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An Emma von Baeyer

Basel, 24. Dezember 1849

Verehrte Emma! In dem Augenblick, da ich die Feder mit erfrorenen Fingern ergreife, werden sich wohl in einem gewissen Hause an der Friedrichstraße die Lichter am Weihnachtsbaum entzünden, wie vor drei Jahren, als ich so liebevoll von allen Seiten bedacht wurde. Ich bin aber nicht bloß bei diesem Anlaß, sondern auch sonst das ganze Jahr über oft und viel im Geiste bei Ihnen und weiß erst jetzt, an den trüben, einsamen Abenden, wie gut ich damals aufgehoben war. Aus dem Briefe von Onkel Franz Kugler ersehe ich nun, daß ich auch bei Ihnen noch nicht ganz verschollen bin und daß mein armes kleines Heftchen Burckhardts Gedichtsammlung: Ferien. Eine Herbstgabe. Basel 1849 Ihnen einige Freude zu machen das Glück gehabt hat; ich nehme Ihr vielwertes Schreiben vom 12. Juni wieder hervor und sehe mit Beschämung, wie Sie meine pflichtschuldige Gabe so unverdient wohlwollend aufgenommen haben. Wenn ich diese Zeilen früher las, als mir selber jene Verse noch besser gefielen, so war ich erfreut; jetzt bin ich beschämt.

Wie das Stübchen aussieht, aus welchem jene ›Aussichten‹ aufgenommen sind, hat Ihnen vielleicht Heyse geschildert, der mich auf dem Hin- und Herweg bei seiner Schweizerreise besucht hat. Dieser gänzlich wohlerzogene Göttersohn vertraute mir an, daß er bisweilen an Sie, verehrte Emma, Briefe richte, und dieses erregte meinen Neid; um nicht in gar allem hinter dem lieben Kind zurückzubleiben, nehme ich mir jetzt heraus, Ihnen ebenfalls ein paar Zeilen zu senden. Er hat mir inzwischen sein Porträt geschickt, welches jetzt wohl schon lange in Onkel Franzens Prunkgemach prangen wird. Ich habe das mir übersandte noch immer nicht einrahmen lassen, weil er mir ein so schmeichelhaftes Motto darunter geschrieben hat, daß ich selbiges mit einer besonderen, schwierigen Vorrichtung muß verdecken lassen. Indem ich dieses schreibe, in Gesellschaft einer Zigarre, fällt es mir aufs Herz, daß dieser für Sie bestimmte Brief wohl unvermeidlich nach Tabak duften wird. Ach, ich verwildere ganz! ich wachse ohne alle Aufsicht heran; es ist ein Erbarmen. Die Leute verlangen nur, daß ich mich alle acht Tage, Freitags von 7 bis 8, auf einer Art von Schafott in ganzer Figur zeige und ihnen was vorschwatze; da sehen sie mich an und gehen wieder. Und das tut der feinste Flor der hiesigen Damen! Jeder Anwesende, auch der geringste, ist glücklicher als ich, denn mir bleibt nichts übrig, als während des Redens die Augen gen Himmel zu heben, wenn mich nicht der großartige Anblick von zirka hundertfünfzig Damen außer Fassung bringen soll. Die Gatten sitzen so, daß sie die Damen im Profil sehen; freilich behalten die meisten Damen die Hüte auf. – Aber Sie werden finden, ich sei sehr eitel, daß ich zuerst Onkel Franz und nun noch Sie, schöne Emma, mit diesen Vorlesungen unterhalte; es ist aber das einzige, was jetzt regelmäßige Unruhe in mein Dasein bringt, denn die Poesie ist für eine gute Weile schlafen gegangen, und der Rest ist Arbeit und betrübte Einsamkeit. Zuzeiten tröstet mich mein altes Klavier, auf welchem ich bekannte Melodien spiele und unbekannte phantasiere. Aus Andacht für die guten und lieben Abende in Berlin habe ich Rossinis Soirées musicales gekauft, exekutiere aber die Accompagnements beträchtlich unvollkommener als Sie. Wie komme ich mir jetzt vor, daß ich damals Ihre himmlische Geduld so oft in Anspruch nahm! Am Darben lernt man den Überfluß kennen. – Sonst haben wir hier ziemlich brillante Abonnementskonzerte, für welche ich bloß aus liebreicher Gesinnung für meine Schwester und meine Nichten unterschrieben habe, welche ich hinführe. »Man muß sich beizeiten als Onkel beliebt machen«, das hat mir einst ein kluger Mann gesagt. Bei Ihnen im Norden versteht sich dergleichen von selbst; hier nicht so durchaus. Sodann existiert hier alle Montage eine Liedertafel, bei welcher ein guter und harmloser Geist herrscht... Aber nachhaltig ist dergleichen doch nicht. Summa summarum: ich weiß erst jetzt, wie gut ich es hatte in Berlin, als ich abends hinkommen durfte in das bekannte Heiligtum; ich weiß auch erst jetzt, wie sündlich ich handelte, als ich im Mai und Juni 1847 immer nur über meinen Büchern saß aus Heißhunger, bald nach Italien zu kommen. Sagen Sie das 1. sich selbst, 2. der verehrten Tante Clara; sagen Sie ihr aber auch, daß ich jetzt dafür mit Bewußtsein büße.

Ihrer Absolution, verehrte Emma, möchte ich gerne einigermaßen sicher sein! Indem ich Sie bitte, mich Ihrer werten Fräulein Schwester und Ihrem Herrn Vater bestens zu empfehlen, lege ich mich Ihnen zu Füßen

Eminus


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