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Achtes Kapitel.

Von der innigen Frömmigkeit des heiligen Franziskus, und wie die unvernünftigen Thiere ihm besonders zugethan waren.


1) Die wahre Frömmigkeit, die nach dem Apostel zu allen Dingen nützlich ist, hatte das Herz des Franziskus so erfüllt und durchdrungen, daß sie den Mann Gottes ganz in ihre Herrschaft gebracht zu haben schien. Sie ist es, die ihn kraft der Andacht aufwärts zu Gott erhob, durch Mitleid in Christus umwandelte, durch liebevolle Herablassung zum Nächsten hinneigte, und durch allgemeine Freundschaft mit allen Wesen in den Zustand der Unschuld zurückführte. Wiewohl er kraft dieser Tugend alle Geschöpfe zärtlich liebte, so doch ganz besonders die durch Christi Blut erkauften Seelen. Wenn er sie mit irgend einem Flecken der Sünde beschmutzt sah, so beweinte er sie mit solch zärtlichem Erbarmen, daß er wie eine Mutter täglich gleichsam Geburtsschmerzen ausstand, um Christus Kinder zu erzeugen. Und dies war für ihn ein besonderer Grund, die Prediger des Wortes Gottes zu verehren, weil sie seinem verstorbenen Bruder, nämlich dem für die Sünder gekreuzigten Heiland, Samen erweckten durch die Bekehrung der Sünder, für die sie in frommer Sorgfalt arbeiten und die sie mit sorgfältiger Liebe leiten. Dieser Liebesdienst, versicherte er, sei dem Vater der Erbarmungen angenehmer, denn jedes andere Opfer, besonders wenn man aus vollkommenem Liebeseifer thätig sei und mehr durch Beispiel als Wort, mehr durch thränenvolles Flehen als wortreiche Reden arbeite. Beweinenswerth sei jener Prediger, der leer von wahrer Liebe, bei der Predigt nicht das Heil der Seelen, sondern eigenes Lob suche, oder durch schlechten Wandel zerstöre, was er durch die Predigt der wahren Lehre erbaut habe; einem solchen sei ein einfältiger und unberedter Bruder vorzuziehen, der durch sein gutes Beispiel andere zum Guten aufmuntere. Jenen Ausspruch der heiligen Schrift: Bis die Unfruchtbare viele Kinder erzeugt hat, pflegte er so auszulegen: Der Unfruchtbare ist der arme Bruder, der in der Kirche Gottes nicht den Beruf hat, Kinder zu erzeugen. Dieser wird am Gerichtstage viele Kinder haben, weil der Richter ihm alsdann zu seiner Verherrlichung diejenigen zuführen wird, welche er jetzt durch stille Gebete zu Christus bekehrt. Die aber viele Kinder hat, wird schwach, weil der eitle und geschwätzige Prediger, der sich jetzt über viele Kinder erfreut, als hätte er sie aus eigener Kraft erzeugt, alsdann erkennen wird, daß er an ihnen nichts habe, was ihm gehörte. –

