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An Max Alioth

Mailand, den 23. August 1876

Zu allervörderst meinen schönsten Dank für die nach Venedig gesandte Epistel, welche ein höchst erwünschtes Lebenszeichen war und ein lebendiger Beweis, daß Basel annoch steht, wo es stand. – Einstweilen bin ich mit G.s Hilfe in Venedig und weiteres sehr vergnügt gewesen und habe ihm Padua, Vicenza, Mantua, Brescia und Bergamo expliziert, und seit vorgestern abend stehlen wir dem Herrgott die Zeit hier in Mailand. G. ist geduldig und von großer Güte, verlangt aber von Zeit zu Zeit lauter primäre Kunstleistungen und will sich mit dem Sekundären nicht immer zufrieden geben. Ein paarmal, zum Beispiel in S. Giustina zu Padua, hat es ihm doch den Atem gestellt. In Mantua war er ebenfalls recht zufrieden, und ich meinerseits besuchte meinen Übersetzer Valbusa. – Die letzten Tage in Venedig, da wir die Höhle Xaxa mit Asti bianco entdeckt hatten, waren sehr vergnügt. Denken Sie, jedesmal nach dem herrlichen Seebad am Lido den Asti bianco!

Es graust mir vor der Zeit, da ich werde allein reisen müssen und die Septemberabende beginnen, aber ich habe nun so viel Gutes auf mein Konto zu schreiben, daß ich nicht klagen darf. Einstweilen verklopfen wir diese Woche noch in Mailand.

Von Zeit zu Zeit spreche ich einige Sehnsucht nach Grenzach aus, davon aber will G. wenig mehr hören. Der Undankbare.

Am Ende August werden sich also die Hallen Simeons Weinstube in Basel. wieder füllen, ich aber muß noch bis Mitte September im Land herumreisen. Und noch ist erst etwa die Hälfte meines Photographiebudgets verklopft, und nun erst werde ich hier die große Via Crucis bei den hiesigen Photographen beginnen müssen. Gestern hat es tüchtig geregnet und auch noch heut früh, und die Luft ist deliziös, aber in Kirchen und Galerien ist es noch die bleiern schreckliche, welche den Pilger bis zur Schlafsucht betäuben kann, die seit Juli aufgesparte! Gestern schliefen wir in der Brera beide, in der Nähe schlief auch eine junge Dame, man geniert sich nicht. Dagegen ist in Mailand eine große Verschlimmerung eingetreten, man hat nämlich die schönen langen Bänke aus dem Dom entfernt, auf welchen man sonst in heißen Zeiten des sogenannten Domschlafes pflog. Man sieht jetzt über das ganze Marmorpflaster des Domes wie über einen stillen See hin.

Gestern abend hörte ich zum ersten Mal (und zwar ziemlich gut) die Traviata und war erstaunt über die Fülle von Schönem. Dazwischen lesen wir in den Wiener Blättern und im Feuilleton der Perseveranza die Berichte aus Bayreuth, wo es en somme mit einem entschiedenen Fiasko scheint abgegangen zu sein. Während die Traviata seit bald zwanzig Jahren fest auf ihren eigenen Beinen herumspaziert. In Sachen des Barock werde ich immer ketzerischer. Schon ganz am Anfang unserer Reise erquickte mich in der Kirche zu Feldkirch der genialste Barock-Beichtstuhl, den ich je gesehen, und es hieß sogleich: wenn doch der Max das sähe! Hier in Mailand kann man in Barock schwelgen. Und inzwischen sieht man doch immer Sachen der goldensten Zeit, und heut morgen haben wir den Vorhof vom S. Celso besucht, wo G. sofort entschied, »dies müsse von Bramante sein!«


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