm unter wilden Verwünschungen den schrecklichsten Tod, den es je gegeben ...

Und nun begann die wilde Jagd. Er im Boot den Ugambi hinab, die furchtbare Horde Tag und Nacht neben ihm am Ufer. Und mochten die Bestien auch ab und zu im Labyrinth der Dschungel untergetaucht sein, als seien sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden, – nach ein paar Stunden und einmal sogar nach einem Tage hefteten sie sich wieder an seine Fersen, mit grimmigem Gebrüll und schrecklichen Gebärden, unermüdlich und unbarmherzig. Es war kein Wunder, daß der noch kürzlich so robuste Russe unter dieser fortwährenden Bedrängnis binnen weniger Tage sich gleichsam zum schwankenden Schattenbild seiner selbst verwandelte. Sein Haar war über Nacht weiß geworden. Abgezehrt und zitternd hockte er in seinem Boot, und nur der Gedanke, schließlich doch noch die Bucht und den rettenden Ozean zu erreichen, glomm wie ein halb verlöschendes Hoffnungslicht in seinem Innern und hielt ihn aufrecht.

Seine Flucht hatte ihn an dichtbevölkerten Dörfern vorübergeführt. Hier und da hatten schwarze Krieger auch sofort ihre Boote flott gemacht und versucht, ihm den Weg abzuschneiden. Aber allemal war dann gerade am Ufer die unheimliche Tierhorde aufgetaucht und hatte die zu Tode erschrockenen Eingeborenen in alle Winde zerstreut: Kreischend und schreiend hatten sie sich aus ihren Booten gestürzt und weitab in die Dschungel verkrochen.

Von Jane hatte er auch nichts zu sehen bekommen. Sie war, wie es schien, seit jenem Tage spurlos verschwunden, da er mit raschem Griff das noch an ihr Boot gefesselte Tau im letzten Augenblick mit eiserner Hand umklammerte. Damals hatte er erst geglaubt, sie nun wieder ganz in seiner Gewalt zu haben, doch dann hatte ihn die junge Frau im nächsten Moment schon aus allen Wolken gerissen: Blitzschnell hatte sie sich gebückt ..., und mit dem schweren Schnellfeuergewehr auf sein Herz gezielt ...

Wie vom Schlag gerührt hatte er das Tau losgelassen ... Das Boot trieb ab. Es war zu spät, sie hatte sich seinen Klauen entwunden.

Dann war er ein Stück stromaufwärts zurückgeeilt und an der Mündung eines kleinen Nebenflusses auf das Boot gestoßen, in dem er mit seinen Leuten vor Wochen die junge Frau und Anderssen verfolgt hatte ...

Was mochte aus Jane geworden sein?

Der Russe zweifelte nicht daran, daß sie von schwarzen Kriegern überfallen und gefangen genommen worden war. Sie hatte natürlich auch zum Meere zurück gewollt, – und da mußte sie ihr Schicksal ereilt haben. Dörfer mit Schwarzen gab es ja genug unterwegs.

Ihm war das so ganz recht, denn damit hatte er sich ja eigentlich die Mehrzahl seiner Feinde vom Halse geschafft. Wenigstens soweit sie Menschen waren ...

Anderseits hätte er alle diese nun erledigten Feinde lieber wieder ins Reich der Lebenden zurückgewünscht, wäre er nur endlich diese furchtbaren verderbendrohenden Ungeheuer los gewesen, die ihm immer und immer rücksichtslos auf den Fersen blieben und ihn stets von neuem mit Knurren und schauerlichem Gebrüll empfingen, so oft sie ihn durch das Ufergestrüpp wieder entdeckt hatten. Am schrecklichsten schien ihm der Leopard, wenn er bei Tage wie ein Teufel am Strom dahintrabte und mit weit aufgerissenem Rachen oder zähneknirschend ihn nie aus dem Auge ließ. Oder, wenn seine vor Wut und Gier funkelnden Augen aus der schwarzen Dschungelnacht über das Wasser herüberdrohten ...

Eines Tages kam die Mündung des Ugambi in Sicht, und sofort faßte Rokoff neuen Mut, denn auf den gelbschmutzigen Fluten der Bucht lag die »Kincaid« vor Anker. Er hatte damals den kleinen Dampfer weiterfahren lassen, um irgendwo Kohlen überzunehmen, während er die Verfolgung der Flüchtlinge auf dem Ugambi selbst durchführen wollte. Das Kommando war Pawlowitsch übergeben worden.

Jetzt hätte er vor Freude am liebsten laut aufgeschrien: Das Schiff war also rechtzeitig zurückgekehrt, gerade als habe man geahnt, daß er in Not war.