2) Und da er mit so zarter Liebe nach der Rettung der Seelen strebte und von glühendem Eifer für sie entbrannt war, so glaubte er sich, wie er sagte, von den süßesten Wohlgerüchen erfüllt und gleichsam mit kostbaren Salben gesalbt, wenn er hörte, wie der gute Ruf heiliger Brüder, die über die ganze Welt zerstreut waren, viele auf den Weg der Wahrheit zurückführte. Hörte er von solchen Brüdern, dann frohlockte er im Geiste und überschüttete sie mit Segenswünschen, weil sie durch Wort und That die Sünder zur Liebe Christi führten. Die aber den heiligen Orden durch schlechten Wandel befleckten, über diese sprach er den schrecklichsten Fluch. Von dir, o heiligster Herr, sagte er, und vom ganzen himmlischen Hofe und von mir armem Sünder seien verflucht alle, welche durch ihr böses Beispiel zerstören und niederreißen, was du durch heilige Brüder dieses Ordens erbaut hast und zu erbauen nicht aufhörst. Wegen des Aergernisses der Kleinen ward er häufig von solchem Kummer erfüllt, daß er glaubte, sterben zu müssen, wenn ihn die göttliche Milde mit ihrem Troste nicht unterstützt hätte. Als er einmal wegen des schlechten Beispiels einiger im Geiste ganz verwirrt war und den Vater der Erbarmung anflehete für seine Kinder, erhielt er vom Herrn die Antwort: Warum verwirrst du dich, du armes Menschlein? Habe ich dich denn so über den Orden gestellt, daß du nicht wüßtest, ich sei der Hauptbeschützer desselben? Dazu habe ich gerade dich, einen einfältigen Menschen, aufgestellt, auf daß die Werke, die ich an dir gethan habe, nicht menschlicher Thätigkeit, sondern meiner Gnade beigelegt würden. Ich habe berufen, ich werde erhalten und weiden, und wenn einige abfallen, so werde ich andere an ihre Stelle setzen, und sollten sie noch nicht geboren sein, so will ich sie geboren werden lassen; von welchen Stürmen auch immer dieser arme Orden erschüttert werden mag, durch meine Gnade wird er immer erhalten bleiben. –

3) Das Laster der Ehrabschneidung, das ein Feind der Liebes- und Gnadenquelle ist, verabscheute er wie den Biß einer Schlange und versicherte, es sei die schlimmste Pest und ein Abscheu vor dem gütigen Gott, weil der Verläumder sich nähre mit dem Blute der Seelen, die er mit dem Schwerte der Zunge tödte. Als er einmal einen Bruder den guten Ruf eines andern anschwärzen hörte, wandte er sich an seinen Vikarius und sprach zu ihm: Gehe, gehe und forsche der Sache fleißig nach; solltest du den angeklagten Bruder unschuldig finden, so züchtige den Ankläger mit schwerer Strafe zum Beispiele für andere. Zuweilen ließ er jenem, der seinen Bruder des guten Rufes beraubt hatte, den Habit abnehmen; auch sagte er, der Verläumder könne die Augen nicht zum Herrn erheben, bevor er nicht nach Kräften zu erstatten suche, was er weggenommen habe; und die Bosheit der Verläumder sei um so viel größer als die der Räuber, als das Gesetz Christi, dessen Erfüllung in der Beobachtung der Liebe besteht, uns anhält, mehr für das geistige als für das leibliche Wohl des Nächsten zu sorgen.

4) Mit wunderbarer Zartheit des Mitleidens ließ er sich zu Allen herab, die mit was immer für Leibesgebrechen geplagt waren; jeden Mangel, jede Dürftigkeit, die er an Jemanden gewahrte, bezog er in der süßen Liebe seines frommen Herzens auf Christus. Milde war ihm freilich angeboren; aber diese wurde verdoppelt durch die eingegossene Liebe Christi. Seine Seele zerschmolz vor Liebe zu den Armen und Kranken; konnte er ihnen nicht helfen mit der Hand, so zeigte er doch das Verlangen zu helfen. Einmal bat ein Armer etwas ungestüm um Almosen, und erhielt deshalb von einem Bruder einen ziemlich harten Bescheid. Als der fromme Liebhaber der Armen dieses hörte, befahl er dem Bruder, sich nackt dem Armen zu Füßen zu werfen, seine Schuld zu bekennen und ihn um seine Fürbitte im Gebete und um Vergebung zu bitten. Demüthig erfüllte der Bruder den Befehl, und jetzt sprach der Vater voll Sanftmuth: Wenn du einen Armen siehst, mein Bruder, so wird dir wie im Spiegel vorgestellt Christus und seine arme Mutter. Desgleichen betrachte in den Kranken die Schwachheiten, die Christus angenommen hat. Und weil dieser allerchristlichste Arme in allen Armen das Bild Christi sah, so theilte er, was ihm zur Nothdurft des Lebens gegeben, denjenigen, die ihm begegneten, nicht nur freigebig mit, sondern glaubte auch, daß er es als ihr Eigenthum ihnen zurückzugeben verpflichtet sei. Als der Heilige einst auf seiner Rückkehr von Siena einem Armen begegnete, und er eben wegen Schwäche über dem Habit noch einen kleinen Mantel trug, sprach er zu seinem Begleiter, von Mitleid gerührt beim Anblicke der Dürftigkeit des Armen: Den Mantel müssen wir diesem Armen zurückgeben, denn er gehört ihm; uns wurde er ja nur geliehen, bis wir einen Aermeren fänden. Da jedoch der Begleiter des heil. Vaters Bedürfniß wohl kannte, so widersetzte er sich hartnäckig und sagte, er solle nicht für andere sorgen und dabei sich selbst vernachlässigen. Aber der Heilige erwiderte: Für einen Diebstahl würde es mir von dem großen Almosengeber angerechnet werden, wenn ich das, was ich trage, nicht dem geben würde, der dürftiger ist, als ich bin. So oft ihm etwas zur Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse geschenkt wurde, pflegte er die Geber um Erlaubniß zu bitten, alles wieder verschenken zu dürfen, wenn er Jemanden in noch größerer Dürftigkeit träfe. Er schonte keiner Sache, nicht des Mantels, noch des Gewandes, noch der Bücher, nicht einmal des Altarschmuckes; ja Alles gab er, wenn er nur konnte, den Dürftigen, um die Pflicht der Liebe zu erfüllen. Begegnete er armen Leuten, die schwere Lasten trugen, so nahm er sie ihnen sehr oft ab und legte sie auf seine schwachen Schultern.

