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Vierzehntes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.

 

Anstatt daß dieser abscheuliche Brief mich, wie der Schreiber vielleicht erwartete, in Wuth oder Raserei versetzen sollte, wirkte derselbe günstig auf mich ein. Ich beschloß, jene unleidliche Anmaßung zu demüthigen und richtete alle meine Gedanken auf ein bestimmtes Ziel, die Wiedererlangung meiner Lieblinge und die Bestrafung jenes Mörders. Ich glaubte weder, daß er sie umgebracht hatte, noch, daß er es thun würde. Hatte ihrer Mutter Geist sie nicht als lebend erwähnt?

Ohne Zögern ließ ich meine Yacht für eine längere Fahrt ausrüsten. Das Schloß übergab ich der Obhut Marcantonia's und des greisen Wächters, und am folgenden Tage ging ich mit Petro unter Segel. Ach, hatten die drei Monate, welche ich im Fieberwahnsinn verlebt, gleich dem Meere die Spur verschlungen? Alles, was die Nachbarn wußten, war, daß die Felukke am frühen Morgen Girolata passirt hatte und direkt nach Süden gesteuert war. Als ich mich einschiffte, standen alle Dorfbewohner und sogar die Leute aus den Bergen dichtgedrängt am Ufer, um den Segen der Madonna auf den armen, so schmachvoll seiner Gattin und Kinder beraubten Signor Valentine herabzuflehen.

Nachdem wir das Cap Girolata umschifft hatten, segelten wir nach Süden und erreichten in weniger denn fünfzehn Stunden den sardinischen Golf von Asinara. Hier fuhren wir längs der Küste hin und erkundigten uns an jedem Ort, ob ein Fahrzeug wie das, welches wir suchten, in Sicht gewesen sei. Wir erfuhren aber Nichts, bis wir das Gypsum-Cap passirt hatten. Einige uns begegnende Fischer erzählten uns, daß eine behende Felukke, deren Bauart und Bemannung genau mit unserer Beschreibung übereinstimme, zu derselben Zeit, von der wir sprachen, an ihnen vorüber und auf die Stadt Algheco zugefahren sei. Auch wir steuerten nach Algheco und erfuhren bald, daß das Fahrzeug unstreitig dort gewesen war; selbst Lepardo, den Kapitän beschrieben die scharfsinnigen Sardinier. Das Schiff hatte aber nur wenige Stunden daselbst vor Anker gelegen und sich dann zur Fahrt nach Cagliari gerüstet. Nun setzten wir alle Segel bei, um Cagliari schleunigst zu erreichen, und kamen am vierten Tage, nachdem wir das Cap Girolata verlassen hatten, dort an.

Die Piraten, wenn es solche waren, hatten dort ihr Schiff zum Verkauf ausgeboten. Als sie aber gesehen, daß sie keinen genügenden Preis erzielen konnten, waren sie wieder fortgesegelt, und nach vieler Mühe entdeckten wir, daß Valetta ihr Reiseziel gewesen.

Wir folgten also nach Valetta, und als wir endlich die Hauptstadt von Malta erreichten, wo ich mich vom Klange meiner Muttersprache angeheimelt fühlte, fanden wir die Felukke behaglich vor Anker gelegt und in der Umwandlung zu einem Vergnügungsboot für einen wohlhabenden Engländer begriffen. Derselbe hatte, bestochen von der graziösen Form und der Behendigkeit der Felukke fast zweimal so viel für sie gezahlt, als sie werth war, was er erst bemerkte, sobald die Zimmerleute ans Werk gingen. Dieser Herr war gerade in der Laune, uns jede Auskunft über die verdammten Piraten (wie er sie in seiner Wuth nannte) zu ertheilen, die ihn so schamlos beraubt. Er erzählte mir, daß meine beiden Kinder am Lande gewesen seien, und Harry sehr viel geküßt und bewundert worden war. Eines hatten die Matrosen gethan, was jeden mit den Corsen oder, wie ich vielmehr sagen sollte, den Insulanern des Mittelländischen Meeres Unbekannten überrascht haben würde. Sie haben mein kleines Mädchen mit Blumen und Bändern geschmückt zur Kirche St. Johannis von Jerusalem getragen, wo sie sie taufen ließen, denn Lepardo hatte ausfindig gemacht, daß diese Ceremonie bis jetzt noch nicht an ihr vollzogen war. Ich war begierig, das Register zu sehen, was mir indessen nicht gestattet wurde. Man sagte mir aber, daß der eingetragene Familiennamen nicht Vaughan, sondern Della Croce sei. Wie ich erfuhr, hatten die Matrosen sie sehr lieb gewonnen, da sie ein sanftmüthiges, süßes kleines Geschöpf und ein so kleines Kind ihnen etwas Neues war. Wahrscheinlich haben sie es nach ihrer eigenen Felukke benannt.

