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An Friedrich von Preen

Basel, 27. April 1870

Zunächst meinen herzlichen Dank für die schönen Photographien! Dieses Treppenhaus Im Schloß von Bruchsal. muß ja in der Tat von ganz geheimnisvoller Wirkung sein, dieser untere bedeckte (sonst bei Doppelrampen offene) Raum, welcher dann oben dem prächtigen runden Vorsaal entspricht, in welchen die Rampen einmünden, ist einzig in seiner Art; dann ist die Dekoration vom Gediegensten des Rokoko und die Gewölbemalerei von derjenigen Art, wie ich sie in süddeutschen geistlichen Residenzen ganz absonderlich liebe, offenbar von einer ähnlichen Hand wie diejenige im Treppenhaus von Meersburg. Ich muß einmal diese Sache in der Nähe sehen, da werden wir die klerikalische Symbolik und symbolisierten Diözesanklerus gemeinsam studieren, denn allein hat man den wahren Spaß nicht davon.

Da Sie noch immer nicht Lörrach und Umgebung vergessen können, so möchte ich wohl gerne einmal in Bruchsal vorsprechen, zunächst um Ihnen von Angesicht zu danken, sodann um Ihnen einigen Schwatz vom Oberland mitzubringen, aber mein einziger Ausflug in diesen sonst der Arbeit und Sorge geweihten Ferien ist schon gemacht; es war ein Tag in Thann, das ich seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr besucht hatte und dessen Münster ich mit Staunen wiedersah. Mehr und mehr gehen mir über die sogenannte Ausartung des spätgotischen Stiles (wie anderer Stile in ihrer Spätzeit) höchst ketzerische Lichter auf: die vorgebliche Ausartung bestand meist in genialen letzten Konsequenzen und Fortschritten, und die Stile starben in der Regel, wenn sie in der Höhe waren, sonst hätte nicht gleich wieder ein kräftiger Stil auf den gestorbenen folgen können. Ich selber bringe meine Häresie nicht mehr unter die Leute; aber wenn Freund Lübke da ist, freue ich mich jedesmal sehr, wenn ich inne werde, daß er ähnliche Ansichten hat.

Da fällt mir aber (unbeschrieener Weise) ein anderer Freund ein, der vor zwölf Tagen in Paris gestorben ist: das ist der vortreffliche Mündler. Gott verzeihe mir die Ideenassoziation, aber es ist nicht ganz unsere Schuld, wenn der Blick auf unsern wenigen noch vorhandenen Besitz uns gleich die erlittenen Verluste in Erinnerung bringt. – Außer dem, was von Mündler in den ›Cicerone‹ gelangt ist (weil Sie sich nun einmal zu dieser Lektüre verurteilt haben, muß ich davon reden), haben Zahn und Mündler noch ein besonderes Nachträgeheft herausgegeben, in dessen Vorwort Mündler meiner mit einer Herzlichkeit gedenkt, die mich auf das tiefste gerührt hat. Und das sollte nun seine letzte Publikation sein! – Wenn Naturforscher aus großen Untersuchungen wegsterben, so tröstet man sich, weil die Mutter Natur ihre Formen und Probleme identisch einem Nachfolger und einer folgenden Generation zum Erforschen darbieten wird; aber wer ersetzt den, welcher aus den über ganz Europa zerstreuten, nur einmal vorhandenen Werken der Kunst einen so gewaltigen Gesamtüberblick gewonnen hatte? und zugleich die hohe Bildung besaß, etwas daraus zu machen? Mit Mündler, wie vor zwei Jahren mit Waagen, ist ein Stück unwiederbringliche Erkenntnis dahingestorben, und unvererblich.

Und er war ein Süddeutscher, aus Kempten in Bayrisch-Schwaben, so wie an Waagen die beste Vorbedingung war, daß er ein Hanseat und kein Berliner sein durfte. Der gute alte Freund aus Lörrach, der Sie neulich besuchte, zwingt sich seit seiner Reise nach Berlin, den dortigen Volkscharakter angenehm zu finden, während man doch in Berlin selbst sich mit der politischen Sympathie zufrieden gäbe. Denn der Bruder Berliner weiß im stillen Gemüt, daß er ein ganz unerträgliches Individuum ist. Ich, der vier Jahre dort wohnte, höre zu und denke mein Teil.

Mündler war als Kunstforscher, sage ich, ein Süddeutscher, das heißt, die Dinge ergriffen ihn, wenn sie dazu angetan waren, und an Loslassen von eigenem Geist dachte er nicht; wenn er sich aber äußerte, so wußte man, was man hatte!

Sie fragen mich nach Lektüre! Ach, ich bin allmählich im Wust meiner eigenen Bibliothek (von öffentlichen Bücherschätzen nicht zu reden) ein homo paucorum librorum geworden.

