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Memorabilien.

 

I.

Auf Zureden einiger Brüder, welche die Zügel freier zu haben verlangten, bat Ugolinus, Cardinal von Ostia, den seligen Vater, daß er dem Rathe einiger gelehrten und klugen Väter seines Ordens in Milderung der Vorschriften der Regel beistimmen, und eine aus den alten Satzungen des heiligen Augustin, Benedict oder Basilius gezogene Regel für sich und seine Brüder zu halten vorschreiben möchte. Darauf gab der Eiferer für das evangelische Leben keine Antwort, sondern rief die Brüder zum Kapitel zusammen, und sprach vor dem Cardinal mit großem Feuer des Geistes: »Meine Brüder, meine Brüder! der Herr hat mich auf dem Wege der Einfalt und Demuth berufen und diesen nur für mich und für diejenigen, die mir anhangen und nachahmen wollen, in Kraft gezeigt. Ich will daher nicht die Regel des heiligen Benedict, Basilius und eines andern Heiligen halten, den ihr mir nennet, sondern nur diejenige, die mir die göttliche Barmherzigkeit geschenkt und gezeigt hat. Der Herr selbst hat zu mir gesagt, er wolle, daß ich sein mindester Thor in dieser Welt sei, und er wolle mich und die meinigen auf keinem anderen Wege zum himmlischen Vaterlande führen, als auf dem, der, obschon er den Menschen eine Thorheit zu sein scheint, bei Gott doch für eine große Weisheit gilt. Ich fürchte demnach, es möchte eure Weisheit und Wissenschaft in Unwissenschaft und Schande sich verkehren.« Diese Worte flößten dem Kardinal und den Brüdern eine so große Furcht ein, daß sie sich zu seinen Füßen warfen, und ihn demüthig um Verzeihung baten.

 

II.

Franziskus ward von dem nämlichen Kardinal zum Mittagessen eingeladen, und nahm die Einladung an. Während aber der Tisch gedeckt wurde, ging er heimlich hinaus und bettelte von Thür zu Thür einige Stücklein Brod. Als er zurückgekehrt und mit dem Kardinal zu Tische saß, legte er dieselben beim Gastmahle auf und vertheilte sie unter die Umstehenden und Tischgenossen, als wenn er irgend eine köstliche Speise hätte; er selbst aß auch lieber von diesem Brode, als von den feinen Speisen. Zu diesem allem schwieg der edle Gastgeber, von bescheidener Röthe übergossen wegen der Eingeladenen, die zu Tische saßen. Als aber der Tisch abgetragen war, rief er den beiseits, welchen er öffentlich zu tadeln erröthete, und scheute sich nicht, ihn im Geheimen so anzureden: Mein Lieber, warum hast du die Sache so gemacht? Du hast mir eine große Unbild angethan; du hast den Tisch, wozu ich dich geladen, durch die Stücklein Brod's, die du hieher gebracht, entehrt; fürwahr, ich schäme mich, daß du so etwas gethan hast. Darauf sagte der liebe Vater: »Mein Herr, ich habe dir eine große Ehre angethan, da ich eine größere Gott erwiesen. Ich muß das Vorbild und Muster meiner Brüder sein, und das um so mehr, als ich gewiß weiß, daß es in diesem Orden viele Minder-Brüder dem Namen und Werke nach gibt und geben werde, welche um der Liebe Gottes willen und aus Salbung des heiligen Geistes, die sie lehren wird, in allem bis zur vollkommenen Demuth, Unterwerfung und Dienstbarkeit gegen ihre Brüder sich erniedrigen werden. Hingegen gibt es und wird es andere geben, welche entweder aus Scham oder böser Gewohnheit es für unwürdig halten, und sich nicht werden demüthigen und um Almosen gehen wollen. Daher geziemt es sich, daß ich die, welche in dem Orden sind und sein werden, lehre, damit sie sich weder in dieser, noch in der zukünftigen Welt vor Gott entschuldigen können. Eingeladen daher bei dir oder bei welchen Herren immer, will ich mich nicht schämen, um Almosen zu gehen, ja ich halte es sogar für einen großen Adel und glaube, es sei eine königliche Würde und es grenze an die Ehre desjenigen, der, obschon Herr über alles, doch für uns ein Knecht werden wollte, und obschon in seiner herrlichen Majestät an allem reich, dennoch in unserer Menschheit verachtet und arm sein und an allen Dingen Mangel haben wollte. Ich will daher, daß alle Brüder, gegenwärtige und zukünftige, gewiß wissen, daß ich es für einen Trost des Leibes und der Seele halte, wenn ich am Tische der Armen sitze, und ich werde höher erfreut, wenn ich die ärmlichen Almosen vor mir auf dem Tische liegen sehe, welche man um der Liebe Gottes willen von Thür zu Thür erlangt, als wenn ich zu deiner oder anderer mit köstlichen Speisen reich besetzter Tafel geladen und gleichsam wider meinen Willen an derselben sitze. Denn das Brod des Almosens ist ein heiliges und gesegnetes Brod, welches durch das Lob und die Liebe des Allmächtigen geheiligt wird. Denn wenn ein Bruder um Almosen bittet, so sagt er zuvor: Gelobt und gepriesen sei der Herr Gott! hernach setzt er bei: Gebet uns Almosen um der Liebe Gottes und des Herrn willen! Das Lob heiliget das Brod, und die Liebe des Herrn segnet es.« Auf diese Worte zerfloß der Kardinal in Thränen der Andacht und sprach: Sohn, mein Sohn! thue, was deinen Augen gut dünkt; denn der Herr ist mit dir und du mit ihm.