Da die Mannschaft zerstreut war und sich theils in ihre Heimath, theils an Bord anderer in See gegangener Schiffe begeben hatten, wurde ich vollständig von der Spur abgelenkt. In einem Hause, wo sie verkehrt hatten, erfuhr ich nur, daß der Kapitän Lepardo die Insel längst verlassen hatte. Wohin und mit welchem Schiffe er gereist sei, das konnte oder wollte man mir nicht sagen. Er hatte viel Geld gehabt und es wie ein Fürst verthan. Dies war Alles, was ich in Erfahrung brachte; aber Petro, der eine bessere Spürnase besaß, als ich, entdeckte, oder wollte entdeckt haben, daß der Menschenräuber und Mörder sich nach Neapel eingeschifft habe. Als ich dies hörte, sank mir der Muth. Ich hätte ihm mit denselben Aussichten in London nachspüren können. In Neapel hatte ich einen Monat verlebt, und die dort herrschende Lügenhaftigkeit, die einzige Geschicklichkeit der zahlreichen Bevölkerung, auf deren Ausübung sich ihre Faulheit nicht erstreckt, war mir bekannt. Trotzdem wurde die kleine Yacht wieder flott gemacht, und nach einer mühseligen Fahrt sahen wir die Königin der Städte. Hier wurde meine Nachforschung, wie ich erwartet hatte, vereitelt.

Ich will Dich nicht mit meinen Irrfahrten langweilen, auf denen ich mich weit öfter von der Spur entfernte, als mich ihr näherte, und die sich mitunter weit in das Land hinein erstreckten. Wollte ich sie Dir in noch so großem Maßstabe aufzeichnen, so würdest Du glauben, die Landkarte von Lancashire als Geduldspiel für Kinder in hundert Schlangenlinien zertheilt, vor Dir zu sehen. Einmal rastete ich in dem alten Thurm unweit des Grabes meiner Lily, welches ich regelmäßig zweimal im Jahre besucht habe. Obgleich wir Vaughan's jede Schaustellung von Gefühlen hassen, habe ich die Idee, daß wir im Grunde ein höchst romantisches Geschlecht sind. Ob dies der Fall ist, oder nicht, darauf kommt es wenig an. Eins aber ist gewiß, wir sind von geradem und festem Charakter. Wir sind nicht leicht empfänglich aber äußerst beständig. Nie hat ein Mann aus unserem Hause ein Weib geliebt und sie verlassen, weil er ihrer überdrüssig geworden. Kein Mädchen unserer Familie hat je aus Koketterie die Treue gebrochen. Nach Allem, was ich von der Welt gesehen, und ich habe infolge meiner dunkelen Schicksale wohl mehr von ihr gesehen, als die meisten Menschen, bin ich zu dem festen Schluß gelangt, daß starke Beharrlichkeit die vornehmste Tugend ist. Mein Feind besitzt sie, ich gestehe es offen ein, und sie bewahrt ihn trotz all seiner Schlechtigkeit davor, verächtlich zu werden.

