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An Friedrich von Preen

Basel, 5. Juni 1889

Dies Jahr annonciere ich mich wieder auf Ende Juli in Baden-Baden und bin nun auch gleich so keck, mir auszumalen, wie schön es wäre, wenn Sie ebenfalls in der Nähe lebten oder hie und da zu meinem Troste erschienen wie voriges Jahr. Nur bin ich wieder um etliches weniger beweglich als damals: Beine und alles Muskuläre täten es schon noch wie sonst, aber sobald ich nicht langsam gehe wie ein Uhrzeiger, fange ich an, zu keuchen und zu schwitzen. Das Herz sei noch nicht dabei engagiert, sagt der Doktor, aber einstweilen sei ein Lungenemphysem vorhanden, und in einiger Zeit, das weiß ich wohl, wird die Herzkrankheit kommen, an welcher zwei meiner Geschwister gestorben sind und meine liebe alte Schwester darniederliegt. Auch andere Plagen des Alters haben sich eingestellt. Eines nach dem anderen ist ganz still gekommen und hat gesagt: He, guten Abend, ich war denn auch da. Glücklicherweise kann ich noch meine fünf Stunden Kunstgeschichte per Woche leidlich absolvieren und überhaupt noch ohne Beschwerde sprechen, sobald ich nicht dazu marschieren muß.

Nun spreche ich freilich von Baden-Baden, als ob es so gewiß wäre, daß nicht bis in einigen Wochen die Grenze soviel als gesperrt sein wird, ja daß nicht noch ganz andere Historien am Horizont auftauchen möchten bis dahin, wobei noch ganz andere Leute als unsereiner ihre Badereisen aufgeben müßten. Einstweilen wäre es sehr schön von Ihnen, wenn aus den Tiefen Ihrer Kunde der Dinge und aus Ihrer besänftigenden Feder ein paar Worte der Beruhigung an mich abgesandt werden könnten.

Ich arbeite beständig, aber ohne mich sonderlich anzustrengen. Bald dies, bald jenes aus Kollegienheften und Kollektaneen wird jetzt säuberlich ausgearbeitet, nicht zum Druckenlassen, sondern zum Abschluß für mich. Hierin bin ich ein alter Schriftsteller, der nicht wohl anders kann, der sich aber gar nicht mehr einbildet, zum Publikum sprechen zu müssen. Als Beweis, daß ich noch weiter zu leben gedenke, dienen mir meine noch immer fortgeübten Ankäufe von Photographien und anderen Abbildungen für meine Kurse, welches eigentlich seit längerer Zeit das einzige Symptom von Verschwendung ist, der ich nachhänge. Doch will ich auch noch melden, daß ich gestern wieder für ein Jahr Wein eingetan habe, von dem nämlichen Trentiner, welchen Herr Wolfgang kennt, und daß ich also noch in Voraussetzung des Weiterlebens handle. Freilich sagte mir ein amicus jocosus, wenn ich den Wein nicht mehr austränke, würden meine Neffen schon damit fertig werden. Der Wein wächst bei Calliano zwischen Trient und Rovereto, unter den Auspizien eines Conte Martini, welcher erstaunlich kostbar damit tun soll, als verkaufte er den Trank aus reiner Barmherzigkeit.

An schönen Sonntagen fahre ich jetzt abends nach Rheinfelden oder nach Frenkendorf und Haltingen usw., bummle dann ein Stündchen in der Nähe, esse zu Abend und fahre zurück. Die meisten Abende von neun bis elf bin ich am Klavier und trinke dazu von dem genannten Calliano. Wenn man nur wieder einmal Herrn Paul oder Herrn Wolfgang eines Abends ansichtig würde, oder Sie selbst, verehrter Herr und Freund.

Von Kaiser habe ich seit ewiger Zeit nichts erfahren noch gesehen. In Lörrach bin ich seit Jahresfrist nicht mehr gewesen. Obschon die Lerchenwirtin, Witwe Senn (ehemals Bäbeli Richter von Grenzach), noch immer ein Anziehungspunkt wäre. Wenn ich Geld hätte nach Belieben, ich kaufte Frau Senn von Lörrach los und bezöge hier ein nettes Haus und ließe mich von ihr verpflegen bis an mein Ende. Dies aber ganz unter uns! Das sind nur solche übermütige Ideen, mit welchen ich vielleicht bei Frau Senn recht übel ankäme. (Doch nein, eigentlich übel nähme sie mir es nicht.)

In betreff des ›Hirschen‹ zu Haltingen wurde neulich unter uns gestritten, ob es wahrscheinlich sei, daß der Vater Beck dem Sohn alle Mysterien höherer Weinpflege habe mitteilen können oder nicht; er starb an einer schnellen Lungenentzündung und hatte vielleicht das wahre Arkanum noch geheim behalten, wie es solche Leute etwa machen. Aber mit jedem Wissenden und Könnenden sterben ja eine Menge Sachen, und wenn ich zum Beispiel beim Tode des Galeriedirektors Waagen hätte seine ganzen Bildererinnerungen erben können, so wäre mir dies doch wichtiger als alle Kunde von Becks feinen Weinen. Und Waagen wollte mir so wohl!

In diesem warmen Frühjahr ist unser Oberland unglaublich schön, und ich bin dankbar für das wenige, was ich davon sehe. Immerhin habe ich jedoch die Aussicht von meiner Wohnung aus, und meine Augen sind noch recht gut, und glücklicherweise auch das Gehör. Allein Sie werden denken, was so alte Leute für Egoisten seien, die immer nur an sich denken.


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