Er ruderte, was das Zeug hielt, und sowie er sich dem Schiff näherte, stand er ab und zu auf, schwenkte das Ruder in der Luft herum und suchte unter lautem Rufen die Aufmerksamkeit der Leute, die an Bord sein mußten, auf sich zu lenken. Doch ob er auch noch so sehr aus Leibeskräften schrie, – kein Echo kam vom Deck der »Kincaid«. Wie ausgestorben war alles dort.

Ein flüchtiger Blick nach rückwärts ließ ihn dagegen erkennen, daß der knurrende Tiertrupp am Strande angelangt war. Sofort kam ihm der Gedanke, dies Teufelspack könnte schließlich doch Mittel und Wege finden, um ihn sogar bis aufs Schiff zu verfolgen. Das wäre allerdings ausgeschlossen, sowie die zurückgelassene Mannschaft die Tiere mit einem Gewehrfeuer empfing, wie es sich gehörte.

Was mochte seinen Leuten auf der »Kincaid« nur passiert sein? Und wo steckte vor allem Pawlowitsch? Hatten sie wirklich alle das Schiff verlassen, und sollte ihn nun im letzten Augenblick doch noch das entsetzliche Schicksal ereilen, dem er sich nach all den Schrecken und Ängsten der vergangenen Tage und Nächte jetzt endlich entwunden zu haben glaubte? Fröstelnd fuhr er zusammen, als umklammere ihn schon die unerbittliche Gespensterhand des Knochenmannes ...

Doch dann hielt er wieder mit kräftigem Niederschlag in rasender Fahrt auf den Dampfer zu; Minuten schienen ihm wie Ewigkeiten, aber schließlich prallte das Boot mit dumpfem Krach auf die »Kincaid« auf. Eine Strickleiter hing von oben herab. Ein Griff, und der Russe hatte sie erfaßt. Er war eben dabei, zum rettenden Deck emporzuklimmen, als ihn ein lauter Warnungsruf nach oben blicken ließ. Er war starr. Aus der Mündung eines Gewehrs grinste ihm kalt und erbarmungslos des Todes Fratze entgegen ...

*

Jane hatte beim Bootkampf am Ugambi im letzten Augenblick das Gewehr auf Rokoffs Brust angelegt und dadurch wenigstens soviel Zeit gewonnen, daß das Boot, in das sie sich geflüchtet hatte, bis mitten in die rascheren Fluten des Ugambi hinübergleiten konnte. So war sie ihrem Verfolger glücklich entronnen.

Sie hatte auch unverzüglich das Boot in die schmale kleine Rinne gesteuert, in der die Strömung denkbar schnellste Fahrt sicherte, und auch in all den langen Tagen und Nächten, in denen sie vor Müdigkeit manchmal fast umfiel, hatte sie sich doch immer wieder jeden Vorteil der Strömung zunutze gemacht, indem sie stets rechtzeitig das Boot mit kräftigem Ruderschlag aus trägen Fluten in flinkere Wellen hinüberleitete. Nur wenn unter Tag die Tropensonne am heißesten herniederbrannte, hatte sie das Boot einmal treiben lassen und sich unter schützendem Palmendach im Boote lang hingestreckt.

Das war aber auch die einzige Ruhe, die sie sich auf der einsamen Stromfahrt gönnte. Sie suchte dann dafür das Versäumte wieder nachzuholen, indem sie sich fest in die Ruder legte ...

Rokoff dagegen hatte während seiner ganzen Fahrt auf dem Ugambi fast nie von den Vorteilen Gebrauch gemacht, die einem findigen Kopfe solch beschwerliche Stromwanderung erleichtern können. Nur zu oft war er in seichte schleichende Gewässer oder gar in Gegenströmungen und Strudel geraten, zumal er sich stets aus Angst vor der schrecklich drohenden Tierhorde möglichst nahe am entgegengesetzten Ufer hielt. Und so hatte er auch Strommündung und Bucht erst volle zwei Stunden nach Jane erreicht, wiewohl er doch ihre Verfolgung fast unmittelbar nach ihrem Verschwinden aufgenommen hatte ...

*

Als Jane beim Blick voraus ein Schiff vor Anker liegen gesehen, hatte ihr das Herz gepocht vor lauter Freude. In stillem Jubel hatte sie ein Dankgebet zum Himmel geschickt, denn Rettung und Freiheit schienen ja endlich vor ihr ausgebreitet. Doch als sie beim Näherkommen in dem Schiff die »Kincaid« erkannte, hatten sogleich die dunkelsten Ahnungen alle Hoffnung vernichtet.