Wie ich vorhin erwähnte, machte ich eine Pause in meinen unausgesetzten Nachforschungen und blieb eine Zeit lang in der alten, grauen Burg. Die Nachforschung schien mir in der That jetzt so hoffnungslos zu sein, daß ich dies halb und halb für die beste Politik hielt. Sicher würde der Räuber eines Tages zurückkehren und die Güter der Familie Della Croce beanspruchen. Noch durfte er es nicht, weil er unter dem Banne der Seeräuberei und dem Verdachte stand, seinen Onkel ermordet zu haben. Außerdem aber hielt ich es für meine Pflicht, das Eigenthum meiner Kinder in Obacht zu nehmen. Nach jener von dem alten Signor niedergelegten Urkunde waren sein Freund in Prato und ich zu Verwaltern und Vormündern bestimmt. Doch konnte ich nicht lange im Schlosse verweilen. Es war mir zu schmerzlich, allein in den verödeten Zimmern zu sitzen, wo meine Kinder hätten herumtrippeln müssen, oder in den Gebüschpartieen und zwischen den ungepflegten Blumen zu wandeln, von denen jede mir »Lily« zuflüsterte. Früher hatte ich jene eigenthümliche Stille, jene tiefberedte Einsamkeit, welche die Wiesen und Waldwege von Corsika in poetische Eintönigkeit hüllt, geliebt und bewundert. Damals, als ich so geliebt und bewundert hatte, war ich eben ein glücklicher Mann gewesen, ein Mann, der liebende Wesen in der Nähe hatte und sich jederzeit das Herz erwärmen konnte. Jetzt, wo ich weder Freunde besaß, noch nach solchen fragte, durchschauerte mich die Einsamkeit bis auf das Mark, weil sie mein Schicksal zu sein schien.

Nachdem ich mich ein halbes Jahr hindurch bestrebt hatte, als einsiedlerischer Signor meine Pflicht zu thun, fand ich mich eines trostlosen Morgens damit beschäftigt, meine Pistolen hervorzuholen und eine kleine Kugel in mein Ohr zu passen. Mein Daumen verwickelte sich in die Schnur, an der ich das Medaillon des Signors trug, und zerrte es aus der Weste. Es war dasselbe, welche der arme, alte Mann sterbend an seine Lippen gedrückt hatte. Darin lag Lily's und Harry's Haar, zu welchem seitdem noch ein feines Seidenlöckchen hinzugefügt worden, das Haar des Baby's, dessen Name mir unbekannt war. Als ich darauf hinblickte, und sah, wie Lily's Haar das Band darum bildete, da schämte ich mich meines feigen Trübsinns, und entschloß mich, meine Pflicht gegen die drei theuren Wesen wie ein Mann zu erfüllen. Ich ritt sofort nach Prato und überredete den Grafen Gaffori, seinen Wohnsitz in dem Schlosse zu nehmen. Gleich seinem alten Freunde Signor Dezio, hatte er nur für sich und seine liebliche Tochter zu sorgen. Sonst waren seine Verhältnisse aber sehr verschieden von denen des Signors, da er fast sein ganzes väterliches Besitzthum durch politische Unruhen verloren hatte. Deßhalb war es für ihn ebenso angenehm wie vortheilhaft, an die Spitze eines Haushaltes gestellt zu werden, und wieder einige Bedeutung in der Welt zu erlangen.

Trotzdem war sein Ehrgefühl so scharf ausgebildet und strenge, daß ich glaubte, es würde mir nun und nimmer gelingen, ihn zu meinen Ansichten zu bekehren. In der That wäre es mir auch ohne die Unterstützung seiner Tochter fehlgeschlagen. Diese war ein sehr liebliches, angenehmes Mädchen und innig befreundet mit meiner Lily gewesen. Hätte ich jemals wieder lieben können, so würde ich das Mädchen geliebt haben. Das war aber unmöglich.