5) Weil er bei allen Wesen den ersten Ursprung betrachtete, so ward er ganz voll Liebe gegen alle, auch die geringsten Geschöpfe und hieß sie Brüder und Schwestern; er wußte ja wohl, daß sie mit ihm denselben Urheber hatten. Jedoch inniger und zärtlicher liebte er jene Wesen, welche von Natur eine Aehnlichkeit mit der liebevollen Sanftmuth Christi hatten und darum auch in der heiligen Schrift dieselbe vorbilden. Oft befreite er Lämmer, die man schlachten wollte, indem er sich jenes sanftmüthigsten Lammes erinnerte, das zur Schlachtbank geführt werden wollte, um die Sünder zu erlösen. Einmal herbergte der Diener Gottes im Kloster des heiligen Verecundus in der Diözese Gubbio. In derselben Nacht nun brachte ein Schäflein ein Junges zur Welt; aber ein Schwein, das in der Nähe war, tödtete mit gierigem Bisse das Lämmlein. Als der liebe Vater dieses vernahm, ward er von Mitleid gerührt, und sich an das makellose Lamm erinnernd, bejammerte er vor Allen den Tod des Lämmleins und sprach: Wehe mir, Bruder Lämmlein, unschuldiges Thierchen! Du stellst uns Menschen Christus dar. Verflucht sei jenes grausame Ungeheuer, das dich getödtet hat; weder Mensch noch Thier soll von seinem Fleische essen. Fürwahr wunderbar! Sogleich erkrankt das mit dem Fluche beladene Schwein und verendet nach dreitägiger Krankheit, eine Strafe für seine Grausamkeit. Man wirft es in eine Vertiefung beim Kloster, wo es lange liegt; es trocknet aus wie ein Brett, ohne daß ein hungriges Thier davon frißt. Es merke sich nun die menschliche Gottlosigkeit, welche Strafe sie schließlich treffen wird, wenn schon die Grausamkeit eines wilden Thieres mit einem so schrecklichen Tode geahndet wird. Es erwäge aber auch die gläubige Andacht, von welch wunderbarer Kraft und großer Süße die Frömmigkeit des Mannes Gottes gewesen sein mag, da ja selbst die wilden Thiere auf ihre Weise ihm ihre Huldigung darbringen. Denn auf der Reise traf er bei Siena eine große Schaar Schafe auf der Weide und grüßte sie seiner Gewohnheit gemäß freundlich. Nun verlassen alle die Weide und laufen zu ihm, erheben Kopf und Augen und sehen ihn an, und zeigen durch ihr ganzes Benehmen eine so große Zuneigung zu ihm, daß die Hirten und seine Brüder sich sehr wundern, wie sie Schafe und Lämmer und selbst die Böcke so wunderbar froh um ihn sahen.

