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Eilftes Kapitel.

Von des heiligen Franziskus Verständniß der heiligen Schrift und von seinem Geiste der Weissagung.


1) Der unermüdete Eifer des Gebetes, verbunden mit steter Uebung aller Tugenden, brachte den Mann Gottes zu einer solchen Klarheit des Geistes, daß er, obschon in der Kenntniß der heiligen Schriften nicht durch gelehrten Unterricht herangebildet, dennoch vom Glanze des ewigen Lichtes bestrahlt, mit wunderbarer Schärfe das Verständniß und die Tiefe des göttlichen Wortes erforschte. Denn sein Geist, rein von jedem Flecken, drang ein in die verborgenen Geheimnisse, und wo die Schulwissenschaft draußen stehen bleibt, drang die Sehnsucht des Liebenden ein. Oft las er in den heiligen Büchern und was er einmal in seinen Geist aufgenommen hatte, drückte er dem Gedächtnisse fest ein; und was er mit den Ohren des Geistes aufmerksam vernommen, erwog er stets in Liebe und Andacht. Auf die Frage der Brüder, ob es ihm recht sei, wenn gelehrte Männer, die in den Orden aufgenommen würden, mit dem Studium der heiligen Schrift sich befaßten, erwiderte der Heilige: Das ist mir schon recht; wofern sie nur nach dem Beispiele Christi, von dem wir lesen, daß er mehr betete als las, die Uebung des Gebetes nicht unterlassen, und nicht nur studiren, um zu wissen, wie sie reden müssen, sondern vor allem, um das Erkannte auszuführen und wenn sie es im Werke geübt haben, auch Anderen zur Befolgung vorzulegen. Meine Brüder sollen Schüler des Evangeliums sein und so in der Kenntniß der Wahrheit fortschreiten, daß sie zugleich in aufrichtiger Einfalt wachsen; nicht trennen sollen sie Taubeneinfalt von Schlangenklugheit, die ja unser erhabener Meister mit seinem gebenedeiten Munde verbunden hat. –

2) Zu Siena wurde der Heilige von einem Ordensmanne, der zugleich Lehrer der Theologie war, über einige schwierige Stellen befragt, und er deckte mit solcher Klarheit die Geheimnisse der göttlichen Weisheit auf, daß jener gelehrte Mann sehr staunte und voll Bewunderung zu andern sprach: Fürwahr! die Theologie dieses heiligen Vaters, durch Reinheit und Beschauung wie auf Flügeln in der Höhe schwebend, ist wie ein fliegender Adler, während unsere Wissenschaft mit dem Bauche auf dem Boden kriecht. Denn der Rede unkundig, war er doch voll Wissenschaft, entwickelte zweifelhafte Punkte und brachte das Verborgene an's Licht. Es ist auch in der That nicht zu verwundern, wenn der Heilige von Gott das Verständniß der Schrift empfing; denn da er in vollkommner Nachfolge Christi die Wahrheit derselben überall durch Werke zeigte, so hatte er auch durch reichliche Salbung des heiligen Geistes den Lehrer derselben bei sich im Herzen.

3) Auch der Geist der Weissagung erglänzte so herrlich an ihm, daß er die Zukunft voraus sah und die Geheimnisse der Herzen schaute, Entferntes erkannte, als wäre es vor ihm, und Abwesendes sich wunderbar ihm gegenwärtig zeigte. Als das Heer der Christen Damiette belagerte, war der Heilige auch zugegen, nicht mit Waffen, sondern mit dem Glauben ausgerüstet. Da am Tage der Schlacht die Christen sich zum Treffen vorbereiteten, und der Diener Christi hievon hörte, sprach er seufzend zu seinem Begleiter: Der Herr hat mir gezeigt, daß die Christen kein Glück haben werden, wenn sie jetzt die Schlacht liefern. Sage ich es jedoch, so wird man mich für einen Narren halten; schweige ich aber, so entgehe ich nicht den Vorwürfen des Gewissens. Was soll ich nun nach deiner Meinung thun? Der Begleiter antwortete: Mein Bruder! halte es für etwas Geringes, von Menschen gerichtet zu werden, zumal es ja nichts Neues ist, daß man dich wie einen Narren verlacht; entlaste dein Gewissen und fürchte Gott mehr als die Menschen. Nach diesen Worten erhob sich der Herold Christi, gab den Christen heilsame Ermahnungen, verbot den Krieg, und verkündete die Niederlage. Sie hielten aber, was Wahrheit war, für Fabel, verhärteten ihr Herz und wollten nicht umkehren. Die Schlacht wird geliefert, das ganze Heer der Christen wird in die Flucht geschlagen und das Ende des Krieges ist nicht Sieg, sondern Schmach. So groß war die Niederlage der Christen, daß gegen sechs tausend theils getödtet, theils gefangen wurden. Hieraus erhellt augenscheinlich, daß man des Armen Weisheit nicht hätte verachten sollen, da ja die Seele eines Gerechten oft mehr Wahrheit verkündet, als sieben Wächter, die spähend auf hoher Warte sitzen. Sirach 37, 18. –