Gerne hätte ich mir Flauberts ›Éducation sentimentale‹ angeschafft, aber das Ding ist mir noch zu teuer, und ich warte eine etwas wohlfeilere Ausgabe ab, denn zur ganz wohlfeilen à 1 fr. le volume mag ich mich doch nicht gedulden. Die neuliche Rezension in der Augsburger Allgemeinen Zeitung war jedenfalls von einem Meister geschrieben, und ich möchte sehr gerne wissen, von wem? Einleitungsweise bekommen einige deutsche Romanschriftsteller in hochachtungsvoller Form einiges zu hören. Ich kann nicht helfen, bei mir sind Roman und Poesie noch zwei völlig geschiedene Gattungen; im Roman, wenn ich zur Seltenheit mich damit einlassen soll, verlange ich Realismus, und zwar unerbittlichen, kann ihn aber auch vertragen, da ich wenig davon zu mir nehme. In der Poesie dagegen verlange ich die ideale Ergänzung, und in den ersten anmutigen Tagen dieses Monats habe ich mir ein Geschenk gemacht mit Mörikes Gedichten (vierte Auflage), die ich schon längst gerne gehabt hätte. Dieser wundersame Mensch gehört doch zu den tröstlichsten Erscheinungen, man sieht, wie eine für das Schöne geborene Natur auch in den mäßigsten Umgebungen und Umständen sich auf das schönste und glücklichste entfalten kann.

Sehr amüsant ist Ihr Bericht vom Alternieren der beiden Missionen und von dem guten Volk, welches ›es nimmt, wie's kommt‹. Leute wie groß S und klein s (ich vermute aus Heidelberg) müssen in der Welt sein. Sie glauben nicht, wie man bei wachsenden Jahren die Existenz solcher Lärmtrommeln zu schätzen weiß; die große Menge, in ihrer Zerfahrenheit, braucht einen Rhythmus, in welchem sie dann marschiert und ohne welchen sie gar keine Fasson haben würde. Inzwischen läßt man uns in Frieden, und wir können unseren Gedanken nachhängen.

Außerdem amüsiert mich noch Louis Napoleon. Hat je ein Mensch seine Gegner glänzender in eine falsche Stellung geschoben? In Thann an der Wirtstafel waren entzückte Handelsreisende, welche ihm acht Millionen Stimmen weissagten. Ich glaube allmählich zu erraten, weshalb Bismarck die Gelbsucht hat. Er soll nur dem Himmel danken, daß L. N. müde und gebrechlich ist, sonst ständen nach dem Plebiszit die Franzosen am Mittelrhein. Spüren wird man den Erfolg des Plebiszits jedenfalls in der auswärtigen Politik, und auf alles war man in Berlin eher vorbereitet als auf dies Empire libéral. Maske gegen Maske gerechnet, ist man doch in Paris noch etwas geschickter und arbeitet mit größerem Kapital. Fast schauerlich war die Zweckmäßigkeit, womit man das Treiben Rocheforts verwertete; daher denn auch die Geschichte von Auteuil, indem diese Partei sich benutzt sah und in der Verzweiflung zum Äußersten griff. Und jetzt ists doch, als wäre die Tat nicht geschehen. Was die polnische Frage für eine europäische Parteiung en gros bringen wird, werden wir vielleicht bälder sehen, als uns lieb ist. Welches Odium gegen Preußen! diese russische Allianz!

Aber lassen wir die Politik.

Vorgestern sang nämlich die dicke alte Alboni hier in einem Theaterkonzert. Es war eine sehr ausgezeichnete Gesellschaft, die sie mit sich führte; ein Tenor (Hohler) hors ligne, eine Pianistin Careño von sublimer Schönheit, so daß Leute von dem nackten Arm allein schon zu Narren wurden, die Sopranistin Battu von der Großen Oper usw. Außer einem Allerlei sangen sie eine Auswahl aus Rossinis Missa posthuma, und nur hier trat die Alboni selber mit auf. Verehrtester Herr und Freund, wo immer diese Frau Ihnen über den Weg läuft, hören Sie selbige um jeden Preis! Sie hat seit zehn Jahren, da ich sie aux Italiens in Paris Im Pariser italienischen Opernhaus. hörte, für meine Organe noch nicht im mindesten abgenommen, es sind dieselben majestätischen Orgeltöne in Höhe und Tiefe, diese nämliche Ruhe und vollendete Kunst! Die Schlußkadenz des Agnus Dei gab sie so, daß die Luft bebte und unser schnödes Theater erzitterte. Aber vielleicht haben Sie in Karlsruhe oder in Baden in der letzten Zeit denselben Genuß gehabt, wenigstens in Baden hat sie gesungen.

Gestern bekam ich einen Brief mit den Postzeichen, die ich mit wachsendem Erstaunen las: Marseille – Paquebots de la Méditerranée – Beyrouth – Bagdad – und datiert war der Brief aus der Wallfahrtsstadt Kerbela nahe am Euphrat, mit dem Grabe von Mohammeds Enkel Hussein. Der Schreibende aber ist unser trefflicher junger Orientalist Dr. Albert Socin, welcher nun seit bald zwei Jahren im Orient den sämtlichen altarabischen usw. Sprachresten nachreist, Zelt um Zelt, und in einem gewaltigen Strom und Eifer der Entdeckung ist, so daß ihm stets neue ethnologische Lichter aufgehen. Diese vollständig in die richtige Tätigkeit gelangte außergewöhnliche Kraft macht, bescheiden und einfach in der Äußerung, einen überaus tröstlichen und gloriosen Eindruck.

Trösten wir uns, wenn wir daheim bleiben müssen! Wäre nicht etwa in verzagter Stunde aus ›Obelisk, Pyramide, Brunnen, Erzstatue usw.‹ ein Distichon zustande zu bringen? Aber ein herzliches Mitleid fühle ich mit Ihnen in betreff der reizlosen Umgebung Bruchsals, während Oberalemannien in den letzten Tagen himmlisch schön war.

Nunmehr, da Ihr Filius mein Schüler wird, kann ich öfter von Ihnen hören.


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