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An Gottfried Kinkel

Basel, 14. September 1844

Herzlieber Urmau! Oh, jetzt ist es bald ein Jahr, seit ich das letzte Mal bei Euch in Bonn war – ich darf nicht daran denken, denn dieses Jahr war ein verlorenes. Gearbeitet habe ich wohl, geoxt im Schweiß meines Angesichtes, bin auch zu einem ganz guten Auskommen durchgedrungen – aber öde und leer ist es um mich gewesen, und so wirds bleiben. Ich hätte unter Wilden nicht isolierter dastehen können; die paar Tage mit Fresen und der Abend mit Ackermann waren die einzigen Augenblicke, da ich meine Sprache reden konnte. Meine glückliche, innerlich feste Natur hat mich allerdings vor der Melancholie bewahrt; unglücklich bin ich fast nie gewesen, aber unbeglückt bin und bleibe ich; in diesem Boden werde ich niemals festwurzeln können.

Ich dichte auch nicht mehr, nicht eben weil die Zeit dazu völlig fehlte, sondern weil mich das Poetisieren à ma façon in eine weichliche, elegische Stimmung bringt, indem es mir Tage des Glücks vorzaubert, die niemals wiederkehren werden. Und wenn ich auch die schönsten, göttlichsten Eingebungen hätte, ich müßte sie ja doch still herunterschlucken, schon aus dem einfachen, obwohl hochmütigen Grunde, daß mir niemand gut genug ist, um ihm dergleichen mitzuteilen. Es sind viele Philister und wissens nicht, und die sind gerade die fatalsten. Wenn das so fortgeht, so kann ich ein nützlicher Bürger, vielleicht mit der Zeit sogar ein passabler Professor werden, und doch ist am Ende mein Leben für den, welchen es hauptsächlich angeht, nämlich für mich, ein verlornes – wie dieses letzte Jahr ein verlornes gewesen ist.


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