4) Nach der Rückkehr von der Seereise (er war zu Schiff von Palästina gekommen) ging der Heilige auch nach Zelano, um dort zu predigen, und wurde hier von einem Soldaten in aller Ehrfurcht und sehr dringend zur Mahlzeit geladen. Er nahm die Einladung an, und die ganze Familie frohlockte, als die armen Gäste eintraten. Vor dem Essen betet der Heilige seiner Gewohnheit gemäß mit andächtigem Herzen, erhebt die Augen gen Himmel und bringt Gott Lob- und Bittgebet dar. Nach Beendigung des Gebets ruft er seinen guten Gastgeber freundlich auf die Seite und redet ihn also an: Siehe, mein Bruder! auf deine dringende Bitte bin ich in dein Haus gekommen, um bei dir zu speisen; füge dich nun auch schnell meiner Mahnung: denn du wirst nicht hier, sondern anderswo essen; beichte jetzt schnell deine Sünden mit wahrem Reueschmerz, und lasse in dir nichts zurück, was du nicht in aufrichtiger Beichte geoffenbart hättest. Heute noch wird der Herr dir deinen Lohn geben, weil du seine Armen mit solcher Hochachtung aufgenommen hast. Der Mann glaubt den Worten des Heiligen, beichtet dessen Begleiter alle seine Sünden, richtet sein Haus ein und bereitet sich, so gut als möglich, auf den Tod vor. Sie setzen sich zu Tische, und als die andern zu essen anfangen, haucht der Gastgeber plötzlich seine Seele aus und wird nach dem Worte des Mannes Gottes von einem schnellen Tode hinweggenommen. So geschah es nun, daß der fromme Soldat wegen seiner Gastfreundschaft nach dem Worte der Wahrheit Prophetenlohn empfing, da er einen Propheten aufnahm, indem er auf die prophetische Ankündigung des Heiligen sich gegen den plötzlichen Tod schützte, mit den Waffen der Buße ausgerüstet der ewigen Verdammniß entfloh und einging in die ewigen Hütten. –

5) Während der Heilige zu Rieti krank darnieder lag, brachte man ihm einen Pfründner, Gedeon mit Namen, einen unflätigen und weltlich gesinnten Menschen. Er lag schwer krank auf dem Bette und bat mit allen Umstehenden den Diener Gottes, er möge doch das heilige Kreuzzeichen über ihn machen. Der Heilige erwiderte: Früher lebtest du nach den Begierden des Fleisches und ohne Furcht vor den Gerichten Gottes; wie kann ich dich jetzt mit dem Kreuze bezeichnen? Jedoch wegen der frommen Bitten deiner Fürsprecher will ich im Namen des Herrn das Kreuzzeichen über dich machen. Wisse aber, Schlimmeres wird dich treffen, wenn du nach deiner Genesung zu den ausgeworfenen Sünden zurückkehrst. Denn wegen der Sünde der Undankbarkeit werden immer die letzten Dinge ärger als die ersten. Hierauf machte er das Kreuz über den Kranken, der ganz gekrümmt dalag, und plötzlich stand er gesund auf, pries Gott und sprach: Ich bin geheilt. Als der Heilige das Kreuzzeichen über den Kranken gemacht hatte, hörten alle Anwesenden es in den Gebeinen desselben knistern, als wenn man dürre Reiser mit der Hand zerbricht. Nach einiger Zeit hatte der Geheilte seines Gottes wieder vergessen und übergab seinen Leib von Neuem der Unzucht. Als er aber eines Tages in dem Hause eines Kanonikus spät zu Nacht gegessen hatte und dort schlafen blieb, stürzte plötzlich das Dach des Hauses über alle zusammen. Die übrigen wurden alle gerettet, nur jener Elende wurde zerquetscht und getödtet. Nach gerechtem Gerichte Gottes waren also die letzten Dinge dieses Menschen ärger als die ersten, weil er die Sünde der Undankbarkeit begangen und Gott verachtet hatte; denn für die Vergebung der Sünden muß man dankbar sein, und ein Fehler ist doppelt strafbar, wenn nach erhaltener Verzeihung er wiederholt begangen wird. –

