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Wilde Tiere in der Bucht

Langsam entfaltete Tarzan den Zettel, den ihm der Matrose noch in die Hand gedrückt hatte. Er las, fast ohne daß sich die dunklen Schatten, die der Schmerz der letzten Stunde über ihn geworfen, sonderlich verstärkten. Dann aber kam ihm der niederträchtige Racheplan in seinem ganzen Umfange zu Bewußtsein. Der Wortlaut des Schriftstückes war folgender:

 

Diese Zeilen sollen Ihnen Klarheit über alles geben, was ich mit Ihrem Kinde und mit Ihnen vorhabe. Sie sind als Affe geboren. Sie lebten nackt in den Dschungeln. Also, jetzt sind Sie wieder dort, wo Sie hingehören, in Ihrer Heimat. Ihr Kind aber soll schon eine Stufe höher kommen als sein Vater. Das ist unabänderliches Naturgesetz.

Der Vater ein wildes Tier, der Sohn schon ein menschliches Wesen, allerdings auf der nächsten Sprosse der Entwicklungsleiter. Kein nacktes Dschungeltier, nein, er soll Lendenschurz und kupferne Fußspangen haben, vielleicht auch einen Ring durch die Nase. Wir wollen ihn einem wilden Kannibalenstamm zur Erziehung geben.

Ich hätte Sie ja töten können, doch damit würde ich doch nur das Maß der Ihnen zugedachten und wohlverdienten Strafe vorzeitig herabgesetzt haben. Einmal tot, könnten Sie sich leider nicht mehr quälenden Gedanken über die Lage Ihres Kindes hingeben. So aber werden Sie hier in Ohnmacht dahinleben; nie werden Sie von hier entrinnen, nie werden Sie nach Ihrem Kinde suchen oder ihm helfen können. Ärgeres als den Tod werden Sie in all den Jahren Ihres Lebens erleiden, so oft Sie sich des schreckenvollen Daseins Ihres Kindes erinnern.

Dies soll ein Teil Ihrer Strafe sein, weil Sie es wagten, sich mir in den Weg zu stellen.

R. R.

 

Nachschrift: Was an Ihrer Bestrafung noch fehlt, wird Ihre Frau auf sich nehmen müssen, und zwar ab heute. Ich überlasse es Ihnen, sich das auszumalen.

Kaum hatte Tarzan dies gelesen, als ihn ein schwaches Geräusch hinter seinem Rücken ruckartig in die rauhe Wirklichkeit zurückversetzte. Fast im Augenblick schienen seine Sinne wiedererwacht zu sein. Er war wieder der Affen-Tarzan.

Eine Wendung, und vor ihm stand ein ungeheurer Affe, halb zitternd aus einem gewissen Instinkt heraus, sich vor dem Allbekannten zu sichern, halb bereit, jeden Augenblick über ihn herzufallen.

Zwei Jahre war es her, seit Tarzan mit der geretteten Gattin Urwald und Wildnis verlassen. Ein wenig wohl mochte von seiner furchtbaren Kraft inzwischen geschwunden sein, die ihn einst zum unbesieglichen Herrscher der Dschungel gemacht hatte. Viel Zeit und Mühen hatte er seinen Ländereien in Uziri widmen müssen, reich, ja überreich war das Arbeitsfeld gewesen, das sich dort seiner beinahe übermenschlichen Kraft eröffnet hatte. Aber nackt und waffenlos kämpfen sollen mit solch einem struppigen, stiernackigen Ungeheuer, wie es jetzt vor ihm stand: Nein, nicht einmal in den Jahren, da er nur die Wildnis gekannt, würde er über einen derartigen Gegner entzückt gewesen sein.

Doch was blieb ihm jetzt anderes, als dem rasenden Tiere mit den Waffen zu begegnen, die die Natur ihm verliehen!

Über des Ungetüms Schulter hinweg gewahrte Tarzan Köpfe und Schultern von zwölf oder noch mehr dieser furchtbaren Vettern urmenschlicher Wesen.

Doch wußte er wenigstens, daß die ganze Schar kaum geschlossen zum Angriff übergehen würde. Noch reichte ja der Verstand der Menschenaffen nicht so weit, um den Wert des »Alle gegen einen« überhaupt zu erfassen. Andererseits war er sich darüber im klaren, daß sie lange genug die Gebieter jener Landstriche sein mochten, denn schreckengewaltig schienen ihm ihre drohenden Fäuste und wildfletschenden Fangzähne.

