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Worte heiliger Ermahnung des seligen Vaters an alle seine Brüder.

»Ihr Menschenkinder! wie lange seid ihr harten Herzens, daß ihr die Eitelkeit liebet und die Lüge sucht?« Warum erkennt ihr die Wahrheit nicht und glaubet nicht an den Sohn des Herrn? Siehe, täglich läßt er sich herab, wie er von den königlichen Sitzen herabkam in den Schooß der Jungfrau. Täglich kommt er selbst zu uns und erscheint gering und niedrig, täglich läßt er sich von dem Schooße des himmlischen Vaters herab auf den Altar in die Hände des Priesters; und wie er den heiligen Aposteln im wahren Fleische erschienen ist, so auch zeigt er sich jetzt uns im heiligen Brode, und wie sie mit dem leiblichen Blicke nur sein Fleisch sahen, mit den Augen des Geistes aber schauend glaubten, daß er Gott der Herr selbst sei, so sollen auch wir, Brod und Wein mit den leiblichen Augen sehend, festiglich glauben, daß es sein heiligster Leib und sein Blut wahrhaft und lebendig sei. Auf solche Weise ist der Herr allzeit bei seinen Gläubigen, wie er selbst gesagt hat: »Sehet, ich bin bei euch bis an das Ende der Welt.«

Der Herr sagt im Evangelium: »Wer nicht allem entsagt, was er besitzt, der kann mein Jünger nicht sein. Und wer seine Seele gewinnen will, der wird sie verlieren.« Jener Mensch entsagt allem, was er besitzt, und gibt seinen Leib hin, der sich selbst im Gehorsam ganz in die Hände seines Oberen hingibt. Und alles, was man thut oder redet, mit dem Bewußtsein zu thun, daß es nicht gegen den Willen des Obern sei (wenn das nur gut ist, was man thut), ist wahrer Gehorsam. Und wenn der Untergebene schon sähe, daß etwas für seine Seele besser und nützlicher wäre, als das, was sein Vorgesetzter befiehlt, so opfere er seinen Willen dem Herrn; die Werke des Vorgesetzten aber erfülle er fleißig; denn das ist Gehorsam aus Liebe, weil er sich selbst Gott und dem Nächsten zum Opfer macht. Wenn aber der Obere den Untergebenen etwas wider seine Seele geböte, so soll er, obschon er ihm nicht zu gehorchen hat, ihn doch nicht verlassen. Und wenn er deßwegen von Einigen Verfolgung zu leiden hat, so soll er dieselben um des Herrn willen nur noch mehr lieben. Denn wer lieber Verfolgung leiden, als von seinen Brüdern sich trennen will, der bleibt wahrlich im vollkommenen Gehorsam, weil er seine Seele für seine Brüder hingibt. Denn es gibt viele Religiosen, welche unter dem Scheine, etwas besseres zu sehen, als was ihre Vorgesetzten gebieten, umschauen, und zum Unflathe des eigenen Willens zurückkehren. Diese sind Mörder und bringen durch ihr Böses viele Seelen in das Verderben.

»Ich bin nicht gekommen, mir dienen zu lassen, sondern zu dienen,« spricht der Herr. Jene, welche über andere gesetzt sind, sollen sich über ihren Vorzug so viel rühmen, als wenn sie zu dem Amte verordnet wären, die Füße der Brüder zu waschen; und wenn sie sich mehr betrüben, wenn man ihnen das Vorsteheramt abnähme, als wenn man ihnen den Dienst, die Füße zu waschen, nähme, so bereiten sie sich nur eben so viele Fallen für ihre Seelen.

Merke wohl, o Mensch, wie sehr Gott dich ausgezeichnet habe, da er dich, dem Leibe nach, nach dem Bilde seines geliebtesten Sohnes, und dem Geiste nach, nach seinem eigenen Bilde und Gleichnisse erschaffen und gestaltet hat. Und alle Geschöpfe, welche unter dem Himmel sind, dienen, erkennen und gehorchen nach ihrer Weise ihrem Schöpfer besser als du, und die Teufel haben ihn nicht gekreuzigt, sondern du hast ihn gekreuziget und kreuzigest ihn noch, indem du dich in Sünden und Lastern ergötzest. Wie kannst du dich also rühmen? Denn wenn du so scharfsinnig und weise wärest, daß du alle Wissenschaft hättest, und alle Arten von Sprachen zu deuten wüßtest, und die Tiefen himmlischer Dinge zu ergründen verstündest, so könntest du dich in allem dem nicht rühmen, weil ein einziger Teufel von himmlischen Dingen mehr gewußt hat, und jetzt von irdischen Dingen mehr weiß, als alle Menschen. Ferner, wenn du schöner und reicher wärest, als alle, und wenn du auch Wunder wirktest, daß du Teufel austriebest, so hilft und nützt dir solches alles nichts. In diesem Allem kannst du dich nicht rühmen, sondern wir können uns nur in unsern Schwachheiten rühmen, und daß wir täglich das heilige Kreuz unsers Herrn Jesu Christi auf unsern Schultern tragen.

Schauen wir alle, Brüder, auf den guten Hirten, welcher zur Rettung seiner Schafe das Leiden des Kreuztodes erduldet hat. Die Schafe des Herrn folgten ihm unter Trübsal und Verfolgung, unter Schmach und Hunger, unter Schwachheit und Versuchung und vielen andern Mühsalen, und dafür erhielten sie von dem Herrn das ewige Leben. Daher ist es für die Diener Gottes eine große Beschämung, daß die Heiligen solche Werke thun, und wir wollen nur dadurch, daß wir solche lesen und preisen, Ehre und Herrlichkeit erlangen.