 

III.

Es begegneten sich in Rom der heilige Franziskus und der heilige Dominikus, der glorwürdige Patriarch und Stifter des Prediger-Ordens. Da sie sich über einiges, was zum Heile der Seelen, und über sehr vieles, was zum Nutzen und Frieden der katholischen Kirche förderlich ist, mit einander besprochen und Verschiedenes angeordnet hatten, sagte jene große Zierde des Predigerordens zu seinem Gefährten und Freunde Franziskus: Theuerster Bruder, um der großen Freundschaft willen mit dir, wegen der herzlichen Liebe zu deinen Söhnen und wegen der Festigung des Friedens und der Brüderlichkeit zwischen den Deinigen und Meinigen wäre es mir eine große Freude, wenn beide in einen Orden zusammenträten, damit die, welche die mächtige Liebe der Väter innigst vereiniget hat, die Verschiedenheit des Ordens oder Lebens nicht trenne. Ihm antwortete Franziskus in größter Demuth: »Geliebtester Bruder, es ist Anordnung des göttlichen Willens, daß von uns verschiedene Orden gestiftet werden, damit während beide und die Vorschriften beider verschieden sind, durch die Strenge der einen und die Milde der anderen der menschlichen Schwäche zu Hilfe gekommen werde, und wenn einigen diese Regel nicht gefällt, anderen jene nicht mißfällt, weil die eine hart, die andere milder zu sein scheint, Gott nicht durch die Enge des einen Ordens Seelen verliere, sondern durch die Weite des anderen dieselben gewinne.«

 

IV.

Da einige der Brüder, welche der Heilige nach der Generalversammlung von Assisi (wo mehr als fünftausend Brüder aus den Provinzen zusammengekommen sind) paarweise in alle Gegenden der Erde ausgeschickt hatte, das Wort Gottes auszustreuen, traurig zurückkehrten, und sich bei ihm beklagten, daß sie von einigen Bischöfen zurückgewiesen, in ihren Diözesen nicht predigen konnten, und sagten: Vater, wir sind in die Länder gegangen, die du uns angewiesen hast; wir waren deinen Befehlen gehorsam; doch deinen Wünschen haben wir nicht Genüge geleistet, noch den Völkern nach Wunsch genützt. Denn mehrere Bischöfe haben uns aus ihren Diözesen gestoßen, und zwar (wie es Armen oft geschieht) als Unbekannten und Verdächtigen nicht geringe Unbilden angethan. Erwirke daher, Vater, von dem höchsten Bischofe die Freiheit und das Privilegium, daß wir überall auf Erden, wenn auch die Bischöfe widersprechen, predigen können. Der heilige Vater aber verwies es ihnen in Güte und sagte: »O meine Brüder, ihr wisset den Willen Gottes nicht und wollet mir thörichter Weise den Sieg über die Welt rauben. Denn der Herr Jesus Christus will, daß ich durch tiefe Demuth und Unterwerfung die Welt überwinde, und mit großer Mühe durch das Beispiel der Demuth alle Seelen zu ihm ziehe. Meine Brüder, ihr werdet durch das Wort alle bekehren, wenn ihr euch in allen Werken demüthiget. Die uns gottlos verfolgen, werden sich, wenn eure Geduld erprobt ist, zu Christus bekehren und eure Fußstapfen küssen wollen. Ich darf auch nicht in Hoffnung des Heiles anderer nach Freiheit verlangen, weil ich die tiefe Demuth, welche für meine Lebensweise sich schickt, und wodurch ich sowohl selbst in der Tugend gefördert, als auch das Volk im Guten gekräftigt wird, mit der Wurzel ausreißen würde. Es geziemt sich daher vielmehr durch heilige Demuth und Ehrerbietung die Vorsteher der Völker zu bekehren, damit sie, wenn bekehrt, euer lobwürdiges Leben und die ihnen bewiesene Ehrerbietung sehen und lieben.