Mit tiefem Geknurr stürzte jetzt das Ungetüm auf Tarzan los, doch der Affenmensch hatte gelernt! Nicht bloß, was allgemein im Reiche der Zivilisation auf den Neuling abfärbt. Auch Kampfmethoden waren ihm vertraut geworden, die das Dschungeltier nicht kannte.

Noch vor wenigen Jahren würde er roher Gewalt mit roher Gewalt begegnet sein. Jetzt wich er rasch dem anstürmenden Feinde aus. Ein Schritt seitwärts, das rasende Untier stürzte ihm nach, aber schon saß ihm ein Schlag der gewaltigen Rechten seines menschlichen Gegners in der Magengrube.

Ein Wutgeheul war die Antwort, und vor Schmerz gekrümmt sank der Menschenaffe zu Boden? Vergebens sein fast augenblickliches Bemühen, wieder auf die Beine zu kommen ...

Sein weißer Gegner war mit einer raschen Wendung auch schon zur Stelle; wie ein Habicht stieß er auf ihn nieder, und die letzten Spuren oberflächlicher Zivilisation waren in jenem Augenblicke wie ein Mantel von des englischen Lords Schultern herabgeglitten.

Mit einem Male war in ihm wieder das Dschungeltier gleichsam neu erwacht im Ringen mit einem von seinesgleichen. Mit einem Male war er wieder Tarzan, Sohn Kalas, der Menschenäffin. Und seine scharfen, weißen Zähne gruben sich tief in des Feindes zottigen Hals. Die Schlagader! Kraft ballte sich in seinen Fingern, die mächtigen Nägel von seinem Körper abzuwehren, und dann sausten sie wie ein Dampfhammer auf seinen wutschnaubenden Feind hernieder.

Ringsum standen die übrigen seines Stammes, voll Erwartung und nicht ohne eine gewisse Belustigung. Sie knurrten Beifall, so oft die Fetzen flogen, aber still wurden sie vor Entrüstung und Spannung, als der gewaltige weiße Affe auf den Rücken ihres Königs lossprang, mit straffgespannten Muskeln ihn unter den Achseln packte und auf seinen feisten Rücken niederriß. Da lag der Affenkönig in dichtem Dschungelgrase, hilflos, so sehr er sich auch unter wildem Gebrüll zur Wehr setzen mochte.

Und wie Tarzan damals vor Jahren, als er sich auf die Suche nach Geschöpfen seiner Art und Färbung gemacht hatte, jenen Terkop klein kriegte, so ging er jetzt mit demselben Griff, den ihm ein Zufall in jenem Kampfe offenbarte, auf dies neue gewaltige Ungeheuer los.

Schon mochte die kleine Schar wütender Menschenaffen das leise Knacken vernehmen, das sich unheimlich in ihres Königs schreckliches Jammergebrüll mischte.

Und dann gab es plötzlich einen Krach, als würde ein Baum, eben noch fest und trotzig in der Erde verwurzelt, vom rasenden Orkan geknickt wie ein Streichholz. Nach vorn sank das riesige Haupt, nieder auf die behaarte Brust. Schlaff die Halsmuskeln, zu Ende das Kreischen und Gebrüll ...

Die kleinen »Schweinsaugen« der Zuschauer wanderten unschlüssig von ihres Führers regungslosem Körper zu dem weißen Affen. Der erhob sich und trat zur Seite. Und dann bohrten sich ihre Blicke wieder in die Gestalt ihres Königs, gleich als wunderten sie sich, warum er nicht aufspränge und diesen vermessenen Fremdling niederschlüge.

Sie sahen, wie der Neuling seinen Fuß in den Nacken seines Gegners setzte, – und der zuckte sich nicht! Tarzan warf mit einem Ruck sein Haupt zurück, und unsagbar wild entquoll seiner Kehle der gewaltige Affen-Ruf. Da wußten sie: der König war tot.

Und weithin trug die Dschungel jenen schrecklichen Siegerruf. Das Schnattern der kleinen Affen in den Baumkronen verstummte, es schwiegen die Stimmen der buntgefiederten Vogelwelt, und von fern her kam eines Leoparden klagende Antwort und das tiefe Brüllen eines Löwen.

