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An Paul Heyse

Basel, 13. August 1852

Liebster Paule! Durch einen reisenden Privatdozenten aus Bonn, den ich gestern hier traf und dessen Namen ich nicht erfragen mochte, erfuhr ich Deine Adresse und Deine Anwesenheit in Baden-Baden, wovon mir schon Kugler geschrieben hatte. Ich bitte Dich, komm wieder bei mir vorbei, ich kann Dir alle möglichen schönen Tröste nach Italien mit auf den Weg geben. Und noch eins vor allem: Kannst Du irgend schon den September auf Italien wenden, so tue dies um jeden Preis, ad ogni costo, denn der Herbst ist dort die schöne Zeit, und Rom ohne den Oktober ist nicht das vollständige Rom. Laß Vevey Vevey sein und gehe über den Simplon! O wenn ich könnte, wie wollte ich unserer Zone des ewigen Regens entrinnen! Aber die Stunde meiner Befreiung wird ja auch noch schlagen. – Denke, vom Lago Maggiore aus kann man in drei Tagen in Rom sein. Freilich wer klüger ist, nimmt einen Monat dazu und noch besser zwei. Ich merke, daß Du inzwischen in Poeticis ein großes Tier geworden bist und den Leuten schlaflose Nächte machest. Siehe aber, wie ich in der Literatur zurück bin; das Neueste, was ich von Dir kenne, sind die schönen Sachen im Musenalmanach auf 1852. Inzwischen höre ich von großen erzählenden Gedichten – eine Gattung, woran ich armes Worm für meine Person schon so lange verzweifelt habe. Und doch mache ich immer wieder Pläne der Art und zerreiße sie pflichtschuldigst. Auch sonst bleibe ich mannigfach im Probieren stecken, weil leider Gottes meine (richtige oder unrichtige) ästhetische Einsicht die Begabung überwiegt. Man wird mit den Jahren unmäßig bedenklich und verschwendet keine Kraft mehr an Ausführung von Plänen, in welchen man Grundfehler entdeckt.

Ich habe seit einiger Zeit in meinen Ansichten von der Kunst (en bloc gesprochen) eine langsame ganze Wendung gemacht, wovon viel zu reden sein wird, wenn Du bei mir bist. Ich hätte nicht geglaubt, daß ein so alter, verrotteter Kunsthistoriker wie ich, der sich einbildete, alle Standpunkte und Epochen in ihrem Werte gelten zu lassen, zuletzt noch so einseitig werden könnte, wie ich bin. Es fällt mir aber wie Schuppen von den Augen, und ich sage zu mir wie Sankt Remigius zu Chlodwig: incende quod adorasti, et adora quod incendisti. Im ganzen sind es die römischen Elegiker, die mir einen Hauptstoß gegeben haben, ich kanns nur nicht wiedergeben, und es bleibt beim guten Meinen und Wollen. Ich habe auch allerlei Griechisches gelesen und Italienisches del buon secolo. Zu der ganzen Operation gehört außerdem, daß man die Augen fest zumache gegen alle jetzt gepredigte Ästhetik, namentlich gegen Robert Prutz im Deutschen Museum, welcher ein Tendenzreiter bleiben wird bis an das Ende seiner Tage.

Doch von diesen Dingen ein Mehreres mündlich. – Es ist für mich die höchste Zeit, von dem allgemeinen, falsch-objektiven Geltenlassen von allem und jedem endlich frei und wieder recht intolerant zu werden. Für die Geschichte behalte

ich mir doch immer ein Ventil offen. Es läßt sich aber auch über die Geschichtsforschung und die Art, wie sie jetzt betrieben wird, ein Wort reden, und ich habe allmählich ein Recht dazu.

Komm nur, Junge, ich habe den ganzen Kragen voll. – Diesen Brief frankiere ich nicht, damit er gleich morgen früh abgehe.

Komm! und bringe etwas mit, um es mir zu zeigen, vor allem Deine sehr werte, teure, kostbare Person.

In Treuen Dein

J. Burckhardt


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