Sie werden euch alsdann bitten, daß ihr dem Volke prediget, und allen befehlen, daß sie euren Predigten beiwohnen. Die Demuth wird mehr leisten, als ein Privilegium bewirken könnte. Wenn die Prälaten der Kirche sehen, daß ihr demüthig und alles Geizes ledig seid, und das Volk dahin bringet, daß es den Kirchen ihre Rechte wieder gibt, so werden sie selbst euch bitten, daß ihr für das Heil des Volkes sorget, und die Beichten Aller höret, obschon ich nicht verlangen möchte, daß ihr dafür sorgen sollet. Denn die, welche sich zum Herrn bekehren und ihre Sünden beweinen, werden viele finden, welchen sie ihre Sünden offenbaren. Auf diese Weise werdet ihr Bischöfe und Prälaten leicht überwinden.«

 

V.

Da der heilige Vater wegen Augenkrankheit in der Stadt Siena verweilte, gab ein gewisser vortrefflicher Mann von dort, Namens Bonaventura, den Brüdern ein Grundstück, damit sie sich daselbst ein Kloster bauen könnten. Doch fragte er den heiligen Mann, wie man es bauen sollte, und sagte: Vater, was hältst du von diesem Platze? oder wie gefällt es dir, hier ein Kloster erbauen zu lassen, wo deine Brüder sich aufhalten könnten, durch deren Gebete und verdienstliche Werke, wenn sie mich daran Theil nehmen lassen wollten, ich nicht wenig in meinem Seelenheile, wie ich zuversichtlich hoffe, werde gefördert werden? Diesem antwortete der heilige Vater: »Für den Platz danken wir dir, geehrtester Bruder, außerordentlich, und ich will dir die Weise zu bauen kurz beschreiben. Die Brüder sollen überlegen, wie viel sie bedürfen, und indem sie das überlegen, sollen sie auf die heilige Armuth sehen, welche dem Herrn zu geloben ihnen gefallen hat, und sollen in keinem Stücke das gute Beispiel verletzen, welches sie den Nächsten zu geben schuldig sind. Nachdem sie die Sache wohl erwogen haben, sollen sie zum Bischofe der Diözese gehen und zu ihm sagen: Herr, ein gewisser vortrefflicher Mann hat uns aus Liebe zu Gott und wegen seines Seelenheiles einen schicklichen Platz zur Erbauung eines Klosters gegeben. Wir gehen allererst zu dir, der du Vater und Herr aller Seelen der dir anvertrauten Heerde, und der gütigste Beschützer und Vater aller unserer Brüder bist, welche sich jetzt an diesem Orte aufhalten, oder sich nachher aufhalten werden, damit wir mit Gottes und deinem Segen ein Hüttchen oder armes Klösterchen bauen können. Denn der Herr hat uns zur Unterstützung seines Glaubens und zur Beihilfe der Prälaten und Geistlichen der heiligen Kirche berufen. Wir sind daher gehalten, sie, so viel wir können, zu lieben, zu schätzen und zu ehren. Denn die Minder-Brüder sind deßhalb berufen, daß sie, wie dem Namen nach, so auch durch Beispiel und Werk vor den übrigen Menschen dieser Welt gering seien. Und weil der Herr am Anfange meiner Bekehrung sein Wort in den Mund des Bischofes von Assisi gelegt hat, damit er wohl rathe und im Dienste Jesu Christi weislich stärke, deswegen und wegen vieler anderer Vorzüge, die ich in den Prälaten der Kirche erkenne, will ich nicht nur die Bischöfe, sondern auch die geringsten Priester lieben und ehren und ihnen als meinen Herren Ehrfurcht erzeigen. Wenn sie dann von dem Bischofe den Segen und die Erlaubniß werden erhalten haben, so sollen sie gehen und an dem Platze, den sie zum Baue erhalten haben, einen Kreis, so groß wie eine Kohlenhütte ziehen lassen und ihn statt einer Mauer mit einem Zaune umgeben zum Zeichen der heiligen Armuth und Demuth. Auch mögen sie Häuschen aus Lehm und Holz bauen lassen, und einige kleine Zellen, wo die Brüder zur größten Ehrbarkeit und Vermeidung des Müssigganges, von Zeit zu Zeit beten und arbeiten können. Auch sollen sie kleine Kirchen bauen; sie sollen aber nicht des Predigens oder was immer für einer Ursache willen schöne oder große, geräumige oder hohe Kirchen und Tempel bauen; denn sie werden eine größere Demuth beweisen und dem Volke ein schöneres Beispiel geben, wenn sie in andern oder fremden Kirchen predigen. Und wenn bisweilen Prälaten der Kirche, Kloster- oder Weltgeistliche in ihre Klöster kommen, so werden die ärmlichen Häuschen und engen Zellen ihnen predigen, und die Seelen derer, die da kommen, mehr als zierliche Reden erbauen.«