Der alte Tarzan war's, der seine Augen jetzt fragend auf diesen kleinen Affentrupp vor sich richtete. Der alte Tarzan, wie er jetzt sein Haupt schüttelte, als hätte er die Fülle seines Haares aus dem Gesichte zurückzuwerfen: Eine alte Gewohnheit aus den Tagen, da ihm das Haar in dichten schwarzen Strähnen bis auf die Schultern herabhing und ihm gar oft den freien Blick zu nehmen drohte, wenn es auf Leben und Tod ging.

Tarzan wußte, daß er mit sofortigem Angriff von einem der Überlebenden – es schien ihm, als sei dieser ganz besonders gut gebaut, ja als hielte er sich allein zum Kampfe um die Königswürde seines Stammes berufen – zu rechnen hatte. Es war ihm aber auch von früher her in der Erinnerung, daß man einen völlig Fremden bisweilen in die Stammesgemeinschaft aufnahm, ja daß dieser sich nach Erledigung des Königs sogar zum Stammesgebieter und Oberhaupt der alten königlichen Familie aufschwingen konnte.

Wenn er anderseits jetzt ihnen nicht zu folgen suchte, würden sie sich vielleicht auch wegschleichen, fort aus seinem Bereiche, und dann nur untereinander um die Führerschaft kämpfen ... Daß er ihr König sein könne, wenn er nur wollte, soviel war ihm klar; nicht aber, ob er auch die mancherlei lästigen Pflichten, die notwendig mit dieser Würde zusammenhingen, auf sich nehmen wollte. Denn darin lag ja wohl kein besonderer Vorteil.

Der Affe, noch jung, aber mit furchtbaren Muskeln gerüstet, rückte näher an ihn heran. Aus dem weitgeöffneten Munde blitzten stattliche Fangzähne, und ein tiefes, unwilliges Brummen ließ sich hören.

Wie in Stein gemeißelt stand Tarzan da. Keine Regung seines Gegenüber schien ihm zu entgehen. Einen Schritt zurückweichen? Oder sich vorstürzen? Beides würde wohl nur einen unmittelbaren Angriff auslösen, dachte er. Oder? Könnte er nicht auch so den Kampflustigen in die Flucht schlagen? Nun, das hinge eben alles von des jungen Affen Mut ab.

Ruhiges Abwarten schien ihm also der rechte Mittelweg zu sein. Brummend und zähnefletschend würde der Affe bis dicht an ihn herankommen, so fingen sie ja gewöhnlich an; er würde sich dann ganz vorsichtig um ihn herumzuschleichen suchen, immer darauf aus, seine Schulter zu packen. Und so kam es auch.

Sollte das ein besonders königlicher Trick sein, oder würde eine plötzliche Regung der immer unbeständigen Affennatur plötzlich und ohne jeden warnenden Laut den zottigen Koloß wie einen reißenden Wolf über seinen Gegner hereinbrechen lassen?

Das Ungeheuer kreiste. Tarzans Augen wichen keine Sekunde von ihm, denn, so jung es sein mochte: Es schien ihm vollauf ebenbürtig dem eben verendeten Stammeshaupt, ihm dünkte, es würde eines Tages ohnehin auch über jenen hergefallen sein. Wie wunderbar die Formen dieses Untiers, wie es so dastand und die kurzen gekrümmten Beine mit dem wuchtigen Leibe um mehr als zwei Meter überragte! Selbst in dieser Haltung reichten seine großen, dicht behaarten Arme bis zur Erde, und wie lang und scharf schienen gar die Fangzähne, als sie jetzt sich drohend Tarzans Gesicht zuwandten!

Nur wenig Unterschied glaubte Tarzan zwischen diesem Stamm hier und den Affen, bei denen er seine Jugend zugebracht, zu bemerken.

Zuerst, als Tarzan die zottigen Menschenaffen gewahrte, war es ihm wie ein Hoffnungsschimmer vorgekommen: Vielleicht hatte ihn doch die Laune irgendeines unergründlichen Schicksals nun gerade zu seinem alten Stamme zurückgeführt? Aber als er jetzt näher hinsah, war er überzeugt, daß ihm hier doch andere gegenüberstanden.