6) Zu Portiunkula wurde dem Manne Gottes ein Schaf gebracht, das er auch dankbar annahm aus Liebe zur Unschuld und Einfalt, welche die Natur des Schafes versinnbildet. Der fromme Mann ermahnte das Schäflein, es möge sich auf das Lob Gottes verlegen, aber die Brüder in Nichts belästigen. Es war, als hätte das Schaf die Frömmigkeit des Mannes Gottes erkannt; denn mit aller Sorgfalt beobachtete es seine Unterweisung. Hörte es nämlich die Brüder im Chore singen, so ging es selbst in die Kirche, beugte seine Kniee, ohne von Jemandem dazu angeleitet zu sein, und blöckte vor dem Altare der jungfräulichen Mutter des Lammes Gottes, gleich als wollte es dieselbe freundlich grüßen. Noch mehr: wenn der hochheilige Leib Christi bei der Feier der heiligen Messe erhoben wurde, bog das andächtige Thier die Kniee, gleich als wollte es die Unandächtigen wegen ihrer mangelhaften Andacht tadeln und die Andächtigen zur Verehrung des heiligen Sakramentes einladen. Einmal hatte er aus Andacht zu dem sanftmüthigsten Lamme Gottes das Schäflein bei sich in der Stadt und übergab es bei seiner Rückkehr einer frommen Frau, damit diese es verwahre. Es schien, als wäre das Schäflein von dem Heiligen in geistlichen Dingen unterrichtet. Wenn nämlich die Frau zur Kirche ging, dort betete und zurückkehrte, so war das Schäflein ihr unzertrennlicher Begleiter. Wenn sie am Morgen aufzustehen zögerte, dann erhob es sich, stieß sie mit den Hörnchen, weckte sie mit Blöcken und mahnte sie durch verschiedene Geberden, sich schnell nach der Kirche zu begeben. So war das Schaf, gleichsam ein Schüler des Franziskus, nunmehr ein Lehrer der Andacht geworden, und wurde deshalb von der Frau als ein wunderbares und liebenswürdiges Wesen bewahrt.

7) Bei Grecio wurde dem Manne Gottes ein lebendiger Hase gebracht. Man setzte ihn auf die Erde, so daß er frei entfliehen konnte, wohin er nur wollte; der liebe Vater ruft ihn, und flugs springt er an seinen Busen, jetzt streichelt er ihn liebevoll und scheint Mitleid mit ihm zu haben wie eine Mutter, redet ihn an mit süßen Worten, er solle sich nicht wieder fangen lassen, und erlaubt ihm, frei davon zu laufen. Mehrmals setzt man ihn auf die Erde, damit er fortlaufe, aber immer kehrt er an den Busen des Vaters zurück, gleichsam als hätte er durch ein geheimes Gefühl dessen Frömmigkeit erkannt; endlich wird er auf Befehl des Vaters von den Brüdern an einen einsamen und sichern Ort getragen. Als er über den See bei Rieti nach der Einsiedelei von Grecio reisete, brachte ihm ein Fischer aus Verehrung gegen ihn einen Wasservogel, den er auch gerne annahm; als er ihn aber mit offenen Händen zum Wegfliegen einlud, der Vogel jedoch nicht fort wollte, erhob er die Augen gen Himmel und verblieb lange im Gebete; nach einer Stunde kam er endlich gleichsam wie aus einem fremden Lande wieder zu sich und befahl abermals in süßer Weise dem Vogel, er solle den Herrn loben und fortgehen; der Vogel empfängt den Segen und fliegt unter Geberden, die seine Freude anzeigen, wohlgemuthet von dannen. Auf demselben See schenkte man ihm einen großen und lebendigen Fisch; er nahm ihn an, nannte ihn wie gewöhnlich seinen Bruder und setzte ihn am Schiffe wieder in's Wasser; aber der Fisch spielte vor dem Manne Gottes im Wasser, und gleichsam von Liebe zu ihm hingezogen, entfernte er sich nicht eher von dem Schiffe, bis er von dem Heiligen mit dem Segen die Erlaubniß zum Fortgehen erhielt.