6) Auch eine vornehme und fromme Frau kam zum heiligen Franziskus, um ihm ihren Schmerz aufzudecken und ein Heilmittel gegen denselben zu erbitten. Sie hatte nämlich einen recht grausamen Mann, der sie am Dienste Gottes hinderte. Die Frau bat nun den Heiligen, er möge für ihren Mann beten, daß Gott mit seiner Milde dessen Herz erweiche. Der Heilige erwiderte: Gehe im Frieden und erwarte ohne allen Zweifel, daß dein Mann in Bälde dir Trost bereiten wird; sage ihm auch in Gottes und meinem Namen, es sei jetzt die Zeit der Milde, später die Zeit der Genügsamkeit. Hiermit empfängt die Frau den Segen und geht nach Hause, wo sie ihren Mann trifft und ihm den Bescheid des Heiligen mittheilt. Es kam nun der heilige Geist über diesen Mann, verwandelte ihn in einen neuen Menschen und machte, daß er voll Sanftmuth sprach: Theure Frau! wir wollen dem Herrn dienen und unsere Seelen retten. Auf Anrathen der frommen Gemahlin lebten sie auch mehrere Jahre enthaltsam, und gingen beide an demselben Tage zum Herrn. Fürwahr! wunderbar groß war in dem Manne Gottes die Kraft des prophetischen Geistes! Diese Kraft verlieh erstorbenen Gliedern Frische und drückte harten Herzen Frömmigkeit ein. Jedoch nicht weniger staunenswürdig ist seines Geistes Klarheit, mit der er zukünftige Ereignisse vorhersah und selbst die Geheimnisse der Gewissen erkannte, so daß er wie ein anderer Elisäus den Geist des Elias doppelt erhielt.

7) Denn einem ihm befreundeten Manne von Siena sagte er Einiges vorher, das sich auf dessen Ende bezog. Als ihm nun jener gelehrte Ordensmann, von dem oben berichtet wurde, daß er sich mit ihm über einige Stellen der heiligen Schrift besprochen habe, im Zweifel über das, was er von jenem Manne gehört hatte, fragte, ob er das wirklich gesagt habe, bestätigte der heilige Vater nicht blos die Aussage jenes Mannes, sondern sagte auch dem Ordensmann, der über das Ende eines andern fragte, sein eigenes Ende vorher. Und damit diese Worte dem Herzen desselben um so tiefer eingedrückt würden, nannte er ihm einen ganz geheimen Gewissensskrupel, den er noch keinem Menschen geoffenbart hatte, und gab ihm heilsamen Rath. Alles dieses wird dadurch bestätigt, daß jenes Ordensmannes Ende so war, wie es der Diener Christi vorhergesagt hatte. –

8) Bei seiner Rückkehr von der überseeischen Reise, wo er den Bruder Leonardus von Assisi als Begleiter bei sich hatte, ritt er, müde und erschöpft, eine Strecke auf einem Esel. Aber auch der Begleiter war nicht wenig ermüdet, und der menschlichen Schwäche nachgebend, sprach er bei sich: Seine und meine Eltern waren keineswegs gleich; und nun, er reitet und ich führe ihm zu Fuß den Esel. Während er so bei sich dachte, sprang der Heilige rasch vom Esel und sprach: Nein, mein Bruder, es geziemt sich nicht, daß ich reite, und du zu Fuß gehest; du warst ja in der Welt viel vornehmer und reicher als ich. Der Bruder staunte und wurde ganz beschämt, weil er seine Gedanken entdeckt sah, fiel dem heiligen Vater zu Füßen, offenbarte ihm unter Thränen seine Gedanken und bat um Verzeihung.