Unermüdlich kreiste das Ungetüm weiter, hartnäckig blieb es in seiner drohenden Haltung, und ab und zu schien es jetzt zu einem plötzlichen Vorstoß anzusehen. Als wären sie zwei Hunde, die einander zum ersten Male in den Weg liefen, so kam es ihm vor. Dann fiel ihm mit einem Male ein, daß er doch probieren müsse, ob eigentlich die Sprache dieses Affenstammes irgend etwas Gemeinsames mit der seiner alten Genossen aufweise. Und so wandte er sich in Kerschaks wohlbekannten Lauten an sein Gegenüber.

Wer bist du? fragte er. Wer wagt sich gegen den Affen-Tarzan?

Überraschung flammte in des struppigen Ungeheuers Augen auf.

Akut bin ich, kam die Antwort von drüben.

Wie Tarzan vermutet: Ganz die gleichen ureinfachen Laute, wie die seines alten Stammes, bei dem er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens zugebracht! So wenig entwickelt jedes Wort, daß es gar nicht anders sein konnte.

Akut bin ich, sagte der Affe. Molak ist tot, jetzt bin ich der König. Fort mit dir, oder ich werde dich töten.

Du sahst, wie leicht ich Molak tötete, erwiderte Tarzan. Verlangte ich König zu sein, ginge es dir ebenso. Aber der Affen-Tarzan will nicht über den Stamm Akuts herrschen. Nichts weiter will er als friedlich leben in seinem Lande. Wir wollen Freunde sein. Der Affen-Tarzan kann euch helfen, ihr könnt dem Affen-Tarzan helfen.

Du kannst Akut nicht töten, entgegnete der andere. Niemand ist so groß wie Akut. Hättest du Molak nicht getötet, würde Akut es getan haben, denn Akut war gerüstet, die Macht an sich zu reißen.

Der Affenmensch antwortete hierauf nur mit einem mächtigen Sprung nach dem Gegner, dessen Wachsamkeit während dieses Wortwechsels nachgelassen hatte.

Im Bruchteil eines Augenblicks hatte der Weiße den Riesenaffen am Handgelenk gepackt und, ehe der sich irgendwie zur Wehr setzen konnte, im Wirbel herumgerissen. Sogleich auch schwang er sich auf dessen breiten Nacken und begann ihn am Halse zu würgen.

Und wie er einst Terkop sich für Tod oder Leben entscheiden ließ, so bot Tarzan jetzt Akut die Wahl zwischen Sein oder Nichtsein; denn er fühlte, daß jener ihm vielleicht als mächtiger Verbündeter schließlich einmal nützen könne. Einen anderen Ausweg gab es nicht: Akut in Freundschaft mit ihm oder – tot, genau so ins Jenseits befördert wie er es eben bei seinem bisher unbesiegten König gesehen hatte.

»Ka-goda?« raunte Tarzan dem Affen zu.

Dieselbe Frage hatte er einst an Terkop gerichtet. In der Affensprache bedeutete das soviel wie: Ergibst du dich?

Akut dämmerte auf, wie er vorhin Molaks Wirbel krachen gehört, und ein eisiges Schaudern überlief ihn.

Er zögerte noch. Sollte er so auf sein Königsrecht verzichten? Doch alle Befreiungsversuche waren vergeblich. Ein plötzlich verstärkter Druck auf sein Genick zwang das »Ka-goda!« von des zu Tode Gequälten Lippen.

Tarzan lockerte ein wenig die eiserne Klammer. Akut, du sollst König sein, sagte er. Sagte Tarzan dir nicht, daß ihn nicht nach der Königswürde verlangt? So oft nur jemand dein Recht anzutasten sucht: Tarzan wird dir ein Helfer im Streite sein.

Der Affenmensch erhob sich, und Akut kam langsam wieder in die Höhe. Zornig schüttelte er sein Haupt und trottete zu seinen Stammesgenossen. Er musterte einen nach dem andern, besonders die stärkeren unter ihnen; vielleicht, daß er auch dort einen Rivalen fürchtete?

Aber keiner rührte sich, sie wichen ihm förmlich aus und verschwanden fast augenblicklich in der Richtung, aus der sie gekommen, zurück in die Dschungel ... Und Tarzan war wieder allein am Strande.