Der alte Graf versprach also, den Veduta-Thurm zu beziehen, welchen Namen ich in sorglosen Tagen zu »Vendetta« entstellt hatte, und die Verwaltung der Güter meiner verlorenen Kinder zu übernehmen, sobald er seine Vorbereitungen getroffen haben würde. Ich sah keinen Grund, der ihn auch nur einen Tag hätte zurückhalten können; trotzdem erklärte er, nicht vor einem Monat bereit sein zu können; und er war einer von den Menschen, welche nicht dazu geschaffen sind, sich treiben zu lassen. So benutzte ich die Zwischenzeit, um meine liebe alte Yacht in Marseille repariren, mit Kupfer beschlagen und durchweg neu streichen zu lassen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, unsere kleine Liebesbarke, wie mein Engel sie genannt, verändert zu sehen, wenn auch nur von außen. Aber sie hatte, gleich unserer Liebe manchen Sturm durchkämpft; doch war sie nicht gleich unserer Liebe von ewiger Dauer, sie bedurfte der Ausbesserung. Unsere Lieblingsbank auf dem Verdeck, auf der ich in den mondhellen Wachtstunden noch meine Lily zu sehen vermeinte, rettete ich indessen vor dem Pinsel des Malers.

Von der Zeit an führte ich mehrere Jahre hindurch ein werthloses, unstätes, verlassenes Wanderleben, während dessen ich mich nur hin und wieder durch eine Rückkehr zu den Schauplätzen meines vergangenen Glückes erfrischte. Hätte ich Lepardo Della Croce in Wirklichkeit etwas zu Leide gethan, so hätte er sich kaum eine bessere Rache wünschen können. In Wahrheit aber hatte ich ihm niemals ein Unrecht zugefügt. Wäre ich seiner Verlobten auch nie begegnet, so würde sie ihm doch sicherlich ihre Hand verweigert haben. Und er hatte ihr durch seine freiwillige Entfernung freie Wahl gelassen.