 

VI.

Als der selige Leo einmal den Stein, über welchem der heilige Vater oft betete, decken wollte, verbot es ihm der selige Vater und sagte: »Thue das nicht, theuerster Bruder, sondern befleiße dich, den Tisch allererst mit Wasser, dann mit Wein, hernach mit Oel und endlich mit Balsam zu waschen, da Christus sich gewürdiget hat, auf demselben zu sitzen und mir das, was du hören wirst, zu offenbaren. Wasche diesen Tisch viermal und segne ihn, weil der Herr mir auf demselben für den Orden diese vier Stücke verheißen hat: daß dieser Orden bis an das Ende der Welt bleiben werde; zweitens, daß jene Brüder, die den Orden von Herzen lieben, so große Sünder sie auch sein mögen, den Geist der Zerknirschung und Barmherzigkeit, im Leben und im Tode erlangen werden; drittens, daß die Feinde und Verfolger dieses Ordens, wenn sie nicht Buße thun, dieses Leben nicht lange genießen werden; viertens, daß kein Glied des Ordens, welches in demselben sündhaft lebt, oder seine Profeß vergißt, oder lange und hartnäckig in einer Todsünde dahinlebt, im Orden bleiben wird; denn entweder wird er seine Sünde beichten und sich bessern, oder es wird dieselbe entdeckt und ihm der Abschied gegeben werden. Der Herr hat noch mehreres beigefügt, was ich dir bis zur Stunde des Todes aufbehalte.«

 

VII.

Zwei Jünglinge begehrten flehend in den Orden aufgenommen zu werden. Der Heilige wollte sie über den Gehorsam prüfen und erfahren, wie gerne sie ihren eigenen Willen verläugneten. Er führte sie daher in den Garten und sagte: »Kommet mit mir, und pflanzet für den Unterhalt der Religiosen Kohlkraut, jedoch so, wie ihr mich werdet thun sehen.« Nachdem sie die Pflanzen erhalten hatten, stellte er die Wurzeln aufwärts, die Blätter aber grub er in die Erde. Einer der Jünglinge, wahrhaft gehorsam, beobachtete in allem diese Weise zu pflanzen; der andere aber, nach menschlichem Begriffe ein wenig nasenweis, schalt sie, weil sie ja gegen die Gewohnheit der Gärtner pflanzten und sagte, das Kohlkraut müsse umgekehrt gepflanzt werden. Zu diesem sprach dann der selige Vater: »Sohn, ahme mich nach, und was ich thue, das Gleiche thue du!« Da dieser nicht wollte, weil ihm thöricht schien, was geschah, sagte der Mann Gottes: »Bruder, ich sehe, daß du ein großer Meister bist, gehe deinen Weg; für einen einfältigen und geringen Orden schicken sich ähnliche Meister nicht, sondern einfältige und thörichte Leute, wie dieser dein Geselle ist. Dieser wird bei uns bleiben, dich aber aufzunehmen ist nicht gut; gehe deinen Weg.«

 

VIII.