Es war jedoch schon zu spät, um umzukehren, denn die reißende Strömung trieb sie mit elementarer Gewalt auf das Schiff zu. Hier hätte ihr kein Rudern geholfen, denn ihre Kräfte reichten doch nicht mehr aus, um das schwere Boot in jenem wilden Wirbel zu wenden und in den Ugambi zurückzubringen. Ihr blieb nur übrig, irgendwo am Meeresstrand die Landung zu versuchen, wenn man sie nicht schon vorher vom Deck der »Kincaid« aus gewahrte –, oder sich denen da oben auf Gnade und Ungnade auszuliefern. Sonst war sie verloren: Sie würde einfach hinausgespült in die weite unendliche See ...

Sie wußte auch, daß sie kaum hoffen konnte, an der Dschungelküste am Leben zu bleiben. Ja, wenn sie den Weg zum Dorfe der freundlichen schwarzen Mosula gefunden hätte, in das Anderssen damals mit ihr in jener stockdunklen Nacht von der »Kincaid« geflohen war!

War Rokoff nicht auf dem Dampfer, dann würde es ihr vielleicht gelingen, die Matrosen durch eine besonders hohe Belohnung zu bestechen. Es genügte ja, wenn man sie nur bis zum nächsten Hafen in irgendeiner zivilisierten Gegend brachte. Ob der Plan nun glückte oder nicht –, er war das Wagnis wert. Die Hauptsache schien jetzt, erst einmal an das Schiff heranzukommen.

Die Strömung trieb das Boot immer schneller und schneller dahin, und nur unter Anspannung aller Kräfte konnte es gelingen, den Kurs auf die »Kincaid« einigermaßen einzuhalten. Und es gelang. Doch als ihre Blicke nun hilfesuchend zum Deck des Dampfers hinüberschweiften, schien es zu ihrer großen Bestürzung völlig verlassen zu sein: Kein Lebenszeichen, alles leer ...

Näher und näher trieb das Boot, und noch immer wartete sie vergeblich, daß man sie entdeckte. Aber so gespannt sie auch mit ihren Augen das Deck absuchte: Keine Menschenseele war zu sehen. Nicht einmal im Ausguck war ein Posten. Sie hätte sonst längst den Anruf vernommen.

Und schon in den nächsten Sekunden mußte sich alles entscheiden! Die Strömung würde sie weit, weit hinaus ins Meer jagen, denn gewaltig drängte die Ebbe die Wassermassen hinaus in den weiten unendlichen Ozean. Kam kein Boot vom Schiff zu Hilfe, war sie verloren.

Die junge Frau schrie, schrie um Hilfe und Erbarmen. Doch kam kein anderer Widerhall als vom dschungelumsäumten Strande das unheimliche Gebrüll wilder Bestien. Und wieder grub Jane die Ruder mit letzter unerhörter Kraft in die widerspenstigen Fluten. Es war zum Verzweifeln ...

Einen Augenblick schien es, als müsse das Boot vorbeischießen. Um ein paar Meter nur. Doch im Bruchteil einer Sekunde hatte sie das Boot ruckartig dicht an des Dampfers Bug herangerissen und gerade noch die Ankerkette fassen können.

Ihre Finger verkrampften sich in die schweren Kettenglieder, ihre Beine stemmten sich fest gegen die Bootswand. Fast schien es, als müsse die rasende Flut im nächsten Moment ihr das Boot unter den Füßen wegzerren.

Wohl sah sie die Strickleiter von oben herunterhängen, jedoch ... unmöglich sie zu erreichen: Die Kette loslassen und den Sprung aus Leben und Tod wagen, indessen das Boot ihr unter den Füßen weggespült wurde?

Nein, hier schien kein Ausweg – denn nur zu bald mußten auch so ihre Kräfte erlahmen: Ermattet würden sich ihre Finger aus der Ankerkette lösen, und dann ...

Mit einem Male fiel ihr Blick auf das Tau, das noch immer im Boote lag. Blitzschnell wand sie es fest um die Kette. Sie konnte ausatmen. Dann gelang es ihr, das Boot bis dicht unter die Strickleiter an den Dampfer heranzubringen. Sie hing sogleich das Gewehr über die Schulter und kletterte an Deck. Mut und Entschlossenheit lagen auf ihren Zügen.

Jetzt hieß es erst einmal sehen, was hier auf dem Schiff eigentlich los war. Sie trug das Gewehr schußbereit in der Hand, um jedem Angriff sofort mit schärfsten Mitteln begegnen zu können. Es dauerte indessen gar nicht lange, und sie wußte, was es mit dem anscheinend verlassenen Schiff aus sich hatte. Sie fand zwei Matrosen, die offenbar zur Bewachung der »Kincaid« an Bord geblieben waren, völlig betrunken und in tiefstem Schlafe in einem größeren Raume unter Deck. Ein widerwärtiges Bild!