9) Ein gewisser frommer und dem Diener Christi sehr ergebener Bruder dachte oft im Herzen: der sei der Gnade Gottes würdig, welchen der Heilige als einen Freund liebe; wer aber von ihm wie ein Fremder behandelt werde, gehöre nicht in die Zahl der Auserwählten. Während er sich nun ängstlich mit diesem Gedanken beschäftigte und gar sehr die Freundschaft des Mannes Gottes wünschte, ohne jedoch Jemandem seines Herzens Geheimniß bekannt zu machen, rief ihn der liebe Vater zu sich und sprach freundlich zu ihm: Mein Sohn, laß dich von keinem Gedanken beunruhigen; du gehörst zu meinen besten Freunden, und gerne schenke ich dir meine Freundschaft und Liebe. Ueber diese huldvolle Aeußerung wunderte sich der Bruder, wuchs in der Andacht und nahm nicht blos zu in der Liebe zum heiligen Manne, sondern wurde auch vom heiligen Geiste mit noch größeren Gnadengaben überhäuft.

10) Während der Heilige auf dem Berge Alverna in seine Zelle sich eingeschlossen hatte, wünschte einer seiner Genossen mit großer Begierde, einige Aussprüche des Herrn vom Manne Gottes eigenhändig geschrieben zu besitzen. Er litt nämlich im Geiste an einer heftigen Versuchung und glaubte hierdurch von derselben befreit zu werden, oder wenigstens Erleichterung zu finden. In diesem Zustande war er fast krank vor Verlangen nach dem ersehnten Gegenstande und wurde zugleich im Geiste beängstigt, weil er aus Scham dem ehrwürdigen Vater sein Anliegen zu offenbaren nicht wagte. Jedoch was jener nicht aussprechen wollte, enthüllte der heilige Geist. Denn Franziskus ließ sich von dem gedachten Bruder Papier und Dinte bringen, schrieb nach dem Wunsche desselben eigenhändig einige Lobsprüche des Herrn nieder, segnete ihn dann und sprach: Nimm dir dieses Blättchen und bewahre es sorgfältig auf bis zu deinem Tode. Der Bruder nimmt die erwünschte Gabe, und alsbald ist die Versuchung vollständig verscheucht. Das Blättchen wird aufbewahrt, und da später durch dasselbe Wunder gewirkt werden, legt es Zeugniß ab von den Tugenden des heiligen Franziskus.

11) In einem gewissen Kloster lebte ein Ordensmann, der sich durch einen äußerlich heiligen, aber sonderbaren Wandel auszeichnete. Denn seine ganze Zeit verwandte er aufs Gebet und hielt das Stillschweigen mit solcher Strenge, daß er nicht mit Worten, sondern durch Zeichen beichtete. Als nun der heilige Vater zu diesem Kloster kam, um den Bruder zu sehen und sich mit den anderen Ordensleuten über denselben zu besprechen, sagte er zu den Brüdern, die alle jenen Menschen empfahlen und lobten: Schweiget mir davon, meine Brüder, und lobet mir in jenem Menschen nicht des Teufels Trug. Denn in aller Wahrheit möget ihr wissen, daß jene ganze äußere Frömmigkeit nur Verführung des Teufels und listige Täuschung ist. Für die Brüder war diese Rede hart, denn es schien ihnen unmöglich, daß des Teufels Trugwerk mit so vielen Zeichen der Frömmigkeit sich schminken könnte. Jedoch nach wenigen Tagen verließ jener Mensch das Kloster; und nun wurde es augenscheinlich, mit welcher Klarheit das geistige Auge des Mannes Gottes die Geheimnisse des Herzens bei jenem durchschaute. Auch den Sturz vieler, die zu stehen schienen, und die Bekehrung vieler zu Christus, sagte er in ähnlicher Weise mit aller Bestimmtheit und Wahrheit voraus, so daß er noch auf Erden pilgernd, schon zugelassen schien, den Spiegel des ewigen Lichtes zu schauen, in dessen Glanze seines Geistes Blick das körperlich Abwesende sah, als wäre es gegenwärtig.