Im Spätherbst des Jahres 1842, als ich jede Hoffnung verloren hatte, meine Kleinen wiederzuerlangen, es sei denn durch eine jener Strömungen der Vorsehung, welche wir Menschen Zufälligkeiten nennen, auf die ich aber noch bis zu dieser Stunde vertraue, zu jener Jahreszeit also landete ich in Gibraltar, wo ich von widrigem Winde aufgehalten wurde. Wir befanden uns auf dem Wege nach Lissabon, wo ich eine Ladung englischer Uhren, Flinten und feiner Stahlwaaren nach Ajaccio einnehmen wollte. Welche Herabsetzung für die »Lilie«, sie als Frachtschiff zu benutzen! Ich aber sah es nicht in solchem Lichte, und ich glaube bestimmt, daß ihre selige Herrin, welche trotz all ihrer zarten Romantik einen ausgezeichneten Geschäftsgeist besaß, es für viel mehr unter meiner Würde gehalten hätte, auf Kosten unserer Kinder zu schmarotzen. Ich hätte viel Geld vom Veduta-Thurm beziehen können; da ich mich aber von der Verwaltung zurückgezogen hatte, fühlte ich mich nicht berechtigt dazu. Aus diesem Grunde sowohl, wie auch wegen der vielen auf diese Weise zu gewinnenden Anknüpfungen und Gelegenheiten, meinen Zweck zu verfolgen, erneuerte ich meine Beziehungen zu der Firma »Green, Vowler und Green.« Die englische Küste wieder zu besuchen, war mir unerträglich, und überdies glaubte ich, daß ich bei meiner Kenntniß der Hafenplätze des Mittelländischen Meeres und mit der Unterstützung eines Hauses von solcher Stellung und Unternehmungslust schnell ein Vermögen erwerben würde. Mein Fahrzeug war auch viel zu klein für den Fruchthandel, wenn ich es selbst durch so unreinliches Frachtgut hätte erniedrigen wollen; es war jedoch gerade das richtige Schiff für werthvolle Güter von geringem Umfange. Ich kannte die Vorliebe der Corsen für Waffen und Stahlwaaren ersten Ranges, und an den Werkzeugen, mit denen der Signor Dezio mich in Erstaunen setzen wollte, hatte mich nichts weiter in Erstaunen gesetzt, als die erstaunlich schlechte Arbeit. Das Material war allerdings gut, aber alles Wasser des Restonica's ist nicht im Stande, einen Hammer in eine Handsäge umzuwandeln. Obgleich Eisenwaaren durchaus nicht zu Peter Green's Geschäftsbranche gehörten, unternahm er es doch mit der größten Freundlichkeit, mir eine Ladung feinster Fabrikate von Sheffield und Birmingham mit einem leeren Frucht-Schoner zu senden. Diese Waaren consignirte Konsignation ist ein Rechtsbegriff aus der Materialwirtschaft und bezeichnet eine besondere Lieferform von Waren. Der Lieferant lagert die Ware beim Käufer, das sogenannte Konsignationslager. Der Kunde entnimmt die Ware aus diesem Lager und realisiert damit den Kauf der Ware. Der Käufer meldet die Entnahme an den Lieferanten. er an seinen Agenten in Lissabon, von dem ich sie nach meinem Bedarf und Belieben abholen konnte. Nachdem ich mich mit einem tüchtigen Kaufmann in Ajaccio geeinigt, der die Waaren en gros von mir bezog, und dadurch die Würde sämmtlicher Vogheni vor Feilschen und Handeln bewahrte, hatte ich schon sechs Reisen gemacht, und trotz der strengen Douane, welche vielleicht die tyrannischste der Welt ist, als Corsikaner, der Güter in einem korsischen Schiff importirte, fast dreihundert Prozent auf meine Auslagen verdient. Wir befanden uns jetzt auf der siebenten Fahrt, um den Rest unserer zweiten englischen Consignation einzunehmen, als ein heftiger Westwind uns direkt entgegenblies und wir gezwungen wurden, nach dem Ankerplatz zu steuern. Ein ausgezeichnetes Seeschiff war die »Lilie«, obgleich sie für Wettfahrten gebaut war und drei Jahre lang alle Mitbewerber geschlagen hatte, wenn nur so viel Wind war, daß eine Katze auf den Segelleinen stehen konnte. An einem heißen stillen Junitage, wo das leichteste Brett am schnellsten schwimmt, wurde sie geschlagen und ihr edler, vorwitziger Eigenthümer verkaufte sie in seinem Aerger, worauf er sich ein neues Fahrzeug erbaute, das Wasser zog, wie ein Nautilus und in welchem er auch richtig umgeworfen wurde. Da ich in Folge meiner Erfahrungen auf der Themse ein wenig von Yachten verstand, kaufte ich den ausgezeichneten Segler für ein Viertel seines Werthes. Das Fahrzeug konnte es mit dem flottesten Renner aufnehmen, der jemals eine Wettfahrt nach dem Feuer-Monument Das » Monument to the Great Fire of London«, von 1671 bis 1677 erbaut als Erinnerung an das große Feuer von London, das 1666 drei Tage lang wütete und große Teile der Stadt zerstörte. mitmachte. Auf dem Zollamt war es mit fünfzig Tonnen eingetragen, es trug aber achtzig.

Nach meiner Landung in Gibraltar hielt ich mich von meinen Landsleuten fern und schlenderte nach den spanischen und maurischen Stadtvierteln. Es war ein windiger Abend, und vor einem untergeordneten Schenklokal tanzten Matrosen und spanische Mädchen. Ein Streit entspann sich unter ihnen, ich glaube, wegen des Anzuges eines jungen Mädchens. Es wurden Messer gezogen und zwei Männer in kürzerer Zeit niedergestochen, als ich gebrauche, um es zu erzählen. Ich rettete einem Menschen im Handumdrehen das Leben. Ein Spanier von edlem Aeußern lag unter einem Marokkaner, der ihm mit der diesen Menschen eigenen Schnelligkeit ein Bein gestellt hatte. Die Spitze seines Messers fuhr durch das Hemd des Spaniers und schnitt demselben in's Fleisch, ehe ich den Marokkaner mit meinem Stock zur Seite schlagen konnte. Glücklicherweise schlug ich von unten herauf, hätte ich den Streich von oben nach unten geführt, so würde die Klinge keine Sekunde später das Herz des Spaniers getroffen haben. Ich kannte diese Burschen aber damals schon. Der Afrikaner lag in Folge meines scharfen Streiches gegen seine Schläfe besinnungslos am Boden, und das Messer war seiner Hand entglitten.

