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An Albert von Zahn

Basel, 19. November 1869

Verzeihen Sie die Verspätung dieser Antwort, ich war in diesen Tagen mit Extravorlesungen und dergleichen mehr beladen. Was zunächst den Florentiner Holbein betrifft, so entsinne ich mich wohl, nachher selber Bedenken gehabt zu haben wegen meiner eigenmächtigen Taufe, und meine nun, es sei am besten, den ganzen Passus über den ignoto Tedesco einfach zu streichen. Die Autorität, von welcher Ihr Brief meldet, würde mich, für sich allein genommen, noch zu keiner Änderung bestimmen, da sie sich schon zu stark, und auch in meiner Gegenwart, trompiert hat.

Aufs allerhöchste hat mich der Plan Ihres Werkes erfreut, so wie er in Ihrem Briefe entwickelt ist. Etwas der Art schwebte mir für die italienische Kunst vor, ich sehe jetzt aber, wie wohl ich getan habe, die Skulptur und Malerei unfertig liegen zu lassen, beim Ungenügen meines technischen Wissens und dem Erblassen meiner Erinnerungen. Es ist doch ein ewiges und ganz wunderbares Verdienst von Winckelmann, daß er die Kunstgeschichte nach ihrem historischen und ihrem systematischen Bestandteil geschieden hat! Den historischen Teil Ihres Themas, der deutschen Malerei der Renaissance, besitzen wir nun in Gestalt von Kunstgeschichten, die nach Künstlern angeordnet sind, und von Monographien; aber den systematischen Teil können nur Sie schreiben. Ein ganz superbes Kapitel wird namentlich dasjenige, welches bei Ihnen lautet: «Gefühl des Konfliktes: Verlust der architektonischen Haltung der Frühgotik und Drang nach einer neuen Schönheit der idealen Aufgaben.« Hier sind Sie wahrhaft zu beneiden um den Nachweis, wie die perspektivischen und Naturstudien der wüsten Erzählungsweise der Meister vor 1500 total den Boden unter den Füßen wegzogen und wie zum Beispiel Dürer eine Zeit lang über dem Nichts schwebte, bis ihm das höhere Neue aufging.– Bei dem Kapitel ›Die religiösen und literarischen Zustände‹ bin ich besonders begierig auf den negativen Bestandteil: das damalige Nichtvorhandensein so vieler Dinge, welche jetzt den Künstler in Anspruch nehmen: gedichtete Romantik, liberales Geschichtspathos und dergleichen. Einige lebhafte Zwicker würden hier nicht schaden, denke ich. Ganz besonders schön wird es sich darstellen lassen, wie naiv und unantiquarisch auch das verehrte Altertum in damaliges Leben durfte übersetzt werden. Da käme denn auch der selbständige, anmutig fabelhafte Zug der damaligen Malerei zur Sprache, welcher gegenwärtig nicht mehr selbständig existiert.

Eines aber wäre sehr zu erwägen, verehrtester Herr und Freund: ob nämlich nicht die Skulptur müßte mitgenommen werden? Die Studien sind ihr ja mit der Malerei großenteils gemeinsam, und die in ihr vorgehenden äußeren Veränderungen (neue Anlage der Gräber, Altäre usw.) machen einen so wesentlichen Zug im Kunstcharakter jener Zeit aus! Zu einem Paragraphen ›Architektonisches und Dekoratives‹ bei Anlaß der ›Berührung mit den Italienern‹ wollen Sie sich ja ohnedies bequemen. Mögen Sie versichert sein, daß ich Ihrem Streben mit der vollsten Teilnahme folge und mich höchlich auf das Besprechen der Werke freue ...


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