Der selige Rufinus wurde einmal in Betreff der göttlichen Vorherbestimmung so heftig versucht, wie es nie geschehen, und darüber sehr bestürzt. Der Teufel, der ihm einmal in der Gestalt Christi des Gekreuzigten mit dem Glanze der Heiligkeit erschien, spiegelte ihm vor, daß alle seine Arbeiten eitel und vergeblich seien, und sagte: Warum quälest du dich, armer Mensch, und bringst es zu nichts? Wozu so viele Gebete und Fasten? Die ganze Welt kann nicht ändern, was Gott einmal beschlossen hat. Du bist keiner aus der Zahl der Auserwählten, sondern der Verdammten. Von Liebe bewogen erinnere und ermahne ich dich, daß du nicht so hart mit dir verfahrest; gedenke, daß du und zugleich der Sohn Petri Bernardoni verdammt seien und alle, so viele ihm folgen. Darüber erschreckt, befiel den seligen Rufinus eine große Traurigkeit, er verlor gleichsam den Glauben an Gott und den seligen Franziskus. Als der selige Vater dieses im Geiste erkannte und sah, daß seinem Jünger große Gefahr drohe, schickte er zu ihm den seligen Bruder Massäus auf den Berg Subasius, wo jener ganz wankend und zweifelhaft sich umhertrieb. Nachdem der selige Massäus ihn im Namen des heiligen Vaters besucht hatte, sagte Rufinus zu ihm voll Verzweiflung, daß er mit Franziskus nichts mehr zu thun und nichts mehr mit ihm gemein haben wolle. Massäus erwiederte: Was sagst du, Bruder Rufinus? Wer hat dich berückt, daß du der Wahrheit nicht gehorchest? Wozu das? Weißt du nicht, daß der selige Vater gleichsam ein Engel vom Himmel sei? Wie viele Seelen wurden durch seine Lehren gerettet! Wie viele werden noch gerettet werden! Ich wünsche, daß du sogleich mit mir zum seligen Vater kommest, der nach dir verlangt, der dich ruft. Rufinus, in den mit Ungestüm gedrungen ward, willigte ein. Als der heilige Vater ihn kommen sah, sagte er: »Ha, Bruder Rufin, wie hat dich Elenden der Teufel betrogen? Weißt du nicht, wie er so oft sich in einen Engel des Lichtes verstaltet? Der Teufel verhärtet die Herzen der Menschen; Gott aber erweicht sie nach dem Worte: Ich will von euch das steinerne Herz nehmen und will ein fleischernes Herz euch geben. Die Gesichte Gottes erzeugen Freude, die des Teufels bringen Traurigkeit. Mache, ich bitte, den Versuch so: Wenn der Teufel dir wieder erscheint, so schelte und beschimpfe ihn, was er vermöge seines Stolzes nicht wird ertragen können; er wird sogleich verschwinden und sich und seine List verrathen; unterdessen freue dich im Herrn und vertraue auf sein Heil.« Rufinus, auf diese Flammenworte in Thränen zerflossen, ging traurig zum Berge, schloß sich in die Zelle ein, und ließ nicht ab von Thränen, bis ihm der Teufel in der Gestalt des Gekreuzigten erschien und sagte: Habe ich dir nicht verboten, mit Franziskus zu reden? Der Bruder aber erwiederte: Gehe, Satan, zur Hölle, und warte und öffne deinen lügenhaften Rachen, daß ich ihn mit Koth fülle. Nachdem der Teufel das gehört hatte, riß er Steine vom Berge los, welche in Stücke zerfielen und mit mächtigem Gekrache hinabstürzten, und entwich mit großem Getöse.

 

IX.