Wenn Petro und ich jetzt nicht beabsichtigten, als Messerscheiden zu dienen, so bestand der einzige Rath, den die Vernunft uns eingeben konnte, in der Befolgung der Politik, welche man gemeiniglich mit dem vulgären Namen »Ausreißen« bezeichnet. Auf ein schrilles Signal kamen die Marokkaner vom Strande und den Schiffen schnell und leise in Schwärmen herbeigeeilt. Die Aufregung schien ihre gelben Pantoffeln und kaffeebraunen Beine mit Springfedern versehen zu haben. Einige der Spanier standen uns tapfer bei und mit ihrer Hülfe brachten wir den Verwundeten schleunigst in unser Boot, das noch gerade zu rechter Zeit abstieß. Unsere Verfolger hatten nicht, wie die korsischen Bauern, Schußwaffen bei sich, und ehe sie sich solche verschaffen konnten, waren wir in sicherer Ferne.

Wir schickten nach einem englischen Wundarzt und behielten den armen Seemann so lange an Bord unserer Yacht, bis er ganz außer Gefahr war. Wir Briten sind im Allgemeinen kein übertrieben dankbares Volk. Wir hassen den Gedanken irgendwelcher Verbindlichkeit und liefern nur zu viele Beispiele zu dem Ausspruche des großen Philosophen, daß Geben königlicher sei, denn Nehmen Im englischen Original ist von »königlich« nicht die Rede: » the great philosopher's saying, that the doer feels more good will than the receiver of a kindness«. Im Neuen Testament, Apostelgeschichte 20, 35: »Geben ist seliger als nehmen.« Jesus als der »große Philosoph«?. Außerdem können wir kaum Liebe seitens der Spanier in der Gegend von St. Roque Gibraltar steht nach dem Spanischen Erbfolgekrieg seit 1704 unter der Souveränität des Königreichs Großbritannien bzw. des Vereinigten Königreichs und wurde 1713 von Spanien offiziell im Frieden von Utrecht abgetreten. erwarten, nicht einmal, wenn wir gewohnt wären, sie mit einigem Anstand zu behandeln, was bekanntermaßen nicht der Fall ist. Deßhalb überraschte mich die tiefe und warme Dankbarkeit dieses verwundeten Matrosen. Ein Umstand erhöhte seine Verpflichtung gegen mich, denn das Leben allein ist keines großen Dankes werth. Er liebte ein junges Mädchen, dasselbe, um derentwillen der Streit entstanden, und er war im Begriff, sich mit ihr zu verheirathen.

Als er entdeckte, wer ich war, denn zuerst wußte er Nichts von mir, da sah er, daß er mir von großem Nutzen sein konnte. Das einzige Hinderniß bestand in einem feierlichen Eid, und von diesem glaubte er sich befreien zu können. Mit dem ehrlichen und starken Widerwillen eines Engländers gegen jeden Treubruch zögerte ich lange, ihn zu dieser Absolution zu ermuthigen. Aber der Gedanke an meine armen Kinder, die ihrer Erbschaft und, was noch schlimmer war, der Liebe eines Vaters beraubt und von der Laune eines abergläubischen Schurken abhängig waren, und dazu die Erinnerung an das mir zugefügte Elend überwältigten meine Bedenken. Und ist es nicht ein weiseres und christlicheres Verfahren, das Steuer einer anderen Religion in die Hand zu nehmen, als sich dem Bug derselben entgegenzustemmen, vorausgesetzt, daß die Religion in einem ehrlichen Herzen wohnt, mag dieses Herz immerhin unter einem groben Kittel schlagen?

