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An Otto Mündler

Basel, 15. Februar 1870

Hochverehrter Herr! Da ich Ihre Adresse in Paris nicht mehr weiß, so muß ich die Güte des Herrn von Zahn in Anspruch nehmen, um Ihnen diese Zeilen des anhänglichsten Dankes zukommen zu lassen.

Gestern erhielt ich nämlich die ›Beiträge zum Cicerone‹. Das Vorwort, worin Sie meiner Arbeit (viel zu sehr in Gutem) gedenken, hat mich gerührt und beschämt, und als ich mich nun in das Heft hineinlas und der enormen, von mir einst in Verwegenheit geschossenen Böcke inne wurde, fand ich, es sei eine wahre Pflicht, mich darob gegen Sie bestmöglich zu entschuldigen.

Der Cicerone wurde nämlich unternommen nicht nur von einer äußerst ungenügenden ästhetischen Basis aus, sondern auch unter sehr zweifelhaften Umständen und mit geringen Mitteln in einem Augenblicke, da ich meine hiesige Anstellung verloren hatte und nicht recht wußte, was aus mir werden sollte. Er hat mir denn allerdings treulich geholfen und mir die Professur am Eidgenössischen Polytechnikum zu Zürich eingetragen, so daß ich ihm immer ein ehrendes Andenken schuldig bin.

Aber eine Arbeit, welche mindestens drei Jahre Muße und Verbindungen und lokale Förderungen aller Art verlangt haben würde, ist in dreizehn Monaten Reise und vier Monaten Nacharbeit und Druckfehlerbesorgung (wovon drei Wochen meines Erdenlebens auf das Verzeichnis kamen) schnell fertig gemacht worden, ganz in der Art unseres eilfertigen 19. Jahrhunderts. Vom Detail nur eine Kleinigkeit: Da die Schweiz damals in offiziellem Verdruß mit Österreich lebte, wurde ich auf dem Heimweg von Ponte Lagoscuro aus, wo ich die K. K. Staaten betrat, in beständiger Bedrohung gehalten, bekam in Venedig nur mit Mühe die Aufenthaltskarte und durfte auf der Reise nach der Schweiz wohl noch in den Städten der direkten Route verweilen, Mantua aber nicht mehr besuchen. Und dabei waren es Fasten und die Bilder verhängt! und zu allem andern war ich noch auf strikte Sparsamkeit verwiesen.

Dieses sind die kleinen irdischen Übelstände meiner damaligen Autorschaft. Dazu nun aber das Willkürlich-Dilettantische, welches ich in meiner ganzen Kunstanschauung gar nicht los werden konnte, – ferner der Mangel fast aller und jeglicher technischer Kenntnis – und die permanente Gefahr, Sekundäres und Entlehntes für Primäres und Schulgut für Originalität zu nehmen! – Ich entsinne mich noch ganz wohl, was es zu Rom im April 1853 für ein Entschluß der Verzweiflung war, die antike Skulptur nach Typen und Sachen zu behandeln. Sie kennen gewiß noch manche Stellen des Buches, wo ich auf irgendeine Art de nécéssite vertu gemacht habe.

Endlich ist doch auch zu meinen Gunsten zu sagen, daß die italienische Lokalforschung vor lauter Vorurteilen und falschem Fleiß den Beschauer häufig auf unrichtige Bahnen leitet. Aber was ich für greuliche Irrtümer zumal in der venezianischen Schule habe stiften und perpetuieren helfen, das kann ich mir jetzt doch nicht mehr verzeihen. Und über Venedig hinaus keinen Schritt nach Norden getan zu haben, war auch stark! Ich sehe nun, außer Ihren ›Beiträgen‹, auch bei Max Lohde und anderen, daß jene ganze große Provinz in jedem Zweige der Kunst eine Welt von wichtigen Sachen birgt.

Wenn man mir aber 1853/54 gesagt hätte, daß ich später als ehrsamer Ordinarius der Geschichte dem Himmel danken werde, wenn ich mein Tagespensum in Büchern absolviere, und daß ich die Kunstforschung völlig werde beiseite lassen müssen, ich hätte es doch nicht geglaubt; es ist aber so gekommen.

Alles erwogen, möchte ich wohl wünschen, daß ein Besserer als ich einen Cicerone (nach dem Programm, welches mir vorschwebte) geschrieben hätte – allein, was existierte Anno 1853 außer Murray von Kunstführern, welche einigermaßen ganz Italien und alle Kunstgattungen umfaßt hätten?

Indem ich mich also nochmals Ihrer gütigen Indulgenz und Freundschaft anempfehle und auch den Wunsch beifüge, mich auch einmal ungestört mit Ihnen unterhalten zu können, verharre ich in aufrichtiger Dankbarkeit der Ihrige

J. Burckhardt


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