Kurz vor seinem Tode rief der Heilige die Brüder zusammen und ermahnte sie wegen der kommenden Trübsale, und sagte: »Brüder, handelt mannhaft, erstarket und haltet euch an den Herrn. Bald kommen Zeiten großer Trübsal und Bedrängniß, wo große Verwirrung und heftiger Kampf die Völker gefährden, wo die Liebe vieler erkalten und die Bosheit der Sünder überhand nehmen wird. Den bösen Geistern wird ungewöhnlich »viele Macht gegeben, und die unversehrte Reinheit unsers Ordens und anderer so sehr angetastet werden, daß die Wenigsten aus den Christen dem obersten Bischofe und der römischen Kirche mit aufrichtigem Herzen und vollkommener Liebe gehorchen werden. Einer, der nicht kanonisch erwählt und in jener Trübsal zum Papstthume erhoben werden wird, wird sich bemühen, durch List und Trug vielen den Tod zu geben. Alsdann werden die Aergernisse sich häufen, unser Orden wird sich theilen; mehrere aus andern Orden werden ganz muthlos werden, so daß sie dem Irrthume nicht nur nicht widersprechen, sondern in denselben einstimmen. Es werden unter Volk und Klerus und unter den Religiosen so viele Meinungen und so große Spaltungen sich erheben, daß, wenn jene Tage nicht abgekürzt, nach dem Worte des Evangeliums auch die Auserwählten in den Irrthum gezogen würden, wenn in diesem großen Gewirre sie nicht die unendliche Barmherzigkeit Gottes leiten würde. Unsere Regel und Lebensweise wird alsdann von einigen auf's heftigste bekämpft. Es werden über sie unzählige Anfechtungen kommen; die, welche sich dann bewähren, werden die Krone des Lebens empfangen. Wehe aber denjenigen, die sich nur auf die Hoffnung des Ordens verlassen, lau werden und den Versuchungen, welche zur Erprobung der Auserwählten verheißen sind, nicht standhaft sich widersetzen. Welche aber aus Liebe und Eifer für die Wahrheit im Geiste brennen und der Gottseligkeit anhangen, die werden, als wären sie Ungehorsame und Schismatiker, verfolgt und mißhandelt. Denn ihre Verfolger, von bösen Geistern angetrieben, werden sagen, daß es ein großer Dienst Gottes sei, wenn man eine solche Pest von Menschen tödte und von der Erde vertilge. Alsdann aber wird der Herr den Bedrängten Zuflucht sein, und er wird sie erretten, weil sie auf ihn gehofft haben. Und damit sie ihrem Haupte gleichförmig seien, werden sie voll Zuversicht handeln, und indem sie durch den Tod das ewige Leben erkaufen, werden sie lieber Gott, als den Menschen gehorchen, und indem sie in den Betrug und die Treulosigkeit nicht einstimmen wollen, werden sie den Tod durchaus nicht fürchten. Alsdann wird die Wahrheit von einigen Predigern mit Stillschweigen übergangen, von andern aber mit Füßen getreten und geläugnet werden. Die Heiligkeit des Lebens wird von ihren eigenen Lehrern in's Gelächter gezogen; darum wird der Herr Jesus Christus ihnen keinen würdigen Hirten, sondern einen, der sie ausjagt, schicken.«

 

X.

