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An Karl Fresenius

Rom, 21. April 1846 Adresse: Cafe del Greco, Via Condotti

Großer Zefren! Ich bin seit bald drei Wochen hier eingerückt, habe den ganzen heiligen Karneval mitgemacht, die Ewige Stadt nach allen Enden durchloffen und mich endlich insoweit gefaßt, um vernünftige Briefe schreiben zu können.

Komm, Junge! Weiter sag ich nichts. Zuerst zu den praktischen Dingen. Laß mich Dir einen Monat vorrechnen. Basis ist der Scudo romano = 5-⅓Franken: Ein gutes Zimmer, monatlich 4 Scudi. Mittagessen, Frühstück und Abendbrot einen Gulden. Das Besehen jeder Galerie 1 Paul = 1/ 10 Scudo = 15 Kreuzer. Zigarren, rauchbar zu 1 Sou, besser zu 2 Kreuzer. Schuhe billig und schlecht. Kleider: bei geringen Schneidern billig und schlecht, bei vornehmen Schneidern teuer und schlecht.

Wein deliziös und spottbillig. – Essen: säuisch, aber schmackhaft. Fahren: teuer. Weiteres sagt hörsten hörst Du mündlich..

Mein Vier-Skudizimmer hat die schönste Lage mit der Aussicht über halb Rom; indem ich dieses schreibe, leuchtet Sankt Peter (eine halbe Stunde in gerader Linie von mir) in majestätischem Mittagslicht zu mir herein.

Der Genuß Roms ist ein beständiges Erraten und Kombinieren; die Trümmer der Zeiten liegen in gar rätselhaften Schichten übereinander. Zwar fehlt mir hier ein vollendet schöner Bau, zu dessen Türmen und Nischen die aufgeregte Seele flüchten könnte; ›Plump und zu bunt ist Rom‹, sagt Platen mit Recht; aber alles zusammengenommen ist es eben doch noch die Königin der Welt und gibt einen aus Erinnerung und Genuß so wundersam zusammengesetzten Eindruck wie keine andere Stadt. Ich wüßte nur Köln damit zu vergleichen; in Paris sind der alten Monumente zu wenige, und die modernen Greuelerinnerungen absorbieren die älteren zu sehr. – Die Römer gefallen mir, das heißt das gemeine Volk, denn der Mittelstand ist so erbärmlich läppisch wie in Mailand. Der gemeine Römer hat nicht das tückisch Verkniffene des gemeinen Mailänders, er ist gentiler und in seinem Äußern malerischer. Er bettelt zwar, aber er sucht nicht durch geringe Dienstleistung den Fremden zu pressen. Wer ihm nichts gibt, den läßt er ganz artig und ohne Flüche laufen. Man fühlt sich auch in den größten Volksmassen von sozusagen honetten Leuten umgeben, besonders in den armen und verfallenen Quartieren um das Kapitol und im römischen Sachsenhausen, welches man hierzulande Trastevere nennt. – Die Stadt, soweit sie jetzt von den Armen bewohnt ist, scheint mir ungleich ärmlicher und verkommener als irgendein lombardisches Landnest. Gegen die Arbeit hat man sich hier seit Jahrhunderten als gegen den ärgsten Feind gewaffnet; von der leichtesten Industrie ist kaum eine Spur; so fehlen zum Beispiel die öffentlichen Stiefelwichser hier fast ganz; Droschken- und Omnibusdienst existiert kaum in den ersten Anfängen; ein Avisblatt mangelt gänzlich; kaum ein oder zwei Restaurants haben ihre römische Küche nach der französischen modifiziert usw. Ja in jedem Neste der Sächsischen Schweiz zum Beispiel existiert mehr Fremdenindustrie als hier, wo dreißigtausend Fremde (meist nur zu einem genießenden Dasein) wohnen. Ich halte dies für eine Wohltat Gottes, denn wenn man hier im Verhältnis etwa wie in Straßburg von Kommissionärs und anderem Lumpenpack dieser Art belagert würde, es wäre, um des Teufels zu werden. Der Römer wartet, bis man ihn fragt, und auch der ganz zerfetzte Gassenjunge ist für straßenlanges Mitlaufen mit einem Bajocco (= Sou) zufrieden. Das ist es zum Teil, was den Fremden an dieses arme, in Luxussachen wahrhaft kümmerliche Rom kettet; der Müßiggang hat hier eine Kunst der Artigkeit zum Blühen gebracht, die dem Ausländer gar zu wohl tut.

Komm, Junge, sag ich. Du kannst von einem Monat schon so großen, dauernden Gewinn ernten, daß Dir Dein Leben um ein gut Stück mehr wert ist.

22. April

Ich wollte Dir noch so allerlei schreiben, aber Rom zerstreut mich fürchterlich. Gedichtet hab ich noch wenig, Pläne gemacht desto mehr. – Schreib mir bald, unter obiger Adresse – dies ist aber nicht meine Wohnung, sondern nur der Ort, wo ich die Briefe sicher kriege. Meine Wohnung, wenn Du mich etwa plötzlich überraschen willst, lautet: Via delle quattro fontane Nr. 11, quarto piano. – Du kannst denken, wie gierig ich bin, zu erfahren, wie es mit Deinem und meinem Reiseplan abläuft, darum satzet Euch hinter Ewren Schreibtisch und meldet mir baldigst etzliches. Ich habe hier einige gute Gesellschaft von Deutschen, wovon Rom wimmelt. Überlaufen wird man nicht, da jeder genug mit sich und Rom beschäftigt ist. – Auf unserer Reise von Florenz nach Neapel muß ich Rom wohl berühren, um Geld, frische Kleider und dergleichen einzunehmen. Zum Aufenthalt aber ist es vor Anfang oder Mitte September nicht praktikabel. Denn, sagen die Hiesigen, wenn Ihr auch nicht gerade krank werdet, so seid Ihr doch zu träge, um irgend etwas recht ansehn zu können.

Davon noch ein Weiteres.

Addio, liebster Junge!

Dein getreuer B.


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