12) Einmal hielt der Vikarius des Klosters Kapitel, wobei er einen Ordensmann wegen eines Fehlers bestrafte; dieser jedoch entschuldigte sich und wollte die Züchtigung nicht annehmen. Während dieser Zeit befand sich der heilige Vater in der Zelle im Gebete als wahrer Fürsprecher und Mittler zwischen Gott und den Brüdern. Im Geiste sah er den Vorfall und rief schnell einen Bruder herbei, zu dem er sprach: Mein Bruder! ich sah auf den Schultern jenes ungehorsamen Bruders einen Teufel sitzen, der ihn am Halse festhielt; von diesem Reiter besiegt, hat er den Zaum des Gehorsams abgeworfen und ist dem Zuge niedriger Neigungen gefolgt. Ich habe aber für den Bruder zu Gott gebetet, und sogleich floh der Teufel beschämt von dannen. Gehe also und sage dem Bruder, er solle unverweilt seinen Nacken unter das Joch des heiligen Gehorsams beugen. Kaum hatte der ungehorsame Ordensmann diese Weisung erhalten, als er sich auch sogleich zu Gott bekehrte und demüthig zu den Füßen des Vikarius niederkniete.

13) Zwei Brüder kamen einst weit her zur Einsiedelei von Grecio, um den Mann Gottes zu sehen und endlich den so lang erwünschten Segen von ihm zu empfangen. Da sie ihn aber bei ihrer Ankunft nicht trafen, weil er sich schon in seine Zelle zurückgezogen hatte, so gingen sie traurigen Herzens von dannen. Doch siehe! Obschon der heilige Vater von der Ankunft und Rückkehr der Brüder auf natürlichem Wege nichts wissen konnte, so kam er doch gegen seine Gewohnheit aus der Zelle, rief den heimkehrenden Brüdern nach, bezeichnete sie nach ihrem Wunsche mit dem Zeichen des Kreuzes und segnete sie im Namen Jesu.

14) Zwei Brüder kehrten eines Tages von ihrer Missionsreise zurück, von denen der ältere dem jüngern in einigen Stücken Aergerniß gegeben hatte. Nach ihrer Ankunft fragte der heilige Vater den jüngern, wie sich sein Begleiter unterwegs gegen ihn benommen habe. Der jüngere antwortete: O, recht gut! Hierauf sprach der Mann Gottes: Hüte dich, mein Bruder, unter dem Scheine der Demuth zu lügen; ich weiß, ja ich weiß Alles. Warte nur ein wenig, und du wirst schon sehen. Der Bruder konnte sich nicht genug wundern, wie der Heilige Begebenheiten, die in so weiter Ferne geschehen waren, im Geiste geschaut hatte. Aber bald darauf verläßt jener Mensch, der seinem Mitbruder Aergerniß gegeben, auch den Vater nicht um Verzeihung gebeten, noch für sein Vergehen die gebührende Strafe erhalten hatte, den Orden. In diesem einen Falle sieht man recht augenscheinlich zwei Stücke: das billige Verfahren der göttlichen Gerechtigkeit und den Scharfblick des prophetischen Geistes beim heiligen Franziskus. Wie er aber durch Wirkung der göttlichen Kraft weit entfernten Personen sich gegenwärtig zeigte, ist im Vorhergehenden schon erzählt. Man erinnere sich nur, daß er, obschon weit entfernt, den Brüdern in verklärter Gestalt auf einem feurigen Wagen erschien und auf dem Kapitel zu Arles in Kreuzesform sich gegenwärtig zeigte. Diese wunderbaren Ereignisse sind gewiß auf göttliche Fügung geschehen, damit aus der wunderbaren Erscheinung seiner körperlichen Gegenwart möglichst offenbar werde, wie nahe und zugänglich sein Geist dem Lichte der ewigen Weisheit sei, die ja beweglicher ist denn alles Bewegliche, überall hindringt wegen ihrer Reinheit, sich unter die Völker begibt in die heiligen Seelen, Freunde Gottes und Propheten macht. Weish. 7, 24. Ja, den Einfältigen und Kleinen pflegt Jesus, unser erhabener Lehrer, seine Geheimnisse aufzudecken. So hat er sich ehemals geoffenbart an David, dem erhabenen Propheten, und später an dem Apostelfürsten Petrus, jetzt aber an seinem armen Diener Franziskus. Denn wiewohl diese Männer ungelehrt und einfältig waren in menschlicher Wissenschaft, so sind sie doch berühmt geworden durch die Unterweisung des heiligen Geistes. Denn David, der Hirtenknabe, erhielt den Beruf, die Heerde der Synagoge zu weiden, die aus Aegypten geführt; Petrus, den Fischer, traf die Auszeichnung, das Netz der Kirche mit vielerlei Gläubigen zu füllen; Franziskus aber, der Kaufmann, wurde erwählt, die Perle des evangelischen Lebens zu kaufen, nachdem er um Christi willen Alles verkauft und vertheilt hatte.


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