Die Wunden, die Molak ihm geschlagen, schmerzten wohl etwas, doch was kümmerte ihn das? Gelassen und tapfer ertrug er es, wie die wilden Tiere auch. Die hatten ihn gelehrt, in der Dschungel so zu leben, wie es alle taten, die dort ihre Heimat hatten.

Vor allem brauchte er jetzt freilich Waffen zu Angriff und Abwehr; das war ihm klar. Genugsam war er gewarnt: Der Zwischenfall mit den Affen und das wilde, wenn auch noch ferne Brüllen Numas, des Löwen, und Sheetas, des Leoparden! Wohlbehagen und bequeme Sicherheit würde es hier fürs erste nicht geben.

Ja, das war einfach Rückkehr zu seinem alten Leben, zu immer neuen Gefahren, zu Jagen und Gejagtwerden. Furchtbare Tiere würden sich an ihn heranschleichen, ganz wie damals, und niemals – nicht bei hellichtem Tage noch in stockdunklen Nächten – würde er jene einfachen Waffen beiseitelegen können, die er sich jetzt wieder mit bloßer Hand aus dem, was die Natur zu bieten hatte, zurechtbasteln mußte.

Am Strande stieß er auf ein halbverwittertes brüchiges Felsstück; unter unsäglichen Mühen und nach vielen Fehlschlägen gelang es ihm, ein schmales Stück gleichsam herabzusplittern: Etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang war es und dabei nur etwa dreiviertel Zentimeter im Durchmesser. Nach dem einen Ende zu verjüngte es sich fast zu einer richtigen Spitze: kein Zweifel, er hatte ein Ding, das die Dienste eines Messers versehen konnte. Nun ging's auf die Suche in die Dschungel. Da war ein Hartholzbaum irgendwo vom Sturme zu Fall gebracht! Ein schmaler, gutgewachsener Ast wurde mit der leider recht stumpfen Waffe abgesägt. Dann bohrte er ein enges rundes Loch in den Stamm des Waldriesen und stopfte trockene Borkensplitter hinein. Rittlings auf dem Stamme sitzend, führte er nun seinen Stab mit der Spitze in die Höhlung und drehte ihn in raschem Wirbel zwischen den dicht und doch lose angelegten Handflächen hin und her.

Nicht lange, da ringelte leichter blauer Rauch aus dem Zunder hervor, und einen Augenblick später schon loderte ein helles Flämmchen. Ein paar Zweige und dürre Äste nährten das Feuer, und bald sah Tarzan, wie es sich in des Baumes morscher Höhle immer mehr entfaltete.

In diesen Flammen ließ er von seiner Messerklinge, die er hin und wieder befeuchtete, kleine Teile absplittern.

Auf solche Weise wollte er seinem allzu unfertigen Jagdmesser eine einigermaßen scharfe Schneide geben.

Nicht auf einmal würde ihm dies Kunststück gelingen, das wußte er, und so war er heilfroh, als er endlich wenigstens eine scharfe Schneidefläche von etwa zehn Zentimeter Länge geschaffen hatte. Nun konnte er das Messer besser brauchen und schnitt sich damit denn auch gleich einen langen elastischen Bogen, einen Messergriff, einen handfesten Knüttel und viele Pfeile zurecht.

In den Zweigen eines mächtigen Baumes, der in der Nähe eines kleinen Flusses gen Himmel ragte, barg er dies alles und richtete sich dort oben ein von Palmenblättern überdachtes Lager her.

Schon krochen die Schatten der Dämmerung herauf. Tarzan verspürte heftigen Hunger.

Während eines kurzen Abstechers über den Fluß entdeckte er in einiger Entfernung von seinem Baume eine Tränke, wo sich – nach den Fußspuren im schlammigen Boden zu urteilen – eine Fülle der verschiedensten Tiere regelmäßig tummelten. Dorthin trieb der Hunger den Affenmenschen.

Er schwang sich leicht und behende wie ein Äffchen durch die Baumkronen, und, so schwer auch alles, was er in den letzten Tagen und Wochen erlebt, auf seinem Inneren lastete, er empfand es doch als ein Glück, der alten Freiheit seiner Jugendjahre wiedergegeben zu sein. Augenblicklich verfiel er wieder in die tausenderlei kleinen Gewohnheiten zurück, die wohl in Wirklichkeit mehr ein Teil seiner selbst waren als jene dünne Tünche, die wenige Jahre der Zivilisation und Gemeinschaft mit der weißen Welt über ihn gezogen hatten. Ja, ein dünner Anstrich war es wohl nur gewesen, der die Ecken und Kanten dieses Tiermenschen, der sich Affen-Tarzan nannte, überdeckt hatte.

