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An Eduard Schauenburg

Sancta Colonia, Donnerstags, den 15. April 1841

Lieber Junge! Der Teufel hole die einsamen Kunstreisen; ich mache keine mehr. Ich ennuyiere mich nicht, Gott bewahre! Aber melancholisch bin ich (alias: trauerblödig) bis zum Exzeß. Meine Reise bis und mit Leipzig, darüber frage Deinen fratello; Leipzig war für eine ziemliche Strecke meiner Reise der letzte gute Punkt. Bisweilen hob ich meine Hände gegen die Wolken und seufzte: O du lieber Himmel, schick mir doch auch nur ein Exemplar von unserer himmlischen Bande auf einer Wolke hernieder! – Aber durae coeli aures – ich blieb bis Mainz entweder ganz einsam oder in der veredelnden Gesellschaft von Viehhändlern, Schwüngen, die auf die Messe reisten, alten Jungfern, Knoten und anderm, meist greulichem Philisterium. – Und gleichwohl ist mir diese Reise unendlich viel wert; sie wurde mir oft versüßt durch ein starkes, mich zuzeiten völlig von allem abziehendes Andenken an die schönen Tage in Berlin und in Leipzig und durch den Ausblick auf eine lachende rheinische Zukunft. Eines Mittags will ich nicht vergessen, wo ich der Nähe des Rheintales zum ersten Mal wieder inne wurde: Zwischen Fulda und Gelnhausen ging ich mit zwei alten Damen dem harrenden Omnibus etwas voran; es war düster und ziemlich kalt, bis wir um eine Ecke bogen und plötzlich Weinberge und ein großes Stück blauen Himmels vor uns sahen, während eine schöne warme Luft uns anwehte; ich schrie: Das kömmt vom Rhein! – die alten Schachteln erschraken schauerlich. – In Frankfurt vergaß ich komplett, Danneckers Ariadne zu sehen; das ist mir passiert! Stell Dir meinen Ärger für, als ich auf dem Dämpfer dran erinnert ward! In Mainz blieb ich den Karmittwoch und Gründonnerstag; am Karfreitag konnte ich es nicht mehr aushalten; es war schönes Wetter, und nachdem mir morgens noch der Bischof von Mainz (als wirklichem ordentlichem Mitglied eines im Dom versammelten Volkshaufens) seinen Segen gegeben, fuhr ich in Gottes Namen nach Bingen. Den ganzen Nachmittag strich ich beim schönsten Wetter um das liebliche Nest herum, zeichnend und andächtig; ich fuhr nach Rüdesheim, trank Nektar (oder, wie Du behauptest, Ambrosia, obwohl solches von βιβρώσχειν, essen, herkömmt) und ging dann über den Niederwald, – dort hatte ich eine Aussicht, die ich an poetischem wie an malerischem Wert dem Herrlichsten und Prachtvollsten gleichstellen muß, was ich je gesehen. Dann über Aßmannshausen und Rheinstein zurück, beim prachtvollsten Gewitterhimmel, – gerade in die Kirche hinein, wo unsers Herren Leichnam mit Illumination von hübschen Mädchen umsungen wurde. – Ein reicher, schöner, stilltrauriger Tag.

Sonnabends fuhr ich nach Bacharach, zeichnete da einige Stunden, und nachmittags dann bei grellem Sonnenschein und prächtigem Sonnenregen an der Pfalz und der vergoldeten Loreley vorbei nach St. Goar. Hier und in der Umgegend streifte ich den ganzen Nachmittag herum, in St. Goarhausen, Patersberg, Rheinfels usw., und abends fuhr ich in einem Kahn noch einmal gegen die Loreley; ich nahm dem Schiffer das Ruder aus der Hand und fuhr in den Widerwassern sachte vorwärts; – o wäret ihr gottloses Volk dagewesen! – So einsam muß man sich leider alle dergleichen Herrlichkeiten als kalte Erfahrungssache hinter die Ohren schreiben, wie die Beefsteaks tun.

Bei Sturm und Kälte fuhr ich den Ostertag nach Koblenz. Um Stolzenfels und Lahnstein jagten Nebelwolken; es war herrlich anzusehen. Absichtlich suchte ich August Focke erst abends gegen fünf Uhr auf. Zwei Vettern, die eben bei ihm wohnten, sonst sehr artige Kerls, hinderten uns ein wenig, aber nachts kam er noch mit mir in den ›Riesen‹, und da kneipten und frohlockten wir. Es war, Gott verzeih mirs, der beste Ostertag in meinem Leben, obschon ich nicht zum Abendmahl ging. – Montags lagen wir, unser vier, den ganzen schönen lieben langen Tag im Moseltal herum und kamen doch nicht weiter als bis Kobern und retour. Es war herrlich. Auch Dienstag verstrich, man weiß nicht mehr genau, wie. Gesoffen wurde! – Gestern, Mittwochs, hatte ich keine Ruhe mehr; ich mußte versprechen, spätestens bis nächsten Montag wieder in Koblenz einzutreffen, und fuhr bei idealisch schönem Wetter rheinabwärts.

O Gott, wie sind deutsche Lande so schön!– Andernach! Das Siebengebirge! – Und nun Bonn! – Sollte ich aussteigen? Nein, noch ist niemand da, mit dem ich sprechen könnte. Also ich sehe mir das Nest vom Dämpfer aus an, vigiliere nach meiner präsumtiven Wohnung in der Judengasse, freue mich tief in der Seele über die wundervolle Aussicht und fahre ruhig rheinabwärts. – Zuerst tauchte St. Martin, dann der Dom aus den Bäumen hervor; die Stadt entwickelte sich, alles so feierlich! – Schnell machte ich die Ankunft ab und lief dann ganz wütend in den Dom. Das Innere des Chores war schon ziemlich mit Gerüsten angefüllt, doch gottlob noch nicht so, daß mans nicht vollständig hätte überschauen können.

Lieber, teurer Junge; was soll ich Dir schreiben? Mich füllt ganz das eine Gefühl: Du bist nicht wert, diesen Boden zu betreten, denn es ist heiliges Land! – Drückender als je liegt auf meiner Seele die Schuld, in der ich gegen Deutschland stehe.

Du hast gar keine Idee von der sonderbaren Luft, die jetzt hier weht. Vorgestern wurde in feierlicher Sitzung beschlossen, man wolle es ›in Gottes Namen‹ wagen, zum Ausbau des Domes zu schreiten; die ganze Stadt ist voll davon; selbst die geringen Bauleute sind davon ergriffen und beseelt. Ich fange selbst an, wenn nicht an Vollendung, doch an eine sehr bedeutende Förderung des Baues vom vorgestrigen Tage an zu glauben.

Es ist aber auch ein großes Gefühl, an der Vollendung solch eines Baues zu arbeiten. Ich wußte es schon, und doch ist es mir mit aller Wucht eines großen Eindrucks auf die Seele gefallen, daß diese Kirche kein Gebäude ist wie alle andern auf der Welt, sondern die unerklärliche Offenbarung eines himmlisch großen Genius ohnegleichen.

Nimm etwas Schwärmerei in den Kauf, mein Junge, ich kann diesmal nicht anders. Du verstehst dennoch

Deinen Κήβι


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