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An Heinrich von Geymüller

Basel, Donnerstag, 13. April 1893

Lieber Herr und Freund! Es ist allerdings gar nicht zu leugnen, daß ich vorige Woche meine Demission genommen habe, aber es geschah aus leider sehr gediegenen Gründen. Vor nicht ganz drei Wochen wurde ich von einer schmerzlichen Ischias in der ganzen linken Seite und von einem noch bedenklicheren Asthma befallen, und letzteres gab den Ausschlag; wenn ich auch noch im Zusammenhang sprechen könnte, so bringt mir doch jegliche Bewegung (wenn sie nicht sehr langsam vor sich geht) erbärmliches Keuchen und Schwitzen, und bei einem solchen Zustand kann man keine Kollegien mehr garantieren. Auch habe ich jetzt mein dreiviertel Jahrhundert auf dem Buckel.

Nun glauben Sie auch gar nicht, wie herrenwohl es einem alten Manne zumut ist, wenn er allen Verpflichtungen und Verantwortungen fortan entzogen bleibt. Ich habe sogleich ein kleineres Ärbetli vorgenommen und angefangen zu schäfferlen; kleine Sächli, welche man auch kann liegen lassen. Nur nichts Größeres und Weitausgreifendes mehr! Denn bei einem solchen Gedanken schon fange ich an zu schwitzen.

Der Doktor hat mir bis jetzt gegen das Komplott von Herz und Lunge Strophanthustropfen gegeben, und wegen der Ischias werde ich täglich (und dies mit Erfolg) massiert, aber die ganze Maschine ist eben alt, und drei Geschwister von mir sind an Herzkrankheiten gestorben, et il faut bien qu'on meure de quelque chose. Ich will nicht zu sehr klagen, wenn mir bis in die letzten nun folgenden Zeiten Auge und Ohr noch frisch bleiben.

Lübke war acht Jahre jünger, hat sich aber durch lauter maßloses Arbeiten krank gemacht und an den weiteren Folgen den Tod geholt; denn sein Fußleiden war Folge seines Diabetes (wie mir sein alter Freund Kestner, zugleich Arzt, versicherte), und den Diabetes hatte er einzig von der Überanstrengung. Letztere hat man mir nie nachsagen können, indem ich über einen gewissen regelmäßigen, aber bequemen Fleiß niemals weit hinausgegangen bin.

Am 5. April starb Lübke, am 6. gab ich meine Entlassung ein, und nun ist eine große Polytechnikumsprofessur und ein bescheidener kleiner Universitätskatheder zur nämlichen Zeit ledig geworden. Das wird ein Wettrennen werden unter den hundert aufgenudelten Kunsthistorikern, für welche es kaum irgend Stellen gibt, gente che non ha posto né in cielo né in terra! ...

Ihr stets getreuer J. Burckhardt


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