Jene Religiosen sind nach dem Buchstaben todt, welche dem Geiste des göttlichen Buchstabens nicht folgen, sondern nur Worte wissen und sie anderen deuten wollen; jene aber sind von dem Geiste des göttlichen Buchstabens belebt, welche alle Wissenschaft, die sie wissen und zu wissen wünschen, dem Herrn, dem Allerhöchsten zurückgeben, dem alles Gute angehört.

Der Apostel spricht: »Niemand kann sagen: »Herr Jesus! außer im heiligen Geiste;« und: »Keiner ist, der da Gutes thut, auch nicht Einer.« Wenn daher einer seinen Bruder um des Guten willen beneidet, das Gott durch ihn redet und thut, so begeht er die Sünde der Gotteslästerung, weil er den Allerhöchsten selbst beleidigt, der alles Gute redet und thut.

Einem Diener Gottes muß nichts mißfallen als die Sünde. Und wenn irgend eine Person auf was immer für eine Weise sündigte, und der Diener Gottes deßwegen (nicht aus Liebe) entrüstet und erzürnt würde, so häuft er über sich Zorn und Schuld. Der ist ein Diener Gottes, welcher sich nicht erzürnt und eines andern wegen nicht entrüstet wird; er lebt rechtschaffen und ohne Eigenthum.

So kann der Diener Gottes erkannt werden, ob er den Geist des Herrn habe: nämlich, wenn der Herr durch ihn etwas Gutes wirkt und dann weder sein Fleisch noch sein Geist sich darüber erhebt; sondern wenn er vielmehr in seinen eigenen Augen sich für geringer hält und glaubt, daß er in allen Dingen von allen anderen weit übertroffen werde.

Es kann bei einem Diener Gottes nicht erkannt werden, welche Geduld und Demuth er habe, so lange seinem Willen und Bedürfnisse Genüge geleistet wird. Wenn aber die Zeit kommt, da diejenigen, welche ihm Genüge leisten sollen, gerade das Gegentheil thun, so ist seine Geduld und Demuth gerade so viel als er dort hat und nicht mehr.

Selig jener Knecht, der sich nicht für besser hält, wenn er von Menschen groß gemacht und erhoben wird, als wenn man ihn für gering und einfältig hält und verachtet. Denn wie viel ein Mensch vor Gott ist, so viel ist er, und nicht mehr. Wehe jenem Religiosen, der vor anderen hoch gestellt ist und mit seinem Willen nicht herabsteigen will! Selig aber jener Knecht, der mit seinem Willen sich nicht hoch stellt, und allzeit verlangt, unter den Füßen anderer zu sein.

Selig jener Religiose, der an nichts anderem Freude und Vergnügen hat, als an heiligen Reden und Werken, und durch diese die Menschen zur Liebe Gottes zieht in Freude und Fröhlichkeit. Wehe aber jenem Religiosen, der an müssigen und eiteln Reden sich ergötzt und dadurch die Menschen zum Lachen bringt!

Selig jener Knecht, der nicht in Hoffnung eines Lohnes spricht und nicht all' das Seinige offenbart und nicht schnell zum Reden, sondern weise und vorsichtig ist, was er reden und antworten soll.

Selig der Knecht, der unter seinen untergebenen Brüdern so demüthig erfunden wird, wie wenn er unter seinen Vorstehern und Herren wäre. Selig der Knecht, der allezeit unter der Zuchtruthe bleibt. Treu ist der Knecht und klug, der bei allen seinen Vergehungen nicht säumt, innerlich durch Reue und äußerlich durch das Bekenntniß und die werkthätige Genugthuung sich zu strafen.

Selig der Knecht, welcher zu den Geistlichen Vertrauen hat, welche recht nach der Form der heiligen römischen Kirche leben; wehe aber denjenigen, die diese verachten! Denn obschon sie Sünder sind, so soll doch keiner sie richten, weil der Herr einzig es sich vorbehält, sie zu richten; denn je größer für alle ihr Dienst ist, welchen sie wegen des heiligsten Leibes und Blutes unsers Herren Jesu Christ haben, den sie selbst empfangen und den nur sie anderen spenden, um so größere Sünde haben diejenigen, welche gegen sie sündigen; diese Sünde gegen die Priester ist größer, als wenn man sich gegen irgend einen anderen Menschen in der Welt verfehlt.

Wo Liebe und Weisheit ist, dort ist weder Furcht noch Unwissenheit. Wo Geduld und Demuth ist, dort ist weder Zorn noch Verwirrung. Wo Armuth ist mit Freude, dort ist weder Begierde noch Geiz. Wo Ruhe ist und Ueberlegung, dort ist keine Kümmerniß und keine Umherschweifung. Wo die Furcht des Herrn vor seinem Vorhofe Wache hält, dort kann der Feind keinen Eingang haben. Wo Barmherzigkeit ist und Bescheidenheit, dort ist weder Ueberfluß noch Verhärtung.

Selig der Knecht, der Schätze im Himmel häuft, die der Herr ihm zeigt, und dieselben nicht aus Hoffnung des Lohnes den Menschen zu zeigen wünscht, weil der Allerhöchste selbst seine Werke offenbaren wird, wenn er will. Selig der Knecht, der die Geheimnisse des Herrn in seinem Herzen bewahrt.


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