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Fünfzehntes Kapitel.

Von der Heiligsprechung und Uebertragung des heil. Franziskus.


1) Franziskus, der Diener und Freund des Allerhöchsten, Stifter und Leiter des Minderbrüderordens, Lehrer der Armuth, Beispiel der Geduld, Herold der Wahrheit, Spiegel der Heiligkeit und Muster der ganzen evangelischen Vollkommenheit, gelangte, von der himmlischen Gnade zuvorgekommen, stufenweise von den untersten Sprossen hinauf bis zum Gipfel. Diesen wunderbaren Mann, gar reich in der Armuth, erhaben in der Demuth, lebendig in der Abtödtung, klug in der Einfalt, ausgezeichnet an allen guten Sitten: diesen erhabenen Mann hat der Herr wunderbar verherrlicht im Leben, aber unvergleichlich mehr verherrlicht im Tode. Denn da der heilige Mann aus der Welt trat, und sein geweiheter Geist einging in das Haus der Ewigkeit, wo er durch den Vollgenuß der Quelle des Lebens verherrlicht ward, blieben seinem Leibe gewisse Zeichen der künftigen Herrlichkeit eingedrückt. Auf diese Weise sollte jenes hochheilige Fleisch, das mit seinen Lastern gekreuzigt, schon in diesem Leben ein neues Geschöpf geworden war, durch einen ganz besondern Vorzug das Bild des Leidens Christi an sich tragen und durch ein neues Wunder die glorreiche Auferstehung anzeigen.

2) In jenen seligen Gliedern sah man Nägel, die durch göttliche Kraft wunderbar aus dem Fleische gebildet und so in dasselbe hineingewachsen waren, daß sie, von was immer für einer Seite man sie drückte, nach der entgegengesetzten Seite zurücktraten, gleich als wären es zusammenhängende und harte Nerven gewesen. Auch zeigte sich ganz offen an seinem Leibe die Seitenwunde, nicht von Menschen beigebracht, sondern von Gott selbst seinem Geliebten geschlagen. Sie war ähnlich der Seitenwunde des Erlösers, aus der das Geheimniß der Erlösung und Wiedergeburt der Menschen hervorging. Die Nägel an Händen und Füßen sahen schwarz aus wie Eisen; während die Seitenwunde roth, durch Zusammenziehung des Fleisches fast zirkelrund war und wie eine sehr schöne Rose aussah. Das übrige Fleisch, das früher theils wegen Krankheit, theils von Natur zur Schwärze sich hinneigte, war sehr weiß und glänzend und zeigte so die Schönheit jenes zweiten Kleides der Unschuld. Seine Glieder waren so weich und biegsam, als hätten sie die Zartheit des Knabenalters wieder angenommen; diese Eigenschaft war gewiß ein augenscheinliches Zeichen von dem Schmucke seiner Unschuld. Da nun in diesem blendend weißen Fleische die Nägel schwarz, die Seitenwunde aber roth war wie eine blühende Rose: was Wunder, wenn eine so prachtvolle und wunderbare Abwechselung bei denen, welche sie sahen, Entzücken und Bewunderung hervorbrachte? –

3) Es weinten die Söhne, weil ihnen der liebe Vater entzogen war, sie wurden aber mit nicht geringer Freude erfüllt, als sie an ihm die Siegel des höchsten Königs küßten. Die Neuheit des Wunders verwandelte das Wehklagen in Jubel, und wer diese heiligen Male untersuchen wollte, wurde beim Anschauen derselben zum Staunen fortgerissen. Denn dieses so ungewöhnliche und außerordentliche Schauspiel war für alle, welche es sahen, Stärkung im Glauben und Anregung zur Liebe; aber für die, welche davon hörten, ein Gegenstand der Bewunderung und ein Reiz, das zu sehen, was man ihnen erzählte. Nachdem also der Tod des heiligen Vaters und der Ruf dieses Wunders bekannt geworden war, strömte das Volk eiligst zum Kloster, wo der Leib des Heiligen lag, um das mit eigenen Augen zu sehen, was der Vernunft jeden Zweifel benehmen und das Herz mit Freuden erfüllen konnte.

4) Sehr viele Bürger von Assisi wurden zugelassen, jene heiligen Wundmale mit Augen zu sehen und mit den Lippen zu küssen. Unter diesen befand sich auch ein Soldat, Hieronymus mit Namen, der gelehrt und klug, ein berühmter und angesehener Mann war. Dieser zweifelte an den heiligen Malen und war ungläubig wie Thomas. Gar kühn und dreist bewegte er vor den Brüdern und anwesenden Bürgern die Nägel hin und her, und berührte mit eigener Hand des Heiligen Hände, Füße und Seite, damit er aus seinem und anderer Herzen jede Wunde des Zweifels hinwegnähme, indem er die wahrhaftigen Abdrücke der Wunden Christi betastete und berührte. Daher wurde er auch später unter andern ein beständiger Zeuge für diese Wahrheit, die er auf diese Weise als gewiß erkannt hatte, und bekräftigte sie eidlich unter Berührung heiliger Gegenstände. Die Brüder und Söhne, welche zum Tode des heiligen Vaters gerufen waren, verbrachten sammt der Volksmenge jene Nacht, in welcher der hehre Bekenner Christi gestorben, mit Absingung heiliger Loblieder, so daß es nicht die Leichenfeier eines Verstorbenen, sondern Nachtwachen der Engel zu sein schienen.