Schaudernd stieg sie wieder an Deck, doch zum Glück hatte sie noch so viel Geistesgegenwart, daß sie sofort den Lukendeckel schloß und fest verriegelte. Mochten die Kerle da unten schlafen!

Sie begab sich dann in die Kombüse, um endlich wieder etwas Kräftiges in den Magen zu bekommen. Darauf ging es sofort wieder an Deck. Sie wollte schon dafür sorgen, daß niemand die »Kincaid« wieder betrat, es sei denn, er habe sich zuvor ihren Bedingungen unterworfen.

Es verging etwa eine Stunde, ohne daß irgend etwas Verdächtiges auf dem Meere oder vom Strom her aufgetaucht wäre. Doch dann sah sie, wie plötzlich hinter der letzten Biegung des Ugambi ein Boot hervorglitt. So viel sich erkennen ließ, war es von nur einem Manne besetzt. Bald mußte sie jedoch feststellen, daß Rokoff dieser eine war. Kein Wunder also, daß ihn Janes Gewehr begrüßte, als er sein Boot beigedreht und die Strickleiter gefaßt hatte, um sich zum Deck der »Kincaid« emporzuschwingen.

*

Als der Russe erkannte, wer ihm den Zugang zum Schiff verwehrte, schäumte er vor Wut. Er konnte sich nicht genug tun mit Verwünschungen und Drohungen, doch, als er dann allmählich merkte, daß die junge Frau sich gar nichts daraus machte, und daß jeder Einschüchterungsversuch erfolglos bleiben mußte, warf er sich schließlich aufs Bitten und Versprechen.

Allein, er mochte ihr Freiheit und was sonst noch Begehrenswertes für sie in Betracht kam, in den schillerndsten Farben verheißen, sie hatte immer nur ein und dieselbe Antwort, die darauf hinauslief, daß sie sich niemals und um keinen Preis dazu überreden lassen werde, sich auf einunddemselben Schiff wie Rokoff aufzuhalten.

Sie ließ auch keinen Zweifel darüber, daß sie die Lage beherrschte und bereit war, ihre Drohung augenblicklich wahr zu machen und ihn zu erschießen, sowie er nur versuchte, seinen Aufstieg an Deck zu erzwingen. Und Rokoff mußte sich damit bescheiden, so schwer es ihm auch fiel.

Es gab keine andere Wahl. Er sprang in sein Boot zurück und landete nach äußerst schwieriger Fahrt am Strande weit unterhalb der Bucht. Der Kampf mit den Wogen, die immer heftiger zum offenen Meere hinausdrängten, war keine Kleinigkeit gewesen. Beinahe wäre er abgetrieben worden, doch schließlich war das Glück ihm wieder einmal hold gewesen, zumal er auch noch Tarzans Tieren entgangen war, die auf der entgegengesetzten Seite der Bucht brüllend und knurrend umherstreiften.

Jane war beruhigt. Sie brauchte kaum einen neuen Angriff dieses Schurken zu fürchten; denn sie wußte, daß er unmöglich sein schweres Boot wieder zur »Kincaid« zurückrudern konnte, es sei denn, es käme ihm jemand zu Hilfe. Doch da würde er lange ausschauen können ...

In den wilden Bestien, die am Strande drüben ihr Unwesen trieben, glaubte sie dieselben Gestalten wiederzuerkennen, die vor einigen Tagen weit oben am Ugambi in der Dschungel ihren Weg gekreuzt hatten; denn es war wohl unwahrscheinlich, ja, wenn man genauer nachdachte, geradezu unmöglich, daß sich solch eine eigenartige Tierbande mehr als einmal auf der Welt in voller Freiheit zueinander gesellen und gar längere Zeit miteinander vertragen konnte. Was diese Tiere überhaupt veranlaßt haben mochte, hierher nach der Strommündung vorzudringen, wo sie doch neulich gerade nach dem Innern des Landes weitergezogen waren, konnte sie sich einfach nicht vorstellen.

Als der Tag sich langsam zur Nacht hinüberneigte, wurde die junge Frau plötzlich durch laute Rufe aus ihren Gedanken aufgeschreckt. Der Russe stand drüben am jenseitigen Ufer des Stromes, und als sie seiner Blickrichtung folgte, bemerkte sie zu ihrem großen Schrecken, daß sich ein Boot auf dem Ugambi näherte. Das Boot war ziemlich groß und schien von der »Kincaid« zu stammen.

Sie war auch sofort davon überzeugt, daß die Insassen nur Matrosen von der »Kincaid« sein konnten, die in Rokoffs Abwesenheit das Schiff verlassen hatten. Kein Zweifel, sie würde es mit einem brutalen, unerbittlichen Gegner zu tun bekommen.


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