Ich sehe, meine Söhne, daß keiner befähigt ist, Führer eines so großen und zahlreichen Heeres und Hirt einer so großen und ausgebreiteten Heerde zu sein; aber ich möchte euch einen zeichnen, an dem ihr sehen könnet, wie der Führer und Hirt dieser Familie beschaffen sein solle. Dieser muß ein Mann sein des strengsten Lebens, von großer Bescheidenheit und preiswürdigem Rufe, ohne persönliche Leidenschaften, so daß er nicht, während er für einzelne zu viel Liebe hat, der Gesammtheit Aergerniß gebe. Dieser Mann sei ein Freund des heiligen Gebetes, doch so, daß er gewisse Stunden seiner eigenen Seele, gewisse der ihm anvertrauten Heerde weihe. Denn am frühesten Morgen soll er mit dem heiligen Meßopfer beginnen, und dort in langer anhaltender Andacht sich und die Heerde dem göttlichen Schutze liebevoll empfehlen. Nach dem Gebete aber soll er von allen in Anspruch genommen werden können, und bereit stehen, allen zu antworten, die Anliegen aller mit Liebe, Geduld und Güte zu besorgen. Er sei kein Mann, der die Person ansieht, sondern er sorge für die Einfältigen und Unverständigen ebenso, wie für die Verständigen und Weisen. Wenn ihm die Gabe der Wissenschaft verliehen ist, so gebe er doch mehr im Wandel das Bild der Frömmigkeit und Einfalt, der Geduld und Demuth. Er befördere in sich und anderen die Tugenden, und befleiße sich, dieselben im Leben beständig zu üben, und dazu auch andere mehr durch Beispiel als durch Worte anzuspornen. Er sei ein Verächter des Geldes, welches ein vorzügliches Verderbniß unsers Ordens und unserer Vervollkommnung ist, und als das Haupt und Muster, das alle nachahmen sollen, habe er niemals Geldsäckel. Für seine Person habe er nur den Habit und ein Buch, für andere aber das Schreibzeug und das Siegel; er häufe nicht Bücher auf, noch verlege er sich viel auf's Lesen, damit er nicht etwa dem Amte nehme, was er dem Studium zu viel gibt. Er tröste die Bedrängten in Liebe, da er für die Betrübten die letzte Zuflucht ist, damit nicht etwa in den Schwachen die Krankheit der Verzweiflung überhandnehme, wenn sie bei ihm nicht Mittel der Heilung finden. Damit er die Vermessenheit zur Sanftmuth bewege, so werfe er sich selbst auf den Boden, und vergebe etwas von seinem Rechte, auf daß er Christus die Seelen gewinne. Auf die, welche dem Oberen abtrünnig geworden, dehne er seine Liebe aus, wie auf Schafe, die sich verirrt, und nie versage er ihnen seine Erbarmung, jene gewaltigen Versuchungen wohl erkennend, welche eine Seele zu einem so großen Falle bringen können, und daß er selbst vielleicht in einen tiefern Abgrund stürzte, wenn der Herr ihn solche erfahren ließe. Alle sollen den Vorsteher als den Stellvertreter Christi mit frommer Ehrerbietung achten, und in allen Stücken mit ganzer Liebe, wie er es bedarf und es seinem Stande gebührt, für ihn sorgen. Er soll aber an Ehrenbezeugungen nicht Gefallen haben, noch sich mehr an Liebeserweisungen vergnügen als an Unbilden, damit ja die Ehren, die ihm bezeugt werden, seinen Charakter nicht ändern, außer zum Bessern. Wenn er aber einer leichteren und besseren Speise bedarf, so nehme er sie nicht heimlich zu sich, sondern öffentlich, damit anderen die Schamhaftigkeit genommen werde, in ihren Krankheiten für sich zu sorgen. Ihm kommt es hauptsächlich zu, die verborgenen Gewissen zu entfalten, und aus dem Inneren die Wahrheit zu erholen. Alle Entschuldigungen halte er anfangs für verdächtig, bis die Wahrheit aus fleißiger Erforschung sich zu offenbaren anfange. Er leihe auch den Schwätzern kein Ohr, und die bei Entschuldigungen vieles reden, halte er für besonders verdächtig, und glaube ihnen nicht leicht. Endlich soll er so beschaffen sein, daß er aus Liebe für die Ehrenstelle die Weise eines gerechten und billigen Mannes nicht verletze, noch vergebe. Es soll aus zu großer Strenge die Seele keines Bruders getödtet werden; es soll aber auch aus all zu großer Milde nicht Erschlaffung eintreten, noch aus zu großer Nachsicht Auflösung der Disziplin hervorgehen, und von allen solle er so gefürchtet werden, daß er eben von denjenigen, die ihn fürchten, geliebt werde. Immer aber glaube er, daß ihm das Vorsteheramt mehr zur Last als zur Ehre gereiche. Meines Herzens Wunsch ist es auch, daß er Genossen habe, geschmückt mit Ehrbarkeit, strenge wider die Wollüste, in Bedrängnissen stark, und gegen Fehlende mitleidig, die gegen alle gleiche Liebe haben, für ihre Arbeit nichts annehmen, als was sie für den Körper bedürfen, und die nichts verlangen, als das Lob Gottes, den Fortgang des Ordens, das Verdienst der eigenen Seele und das vollkommene Heil aller Brüder, die mit allen reden, was sich geziemt, und alle, die zu ihnen kommen, mit heiliger Freude aufnehmen, und die Weise und das Beispiel der Beobachtung des Evangeliums nach der Profeß der Regel an sich selbst rein und einfältig allen zu schauen geben. Siehe, so soll der General-Minister beschaffen sein und solche Brüder soll er haben.


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