5) Am andern Morgen geleitete die zusammengeströmte Menge, Baumzweige und Kerzen in den Händen tragend, unter Hymnen und Gesängen den heiligen Leib nach der Stadt Assisi. Der Zug ging durch die Kirche des heiligen Damian, wo damals die edle Jungfrau Klara, die jetzt im Himmel verherrlicht ist, mit ihren Jungfrauen abgeschlossen lebte und den heiligen Leib erwartete. Man hielt dort ein wenig an und ließ die gottgeweihten Jungfrauen den heiligen Leib, geziert mit himmlischen Perlen, betrachten und küssen. Hierauf geht man mit Jubel zur Stadt und bestattet den kostbaren Leib mit aller Ehrfurcht in der Kirche des heiligen Georgius. Hier ward er als Knabe unterrichtet, hier hatte er später gepredigt, hier fand er endlich seine erste Ruhestätte. Es schied aber der ehrwürdige Vater aus dem Schiffbruche dieser Welt im Jahre der Menschwerdung unsers Herrn 1226, Samstag Abends den 4. Oktober, und wurde begraben am Sonntage.

6) Sofort erglänzte der heilige Mann durch große und viele Wunder, weil Gott mit seinem strahlenden Antlitze auf ihn herabschaute. Durch diese Zeichen der göttlichen Macht sollte seine erhabene Heiligkeit, welche während seines irdischen Lebens durch die Beispiele vollkommener Gerechtigkeit der Welt als Richtschnur für den sittlichen Wandel bekannt geworden war, vom Himmel herab, wo er jetzt mit Christus herrscht, bestätiget und vollkommen glaubwürdig gemacht werden. In allen Welttheilen geschahen durch den Heiligen herrliche Wunder, und große Wohlthaten erlangte man auf seine Vermittelung, wodurch viele zur Andacht gegen Christus entzündet wurden. Zungen und Werke priesen den Heiligen, und die Großthaten, welche Gott durch seinen Diener Franziskus wirkte, gelangten bis zu den Ohren des Papstes Gregor IX. Und da nun der oberste Hirt der Kirche nicht blos aus den Wundern, von denen er nach dem Tode des Heiligen gehört, sondern auch aus den Beweisen, die er im Leben desselben mit Augen gesehen und mit Händen gegriffen hatte, die wunderbare Heiligkeit des seligen Franziskus mit voller Gewißheit erkannte und darum auch nicht im mindesten zweifelte, daß derselbe im Himmel vom Herrn verherrlichet sei: so beschloß er nach frommer Erwägung, um in Uebereinstimmung mit Christus, dessen Stellvertreter er war, zu handeln, den Heiligen, der aller Verehrung höchst würdig, nun auch auf Erden zu verherrlichen. Damit aber der Erdkreis möglichst große Gewißheit über die Verherrlichung des hochheiligen Mannes erlangte, so ließ der Papst die Wunder, welche theils mündlich berichtet, theils niedergeschrieben und von glaubwürdigen Zeugen bestätigt worden, gerade durch jene Kardinäle prüfen, welche diesem Geschäfte weniger günstig zu sein schienen. Nachdem nun die Wunder sorgfältig untersucht und von allen anerkannt waren, beschloß der Papst auf einmüthigen Rath und unter Zustimmung aller Kardinäle und Würdenträger, die damals am römischen Hofe waren, die Heiligsprechung des seligen Franziskus. Zu diesem Zwecke kam er selbst persönlich nach der Stadt Assisi und schrieb unter den größten Feierlichkeiten, deren Erzählung zu lang sein würde, den seligen Vater in das Verzeichniß der Heiligen im Jahre 1228, am Sonntage den 16. Juli.

7) Bei Gelegenheit des zu Assisi abgehaltenen Generalkapitels wurde der Leib des Heiligen in die Kirche, die zu seiner Ehre erbaut war, übertragen, im Jahre des Herrn 1230 am 25. Mai. Während nun dieser heilige Schatz, besiegelt mit der Bulle des höchsten Königs, übertragen ward, würdigte sich Christus, dessen Bild er an sich trug, sehr viele Wunder zu wirken, damit durch diese heilbringenden Wohlgerüche die Herzen vieler zur Nachfolge Christi angezogen würden. Und da Gott diesen Heiligen während des Lebens zu seinem lieben und theuren Freunde gemacht und ihn durch die Gnade der Beschauung ins Paradies versetzt hatte wie den Henoch; da er ihn durch den Liebeseifer auf feurigem Wagen in den Himmel entrückt wie den Elias: so war es auch durchaus entsprechend, daß seine heiligen Gebeine, da er selbst jetzt unter den himmlischen Blumen der ewigen Pflanzung grünt, wunderbare Wohlgerüche ausdufteten. Wie dieser heilige Mann durch wunderbare Zeichen im Leben leuchtete, so glänzt er auch, indem die Macht Gottes in ihm sich verherrlicht, vom Tage seines Hinscheidens bis auf diesen Augenblick in den verschiedenen Welttheilen durch erhabene Zeichen und Wunder. Denn durch seine Verdienste erlangen die ersehnte Rettung Blinde und Taube, Stumme und Lahme, Wassersüchtige und Gichtbrüchige, Besessene und Aussätzige, Schiffbrüchige und Gefangene; in allen Krankheiten, Nöthen und Gefahren erfährt man Hülfe durch ihn; aber auch viele Todte hat er wunderbar wieder zum Leben erweckt. Aus allem diesem erkennen die Gläubigen die große Kraft und Freigebigkeit des Allerhöchsten, der seinen Heiligen so verherrlicht; Gott dem Allerhöchsten sei dafür Ehre und Ruhm in alle Ewigkeit! Amen.


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