Mäuschenstill duckte er sich jetzt im unteren Geäst eines Baumriesen dicht über dem Wildpfad, seine scharfen Augen bohrten sich in das Dickicht, aus dem jeden Augenblick sein Opfer und damit das erwünschte Nachtessen hervorbrechen konnte.

Er brauchte nicht lange zu warten.

Kaum hatte er es sich auf seinem Baumsitz ein wenig bequem gemacht und die gelenkigen Beine dicht an den Körper herangezogen, da duckte sich unten auch schon der Löwe zum Sprunge, denn Bara, der Hirsch, war zur Tränke unterwegs, um endlich den Durst zu stillen.

Doch nicht Bara allein. Andere folgten ihm, von denen Bara nichts ahnte.

Tarzan aber entging von seinem erhöhten Hinterhalte aus keine Bewegung. Er wußte genau, was es mit dem auf sich hatte, der sich immer etwa hundert Meter hinter dem arglosen Tiere durch das Dschungelgestrüpp vorarbeitete: Irgendein Raubtier war es, das ebenso beutehungrig wie Tarzan dem flinken Bara nachstellte. Aber wer?

Numa vielleicht? Oder Sheeta, der Leopard?

Es könnte noch so werden, dachte Tarzan, daß ihm seine Mahlzeit entschlüpfte, wenn Bara jetzt nicht etwas schneller zur Tränke zog.

Und es kam auch so. Der Hirsch mochte irgendwie seinen Verfolger gewittert haben, denn plötzlich hielt er zitternd inne und brach dann in blitzschneller Wendung gerade auf den Fluß und auf Tarzan zu durch das Dickicht. Er wollte durch die seichte Furt das andere Ufer gewinnen; drüben würde er dann dem Verfolger entschwinden.

Kaum hundert Meter war Numa hinter ihm.

Tarzan konnte den Löwen jetzt deutlich sehen, Bara jagte gerade direkt unter dem Baumsitz vorüber.

Sollte er es wagen? Und noch hatte der hungrige Tarzan sich diese stumme Frage nicht recht beantwortet, da schwang er sich auch schon von seinem Sitz herab, direkt auf den gehetzten Hirsch. Im nächsten Augenblick würde Numa sich auf sie beide stürzen, schoß es dem Affenmenschen durch den Kopf, und wollte er heute und überhaupt je wieder etwas zu beißen bekommen, so hieß es rasch handeln.

Kaum hatte der Hirsch ihn auf seinem glatten, weichen Fell verspürt, brach er auch schon auf die Knie nieder. Tarzan aber packte ihn am Geweih und riß ihm mit einem einzigen blitzschnellen Ruck den Kopf herum, bis das Genick krachte.

Wütend brüllte der Löwe hinter ihm ... Den Hirsch gepackt und dann hinauf auf den nächsten starken Ast, das war für Tarzan das Werk weniger Augenblicke.

Gerade als Numa im Sprunge heranschnellte, konnte er sich und seine Beute aus dem Bereich der furchtbaren Tatzen retten.

Dumpf dröhnend fiel das betrogene Katzentier zu Boden. Der Affen-Tarzan aber brachte seinen »Braten« weiter nach oben ins Geäst. Da war er sicher. Und dann schaute er mit spöttischem Lächeln auf das Raubtier, das mit seinen funkelnden gelben Augen von unten heraufstarrte. Wie ein Junge konnte er sich nicht genug damit tun, die leckere Beute seinem Gegner zu zeigen. Dann ging er schmunzelnd an seine Mahlzeit, während der Löwe unten knurrend auf und ab trottete. Es schmeckte Tarzan wieder einmal ausgezeichnet.

Gesättigt verwahrte er die Reste seiner Beute auf einer hohen Astgabel seines Baumes und eilte dann, vom rachedurstigen Numa noch lange verfolgt, durch die Baumkronen zurück zu seinem Baumlager. Dort schlief er, bis die Sonne wieder hoch am Himmel stand.


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