8) Auf seiner Reise durch die Sümpfe Venetiens traf er viele Vögel, die im Gebüsche saßen und sangen. Als er sie erblickte, sprach er zu seinem Begleiter: Die Vögel, unsere Schwestern, loben ihren Schöpfer; laß uns mitten unter sie gehen, den Herrn loben und die Tagzeiten singen. Sie gehen in der That mitten unter die Vögel, ohne daß sie von dort wegfliegen. Weil sie aber wegen vieles Zwitschern bei Abbetung der Tagzeiten einander nicht verstehen konnten, so wandte sich der heilige Mann zu den Vögeln und sprach: Meine Schwestern, ihr Vöglein, lasset das Singen, bis wir dem Herrn das schuldige Lob dargebracht haben. Sogleich verstummten die Vögel und schwiegen so lange, bis der Mann Gottes mit Muße die Tagzeiten gebetet und das Lob des Herrn vollendet hatte; dann erlaubte er ihnen wieder zu singen, und alsbald sangen sie nach ihrer Weise wie früher.

9) Bei seiner Zelle zu Portiunkula saß eine Zikade, die durch ihren Gesang den Diener des Herrn, der auch in kleinen Dingen des Schöpfers Herrlichkeit zu bewundern gelernt hatte, oftmals zum Lobe Gottes einlud. Eines Tages rief er sie, und wie vom Himmel unterrichtet, kam sie auf seine Hand geflogen. Der Heilige sprach zu ihr: Singe, meine Schwester Zikade, und preise den Herrn, deinen Schöpfer, mit deinen Jubelliedern. Ohne Zögern fängt sie an zu singen und hört nicht eher auf, bis sie auf des Vaters Befehl an ihren Platz zurückfliegt, wo sie acht Tage bleibt, und mit Kommen, Singen und Gehen ihm zu Willen ist. Endlich sagte er zu seinen Genossen: Geben wir jetzt unserer Schwester Zikade Urlaub; denn schon lange genug hat sie uns vergnügt und acht Tage zum Lobe Gottes angetrieben. Sobald sie beurlaubt war, entfernte sie sich, und wurde dort nie wieder gesehen, als ob sie sein Gebot nicht im Geringsten zu übertreten wagte.

10) Während er zu Siena krank lag, schickte ihm ein vornehmer Herr einen lebendigen Fasan, den er vor kurzem gefangen hatte; sobald das Thier den heiligen Mann hörte und sah, zeigte es eine solche Zutraulichkeit gegen ihn, daß es sich von ihm auf keine Weise trennen ließ; denn mehrmals wurde der Fasan außerhalb des Klosters in einen Weinberg gebracht, um nach Belieben fortfliegen zu können, aber jedesmal kehrte er in schnellem Fluge zum Vater zurück, als wäre er von ihm aufgezogen. Endlich schenkte man ihn einem Manne, der aus Hochachtung den Diener Gottes oft besuchte; aber jetzt nahm der Vogel gar kein Futter mehr, als wäre es ihm unerträglich, ferne zu sein von des lieben Vaters Anblicke. Man trug ihn also zum Diener Gottes zurück, und sobald er ihn erblickte, zeigte er in seinen Geberden Freude und fraß gierig das vorgelegte Futter.

