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An Hermann Schauenburg

Basel, 28. Februar 1846

Herzjunge! In vierthalb Wochen geh ich nach Rom, habe Dir seit ebensoviel Monaten nicht geantwortet, möchte gern noch ein gut Wort von Dir mit auf die Reise, darum ist es die höchste Zeit, ich schreibe Dir jetzt.

Ihr Wetterkerle wettet Euch immer tiefer in diese heillose Zeit hinein – ich dagegen bin ganz im stillen, aber komplett mit ihr überworfen und entweiche ihr deshalb in den schönen faulen Süden, der der Geschichte abgestorben ist und als stilles, wunderbares Grabmonument mich Modernitätsmüden mit seinem altertümlichen Schauer erfrischen soll. Ja, ich will ihnen allen entweichen, den Radikalen, Kommunisten, Industriellen, Hochgebildeten, Anspruchsvollen, Reflektierenden, Abstrakten, Absoluten, Philosophen, Sophisten, Staatsfanatikern, Idealisten, anern und iten aller Art – bloß die Jesuiten werden mir wieder jenseits begegnen und von den uten bloß die Absoluten; Fremdlinge pflegen ihnen jedoch auszuweichen. Jenseits der Berge muß ich mit Leben und Poesie neue Beziehungen knüpfen, wenn aus mir fürderhin etwas werden soll; denn mit dem jetzigen Zustand aller Dinge bin ich innerlich brouilliert – ganz im stillen, ohne irgendeinen besonderen Verdruß, ganz allmählich hat der Tropfen den Stein ausgehöhlt, bis ich endlich inne wurde: es tuts nicht mehr. Ich bleibe wahrscheinlich ein Jahr im Süden, Du sollst Nachrichten von mir haben, und was für! Vielleicht schickt mir unser Herrgott ein barmherziges Fieberchen, das dem unruhigen Kopf ein Ende macht – gut, ich habe auch nichts dagegen, vogue la galère! auch wenn es Charons Nachen ist. Das dunkle Schicksal meint es oft gut mit uns: ›Duc me, parens, celsique dominator poli!‹

Ich bin noch selten in so wundersamer Stimmung gewesen wie eben jetzt – es ist wiederum jener Traum von dem alten Schlosse, von wo aus man in die prächtige Abendlandschaft hinaussieht, eine geheimnisvolle Zukunft winkt – ach, wär es doch ein früher, lustiger Tod recht mitten aus dem Leben heraus und nicht das alltägliche sentimentale Verenden im Kreise von Kindern und Kindeskindern! Ich ahne so halb und halb, daß mein Geist in Italien wieder die rechte stählerne Spannkraft erhalten und etwas Rechtes produzieren wird – warum es Dir nicht sagen? Der Poet wird jetzt erst aufwachen.

Ach, lieber Junge, Freiheit und Staat haben an mir nicht viel verloren. Mit Menschen, wie ich einer bin, baut man überhaupt keinen Staat; dafür will ich, solange ich lebe, gegen meine Umgebung gut und teilnehmend sein; ich will ein guter Privatmensch, ein liebreicher Kumpan, eine vortreffliche Seele sein, dafür habe ich ein Talent, und das will ich ausbilden. Mit der Gesellschaft im großen kann ich nichts mehr anfangen; ich verhalte mich gegen sie unwillkürlich ironisch; das Detail ist meine Sache. Bildung und Routine besitze ich nun genug, um mich im Notfall auch der höheren Politik gegenüber durchzubringen, nur mitmachen will ich nicht mehr, wenigstens in unserer hierländischen Konfusion nicht. Du kannst nun böse sein, solange Du willst, ich will Dich schon wieder einfangen und zu mir an mein Herz ziehen, glaub nur!

5. März

Teufel, wie ist der Brief lange liegen geblieben! Mir schwirrte seitdem beständig der Kopf von noch zu vollendenden Arbeiten, Kollegien usw.; ich bin nicht mehr mein eigener Herr– morgen zwei Stunden lesen, fünfzehn Artikel für das Konversationslexikon arbeiten und heute Hals über Kopf präparieren und anderer Dreck! – Ich muß schnell schließen, nur damit der Brief nicht noch einen Tag liegen bleibe.

Lieber Sohn, ich glaube in Euern Augen einen stillen Vorwurf zu lesen, weil ich so leichtfertig der südländischen Schwelgerei, als da sind Kunst und Altertum, nachgehe, während die Welt in Geburtswehen liegt, während es in Polen an allen Enden kracht und die Vorboten des sozialen Jüngsten Tages vor der Tür sind. In Gottes Namen! Ändern kann ichs doch nicht, und ehe die allgemeine Barbarei (denn anderes sehe ich zunächst nicht vor) hereinbricht, will ich noch ein rechtes Auge voll aristokratischer Bildungsschwelgerei zu mir nehmen, um dereinst, wenn die soziale Revolution sich einen Augenblick ausgetobt hat, bei der unvermeidlichen Restauration tätig sein zu können – ›so der Herr will und wir leben‹, versteht sich. Ihr werdet sehen, welche sauberen Geister in den nächsten zwanzig Jahren aus dem Boden steigen werden! Was jetzt vor dem Vorhang herumhüpft, die kommunistischen Dichter und Maler und dergleichen, sind bloß die Bajazzi, welche das Publikum vorläufig disponieren. Ihr alle wißt noch nicht, was Volk ist und wie leicht das Volk in barbarischen Pöbel umschlägt. Ihr wißt nicht, welche Tyrannei über den Geist ausgeübt werden wird, unter dem Vorwand, daß die Bildung eine geheime Verbündete des Kapitals sei, das man zernichten müsse. Ganz närrisch kommen mir diejenigen vor, welche verhoffen, durch ihre Philosopheme die Bewegung leiten und im rechten Gleise erhalten zu können. Sie sind die feuillants der bevorstehenden Bewegung; letztere aber wird sich so gut wie die Französische Revolution in Gestalt eines Naturereignisses entwickeln und alles an sich ziehen, was die menschliche Natur Höllisches in sich hat. Ich möchte diese Zeiten nicht mehr erleben, wenn ich nicht dazu verpflichtet wäre; denn ich will retten helfen, soviel meines schwachen Ortes ist. Für Dich ist mir gar nicht bange; ich weiß zu gut, auf welche Seite Dich die Ereignisse stellen werden. Untergehen können wir alle; ich aber will mir wenigstens das Interesse aussuchen, für welches ich untergehen soll, nämlich die Bildung Alteuropas. Mir ist, als würden wir uns, wenn die Tage kommen, in einer und derselbigen heiligen Schar wieder antreffen. Schüttle die Illusionen von Dir, mein Hermann! Gewiß wird aus den Stürmen ein neues Dasein auf ganz neuen, das heißt aus Altem und Neuem gemischten Grundlagen hervorgehen; dort wird Dein Platz sein, nicht im Vordergrunde des wüsten Treibens. Neugestalten helfen, wenn die Krisis vorüber ist, das ist wohl unser beider Bestimmung.

Von Rom aus schreib ich Dir wieder. Ich reise den 23. d. von hier ab; o gib mir vorher noch ein Zeichen alter Liebe.

Und nun laß meinen guten Genius walten. Ich weiß wohl, in aller Herrlichkeit Italiens wird mich stündlich das Heimweh nach Dir begleiten. Leb wohl. Dein Eminus


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