Nachdem der spanische Seemann seine Absolution ordnungsmäßig erlangt hatte (für die er mir nicht gestattete, zu bezahlen), erzählte er mir Alles, was er wußte. Er war Lepardo's Steuermann gewesen, und hatte manche Schmuggelfahrt und manchen Piratenstreich an den Küsten der Barbarei mit ihm ausgeführt. Indessen hatte er, sowohl wie die übrige Mannschaft, den Kapitän nicht leiden können, obgleich sie Alle ihn als den klügsten Mann der Welt bewunderten. Als die Felukke verkauft und die Mannschaft zerstreut war, hatte der Steuermann noch längere Zeit die Schicksale Lepardo's getheilt. Er erzählte mir Dinge von ihm, die ich kaum glauben konnte. Auch will ich dieselben nicht wiederholen, da sie keinen Einfluß auf meine Geschichte zu haben scheinen. Den Namen meiner kleinen Tochter konnte er mir nicht nennen, da er nicht bei der Taufe gewesen war, und sie immer die »Kleine« genannt wurde. Da er ein gutherziger Mann war, hatte er sich meiner Kinder freundlich angenommen, und er erzählte mir Anekdoten von ihnen, die mich zu Thränen rührten.

Als sie zwei bis drei Monate in Neapel gelebt hatten, brachen sie plötzlich nach Palermo auf (wie der Steuermann glaubte, wegen meiner unerwarteten Ankunft). Hier hatte Letzterer seinen Kapitän aus den Augen verloren, da er, des müßigen Lebens müde und keine Aussicht auf neue abenteuerliche Fahrten sehend, Dienst in einer nach dem Piräus abgehenden Barke genommen, und jetzt nach mancherlei Schicksalen erster Steuermann auf einem Frucht-Schiffe war, das von Zante nach London segelte. Das Wichtigste von Allem, was er mir mittheilte, war für mich, daß dasselbe Schiff auf seiner vorigen Fahrt Lepardo Della Croce und meine beiden theuren Kinder nach London befördert hatte. Der Mörder und Menschenräuber hatte die Leitung einer Verschwörung gegen die Regierung beider Sicilien übernommen und war infolge der Verrätherei eines Mitschuldigen gezwungen worden, sein Leben durch die Flucht zu retten. Unter einer Verkleidung gelang es ihm, Gibraltar zu erreichen und sich auf englisches Gebiet zu flüchten. Er war damals sehr arm und unglücklich, aber er hing noch an den Kindern, die er anscheinend liebte und die ihn für ihren Vater hielten. Als der »Duo Brachiones« wie gewöhnlich in Gibraltar anlegte, um Vorräthe einzunehmen, begegnete Lepardo seinem alten Steuermann und bat ihn um die Ueberfahrt nach England. Er ging mit nach London, wo der Spanier natürlich seine Spur verlor. Der Steuermann erzählte, daß er gar nicht mehr der alte Lepardo gewesen. Mürrisch und verschlossen war er zwar stets, aber jetzt hatte das Unglück auch einen Hang zum Philosophiren in ihm hervorgerufen. In seinen Augen jedoch blitzte noch der alte finstere Haß, sobald mein Name genannt wurde, und der Steuermann wußte, was er beabsichtigte, falls er mich als einen glücklichen Menschen anträfe. Noch verwunderter war der einfache Seemann von der Veränderung, die er an meinen Kindern wahrgenommen hatte; ein so hübsches Pärchen, sagte er, habe er noch nie erblickt. Sie wurden aber auf das Strengste von jeder Annäherung der Mannschaft, ja sogar derjenigen ihres alten Freundes zurückgehalten, und sie durften sich nur auf dem Verdeck zeigen, wenn die Kajüten gereinigt wurden. Ihr vermeintlicher Vater schien ihnen viel mehr Furcht als Liebe einzuflößen.

Als ich diese letzte Einzelheit hörte, ergriff ich des Steuermanns Hand und fühlte einen Druck in der Kehle. Ich war innig erfreut, zu erfahren, daß den Piraten nicht gelungen war, die Natur durch Erziehung zu besiegen. Am nächsten Tage übergab ich Petro die Leitung des Eisenwaarengeschäfts, zu dem wir kontraktlich verpflichtet waren, während ich mich in den »Duo Brachiones« einschiffte, um meinen lieben Kleinen nachzueilen.



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