11) Als der Heilige zu der Einsiedelei auf dem Berge Alverno kam, um hier zu Ehren des heiligen Michael vierzig Tage zu fasten, umflogen vielerlei Vögel seine Zelle, stimmten wohltönende Lieder an und machten freudige Geberden, als wenn sie über seine Ankunft frohlockten, und schienen hierdurch den lieben Vater einladen und gleichsam anlocken zu wollen, längere Zeit bei ihnen zu bleiben. Bei diesem Anblicke sagt er zu seinem Genossen: Ich sehe, mein Bruder, es ist der Wille Gottes, daß wir eine Zeit lang hier verbleiben; denn gar sehr scheinen die Vögel, unsere Schwestern, über unsere Ankunft sich zu freuen. Während sie nun dort wohnen blieben, war besonders ein Falke, der dort nistete, ihm in großer Freundschaft zugethan. Denn immer kündete er die Stunde, wann der Heilige aufzustehen gewohnt war, um das heilige Breviergebet zu verrichten, durch sein Geschrei zum voraus an. Dieser Dienst war dem Manne Gottes höchst angenehm, weil die so große Sorgfalt des Falken um ihn jede Unlust und Schläfrigkeit bei ihm entfernte. Wenn aber Krankheiten ihn mehr als gewöhnlich belästigten, dann schlug er schonend, gleichsam von Gott unterrichtet, erst zur spätern Stunde an und ließ nur gegen die Dämmerung die Glocke seiner Stimme mit leisen Schlägen ertönen. Und in der That sowohl der Jubel so vielerlei Vögel als auch der Ruf des Falken scheint ein von Gott gegebenes Zeichen gewesen zu sein, wodurch dem Verehrer Gottes angedeutet werden sollte, daß er, auf den Flügeln der Beschauung erhoben, hier mit der Erscheinung des Seraphs wunderbar geehrt werden sollte.

12) Um eben diese Zeit verweilte der Heilige in der Einsiedelei von Grecio, wo die Bewohner der Umgegend von vielfachen Uebeln heimgesucht wurden. Denn viele raubgierige Wölfe zerrissen hier nicht blos Thiere, sondern auch Menschen, und Hagelschauer verwüsteten alljährlich Felder und Weinberge. In einer Predigt sagte nun der Herold des heiligen Evangeliums zu den geplagten Leuten: Zur Ehre und zum Lobe des allmächtigen Gottes befehle ich euch, zu vertrauen, daß diese ganze Plage aufhören, und Gott auf euch gnädig herabblicken und euch an zeitlichen Gütern reichlich segnen werde, wofern ihr mir nur glaubet, euch eurer erbarmet, aufrichtig beichtet und würdige Früchte der Buße bringet. Aber auch dieses verkünde ich euch: Wenn ihr undankbar gegen Gottes Wohlthaten zu dem ausgespieenen Unrath der Sünden zurückkehrt, dann wird die Plage wieder kommen, die Strafe sich verdoppeln, und Gottes Rache euch noch härter heimsuchen. Die Leute thaten auf seine Mahnung hin Buße, und von dieser Stunde an hörte die Verheerung auf, es schwand die Gefahr und weder Wölfe noch Hagel verursachten mehr irgendwelchen Schaden. Ja, was noch mehr ist, wenn Hagelschauer die Nachbargefilde verwüsteten, so blieben die Wolken entweder an der Grenze dieser Gegend stehen oder nahmen eine andere Richtung. Es hört der Hagel auf, die Wölfe halten den Vertrag des Dieners Gottes und wagen nicht mehr, wider das heilige Gesetz gegen die Menschen zu wüthen, welche sich zum heiligen Wandel bekehrt haben, so lange diese nur nicht freveln gegen die hochheiligen Gesetze Gottes. Eine hohe Meinung müssen wir also wohl haben von des heiligen Franziskus Frömmigkeit, da sie ja von so wunderbarer Süßigkeit und Kraft war, daß sie wilde Thiere bändigte, Waldthiere zahm machte wie Hausthiere, sanfte Thiere unterrichtete und die ganze unvernünftige Thierwelt, aufrührerisch gegen den gefallenen Menschen, gehorsam seinem Willen unterwarf. Wahrhaftig! Die Frömmigkeit ist jene Tugend, welche alle Geschöpfe verbindet durch das Band der Freundschaft, die zu Allem nützlich ist und die Verheißung hat für das gegenwärtige und zukünftige Leben.


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