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An einen Theologiestudenten

Basel, 31. August 1894

Verehrter Herr! Herzlichen Dank für Ihren Brief von gestern! Es ist so tröstlich zu erfahren, daß man die Zuhörer nicht umsonst auf die reichen Auen der großen Kunst hingewiesen hat und daß die schwachen Worte, die man hat sagen können, eine Art Erfüllung gefunden haben. Ich sehe nun, daß Sie der Kunst als einer Ergänzung alles Geistigen auf immer zugewandt bleiben werden, und sie gehört doch wahrhaftig zu den tröstlichsten Dingen, welche dieses arme Erdenleben begleiten können. Auch hat das in so manchem Betracht eher bedenkliche heutige Weltalter auch seine besonderen Vorteile: bis in einigen Jahren werden wohlfeile Photographien, welche zugleich gut sein können, alle Erinnerungen festhalten helfen, gerade wie die Klassiker aller Literaturen und die Klavierauszüge aller großen Komponisten auf eine Weise zugänglich werden, von welcher zu den Zeiten unserer Jugend nicht von ferne die Rede war. (Ich meine die Vokalkompositionen, an welche sich ja doch die lebendigsten Erinnerungen knüpfen.) Es kommt ja nicht darauf an, daß man alles habe, sondern nur darauf, daß wichtige Erinnerungen bis spät im Leben stets wieder können aufgefrischt werden, denn es ist kaum zu glauben, über wie manches man mit den Jahren noch froh wird. Berlin kann Ihnen nun unendlich vieles bieten, und vielleicht finden Sie dort auch ähnlich künstlerisch gesinnte Genossen.

Mein Befinden ist leider eher mangelhaft, so daß ich mich in Briefen allmählich kurz fassen muß. Ich will aber nicht klagen, solange ich noch Auge, Ohr und Gedächtnis besitze.

Und nun leben Sie wohl, und freuen Sie sich auf die bevorstehende Herbstreise. Ihnen insbesondere gönne ich alles Gute, schon weil ich Ihrer freundlichen Gefälligkeit den freien Genuß des letzten Konzertes verdanke, dem ich auf dieser Erde beigewohnt habe.

In dauernder Erinnerung Ihr in Hochachtung ergebener

J. Burckhardt


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